Browsed by
Kategorie: Biografie

Urs Widmer: Reise an den Rand des Universums

Urs Widmer: Reise an den Rand des Universums

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Erinnerungen an gute und schlechte Zeiten!

Über die ersten dreißig Jahre seines Lebens schrieb Urs Widmer ein Erinnerungsbuch.

Mit dem Satz  „Kein Schriftsteller, der bei Trost ist, schreibt eine Autobiographie“ führt er sein Vorhaben selbst ad absurdum. Dennoch macht er sich beherzt ans Werk.

1938 geboren gibt es drei Dekaden, über die er schreibt: frühe Kindheit, Jugendjahre und das Erwachsenwerden mit dem Schlusspunkt seiner Heirat. Er lebt in der Nähe von Basel in der Schweiz, und wie für alle Kinder sind die frühen Jahre prägend. Eindrücke, Charakteristiken der Natur und der Landschaft, erste Freundschaften, aber natürlich auch die Eltern in ihren verliebten und danach von Krankheiten und gegenseitigen Kränkungen bedrohten späteren Jahren machen die ersten Jahre aus. Weihnachten ist einer besonderen Schilderung wert! Die Sehnsucht nach dem friedlichen Fest im Kontrast zu dem, was die Eltern wirklich bieten! Der aus diesem Anlass weinende Papa wird sehr wohl wahrgenommen und bietet einen Blick in die Zukunft, kann aber das Glück des kleinen Jungen nicht wirklich trüben.

Die letzten Jahre des Krieges und die ersten des Nachkriegs erlebt er noch bewusst mit. Hatte man bisher von der Schweiz den Eindruck eines Landes in Frieden abseits der großen Kriegsunruhen, so wird man hier eine Besseren belehrt. Es gab Rationierungen, Kriegsangst und Verdunklung wie in vielen anderen Ländern, die rund um die Schweiz gelagert sind. Es gab den Schock des Holocausts und den Hunger und die Kälte der Nachkriegsjahre. Es gab die neu erwachende Konsumwelt und die Amerikanisierung wie bei uns. Dass die Schweiz nicht in die Kriegshandlungen des Zweiten Weltkriegs einbezogen wurde, ist als Wunder zu betrachten. Alles in Allem verlebt Urs Widmer eine glückliche Kindheit, die erst mit dem Umzug in eine andere Wohnung und in ein anderes Haus ihr Ende fand.

Stimmungsbilder vielfältiger Art über Gasthäuser und die Jahrszeiten mit schönsten Landschaftsbeschreibungen geben der Erzählung einen emotionalen Unterton von feinfühliger Wahrnehmung. Urs Widmer beschönigt nichts sondern berichtet mit liebevollem Blick, was ihn als Kind und Heranwachsenden bewegte.

Frühe Liebesnot, abwechslungsreiche Begegnungen und die Neugier auf das Abenteuer „Zukunft“ beleben die Jugendjahre. Der Aufbruch ins Leben ist von Erwartung und dem üblichen Freiheitsdrang gekennzeichnet. Manch’ einem Leser werden Erinnerungen an eigene Kinderjahre mit diesen Aufzeichnungen kommen. Urs Widmer bietet mit seinen poetischen aber auch nüchternen Darstellungen und dem genauen Hinschauen den Mikrokosmos „Kindheit“ und lässt uns an seinen Erfahrungen teilnehmen. Es gab jedoch auch die dunklen Seiten und Ängste, die seine Jahre als junger Erwachsener prägten.

Die Studienjahre sind von Aufbruch gekennzeichnet und beeindrucken durch die Frische und Neugierde, mit der sich ein noch unsicherer junger Mann der Welt zuwandte. Paris und Spanien erweitern seinen Horizont, und er begibt sich auf den Weg der Neuerung.

Die Autobiographie liest sich leicht und eingängig. Sie gleicht einem fantasiereichen Bilderbogen und bietet darüber hinaus Einblicke in die gesellschaftspolitische Entwicklung der Nachkriegszeit in Europa.

Ein aufschlussreiches und liebenswertes Erinnerungsbuch über die ersten dreißig Jahre seines Lebens ist Urs Widmer gelungen.

Urs Widmer
Reise an den Rand des Universums
346 Seiten, gebunden
Diogenes, August 2013
ISBN-10: 3257068689
ISBN-13: 978-3257068689
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Emma Forrest: Deine Stimme in meinem Kopf

Emma Forrest: Deine Stimme in meinem Kopf

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Leben auf einem Grad zwischen Leben und Tod.

