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Kategorie: Belletristik

Dawn Tripp: Das Liebesspiel

Dawn Tripp: Das Liebesspiel

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Endlich mal wieder ein Buch über Menschen! Leider nur über eine bestimmte Sorte: über diffus leidende in sich Verstrickte. Alles beginnt 1957 damit, dass Ada Varick und Luce Weld ein Verhältnis haben. Beide sind verheiratet, Adas Mann offenbar jähzornig. Dann springt das Buch ins Jahr 2004 und man erfährt, dass irgendwann damals Luce erschossen worden war. Adas Mann gilt unter der Hand als der Täter, offiziell ist das aber nicht. Luce Tochter Jane hat inzwischen Familie und ausgerechnet ihre Tochter Marne verliebt sich in Ray, den jüngsten Sohn von Ada. Jane selbst hat – warum und wann auch immer – eine gewisse Freundschaft mit Ada geschlossen, sie treffen sich jeden Freitag zu Scrabble-Spielen.

Nun wird es bruchstückhaft: Die Autorin Dawn Tripp erzählt aus verschiedenen Blickwinkeln Episoden aus verschiedenen Jahren. Janes Passagen spielen im Jahr 2004, Marnes Erleben mit Ray ebenfalls. Erinnerungen sind eingewoben. Eine andere Erzählebene entfaltet sich 1962 aus der Sicht von Huck, einem Sohn Adas, der damals 14 ist. Brockenweise erfährt man von gestorbenen Kindern, irgendeinem Ingenieur, von schwierigen Mutter-Kind-Beziehungen, von alten Verbindungen, von Lebensweisen, Wohnverhältnissen, Gefühlslagen… Alles ist sorgsam konstruiert, angemessen komplex gebaut und in sich weitgehend logisch. Aber es wird nicht erzählt. Es fühlt sich an wie ein Detailgerüst, um dessen Streben irgendwas literarisch klingen Sollendes gepappt wurde, um die Infos mitteilen zu können. Dass es dabei manchmal schwierig ist, die Übersicht über die Personen zu behalten, ist ein unangenehmer Nebeneffekt. Nur die Ereignisse zwischen Marne und Ray – es „Geschichte“ zu nennen wäre angesichts der spärlichen Handlung übertrieben – folgen einem gewissen Fluss, bilden so etwas wie einen Plot.

Die Konstruktion der Welt, in der diese Figuren existieren (von leben kann kaum die Rede sein), ist durchaus gekonnt und spannungsreich. Nur die Darstellung ist quälend. Einmal quälend, weil über allem so eine dicke Decke aus Bedeutungsschwere und aus diffusem Leiden liegt; jede maßgebliche Figur scheint gefangen, gebrochen, abrundtief traurig – irgendwie kaputt eben. Und überall wabern Geheimnisse, unaussprechbare Dinge und nur vage erahnbare Fettnäpfchen. Immer, wenn etwas Schönes gezeigt wird – irgendwas aus der Natur zumeist –, dann dient selbst das scheinbar nur zum Erzeugen einer herzabdrückenden Wehmut. Quälend empfand ich auch die Sprache an sich. Massenhaft lyrische Bilder von Traurigkeiten oder voller vorgeblicher Bedeutungshaftigkeit haben daran ihren inhaltlichen Anteil; Sätze, deren Überladung, Bezugsunsauberkeiten und Flussbrüche in jeder Schreibwerkstatt moniert würden, verlangen deutlich mehr guten Willen ab, als sie zum Ausgleich an Sprach- oder Inhaltsentdeckungen bieten. Zum Glück ist es kein unlesbares Kauderwelsch.

Trotzdem: Abraten würde ich von dem Buch nicht. Man muss einen gewissen Hang mitbringen, sich in bitter-schmerzhafter Melancholie zu suhlen, nicht viel Wert auf Handlung legen und mit einer „dekorierten Auflistung“ von mehr oder (meist) weniger überraschenden Wendungen zufrieden sein. Auch sollte man sich nicht daran stören, dass an manchem ganz schön kaugummiartig herumgeheimnist wird, während anderes substanzlos in der Luft gehalten wird, um dieses gewisse, oben schon erwähnte Wabern aufrecht zu erhalten. Wenn man diese Voraussetzungen also mitbringt, dann erhascht man einen Blick auf eine nicht ganz gewöhnliche Konstruktion aus Verstrickungen von Menschen untereinander und in sich selbst, man kann die darin liegende Spannung spüren und deren Nicht-Lösen erleben. Facetten- und detailreich ist zwar auch anders, aber dafür kann man sich im Deuten von allerlei Symbolen und Neben-Botschaften üben.

