Edgar Selge: Hast du uns endlich gefunden

Edgar Selge: Hast du uns endlich gefunden

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In der Autobiographie des bekannten Schauspielers Edgar Selge kann man die schrecklichen Zustände in einer bürgerlichen Nachkriegsfamilie nach dem 2. Weltkrieg kennenlernen. Wir schreiben das Jahr 1960.

Der Icherzähler ist 12 Jahre alt und lebt mit seinen drei Brüdern und den Eltern in einem Haus des Gefängnisdistrikts von Herford. Sein Vater ist dort Gefängnisdirektor.

Die Eltern betreiben Hausmusik in großem Rahmen. Mutter spielt Geige und Vater Klavier. Auch ausgewählte Gefangene dürfen gelegentlich an den in großen Räumen stattfindenden Hauskonzerten teilnehmen.

Maßgeblich im Hause sind die strengen Regeln des Miteinanders. In der Wahrnehmung eines 12Jährigen sind die häuslichen Lebensformen ein Schrecken ohne Ende. Mit ängstlichen Augen beobachtet der Junge, was um ihn her vor sich geht. Er kennt die Regeln, will sich aber nicht einfügen. Er übertritt ganz bewusst immer wieder die väterlichen Gebote, klaut und lügt, was ihm schreckliche körperliche Züchtigungen einträgt. Das Prügeln hat System. Die frömmelige und fast bigotte Atmosphäre trägt erschreckend sadistische Züge.
Man kennt alles das aus der schwarzen Pädagogik des 19. Jahrhunderts.
Die ängstliche Mutter und der alles dominierenden Vater bieten das Bild einer Gemeinschaft, in der der Vater das Sagen hat.

Im Gegensatz zu seinem Schauspielerkollegen Joachim Meyerhoff, dessen Bücher vor Witz und Komik sprühen, wirkt bei Edgar Selge alles strenger, kälter und abschreckend.

Selges Erinnerungen sind ernst, und man fühlt als Leser:in einen Schauer der Einsamkeit. Die älteren Brüder legen sich mit den Eltern an, kritisieren ihre deutschtümelnden Verhaltensweisen und das verklemmte, nationalsozialistische Gedankengut.

Die alles überragende Strenge beim Lernen, Musikspielen und im Umgang mit den Lehrern ist wahrlich bedrückend.

Edgar Selge muss eine schreckliche Jugend gehabt haben. Das sensible und still beobachtende Kind wittert überall die Gefahr der Bestrafung. Vor lauter Angst kann der Junge beim Lernen nicht folgen. Er flüchtet sich in Fantasiespiele, in denen er seinen Frust auslebt.

Beeindruckend ist die nüchterne Darstellung, in der alles so wirkt, als passiere es gerade jetzt.
Insofern ist die Geschichte literarisch gut erzählt.
Das Buch liest sich in weiten Teilen wie die Inkarnation eines deutschnationalen, judenfeindlichen Bürgertums.
Einziger Lichtblick ist die Musik, die breiten Raum einnimmt, und der man sich mit Hingabe widmet.

Edgar Selge
Hast du uns endlich gefunden
Rowohlt Buchverlag, 4. Auflage, Oktober 2021
304 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3498001221
ISBN-13: 978-3498001223
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