Emma Forrest ist eine junge, hübsche und begabte junge Frau, die jedoch mit den Anfechtungen ihres Lebens nur schwer zurecht kommt.

Früher Liebeskummer und schwere Depressionen führen sie in die Hände eines einfühlsamen und optimistischen Psychiaters, dem sie laut ihren Aussagen ihr Leben verdankt.

Sie fügte sich in einer Form der Selbstzerstörung Wunden zu, litt an Bulimie und hat bereits in jungen Jahren einen ersten Selbstmordversuch hinter sich. Dr. R., ihr Retter, strahlt eine solche Zuversicht aus, dass sie immer wieder Mut zum Weiterleben schöpft. Doch eines Tages ist ihr Retter tot! Völlig unerwartet überlebt er eine schwere Krebserkrankung nicht.

Emma ist nun wieder auf sich selbst gestellt bei der Suche nach dem richtigen Weg und der ersehnten Liebe. Dabei hilft ihr die imaginierte Stimme von Dr. R., dem sie tief vertraute und mit dem sie lange befreundet war.

In einem zarten und vorsichtigen Ton nähert sich Emma ihren eigenen Schwierigkeiten, der Lebensangst und den Fragen um die Liebe, die sie bewegen. Zahlreiche intensive Liebesbeziehungen scheitern für sie selber aus unerklärlichen Gründen. Als auch ihr „Gypsy Husband“, ein berühmter Schauspieler, sie nach euphorischen Monaten der Liebe und der Zukunftsplanung verlässt, ist ihre Not und Verzweiflung groß. Ein schwerer seelischer Absturz ist die Folge. Doch liebevolle Eltern und der vertraute Dr. R. als Stimme in ihren Kopf retten sie und weisen ihr neue Perspektiven.

Mit eindringlichen und tragenden Worten beschreibt Emma ihren Weg immer hart am Abgrund vorbei. Zwei Katzen und gute Freunde, von ihr liebevoll gezeichnet, tragen ihren Teil zu ihrer Rettung bei. Sie löst mit ihren Worten emphatische Gefühle aus.Es ist eine anrührend geschriebene Geschichte, voller Ironie, komischer Einsprengsel und dem alles übertünchenden Lebenswillen der Autorin. Ist es die Biographie von Emma Forrest? Jedenfalls könnte sich alles so zugetragen haben! Die Geschichte ist nicht bedrückend, weil die Leichtigkeit und die Komik, mit der sie erzählt wird, das nicht zu lassen.

Die Verfilmung der Lebensgeschichte von Emma Forrest ist für 2014 vorgesehen!

Emma Forrest
Deine Stimme in meinem Kopf
224 Seiten, gebunden
Deuticke Verlag, Juli 2013
ISBN-10: 3552062246
ISBN-13: 978-3552062245
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Maria Klein: Weiblich, 40, plötzlich Single – Meine Suche nach dem neuen Mann fürs Leben

Maria Klein: Weiblich, 40, plötzlich Single – Meine Suche nach dem neuen Mann fürs Leben

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Maria Klein ist von Beruf Partnervermittlerin. Sie selbst lebt in einer Beziehung, bis ihr Mann sie unerwartet verlässt. Eine Welt bricht zusammen. Es ist schwer für sie, das zu akzeptieren. Aber schon nach kurzer Zeit beschließt sie, sich einen neuen Partner zu suchen. Die Kinder sind erwachsen und sie selbst schon knapp 50 Jahre alt. Diese Freiheit will sie ausnutzen. In der Kartei ihre Partnervermittlung möchte sie sich allerdings nicht bedienen.

Bei der Partnersuche geht sie sehr offensiv vor und lässt sozusagen nichts aus. Sie geht in die Disco, zum Speed-Dating, ins Fitnessstudio und sucht sich Bekanntschaften im Internet. Auch wenn sich der Mann fürs Leben nicht so schnell finden lässt, springt doch die eine oder andere Affäre heraus.

Maria Klein hat hier ihre eigene Geschichte und die damit verbundenen Erfahrungen aufgeschrieben. Es ist ein autobiographischer Roman, vielleicht aber auch ein Ratgeber, denn sie hält mit Ratschlägen nicht hinter dem Berg. Manche sind gut, andere doch recht befremdlich. Sicher mag nicht jeder so angriffslustig und unvorsichtig vorgehen wie sie. Aber gut, Menschen sind verschieden, was dem einen recht ist, kommt für den anderen nicht infrage.