Das Buch endet mit einer wirklich überraschenden, literarisch feigen und nicht ganz logischen Wendung in Bezug auf Janes und Adas Scrabble-Spiel. Und mit einer Versöhnung. Ach ja: Wer Luce Weld erschossen hat, das erfährt man natürlich auch.

Dawn Tripp
Das Liebesspiel
313 Seiten, gebunden
Arche Verlag
ISBN-10: 3716026638
ISBN-13: 978-3-7160-2663-2
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Sigrid Damm: Wohin mit mir

Sigrid Damm: Wohin mit mir

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Rom: Ziel eines ungewöhnlichen Studienaufenthalts.

Sigrid Damm bekommt für das letzte Jahr des 20. Jahrhunderts eine Einladung zu einem Stipendium in die Casa di Goethe in Rom. Sie war zuerst nicht besonders erbaut davon. Aber kann man ein solches Angebot überhaupt ausschlagen? Gerade hatte sie die Weite des Nordens für sich entdeckt, wo sie Ruhe und die Unendlichkeit spüren konnte. Nun also Rom!

Wir folgen ihr auf eine Reise, die sie auf einer längeren Autotour in den fernen Süden entführt. Sie durchquert mit ihrem Sohn die Alpen und erlebt die herrliche Landschaft der Toskana. Als die beiden Rom erreichen, wird ihr sehr bald bewusst, dass sie in einer heißen und hektischen Stadt leben wird. Die Abgase und der unerträgliche Lärm stören, so dass sie nahe daran ist, den Aufenthalt abzubrechen. Doch überall trifft sie auf Goethes Spuren, hört seine Texte im Geist und besucht den Friedhof, wo August Goethe begraben liegt, der schon früh, im Alter von vierzig Jahren, dahin gerafft wurde. Dann trifft sie eine deutsche Buchhändlerin und das alte Ehepaar Fulio und Anna. Sie sieht die Bilder von Caravaggio und entdeckt bei ihren Besuchen in den zahlreichen Kirchen den sakralen Bilderreichtum und die antiken Schätze in der ewigen Stadt.

Ihre Eindrücke zeugen von feiner Wahrnehmung und neugieriger Erkundung einer für sie nur aus den Schriften Goethes bisher erfahrenen fremdländischen Welt. Es fällt ihr sichtlich schwer, sich auf die Landschaft und die Menschen mit ihrem lärmenden Leben einzulassen. Doch hat sie eine fast sinnliche Vorgehensweise, sich den Bildern und Menschen zu nähern. Nachdenklich, den Düften und Spuren der Vergangenheit nachsinnend, nähert sie sich allmählich der Schönheit und dem Fluidum dieser lauten und überwältigenden Stadt. Zwischendrin sehnt sie die Weite und Kühle des Nordens herbei, ihrer Wahlheimat in Nordschweden!

Unausbleiblich erfährt sie die Annäherung an Menschen, die sie zu Freunden gewinnt.

Mit diesem Buch bietet sie zum ersten Mal Einblicke in ihr Leben und ihre persönlichsten Erfahrungen. Diskret und scheu auch bei diesen Bekenntnissen offenbart sie den Charakter einer offenen und sensiblen Kennerin von Kunst, Literatur und Menschen.

Wer noch nicht in Rom war, kann dieses Buch durchaus als Reiseführer benutzen. Wer schon dort war, wird vieles wieder erkennen und womöglich mit neuen Blicken anschauen, denn die Intensität, mit der sich Sigrid Damm in die Kunstwerke vertieft, ist enorm.

Sie ist eine in sich eingesponnene Erzählerin. Die Öffentlichkeit meidet sie, und die zahlreichen anstrengenden Lesereisen sieht sie als notwendiges Übel an. Doch wie sie, die ausgewiesene Goethekennerin, sich die Stadt Rom erobert und in die Gegebenheiten der italienischen Lebensart eintaucht, das zeugt von einer bemerkenswerten Einfühlungsgabe und dem Geist einer wachen Beobachterin. Wie mit allen ihren Büchern, vorwiegend über die Frauen und Männer der Weimarer Klassik, wird sie auch mit diesem Buch hohes Interesse bei ihren Leserinnen und Lesern finden.

