Heim

Heim

Sie wird von Heim zu Heim geschoben. Sie will sich nicht unterordnen, nicht erziehen lassen. Sie ist misstrauisch gegenüber jedem Erwachsenen, lässt sich nichts sagen, will keine Hilfe annehmen. Die aufgestellten Regeln sind für sie nicht nachvollziehbar und somit nicht einzuhalten. Nicht rauchen, zur Schule gehen, aufräumen, angemessenes Verhalten zeigen, das alles schafft sie nicht.
Es dauert nie lange, bis sie alle Erzieher gegen sich hat. Sie denkt nicht an die Konsequenzen ihres Handelns. Immer wieder verliert sie den Boden unter den Füßen. Sie stiehlt, sie prügelt sich, sie randaliert, sie bricht aus. Jede Chance auf Veränderung lässt sie ungenutzt. Halt findet sie nur bei ihren Freunden. Die denken genauso wie sie.

Mirijam Günter hat einen schonungslosen, aber ehrlichen Roman geschrieben. Einigermaßen fassungslos folgt man der Ich-Erzählerin, spürt Hilflosigkeit. Kein Weg scheint hinauszuführen aus der Situation. Zwischendurch auftretende Hoffnung wird sofort wieder im Keim erstickt. Dabei ist die Protagonistin keineswegs unsympathisch. Sie ist überraschend schlagfertig. Was sie tut, mag aus ihrer Sicht richtig, ja sogar normal sein. Sie kennt es nicht anders. Es geht um ein Leben, das nicht der Norm entspricht. Es geht ums Überleben in einer Welt ohne Familie. Manche bleiben auf der Strecke, schaffen es nicht. Einziger Halt ist die Clique, ein wackeliger Halt. Die Autorin schreibt sehr realistisch und glaubwürdig. Trotz allem, was das Mädchen erlebt hat, scheint kaum eine Möglichkeit für sie zu geben, die eingefahrene Bahn zu verlassen. So ist der Anfang des Buches auch das Ende. Wieder kommt das Mädchen in ein neues Heim. „Du wirst sehen, du wirst dich hier wohlfühlen.“

Über die Autorin:
Mirijam Günter ist in Köln aufgewachsen. Sie hat bis zu ihrem 16. Lebensjahr in sieben verschiedenen Heimen gelebt und mehrere Schulen besucht. Autobiographisch ist ihr Roman „Heim“, der mit dem Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis 2003 ausgezeichnet wurde, jedoch nicht. Die Autorin lebt heute in Köln-Ehrenfeld.

Rezension von Heike Rau

Mirijam Günter
Heim
302 Seiten, Klappenbroschur
dtv extra
Deutscher Taschenbuch Verlag, München
ISBN: 3-423-70884-0
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