Die Autorin nimmt Stellung zu ihrem Frausein und ihrem Umgang mit Familie, Freundinnen und Männern. Sie analysiert Zwischenmenschliches und zeigt auf, wie es zu Trennungen kommen kann und was einer Beziehung gut tut. In „Was ich dir sagen möchte“ wird Maria Klein sehr persönlich. Sie gesteht eigene Fehler ein, stellt gängige Klischees dar und rückt diese ins rechte Licht. Sie gibt Tipps für die Zukunft und zeigt, wie man sein Leben nach einer Trennung neu ausrichten kann. Es geht also nicht nur um die Partnersuche, sondern auch um den persönlichen Neuanfang nach einer Trennung.

Es ist ein unterhaltsames Buch. Eines, das zum Nachdenken anregt.

Rezension von Heike Rau

Maria Klein
Weiblich, 40, plötzlich Single – Meine Suche nach dem neuen Mann fürs Leben
320 Seiten, broschiert
Knaur Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3426785854
ISBN-13: 978-3426785850
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Christopher Hitchens: Endlich – Mein Sterben

Christopher Hitchens: Endlich – Mein Sterben

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Text zum Sterben und Tod.

Unbestechlich und realistisch sieht Christopher Hitchens seinem Sterben entgegen. Er hat Speiseröhrenkrebs wie schon sein Vater, und er wird daran sterben.

Dieser witzige, kluge, klare und scharfe Denker macht keinen Hehl daraus, dass er die Dinge nehmen wird, wie sie kommen. Das erspart ihm nicht Enttäuschungen, die er erleidet, als verschiedentlich von neuen Behandlungsverfahren zu hören ist. Nur: er gehört nicht zu den Haderern, die das Leben um jeden Preis verlängern möchten.

In einer langen Abhandlung erfährt man wie schon in seiner Biographie „The Hitch“, dass er als Atheist an keine transzendente Macht oder an einen Trost mit der Hoffnung auf ein Jenseits glaubt. In Briefen und Aussagen von Freunden und Kollegen erlebt man ihn noch einmal als aufgeschlossenen Gastgeber, Freund und Kollegen. Er scheute keine kontroversen Diskussionen und legte sich als Journalist und Beobachter des politischen Geschehens in aller Welt mit Freund und Feind gelegentlich an. Als kritischer Berichtersatter  blieb er sich zeitlebens treu. Sein deutscher Schriftstellerfreund- und Kollege Peter Schneider beschreibt ihn in seinem Prolog als Menschen, der einem großen Freundeskreis angehörte. Mit seinen spritzigen und absolut präsenten Lebensformen hat er seine Umwelt begeistert und gefesselt. Niemand konnte sich dem Charisma dieses Mannes entziehen.

Hitchens hielt an einmal gewonnenen Überzeugungen eisern fest auch um den Preis einer Freundschaft. Mit der Beurteilung des Irakkriegs, für den er eintrat, lag er nach Meinung Peter Schneiders falsch. Er ließ jedoch nicht ab von seiner  einmal gewonnenen Meinung.

Insgesamt  geht es in diesem letzten Buch von Christopher Hitchens um den Tod und das Sterben, dem er sich unerschrocken stellte.

Mit Neugierde und Interesse liest man die zahlreichen Berichte über Tod und Sterben, die seit Jahren auf dem Büchermarkt zu finden sind. Angefangen von Christoph Schlingensief über seine letzte Lebenszeit, den schmerzvollen Abschied von Connie Palmen, die über den Tod ihres zweiten Mannes schreibt, weiter über die großartige amerikanische Schriftstellerin Joan Didion in „Das Jahr magischen Denkens“  oder Jojo Moyes mit ihrem Buch „Ein ganzes halbes Jahr“: es gibt eine Vielzahl von Berichten und Erlebnissen, die das Sterben und den Tod in seinen mannigfaltigen Erscheinungsformen abhandeln. Eine jede Geschichte ist von Bedeutung, weil sie von dem existenziell ausweglosen letzten Weg mit all’ den unterschiedlich erlebten Begleiterscheinungen individuell berichten.

Ob mit Gottesglauben oder ohne: der Tod bleibt für uns alle ein Mysterium, das man sich nicht vorstellen kann.

Insofern bieten die Erfahrungen von Christopher Hitchens weitere Mosaiksteine auf dem Weg des eigenen Erlebens hin zum Tod.

Christopher Hitchen war Engländer von Geburt und Herkommen, lebte aber viele Jahre in Amerika, wo er am 15.12.2011 im Alter von 62 Jahren gestorben ist.

Christopher Hitchens
Endlich – Mein Sterben
128 Seiten, gebunden
Pantheon Verlag, Juni 2013
ISBN-10: 3570552187
ISBN-13: 978-3570552186
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Mely Kiyak: Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an

Mely Kiyak: Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Lebensende oder neues Glück?