Sigrid Damm
Wohin mit mir
286 Seiten, gebunden
Insel Verlag, März 2012
ISBN-10: 3458175296
ISBN-13: 978-3458175292
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Maxence Fermine: Am Ende der Teestraße

Maxence Fermine: Am Ende der Teestraße

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Charles Stowe hat die Faszination für Tee von seinem Vater, einem Londoner Teehändler, der seinem Sohn all sein Wissen vermittelt hat. Doch das Geheimnis der Herstellung der Teesorten kann er ihm nicht mitgeben. Chinas Teeplantagen hat der Vater nie gesehen. Und so nimmt sich der Sohn vor, die Reise zu machen, um das Geheimnis der Herstellung der Teesorten, insbesondere des weißen Tees, der nicht außerhalb Chinas zu bekommen ist, zu erkunden.

Im Jahre 1838 im Alter von einunddreißig Jahren verlässt Charles Stowe London und macht sich auf den Weg in eine fremde Welt und bereist die bekannte Handelsroute.
Der Weg ins Landesinnere Chinas wird ihm jedoch verwehrt, auch weil ein Krieg bevorsteht. Der Handel mit weißem Tee, der dem Kaiser vorbehalten ist, ist verboten.

Mr. Pearle, Vorsitzender des Teekomitees, könnte Charles Stowe den Weg ebnen und seinen Traum möglich machen. Also schließt er mit ihm einen Blutspakt, der es erlaubt, ihn in die letzten Geheimnisse einzuweihen. So kann er die Teeplantagen doch noch sehen und den Teepflückerinnen bei ihrer Arbeit zuschauen.

Doch Lu Chen kennenzulernen, den wahren Meister des Tees, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, scheint ein unerfüllbarer Wunsch zu sein. In dessen Gattin Loan verliebt Charles Stowe sich Hals über Kopf. Sieben Tage und sieben Nächte darf er mit ihr verbringen. Wenn er dann nicht geht, wird er sterben.

Es ist ein Buch, das von der Faszination für Tee erzählt, einem geheimnisvollen und anregenden Getränk. Nur wer Tee liebt, wird diese Begeisterung nachvollziehen können, die der Autor mit sehr passend gesetzten Worten unterstützt.

Charles Stowe ist ein leidenschaftlicher und risikofreudiger Mensch. Grenzen kann er nicht akzeptieren. Auch nicht, was die Frau betrifft, die er kennenlernt. Im Opiumrausch lebt er diese zeitlich begrenzte Liebe aus.
So kommt er noch ganz anderen Geheimnissen auf die Spur, den Tee- und den Opiumhandel betreffend, für die er einen hohen Preis zahlt.

Es ist nur eine kurze, sparsam erzählte Geschichte, aber es steckt so viel darin. Gerade diese Knappheit ist es, die Eindringlichkeit bringt. Belangloses hat keinen Platz. Lebenszeit ist begrenzt. Man wird nachdenklich gestimmt, kann vieles in die Erzählung hineininterpretieren.

Das Buch ist schön gestaltet. Es hat einen aufwändig gearbeiteten Leineneinband. Damit ist es auch gut als Geschenk geeignet.

Rezension von Heike Rau

Maxence Fermine
Am Ende der Teestraße
Aus dem Französischen von Georges Hausemer
120 Seiten, gebunden
Unionsverlag
ISBN-10: 329300444X
ISBN-13: 978-3293004443
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John Burnside: In hellen Sommernächten

John Burnside: In hellen Sommernächten

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Leben zwischen zwischen Wahn und Wirklichkeit.