„Man stirbt.
Man steht morgens auf, macht seine Arbeit und stirbt.
Man träumt und stirbt.
Man gießt Blumen, geht einkaufen, schüttelt Decken aus und stirbt.“

Mit diesem immer wiederkehrenden Refrain beginnt Mely Kiyak ihren Roman über die tödliche Krankheit ihres Vaters.

Man spürt, wie tief berührt sie ist, als der Vater unerwartet an Lungenkrebs erkrankt. Jeden Tag ist sie bei ihm im Krankenhaus und erlebt die Atmosphäre aus Krankheit und Unausweichlichkeit. Ihr Vater weint, und sie kann es nicht aushalten. Kann man denn nichts tun?

Sie kann ihren Vater motivieren, in die Vergangenheit einzutauchen und Geschichten über die Familie zu erzählen. Da gibt es Tanten, Onkels, Großväter und eine Vielzahl von Anverwandten. Das Landleben und lange geübte Gewohnheiten bestimmen das Leben der weitläufigen Verwandtschaft und Freunde. Die großen Sippen mit ihren zahlreichen Mitgliedern leben in Frieden oder im Krieg mit einander. Man wird mit gerissen in einen Strom von Trauer, Abschiedsgedanken und Erinnerungen. Die Türkei mit ihren großen Familienclans und die Gegenwart in einem sauberen, seelenlosen und nach westlichem Standard ausgerüsteten Krankenhaus bieten die Bühne, auf dem sich das Leben von Tochter und Vater zuletzt abspielt.

Mely Kiyak ist eine erfolgreiche Journalistin, die vorübergehend ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen kann. Ihre Sorge um den kranken Vater scheint alles zu überwuchern. Er schwebt lange Zeit zwischen Leben und Tod. Nur die Geschichten, die er erzählt, lenken aus dem grauen Krankenhausalltag ab.

In diesen Geschichten spielt seine Herkunft aus Anatolien die bestimmende Rolle. Hier herrschen tradierte Lebensmuster, ein einfaches Leben ohne Komfort und ländliche Schlichtheit. Zum Westen der Türkei hin herrscht eine eher säkulare Welt, in der es gut besuchte Schulen und Universitäten gibt. Allerdings entwickeln Kinder aus benachteiligten analphabetisch geprägten Elternhäusern, die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, häufig ebenfalls ein aufgeklärtes und bildungsnahes Bürgertum.

Mely Kiyak ist eine liebevolle Tochter, die zwischen West und Ost zu vermitteln versucht. Sie hängt mit vollem Herzen an dem Mann, der hier als hilfloses Opfer der Medizin seinem Ende entgegen sieht. Er versteht vieles nicht und versucht sich dem abstrakten und wenig menschenfreundlichen Medizinbetrieb entgegen zu stemmen liebevoll betreut von Verwandten und Freunden.

Mely Kiyak schreibt emphatisch und mit Herzenswärme, wie sie die Zustände des Vaters miterlebt. Er wollte doch so gerne sein Rentnerdasein mit einer neuen Liebe genießen! Ob es ihm gelingen wird?

Das Buch geht zu Herzen. Es zeigt die innige Verbindung zwischen einem Vater und seiner Tochter. Die Autorin setzt ihm, den sie hoch achtet und liebt, ein lebendiges und lebhaftes Andenken. Sie bedenkt dabei sehr wohl, wie schwer es ist, sich aus alten Traditionen zu lösen und neue Formen zu finden. Stellvertretend für zahlreiche Mitbürger mit gleicher Vorgeschichte spricht sie von der Hoffnung und von dem Trost, mit dem die Heimkehrer ihr Lebensende zu Hause verbringen möchten. Nicht zuletzt erfährt man in einer der Erzählungen, wie auch der Vater die Tochter als kleines Kind dem Tod entreißt. Der Kreis hat sich geschlossen!

Mely Kiyak beweist sich als ausgezeichnete  Schriftstellerin, die reflektiert und sehr bewusst über sich und ihre Landsleute zu berichten weiß.

Mely Kiyak
Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an
256 Seiten, gebunden
S. FISCHER, Mai 2013)
ISBN-10: 3100382129
ISBN-13: 978-3100382122
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Peter Schneider: Die Lieben meiner Mutter

Peter Schneider: Die Lieben meiner Mutter

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Krieg und Liebessehnsucht. Eine Familienstudie.