Es ist eine kühle, ferne Welt, in die es den Leser in diesem Roman verschlägt. Lange dunkle Winter und helle Sommernächte geben der Insel in Nordnorwegen eine intensive Färbung. In die Einsamkeit der abgelegenen Gegend ist die Mutter von Liv mit ihrer Tochter gezogen, um sich ganz ihrer Malerei und Bildhauerei zu widmen. Sie gilt als schön, geheimnisvoll und anziehend. Seltene Besucher, hier Freier genannt, und einige wenige Nachbarn bieten gelegentlich Kontakte zur übrigen Welt. Aus Livs Perspektive geschrieben erfährt man etwas von der Einsamkeit und der Fantasiewelt, in der sie lebt. Sie mag kaum mit Menschen zusammen sein hört aber genau hin, wenn der alte Kyrre seine Geschichten erzählt. Sie verbinden eine unheimliche Sagenwelt mit der Wirklichkeit.

Zu Beginn gibt es zwei ertrunkene Nachbarjungen, deren Tod ebenso mysteriös bleibt wie die übrigen Gestalten, denen wir in der Erzählung begegnen.

Liv ist die zarte, empfindsame und sich selbst als Spionin beschreibende Hautprotagonistin, die mit sensiblen und wachen Gefühlen ein Gespür für das Absonderliche hat. Sie beobachtet genau und macht sich ihre Gedanken, die zwischen Fantasie und Wirklichkeit zu oszillieren scheinen. Ahnungsvoll meint sie einen Voyeur entdeckt zu haben, der zuletzt sehr lebendig erscheint, um dann wie einige andere Gestalten im Meer zu versinken.

Die schöne Mutter bleibt der Angelpunkt von Livs Dasein. Sie beobachtet ihre Mutter jedoch ebenso verwundert wie alle anderen Erscheinungsbilder auf der fernen nordischen Insel.

Machtvoll, sprachgewandt und poetisch kommt die Erzählung daher, mit der John Burnside der Gratwanderung des jungen Mädchens in ihre Märchen- und Fantasiewelt folgt.

Menschliche Verstrickungen werden umrankt von erhabenen Naturerscheinungen und der lichten Weite des nordischen Sommerhimmels. Einsamkeit gepaart mit Ängsten und der Suche nach Lösungen für die geheimnisvollen Beobachtungen machen das Buch zu einem Thriller zwischen Mysterie und Hoffnung. John Burnside vermag seiner Erzählung zwischen Schattenreich und wahren Lebensahnungen beredt Ausdruck zu geben.

John Burnside
In hellen Sommernächten
384 Seiten, gebunden
Albrecht Knaus Verlag, März 2012
ISBN-10: 3813504603
ISBN-13: 978-3813504606
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Julia Stagg: Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf

Julia Stagg: Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf

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Angefüttert durch Alex Capus’ „Leon und Louise“ und dem darin enthaltenen Flair bin ich auf das hier besprochene Buch von Julia Stagg aufmerksam geworden. Zugegeben, das Auto auf dem Umschlagbild war auch nicht ganz unschuldig, wie das ganze Umschlagbild an einige schöne Tage im Périgore erinnerte.

Nun ist das Flair in diesem Buch nicht mit der Besinnlichkeit bei Capus zu vergleichen, aber Flair, französischen Charme und ausgelassene Fröhlichkeit bringt es trotz aller Katastrophen ins Spiel. Die Schriftstellerin hat den französischen Nerv sehr gut getroffen, und das obwohl, oder gerade weil?, sie eine Britin ist. Das wird daran liegen, dass sie ähnliche Erlebnisse wie die des englischen Ehepaares Lorna und Paul Webster in dem Buch hatte erfahren müssen. Genau wie diese hat Stagg mit ihrem Mann eine Pension auf dem französischen Lande eröffnet und betrieben. Für die Websters geht es in dem Pyrinäendörfchen Fogas nicht gerade lustig zu. Als sie sich im Sommer die „Auberge de Deux Vallées“ anschauten und sich in sie verliebten, wohnten dort noch die Inhaber mit ihrer Familie, das Restaurant war in Betrieb, die Betten bezogen, in der Küche hatte es nach Gewürzen geduftet. Doch nun, als sie im Winter endlich die Möbelwagen ausladen, ist die Herberge nichts weiter als eine dreckige und heruntergekommene Herberge, deren Möbel und Fußböden von Mauseköttel übersät sind. Doch dies ist nicht das einzige Ungemach, welches sie erwartet. Viel schlimmer soll der Ärger werden, den Serge Papon, Bürgermeister des Örtchens, ihnen bereitet. Denn dass das Restaurant in einem französischen Dorf von Engländern, die noch nie etwas vom Kochen verstanden hätten, seinem Schwager vor der Nase weggeschnappt wurde, ist ein unverzeihlicher Affront.

Mit leicht süffisantem Humor hat Julia Stagg diesen Roman verfasst. Hin und wieder musste ich in lauteres Lachen ausbrechen. Der Streit zwischen den „geschmacklosen“ Engländern und den „Froschschenkelfressern“ bildet die Grundlage dafür und für ein heilloses Chaos in den Bergen Frankreichs. Zahlreiche Begebenheiten, wie die von Jaques, der dem Bürgermeister eine Flamme an dessen Hinterteil hält, worauf der in Flammen aufgeht, der Raum nach geschmortem Fleisch riecht und Jaques sich vor Lachen nicht mehr einkriegt, geben Anlass, so manche Traurigkeit schnell zu vergessen. Denn immer wieder neue Intrigen des Bürgermeisters lassen die Websters nicht zur Ruhe kommen. Manche Szenen haben etwas von Situationskomik an sich und man liest sie gern ein zweites Mal.

Einfühlsam und gut gelungen ist die Einführung eines Geistes in die reale Welt dieser Dorfgemeinschaft. Aber dieser Geist macht keinesfalls eine Fantasy-Geschichte aus dem Roman. Es ist der verstorbene Ehemann einer Dorfbewohnerin, die mit ihm gerne noch Zwiesprache hält.

Die sprachliche Umsetzung des Humors wird zweifellos auch das Verdienst der Übersetzerin Angelika Naujokat sein. Sie hat hervorragend die sprachlichen Schwierigkeiten (die Websters sprechen anfangs mit deutlichem, später mit weniger ausgeprägtem Akzent) für den deutschen Leser gemeistert. Und auch Annie mit ihrem losen Gebischkommtbeschonderschgutrüber.

Das Buch ist äußerst unterhaltend, bannt den Leser in einem ständigen Auf und Ab von Gefühlen und ist deshalb sehr zu empfehlen.

Stagg, Julia
Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf
Übersetzt von Angelika Naujokat
349 Seiten, gebunden
Hoffmann & Campe
ISBN-10: 3455403433
ISBN-13: 978-3455403435

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012
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Sigrid Combüchen: Was übrig bleibt – Ein Damenroman

Sigrid Combüchen: Was übrig bleibt – Ein Damenroman

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Hedwig Langmark, geborene Carlsson, glaubt sich wiederzuerkennen, als sie ein Buch von Sigrid Combüchen liest. Die Autorin beschreibt ein altes Familienfoto aus dem Jahre 1937 in ihrem Roman. Es ist die Zeit kurz bevor Hedwig, genannt Hedda, ihr Abitur machte. Sie möchte Gewissheit haben und schreibt die Autorin an. Daraus entwickelt sich ein Briefwechsel, denn Frau Combüchen ist neugierig geworden. Sie gibt sogar vor, im ehemaligen Elternhaus der Familie Carlsson zu leben und Fotos auf dem Dachboden gefunden zu haben, obwohl sie nur im selben Viertel lebt, um den Kontakt zu halten. Und so erzählt Hedwig von damals, als sie jung war. Parallel dazu recherchiert die Autorin und lässt zusätzlich ihre Fantasie spielen. Langsam entsteht ein Buch, dieses Buch.

Nichts davon ist real. Alles ist fiktiv. Personen und Orte. Selbst die Autorin erfindet sich eine eigene Rolle für das Buch. Aber alles könnte sich so abgespielt haben. Mit jeder Zeile mehr wird Heddas Schicksal lebendig.
Beschrieben werden vor allem die Jahre um das Abitur herum. Also die Jahre, in denen Hedda sich versucht loszulösen von ihrem Elternhaus, obwohl anderes von ihr erwartet wird. Doch die junge Frau plant einen eigenen Weg, und versucht diesen, im Rahmen streng gesetzter Grenzen zu beschreiten. Sie muss sich entscheiden zwischen ihrer Familie und der eigenen Vorstellung ihrer Zukunft. Hedwig Langmark taucht in Briefen in ihre eigene Vergangenheit ein, die in der Gegenwart nur noch Erinnerungen sind, mit der Unterstützung der Autorin aber wieder lebendig werden.