Peter Schneider geht weit zurück in seinen hier vor liegenden Erinnerungen. Er  beschreibt das Leben seiner Eltern und seine eigenen ersten Jahre während und nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er 1940 geboren wurde. Viel weiß er nicht über seine Eltern. Doch anhand von Briefen seiner Mutter kann er aufschlüsseln, dass sie neben ihrem Mann Heinrich einen zweiten innig liebte und mit diesem auch zusammen war. Beide Männer waren an der Oper tätig, die aus Gründen der Propaganda seitens des Reichspropagandaministers Goebbels noch bis weit in das Kriegsjahr 1943 mit ihren Spielplänen erhalten geblieben war, bevor auch das letzte Aufgebot an Männern an die Front geschickt wurde. Andreas war Regisseur, Peter Schneiders Vater Heinrich war Dirigent.

Die Mutter hatte den Vater jung geheiratet und bekam insgesamt nach einander vier Kinder. Dass sie dafür eigentlich zu schade war, bescheinigt ihr der Liebhaber Andreas. Es bleibt klar, dass die Mutter zwei Männer liebte. Diese waren Freunde und duldeten einander. Peter Schneider erfährt von den Liebschaften seiner Mutter wohl erst durch ihre spät gelesenen Briefe.

Aus seinen Impressionen und Recherchen schält sich ein Künstlerleben heraus, in dem häufig finanzielle Not herrschte. Die Kriegsjahre überstand die Familie einigermaßen unbeschadet nur mit Hilfe der Näharbeiten seiner Mutter.

Die aufgefundenen Briefe sind aufschlussreich im Hinblick auf die Toleranz aller Beteiligten in den Dreiecksbeziehungen. Andreas liebte seine Freiheit, Heinrich liebte seine Frau über alles, und Schneiders Mutter liebte beide gleichzeitig. Für die Sitten und Moral in jenen fernen Zeiten ist das eine seltene Konstellation.

Die Form der Biographie, in der hier berichtet wird, ist ungewöhnlich. Aus dem facettenreichen Leben der Mutter kann der Sohn sich zusammenreimen, wie sie ihr Eigenleben neben der Arbeit und der Fürsorge für ihre Kinder gestaltet hat. Da gab es Hingabe, Entsagung und die Gabe, sich fröhlich zu vergnügen. Es gab aber auch die Schwermut, die zuletzt das Leben dieser liebessehnsüchtigen Frau zu zerstören schien. Zwei Themen werden hier abgehandelt: die Kindheit als Flüchtlingskind in einem Dorf in Bayern und die Sehnsüchte einer liebebedürftigen Mutter.

Die Endzeitstimmung des Zweiten Weltkriegs wird authentisch wiederbelebt. Untergang und Flucht aus der zerstörten Stadt Dresden unter unglaublichen Kriegsbedingungen werden so hautnah beschrieben, dass man glaubt, man wäre dabei gewesen. Eine Frau mit vier kleinen Kindern brauchte Energie, Kraft und Lebensmut, um diesem Zumutungen standzuhalten. Daneben konnte sich die Mutter wohl nur durch ihre Liebesbriefe und eine unersättliche Leidenschaft zu verschiedenen Männern am Leben halten. Dass ihr eigener Mann durch alle Widrigkeiten und Nebenliebschaften zu ihr gehalten hat, war Trost und  Hilfe für die geplagte Mutter.

Peter Schneider gehörte einst zu der so genannten 68 sechziger Generation, die scharf mit der Elterngeneration abgerechnet hat. Erst spät erfährt er, dass sein Vater zwar kein Nazi war aber doch stillgehalten hat, um seine Position an der Oper nicht zu gefährden.

Vermutlich ist es nicht leicht, einer Mutter mit diesem bewegten Innen- und Außenleben die angemessene Würdigung entgegen zu bringen. Peter Schneider ist das gelungen.

Peter Schneider
Die Lieben meiner Mutter
304 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, Mai 2013
ISBN-10: 3462045148
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Jeanette Winterson: Warum glücklich statt einfach nur normal?

Jeanette Winterson: Warum glücklich statt einfach nur normal?

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Spurensuche und Identitätskrisen.

Als Kind einer zu jungen und armen Mutter auf die Welt zu kommen, ist häufig ein Unglück. Dieses Schicksal erleidet die Autorin Jeanette Winterson, die 1960 im Alter von fünf Monaten von Mr. und Mrs. Winterson adoptiert wurde. Die Familie lebt in Accrington nicht weit von Manchester entfernt. Aus den Erfahrungen ihres Lebens hat Jeanette Winterson einen höchst reflektierten, anregenden und klugen Bericht verfasst.