Das Buch in diesen Rahmen zu stellen, hat eine ganz besondere Wirkung. Die Sprache ist von Melancholie gezeichnet. Das Leben ist nun mal nicht einfach und von Schicksalsschlägen gezeichnet. Der Blick richtet sich auf das Alltagsleben Heddas. Gefühlvoll zeichnet die Autorin dieses nach, lässt Hedda viel Raum, lässt sich Zeit beim erzählen. Ganz Persönliches, Intimes hat Platz. Das bedeutet allerdings auch, dass Hedda keine Privatsphäre bleibt. Dass diese Grenze überschritten wird, erwartet man sicherlich nicht von einem Damenroman.

Rezension von Heike Rau

Sigrid Combüchen
Was übrig bleibt
Ein Damenroman
448 Seiten, gebunden
Verlag Antje Kunstmann
ISBN-10: 3888977479
ISBN-13: 978-3888977473
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Annette Pehnt: Chronik der Nähe

Annette Pehnt: Chronik der Nähe

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Nähe und Distanz: Bilanz einer schwierigen Beziehung.

Wohl jeder hat schon gelesen, gehört oder selber erlebt, wie problematisch das Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern sein kann.

Annette Pehnt hat diese so schwierige Beziehung in Worte gefasst, die andeutend eine Ambivalenz aufweisen, die ihresgleichen sucht.

Großmutter, Mutter und Tochter: in der Gegenseitigkeit erlebt jede die andere als bedrängend, fordernd, einmischend und beklemmend.

Zwischen den Zeilen erfährt man, zu welcher Zeit die eine oder andere gelebt und mit den Erfahrungen des Lebens die eigene Tochter als Stütze, Hilfe oder störendes Wesen empfunden hat.

Annie ist die im Krieg geborene Tochter. Ihre Mutter musste nach dem Zweiten Weltkrieg ums Überleben und das tägliche Brot kämpfen. Da die Worte und Assoziationen der Autorin ungebunden und frei schwebend in die Texte einfließen, gehen Erinnerungen zurück bis zu der Zeit, als Annie schon als Baby die Mutter mit ihrem Geschrei gequält und geärgert hat. Später dann gibt es die Zweifel, ob sie den richtigen Freund hat. Lebt Annie in den Augen der Mutter auch konform, wo eckt sie an, und wo geraten Mutter und Tochter aneinander?

Diese Kriegsmutter will eine Nähe, die ihre Tochter Annie kaum aushalten kann. Der „Richtige“, das ist später der Mann von Annie, und so bleibt er benannt: Mutter war also einverstanden mit ihm.

Zwischen Liebe, Nähe und Distanz pendeln diese Frauen im Verhältnis zu ihren Müttern bzw. Großmüttern. Mehr als einmal spürt man einen fast tödlichen Hass, mit der die Mutter von Annie ihr mögliches Sterben als Mittel zum Zweck missbraucht. Es gilt, fast erpresserisch die töchterliche Liebe zu ertrotzen. Annie ist als Kind klein und hilflos. Sie gibt alles, was sie kann, und als sie selber Mutter wird, ist sie in ihrer Ambivalenz zu der fordernden Mutter hin und her gerissen. Als sie ihren Töchtern liebevolle Nähe und Daueraufmerksamkeit bietet, löst das ungeahnten Neid und Spannungen bei der „Kriegs“-Mutter aus.

Es bleibt Fremdheit, schwer lastende Suche nach Nähe und eine Trauer über die Vergeblichkeit dieser mütterlichen Liebe. Sie schwankt zwischen Unsicherheit, Geben und Versagen. Bedrückend erlebt man hier Mutterbeziehungen, die ratlos und sprachlos eine Distanz und fast Kälte verbreiten, die sich niemand wünscht. Sie sind eingebettet in eine Weltgeschichte und in Zeitläufe, die jeweils unterschiedliche Verhaltensweisen von Müttern forderten.

Annette Pehnt hat eine authentisch wirkende Geschichte verfasst, die von Ambivalenzen berichtet, die durchaus möglich sind. Für die Betroffenen sind sie fast bedrohlich. Die Ausruckskraft, Sensibilität, Empathie und der analytische Verstand der Autorin sind beachtlich. Sie scheint ihre Geschichte dem realen Alltag abgerungen zu haben.