Mrs. Winterson ist eine frömmelnde, neurotische und in ihren Gefühlen schwer gestörte Frau. Überall wittert sie Boshaftigkeit, Ungehorsam und Sünde. In ihrem Umfeld argwöhnt sie darüber hinaus Unreinheit, Lüge und Betrug. Den Vater hält sie sich vom Leibe. Ohne Sex aber gibt es kein Kind! So muss ein angenommenes Kind ihren Fantasien und Bösartigkeiten standhalten.

Jeanette Winterson zeichnet das Bild einer kargen und entbehrungsreichen Kindheit und Jugend. Harte Strafen und    ausgesperrt werden gehören zu ihrem kindlichen Alltag. Aus ihren Worten spürt man die Rebellion und aufsässige  Verfassung, mit der sie sich durchs ihr Leben schlägt. Mit 16 Jahren verlässt sie dieses ungeheuerliche Elternhaus und führt fortan das Leben einer vagabundierenden, eigensinnigen und selbstbestimmten Frau.

Ohne psychische Verbiegungen bleibt eine solche Kindheit nicht!

Intelligent und zielstrebig schafft J.W. dennoch den Sprung an die Universität Oxford und wird später zu einer angesehenen Schriftstellerin.

Den Beweis dafür liefert ihr Titel „Warum glücklich statt einfach nur normal“? Das sind die Worte der Mutter, die voller Hass auf die Tatsache reagiert hat, dass ihre Adoptivtochter Frauen liebt.

Jeanette Winterson zieht die Bilanz ihres Lebens, die von Zweifeln, Selbstfindungs- und Identitätssuche gekennzeichnet ist.

Differenziert und selbstkritisch beschreibt sie ihre Suche nach dem rechten Weg ins Leben. Ihre Adoptivmutter zeigt sich als grausame und selbstgerechte moralische Instanz. Mit Tiefenschärfe und klugen Blick reflektiert die Autorin ihr Geschick, das nur mit unerschütterlicher Stärke zu meistern ist.

Die klaren Worte und der stechend scharfe Blick der Autorin bringen einem ihr Schicksal ganz nahe. In einem furiösen Finale begibt sie sich auf Spurensuche nach ihrer wahren Herkunft. Es trägt sie in Gefühlswelten, die schwer zu verkraften sind.

Die Geschichte ist ein Leerstück aus der schwarzen Pädagogik, an der schon ganz andere Menschen zerbrochen sind. Nicht ganz von ungefähr denkt man an Charles Dickens bei der Lektüre.

Der herausragende Lebensrückblick bietet mannigfache Gelegenheit, sich der eigenen Zielsetzungen oder Versagungen zu erinnern.

Sehr lesenswert!

Jeanette Winterson
Warum glücklich statt einfach nur normal?
256 Seiten, gebunden
Hanser Berlin, 2. Auflage, Januar 2013
ISBN-10: 3446241493
ISBN-13: 978-3446241497
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Miriam Toews: Mr T., der Spatz und die Sorgen der Welt

Miriam Toews: Mr T., der Spatz und die Sorgen der Welt

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Zweifel und Tod: eine Bilanz.

Miriams Vater gab zeitlebens Rätsel auf: er war ein mitreißender Lehrer, witzig, erfindungsreich und beliebt. Zu Hause aber war er ein Schweiger. Fragte man ihn nach seinem Befinden, so ging es ihm nach seinen Aussagen gut. Doch tief im Inneren wütete eine Krankheit in ihm, die weit verbreitet ist und zu oft verleugnet wird: er leidet an einer Depression. Mit 17 wurde eine manisch depressive Krankheit bei ihm diagnostiziert. Man riet ihm von einer Familiengründung ab. Doch er heiratete Elvira, die er schon aus der Schulzeit kennt, und bekommt zwei Töchter mit ihr. Die Tochter Miriam ist es, die sich auf Spurensuche begibt, als sie nach dem Suizid des Vaters, den er kurz nach der Pensionierung beging, seine Vergangenheit durchforscht.

Sie hat ein liebevolles und ehrliches Bild ihres Vaters ersonnen und beschrieben. Dazu gehören Rückblicke auf die Familiengeschichte, das Leben in Kanada in einem Ort namens „Steinbach“, die Berufszeit des Vaters als Lehrer und das Familienleben im Allgemeinen. Die Familie gehörte über Generationen zur religiösen Gemeinschaft der Mennoniten. Das ist eine streng gläubige und moralisch rigide Freikirche.