Annette Pehnt
Chronik der Nähe
224 Seiten, gebunden
Piper, März 2012
ISBN-10: 3492055060
ISBN-13: 978-3492055062
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Walter Kappacher: Land der roten Steine

Walter Kappacher: Land der roten Steine

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Es ist eine weite Reise. Er hat den Ort ganz bewusst gewählt. Das „Land Of Standing Rocks“ in den USA. Hier im Canyonland findet der Arzt aus Bad Gastein im Salzburger Land, was er sucht. Einsamkeit und Stille. Ruhe zum Nachdenken. Auch wenn er nicht allein unterwegs ist, sondern mit Everett Kish, dem Fahrer des Geländewagens. Aber Kish ist eher einer, der viel schweigt.

Michael Wessely findet, was er sucht. Die Bilder, die er sieht, die einzigartigen Landschaften, werden im Buch sehr malerisch beschrieben. Die Faszination entsteht durch das, was zu sehen ist, und die nicht von Grenzen behinderten Gedanken, die dadurch assoziiert werden und die Erinnerungen, keine Grübeleien. Er versucht Klarheit zu gewinnen durch den weiten und von allem losgelösten Blick in die Landschaft. Der Alltag ist weit weg, Zeit ist bedeutungslos. Und Wessely kann sich kaum vorstellen, dass nach dieser Expedition daheim alles so sein wird wie vorher. Man muss doch einfach nach so einer zutiefst berührenden Reise ein anderer Mensch sein.

Tatsächlich ist es eher der Lauf der Dinge, der Veränderungen mit sich bringt. Seine Eltern leben nicht mehr und auch die Mutter seiner Tochter ist verstorben. Die Praxis wird geschlossen. Die Verantwortung für die Patienten wird abgegeben. Wessely geht in Pension. Es beginnt unaufhaltsam ein neuer Lebensabschnitt, dem man er sich anpassen muss, es ist der letzte. Der alte Mann fragt sich, was er nun machen soll mit der freien Zeit. Was wird mit dem viel zu großen Elternhaus, dem leer stehenden Hotel seiner Eltern. Wird er Tochter und Enkeltochter wiedersehen?

Es ist ein sehr ruhiger, bedenkenswerter Roman, der von Bildern lebt und von Eindrücken. Es geht um Verlust und das was immer bleibt. Es geht darum, für sich zu wissen, was zufrieden macht und wo man hingehört, allen Zweifeln zum Trotz.

Rezensionen von Heike Rau

Walter Kappacher
Land der roten Steine
160 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag
ISBN-10: 3446238611
ISBN-13: 978-3446238619
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Alex Capus: Léon und Louise

Alex Capus: Léon und Louise

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Dieser Roman ist ein sehr sinnlicher und gefühlvoller Roman, der Lust auf Lesen macht. Grund hierfür sind der Erzählstil und die anrührende Geschichte.

Den obersten Rahmen bildet die Beerdigung des Großvaters. Sie wird beobachtet und erzählt von seiner Enkelin. Während sie über Opa und sein Leben nachdenkt, über die Geschichten, die sich in der Familie über ihn erzählt wurden, schmückt sie sich das Leben ihres Großvaters aus und erzählt es aus ihrer ganz persönlichen Sichtweise.

Sie erzählt, wie ihr Großvater (Léon) sich vor der Front im Ersten Weltkrieg drückte, wie er seine erste Liebe (Louise) kennenlernte, wie er mit seiner Frau lebte und mit ihr Kinder bekam. Sie erzählt vom Leben Léons als Beamter in Paris. Die Bilder der Okkupation Frankreichs durch das Deutsche Reich werden lebhaft und detailgenau dem Leser nahe gebracht. Obwohl Léon seine Louise bereits im Ersten Weltkrieg verloren hat und tot glaubt, hört er nie auf, sie zu lieben. Zehn Jahre später begegnen sie sich in Paris, verbringen eine Nacht miteinander. Bis zum nächsten Kontakt werden erneut Jahre vergehen. Die deutsche Besetzung hat die Pariser verändert. Dies wird an der Ehefrau Léons deutlich erkennbar.