Melwin Toews war ein Grübler und Zweifler. Er hat sich über die Umwelt gelegentlich lustig gemacht; über Krankenschwestern, Ärzte  und ihre Medikationen. Niemand konnte ihm helfen, zumal er zu Hause schwieg. Woher sollte man wissen, wie es in seinem Inneren zuging? Sein ganzes Leben erscheint als eine Flucht vor der Krankheit. In der Arbeit, die er weit über das übliche Maß hinaus betreibt, findet er Zufriedenheit. Fällt sie weg, so fällt er in sich zusammen, und zurück bleibt die innere Leere, das Gefühl des Versagens und der Unfähigkeit. Weit in die Kindheit reichen die Wurzeln für diese Störung zurück.

Zart angedeutet darf man sich ein Bild machen von der Lieblosigkeit, mit der Melvin in frühester Kindheit konfrontiert wurde. Hier ruht bereits der schicksalhafte Konflikt zwischen Schuld und Versagen. Frustrationen in frühester Kindheit verursachen Entwicklungen, die gravierende Folgen zeitigen können.

In einem langen Rückblick geht die Autorin der Familiengeschichte nach. Sie lässt den Vater selber zu Wort kommen und skizziert seine Gedanken über die Welt, die Brüder, die Schwestern und den ganzen Familienclan. Herausgekommen ist eine wirklich witzige und amüsante Familiengeschichte, die mit Leichtigkeit berichtet, wo Tragik womöglich belasten könnte. Ernst wird mit Ironie und Komik vermischt, so dass mit Distanz die Traurigkeit vertrieben wird. Zahlreiche Szenen aus dem gelebten Familienleben bieten Einblicke in das Dasein auf dem Lande, in Familienkonstellationen mit ihren Erfolgen, Niederlagen und religiösen Bindungen.

Die Krankheit „manische Depression“ bekommt ein Gesicht, das anrührt und erschüttert.

Der Text ist locker aufbereitet und bietet Unterhaltung mit tiefgründiger Lebenserfahrung auf hohem Niveau.

Miriam Toews

Mr T., der Spatz und die Sorgen der Welt
258 Seiten, gebunden
Berlin Verlag, April 2013
ISBN-10: 3827011310
ISBN-13: 978-3827011312
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Ulrike Edschmid: Das Verschwinden des Philip S.

Ulrike Edschmid: Das Verschwinden des Philip S.

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Wege und Irrwege.

Aus den bewegten sechziger Jahren, der 68-ziger Bewegung und einer Zeit des Aufruhrs und des Aufbruchs resultiert dieser kleine biographisch gefärbte Roman von Ulrike Edschmid.

Sie ist eine der Protagonistinnen, die in den Strudel der Ereignisse gerät, als die Unruhe und Auflehnung gegen die „Alten“ das Leben der damals jungen Generation durcheinander gewirbelt hat.

Früh schon hat die Icherzählerin einen kleinen Sohn von einem Mann, der sich davon gemacht hat. Als sie Philip S. kennen lernt, ist sie fasziniert von diesem in sich gekehrten, leisen Mann. Er ist ein stiller Rebell, der seine schweizerischen Eltern und ihr bürgerliches Leben aufgegeben hat. Ohne Gepäck und besessen alleine von der Fotografie und dem Filmemachen lebt er mit der Icherzählerin das Leben der Boheme in abgerissenen Wohnungen in Berlin und immer im Strudel der Ereignisse. Als Rudi Dutschke angeschossen wurde und Benno Ohnesorg starb, sind die beiden liiert. Sie fahren einen Sommer lang nach Rom im Wohnungstausch mit einem sozialistischen Professors.

Ulrike Edschnid schreibt einen abgerissenen Stil. Kurz und teilweise nur in Andeutungen formuliert, bekommt man die beklemmende Atmosphäre mit, in der sich das Leben unter der Ägide zahlreicher aufrührerischer Studenten abspielte. Die Zeit von A.S. Neill’s „Summerhill“ und seine freie Pädagogik ist en Vogue. Man gründet die ersten Kinderläden und allenthalben wird die bürgerliche Ordnung vergangener Jahre in Frage gestellt. In diesem Milieu geht die sichere Orientierung an alten und bewährten Lebensmustern von zugegebenermaßen zuweilen auch miefigen und spießigen Lebensformen verloren.

Die vermeintliche Freiheit und auf ihre Weise auch wieder Angepasstheit und Unterdrückung wird fassbar in kurzen und fast neutralen Erzählungen, mit denen Ulrike Edschmid über ihr damaliges Leben berichtet.