Obwohl mir das Buch ausnehmend gut gefallen hat, habe ich mich über kleine Überlängen geärgert. Längen, in denen Passagen und Geschichten erzählt werden, die nicht das Niveau anderer Episoden erreichen. Denn unverkennbar wollte Capus nicht die Geschichte des Liebespaares erzählen, sondern das Leben in Frankreich zu beiden Zeiten der Weltkriege. Es sollte die Geschichte des zurückhaltenden, kleinen Widerstandskämpfers erzählt werden. Um die Episoden aus dem Leben Léons nicht losgelöst erscheinen zu lassen, wurde eine gefühlvolle Liebesgeschichte als roter Faden geschmiedet, der eine spannende, solide Grundlage bildet, auf die sowohl Autor als auch Leser immer wieder Erdung bekommen.

Die ruhige Erzählweise als auch die knappen Dialoge schaffen es, beim Lesen eine Stimmung hervorzurufen, die einen Zuschauer beim Betrachten eines gefühlvollen französischen Spielfilms beschleicht. Obwohl man bedauern kann, dass es in dem Buch nur um Léon und nicht um Louise geht, ist der Roman dennoch von vorne bis hinten spannungsvoll und macht Spaß.

Capus, Alex
Léon und Louise
Hanser Verlag, München
320 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3446236309
ISBN-13: 978-3446236301
© Detlef Knut, Düsseldorf 2012
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Banana Yoshimoto: Ihre Nacht

Banana Yoshimoto: Ihre Nacht

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Eine Annäherung: geheimnisvoll und nachhaltig…

Die Tochter und der Sohn von Müttern, die Zwillinge waren, treffen sich nach Jahren der Entfremdung wieder.
Niemand weiß so genau, warum die Mütter sich schon in der Jugend ihrer beiden Kinder mit einem unwiederbringlichen Bruch getrennt hatten.
Waren es berufliche oder private Gründe? Jetzt sind die Mütter tot und eine langsame Annäherung von Cousin und Cousine soll Klarheit über all‘ das Vergangene bringen.

Shôichi sucht seine Cousine Yumiko, und als er sie in Tokio gefunden hat, verbringen sie eine lange Nacht und einen Tag zusammen.
Sie folgen in Gedanken ihrer letzten Begegnung in ihrer Kindheit und dem, was danach kam, denn diese Suche verbirgt eine Menge unerklärlicher Geheimnisse. Die kürzlich verstorbene Mutter von Shôichi hat ihren Sohn beauftragt, sich um die verschollene Cousine zu kümmern.

Das Geheimnis, mit dem die Abkömmlinge der ungleichen Zwillinge gelebt haben, bestand in einer Reihe okkulter aber daneben auch handfester materieller Vorkommnisse, die beide Familien schon in frühen Kinderjahren auseinander gerissen hat.

Yumiko verbringt ihre Tage ohne rechtes Lebensziel. Sie arbeitet nicht, hat keine Freunde und erinnert sich nur gelegentlich an ihr Leben in Italien, wo es ihr in der Nähe eines Freundes und in der herrlichen Natur mit den wunderschönen Blumen und Olivenbäumen so gut gefallen hat. Welcher Fluch hat ihre Vergangenheit aus ihrer Erinnerung gelöscht?

Shôichi ist ein lieber, anständiger und freundlicher Cousin, mit dem sie sich auf die Suche macht, um herauszufinden, was es mit dem Leben ihrer Eltern und dem der Großmutter auf sich hatte.
Andeutungen über irrsinnige Erlebnisse lassen den Leser erschaudern; wie konnte Yumiko nur froh werden mit den okkulten Praktiken einer Mutter, die sich selber und anderen mit ihren Séancen offensichtlich Schaden zugefügt hat?

In ihrer blumigen Sprache ist sich die Autorin mit ihren Protagonisten einig: da gab es Geheimnisse, die man besser dem Vergessen überlässt.
Schnell und sanft lesen sich diese Zeilen einer Geschichte, die neben dem ausgezeichneten Sprachklang einen grausamen Plot beherbergt.

War am Ende alles nur ein Traum?

Der Leser und die Leserin mögen sich überraschen lassen!
Wer sich für geheimnisvolle Vorgänge mit okkulten Färbungen interessiert, der wird auf seine Kosten kommen.

Banana Yoshimoto
Ihre Nacht
208 Seiten, gebunden
Diogenes, Februar 2012
ISBN-10: 3257068166
ISBN-13: 978-3257068160
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