Es ist eine schwere und bleierne Zeit. Aus den Anfängen der Freiheitsbewegung entwickelt sich die militante RAF (Rote Armee Fraktion) mit dem Ziel des politischen Umsturzes. Philip S. ist ein sensibler Freund und Ersatzvater für Ulrike Edschmids Sohn. Doch auch er wird in den Sog des Untergangs gezogen.

Ulrike trennt sich zaghaft und besonnen von ihm, während er seinen verwirrten eigenen Regeln folgt.

Eine atmosphärische überzeugende Sozialstudie ist der Autorin gelungen. Man kann nachfühlen, wie zerrissen die jungen Frauen und Männer waren. Auf unterschiedliche Weise suchen sie Lösungen für ihre Traumata aus autoritären Erziehungsstilen und Orientierungslosigkeit. Sie verlieren die Kontrolle über ihr Handeln und gleiten ab in den Terrorismus.

Auch in anderen Ländern, besonders in Frankreich, fanden revolutionäre Auswüchse statt. Sie hatten allerdings keine  vergleichbar tragische Dimension wie in unserer deutschen Vergangenheit mit ihren zahlreichen Opfern, die als Folge irre geleiteter Täter zu beklagen waren.

Wer sich ein Bild machen will von diesen politisch aufregenden und strapaziösen Phasen unserer Geschichte in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, kann das hier erfahren.

Ulrike Edschmid schreibt feinfühlig, traurig und angerührt von den Ereignissen. Sie richtet den Fokus allein auf die Unruhe und das Abgleiten ihres Freundes in die Terrorszene, so als sei das eine zwingende Entwicklung gewesen, die niemand aufhalten konnte.

Sehr lesenswert!

Ulrike Edschmid
Das Verschwinden des Philip S.
157 Seiten, gebunden
Suhrkamp Verlag, März 2013
ISBN-10: 3518423495
ISBN-13: 978-3518423493
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Petra van Laak: Auf eigenen Beinen – Eine vierfache Mutter startet in die Selbständigkeit

Petra van Laak: Auf eigenen Beinen – Eine vierfache Mutter startet in die Selbständigkeit

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Petra van Laak hat sich mit einer Textagentur selbständig gemacht und ist heute sehr erfolgreich. Bis dahin war es aber ein langer Weg. Und es war ein Wagnis. Als der Plan in ihr Gestalt annahm, war Frau van Laak 41 Jahr alt und alleinerziehend mit vier schulpflichtigen Kindern. Die Aussicht, einen festen Job zu finden, war gering. Mit Gelegenheitsjobs konnte man aber keine vier Kinder ernähren. Die Unzufriedenheit wuchs. Die Kinder standen und stehen hinter den Plänen ihrer Mutter. Und so wagte Frau van Laak den Neubeginn. Es zeichnete sich schnell ab, dass es ein schwieriger Weg werden würde.

Im Buch berichtet Frau von Laak von ihrer beruflichen Laufbahn. Ihre familiäre Situation stellt sie parallel dazu dar. Das Buch ist also kein Unterhaltungsroman, sondern vielmehr ein Buch für andere Frauen, die sich ebenfalls selbständig machen wollen und andere Meinungen und Rat suchen oder Motivation brauchen. Die Autorin hält nicht hinterm Berg mit ihren Erfahrungen, mit Tipps und Ratschlägen. Sie schreibt, wie schwierig es werden und welche Fehler man vermeiden sollte. Das Buch zeigt, dass es gelingen kann, wie schlecht die Bedingungen auch sind. Eine Chance hat man immer, wenn der Wille dazu besteht.

Dabei ist das Buch in einem lockeren und sehr unterhaltsamen Stil geschrieben. Ernste Szenen wechseln mit witzigen ab. Frau van Laak hat viel erlebt auf dem Weg in die Selbständigkeit und ständig an ihrem Erfolg gebastelt.

Es ist das zweite Buch der Autorin: „1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast) – Wie ich es trotzdem geschafft habe“ erschien 2012. Hier wird die schwierige Situation nach der Firmeninsolvenz ihres Mannes und der Trennung dargestellt und dem Versuch, für sich und die Kinder eine halbwegs erträgliche Lebenssituation zu schaffen. „Auf eigenen Beinen – Eine vierfache Mutter startet in die Selbständigkeit“ kann man als gelungene Fortsetzung ansehen.

Rezension von Heike Rau

Petra van Laak
Auf eigenen Beinen – Eine vierfache Mutter startet in die Selbständigkeit
288 Seiten, Klappenbroschur
Droemer
ISBN-10: 3426226359
ISBN-13: 978-3426226353
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen