Otto de Kat: Freetown

Otto de Kat: Freetown

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Der Roman von Otto de Kat spielt in den Niederlanden.

Eines Tages erscheint Ishmael bei Maria. Er ist Zeitungsjunge, und sie interessiert sich von Beginn an für den schmalen, schwarzen Jungen. Er ist scheu fasst aber Zutrauen zu ihr.
Sie versucht ihm zu helfen, wenn er der Hilfe bedarf. Maria mag sich ihn gar nicht mehr wegdenken und entwickelt mütterliche Gefühle für ihn. Auf ihre Frage hin erfährt sie, dass er aus Sierra Leone und dort aus der Hauptstadt Freetown kommt.

Sieben Jahre hat sie Kontakt zu ihm. Dann ist er von einem Tag zum anderen verschwunden, und sie vermisst ihn sehr. In einer aufwendigen Suche möchte sie herausfinden, wo er geblieben ist.
Bei ihrem alten Freund Vincent, einem Psychotherapeuten, sucht sie Hilfe.
Nun bekommt der Roman von Otto de Kat eine ganz neue Wendung.

Der Leser*in wird damit konfrontiert, dass Maria und Vincent über längere Zeit eine intensive Liaison pflegten. Da waren sie beide verheiratet und hatten schon fast erwachsene Kinder.
Auch diese Beziehung endete sehr plötzlich. Beide konnten sich nie vergessen!
Der Leser*in wird auf eine Reise in die Vergangenheit der beiden hineingezogen.

Otto de Kat versteht es trefflich, seine Figuren in ihren jeweils unterschiedlichen Charakteren zu zeichnen. Im Hintergrund leben die Ehepartner der beiden, die wohl wenig bis gar nichts von Vincents und Marias Beziehung wissen. In kurzen Szenen kann man sich auch von ihnen ein Bild machen.

Es ist ein langes Versteckspiel, das sich ursprünglich um die Suche nach Ishmael drehte nun aber die Liebe von Maria und Vincent umkreist. Hoffnung, Verlust und Verzicht sind die Merkmale dieser Beziehung.

So geheimnisvoll sich Beziehungen zeigen: das Leben und die Liebe sind zuweilen unergründlich. Der Verlust einer Liebe prägt gelegentlich über Jahre das Leben zweier Menschen, die in ihren langjährigen Ehebeziehungen verhaftet sind.

In einer schönen Sentenz spricht Vincent davon, dass alle die Menschen, die zu ihm in Therapie kamen, sich letztlich nur eines wünschten:“ irgendwo zu Hause zu sein.“ ( S.117) So fühlten sich auch Maria und Vincent beieinander zu Hause!

Das Büchlein liest sich leicht. Es sind nur 166 Seiten, die aber inhaltsreich daherkommen.
Das überraschende Ende passt schlüssig in die ganze Erzählung.
Man kann den Roman uneingeschränkt empfehlen, weil sich hier wieder einmal zeigt, wohin die Wege des Menschen führen!

Otto de Kat
Freetown
168 Seiten, gebunden
Schoeffling, Februar 2019
ISBN-10: 3895615331
ISBN-13: 978-3895615337
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Michela Murgia: Chirú

Michela Murgia: Chirú

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Eleonore ist 38 Jahre alt, als sie dem Drängen des 18jährigen Musikstudenten Chirú nachgibt, seine Lehrerin zu werden.
Zwischen den beiden entsteht eine erotische, unterschwellige Spannung. In Sardinien, wo die Geschichte zunächst spielt, führt Eleonore den Studenten Chirú in einschlägige Künstlerkreise ein, und der Leser*in erfährt selber, wie es in diesen Kreisen zugeht.

Eleonore hat Freunde und ehemalige Geliebte, die sie auf ihrem Lebensweg begleiten, und mit denen sie in regem Austausch steht, auch in Fragen ihres eigenen Lebens.
Fabrizio, einer von ihnen, warnt sie vor den Folgen, sich mit so einem jungen Studenten abzugeben. Aber sie kann es nicht lassen.
In langen Passagen geht es um Begegnungen aller Art, immer wieder aber auch um die stete Annäherung Chirús an Eleonore. Beide sind voneinander fasziniert.
Sie nimmt ihn mit auf eine Reise nach Rom, wo sie ein Engagement hat. In Museen und beim Essen sehen sie sich und tauschen Gedanken aus. Der Zauber der wunderbaren Stadt lässt Nähe und Sehnsüchte bei den beiden aufkommen. Oh Jugendzeit, Du schöne Zeit! Eleonore spürt erste Zeichen des Älterwerdens, wenn sie auch eine schöne Frau zu sein scheint.

Chirú und Eleonore werden als Antipoden dargestellt. Jeder sucht etwas beim anderen, das man selber nicht hat. Zwei verlorene Seelen, die sich unter dem Deckmantel der Lehre begegnen und in Wahrheit Liebe und Anerkennung suchen. Eleonore bewegt sich wissend durch ihre Kreise und zeigt Chirú, wie man sich gut darstellt.

Richtig spannend wird die Geschichte, als Eleonore ein Engagement in Stockholm erhält. Chirú will nachkommen. Unerwartet trifft Eleonore einen schwedischen Dirigenten wieder, den sie schon in Cagliari einst getroffen hat. Nun wendet sich das Blatt, und die Geschichte endet geheimnisvoll.

Murgia versteht es wunderbar, einzelne Charaktere hervorzuheben. Es geht ihr dabei auch um Treue, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit. Liebe kommt und vergeht und Dinge geschehen, die man nicht ändern kann. Die Frage nach Unrecht und Wahrhaftigkeit wird zuletzt zur Kernfrage der Geschichte. Ist der Mensch gut oder schlecht? Welche Folgen hat das Glück oder Unglück? Die Antwort bleibt die Autorin schuldig, denn Gefühle und Bedürfnisse wechseln, und die reine Wahrheit gibt es nicht. Aber schuldig wird der Mensch da, wo er Verletzungen auslöst, die nicht vermeidbar sind, wenn man seinen eigenen Weg gehen will. Ambivalenzen zeichnen zwischenmenschliche Beziehungen aus, so dass es immer wieder zu Missverstehen kommen kann. Das alles macht sie Erzählung zu einer faszinierenden Geschichte, die gut und schlüssig erzählt wird!

Michela Murgia
Chirú
Verlag Klaus Wagenbach, März 2017
206 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3803132878
ISBN-13: 978-3803132871
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Nicci French: Eine bittere Wahrheit

Nicci French: Eine bittere Wahrheit

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Tabitha ist zurückgekehrt nach Okeham. Sie hat hier ein Haus gekauft, dass sie sanieren möchte. Dass ihr ehemaliger Lehrer Stuart Rees in unmittelbarer Nachbarschaft wohnt, stört sie nicht, obwohl er ihr, als sie 15 Jahre alt war, etwas Schlimmes angetan hat. Wichtig für sie sind die Ruhe hier und die Nähe zum Meer, in dem sie bei jedem Wetter schwimmt. Doch eben dieser Lehrer wird nun in ihrem Schuppen tot aufgefunden. Wer hat ihn ermordet? Alle Indizien weisen auf Tabitha, die ein Motiv hat. Und so kommt die junge Frau in Untersuchungshaft.

Bei den Befragungen erwähnt Tabitha nicht, dass sie unter Depressionen leidet. Auch was ihr der Lehrer angetan hat, verschweigt sie. Was spielt es für eine Rolle? Sie war es nicht oder glaubt zumindest, nicht dazu fähig zu sein. Sie hatte eine schlimme depressive Phase an diesem Tag und kann sich kaum erinnern. Das alle wird gegen sie ausgelegt. Ihre Anwältin möchte, dass sie sich schuldig bekennt, also beschließt Tabitha, sich selbst zu verteidigen.

Im Buch geht es hauptsächlich um den Prozess und natürlich die Vorbereitung darauf. Tabitha rekonstruiert den Tag des Mordes mit einer Liste. Die chronologische Aufstellung der Vorkommnisse ist zunächst sehr kurz und umfasst nur wenige Punkte und Bemerkungen. Ich fand es ausgesprochen spannend zu sehen, wie sie sich hier vorarbeitet und wie die Liste mit der Zeit immer ausführlicher wird.

Tabitha ist keine angenehme Person. Sie vernachlässigt sich selbst, lässt sich gehen. Und doch kämpft sie auch für ihre Rechte. Immer wieder schafft sie es, sich zu motivieren. Das ist widersprüchlich, aber doch glaubhaft dargestellt. In entscheidenden Momenten vor Gericht gelingt es ihr, sich zu konzentrieren und Zweifel an ihrer Schuld zu säen. Doch was soll ihr das helfen? Das ganze Dorf hat sich gegen sie verschworen. Man mag sie nicht.

Mir hat die ausführliche Art, diesen Thriller aufzurollen, sehr gut gefallen. Es ist interessant zu verfolgen, wie Tabitha sich schlägt und wie kleinste Details helfen, den Tag zu rekonstruieren. Mit dem Ende kann ich mich nicht anfreunden. Ich möchte natürlich im Rahmen dieser Rezension nicht zu viel verraten. Aber es gibt einen extremen Wendepunkt.

Rezension von Heike Rau

Nicci French
Eine bittere Wahrheit
Aus dem Englischen von Birgit Moosmüller
512 Seiten, Klappenbroschur
C. Bertelsmann Verlag, November 2020
ISBN-10: 3570103781
ISBN-13: 978-3570103784
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Daniel Schreiber: Allein

Daniel Schreiber: Allein

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Eine Philosophische Abhandlung über das Leben mit seinen zahlreichen Facetten im Zusammen- und Alleinleben.

In den Schriften von Daniel Schreiber geht es darum, wie wir in der Welt verortet sind.
Schon in dem Buch „Zuhause“ ging es um sehr persönliche Fragen dieser Denkrichtung.
In dem jetzt erschienenen Buch „Allein“ stellt der Autor die gleichen Fragen nun aber bezogen auf sein Dasein als Schriftsteller.
Er bezieht Stellung zu seinem Alleinsein und sucht die Gründe für das Leben ohne Liebe oder eine Zweisamkeit. Wie und auf welche Weise lebt man überhaupt in den Beziehungen zu anderen Menschen?

Dass die Liebe und die Gemeinschaft mit anderen unser soziales Leben bestimmen, ist unleugbar.
Nicht jedem aber ist es vergönnt, eine anhaltend gute Beziehung in der Zweisamkeit zu finden.

Für uns Menschen können Freundschaften einen großen Teil sozialer Einsamkeit abdecken. Für seine Freundschaften ist D. Schreiber ausdrücklich dankbar und definiert genau, wo Freundschaften anfangen, und wie es um Bekanntschaften steht, und wie verschieden Beziehungen sein können. Unwillkürlich denkt man an den jungen Pianisten Igor Levit, der in allen Gesprächen betont, wie wichtig ihm Menschen, gute Freunde und Freundinnen sind, auch und gerade in schwierigen Zeiten, wichtiger sogar als die Musik!

Daniel Schreiber entwickelt seine Ideen, in dem er u.a. auf die Aussagen bekannter Schriftsteller und Philosophen zurückgreift. Er bleibt in der Erzählung jedoch bei sich, denn die Reflexion eigener Erfahrungen werden zur Grundlage für seine Theorien über das Alleinsein.

Die Natur als Entdeckung und Horizonterweiterung wird von ihm unglaublich einfühlsam beschrieben. Er war zu einem Literaturaufenthalt in der Schweiz eingeladen. Sehr lustlos hat er die Reise angetreten, um dann in Schnee, Kälte und einsamen Wanderungen die Befreiung seiner Seele zu erleben. Das ist hinreißend geschildert.

In weiten Teilen greift Schreiber die Wochen und Monate der Pandemie auf, um anhand der Lebensformen, die uns alle betreffen, über Isolation und Einsamkeit nachzudenken.

Zwischen den Reflexionen über sein Leben zitiert Schreiber unzählige Autoren und Philosophen, die ihm bei seinen Einsichten Stützpfeiler zur Selbsterkenntnis waren.

Das Buch mit seinen Essays regt zum Nachdenken an. Die Abhandlungen sind intensiv und einprägsam.

Die Denkschrift von Daniel Schreiber ist nicht unterhaltsam. Sie enthält eine Analyse wichtiger Stadien menschlichen Seins im Sozialgefüge menschlichen Zusammenlebens am Beispiel seines eigenen Lebens. Dabei eröffnet sich auch für uns Lesende der Horizont in Richtung Kontemplation und Begreifen. Eine sehr empfehlenswerte und erhellende Studie ist Daniel Schreiber mit seiner Schrift gelungen.

Im Anhang findet man eine lange Liste zitierter Schriften und Autoren.

Daniel Schreiber
Allein
Hanser Berlin, 6. Auflage September 2021
160 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3446267921
ISBN-13: 978-3446267923
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Dr. med. Marianne Koch: Unser erstaunliches Immunsystem

Dr. med. Marianne Koch: Unser erstaunliches Immunsystem

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Unser Immunsystem schützt uns vor Viren und Bakterien, die uns krank machen können. Gerade jetzt in der Corona-Pandemie kommt ihm eine besondere Bedeutung zu. Allgemeines Wissen zur Körperabwehr und auch seine Schwächen ist von großer Bedeutung für die Gesundheit. Viele Themen, das ist zu sagen, werden eher nur kurz angerissen, aber eben so, dass sich ein rundes Bild ergibt und alles für den Laien verständlich bleibt.

Dr. med. Marianne Koch erklärt im Buch, wie das Immunsystem funktioniert. Sie geht dabei auf das angeborene und das erworbene Immunsystem ein und zeigt auf, was die Abwehr leistet, wenn der Körper mit Krankheitserregern in Kontakt kommt.

Vorbeugung ist hier ein bedeutender Aspekt. Die wichtigsten Tipps, wir haben sie mittlerweile alle drauf, werden genannt und begründet. Aber es geht noch weiter, denn auch eine gesunde Lebensweise kann helfen, das Immunsystem zu stärken und Krankheiten zu vermeiden. Und natürlich Impfungen. Darüber gibt es ebenfalls viel zu erfahren. Als das Buch erschien, gab es jedoch noch keine gegen Corona. Das hat sich mittlerweile geändert.

Dass sich das Immunsystem auch mal irren kann, wird im nächsten Kapitel aufgezeigt. Hier ist beispielsweise von allergischen Erkrankungen wie Heuschnupfen, allergischen Kontaktekzemen oder Allergien gegen Medikamente und Insektengift die Rede. Therapiemöglichkeiten werden aufgezeigt. Weiter geht es mit den Autoimmunkrankheiten und was die medizinische Forschung darüber mittlerweile weiß.

Doch nicht immer ist ein starkes Immunsystem erstrebenswert. Bei Organtransplantationen beispielsweise muss es sogar heruntergefahren bzw. unterdrückt werden. Und auch um den Fortschritt neuer Immuntherapien bei Krebs geht es im Buch.

Sehr spannend! Der Autorin gelingt es gut, die Funktionsweise des Immunsystems im Wesentlichen zu erklären und auch etwas komplizierte Sachverhalte verständlich darzustellen. Sie bedient sich dabei einer bildhaften Sprache und entsprechenden Vergleichen, was mir sehr gut gefallen hat. Immer wieder greift sie Fragen auf, die der Leser haben könnte und tritt auf diese Weise gefühlt in direkten Kontakt. Es lassen sich viele wertvolle Tipps für die Gesundheit entnehmen.

Rezension von Heike Rau

Dr. med. Marianne Koch
Unser erstaunliches Immunsystem
Wie es uns schützt, wie es uns heilt – und wie wir es jeden Tag stärken können
208 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, September 2020
ISBN-10: 3423282274
ISBN-13: 978-3423282277
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Edgar Selge: Hast du uns endlich gefunden

Edgar Selge: Hast du uns endlich gefunden

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In der Autobiographie des bekannten Schauspielers Edgar Selge kann man die schrecklichen Zustände in einer bürgerlichen Nachkriegsfamilie nach dem 2. Weltkrieg kennenlernen. Wir schreiben das Jahr 1960.

Der Icherzähler ist 12 Jahre alt und lebt mit seinen drei Brüdern und den Eltern in einem Haus des Gefängnisdistrikts von Herford. Sein Vater ist dort Gefängnisdirektor.

Die Eltern betreiben Hausmusik in großem Rahmen. Mutter spielt Geige und Vater Klavier. Auch ausgewählte Gefangene dürfen gelegentlich an den in großen Räumen stattfindenden Hauskonzerten teilnehmen.

Maßgeblich im Hause sind die strengen Regeln des Miteinanders. In der Wahrnehmung eines 12Jährigen sind die häuslichen Lebensformen ein Schrecken ohne Ende. Mit ängstlichen Augen beobachtet der Junge, was um ihn her vor sich geht. Er kennt die Regeln, will sich aber nicht einfügen. Er übertritt ganz bewusst immer wieder die väterlichen Gebote, klaut und lügt, was ihm schreckliche körperliche Züchtigungen einträgt. Das Prügeln hat System. Die frömmelige und fast bigotte Atmosphäre trägt erschreckend sadistische Züge.
Man kennt alles das aus der schwarzen Pädagogik des 19. Jahrhunderts.
Die ängstliche Mutter und der alles dominierenden Vater bieten das Bild einer Gemeinschaft, in der der Vater das Sagen hat.

Im Gegensatz zu seinem Schauspielerkollegen Joachim Meyerhoff, dessen Bücher vor Witz und Komik sprühen, wirkt bei Edgar Selge alles strenger, kälter und abschreckend.

Selges Erinnerungen sind ernst, und man fühlt als Leser:in einen Schauer der Einsamkeit. Die älteren Brüder legen sich mit den Eltern an, kritisieren ihre deutschtümelnden Verhaltensweisen und das verklemmte, nationalsozialistische Gedankengut.

Die alles überragende Strenge beim Lernen, Musikspielen und im Umgang mit den Lehrern ist wahrlich bedrückend.

Edgar Selge muss eine schreckliche Jugend gehabt haben. Das sensible und still beobachtende Kind wittert überall die Gefahr der Bestrafung. Vor lauter Angst kann der Junge beim Lernen nicht folgen. Er flüchtet sich in Fantasiespiele, in denen er seinen Frust auslebt.

Beeindruckend ist die nüchterne Darstellung, in der alles so wirkt, als passiere es gerade jetzt.
Insofern ist die Geschichte literarisch gut erzählt.
Das Buch liest sich in weiten Teilen wie die Inkarnation eines deutschnationalen, judenfeindlichen Bürgertums.
Einziger Lichtblick ist die Musik, die breiten Raum einnimmt, und der man sich mit Hingabe widmet.

Edgar Selge
Hast du uns endlich gefunden
Rowohlt Buchverlag, 4. Auflage, Oktober 2021
304 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3498001221
ISBN-13: 978-3498001223
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Mattias Edvardsson: Die Bosheit

Mattias Edvardsson: Die Bosheit

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Mikael und Bianca sind mit ihren Kindern nach Köpinge, einer Kleinstadt Südschwedens, gezogen. Hier hoffen sie auf ein ruhiges Leben. Mit den Nachbarn wird es sicher keine Probleme geben, denn die beiden haben vor, Abstand zu wahren. Doch ist das schwierig, da es zwischen den vier Einfamilienhäusern einen gemeinsamen Innenhof gibt. Die Nachbarn erwarten außerdem, dass sich die Neuen an gewisse Traditionen halten.

Das Buch beginnt dramatisch. Bianca muss nach einem schweren Unfall, der direkt an der Einfahrt zum Hof passiert, ins Krankenhaus. War es tatsächlich ein Unfall oder wurde sie mit Absicht angefahren?

Die Antwort auf die Frage ist in der Vergangenheit zu suchen. Und so wird zurückgeblickt und erzählt, was sich seit Mikaels und Biancas Einzug zugetragen hat. Wie sich die Nachbarn verhalten haben, wie man zusammengewachsen ist und wie sich das auf die beiden ausgewirkt hat. Man hat versucht, ein bestimmtes Bild eines freundlichen Miteinanders zu wahren. Doch ist das nichts als Schein. Jeder hat mit Problemen zu kämpfen oder etwas vertuschen. Wenn man so dicht beieinander lebt, ist es jedoch schwierig, Geheimnisse zu wahren. Es wird unauffällig beobachtet, spioniert, nachgeforscht und durch Tratsch manipuliert und beeinflusst. Man spielt sich gegeneinander aus. Unheimlich ist das.

Das Buch ist drei Erzählstränge aufgeteilt. Der Autor lässt abwechselnd Mikael, die Nachbarin Jacqueline und deren Sohn Fabian erzählen. Das sind also die Schlüsselfiguren. Und jede hat ihre eigene Sichtweise. Zwischenmenschliches wird genau beleuchtet.

Nun, nach dem Unfall, steht die Schuldfrage im Raum. Hat man dazu gelernt? Verstellt man nicht länger den Blick auf die wahren Probleme? Rauft man sich zusammen? Oder akzeptiert man einfach das Augenscheinliche, um sich nicht mit den eigenen Unzulänglichkeiten, Irrtümern oder Fehlhandlungen auseinanderzusetzen zu müssen?

Der Autor schafft eine Stimmung, die weiteres Unheil verspricht. Es gelingt ihm sehr gut, die Spannung immer weiter auszubauen, die vor allem von Emotionen getragen wird. Ich habe mich von dem flüssig geschriebenen Roman perfekt unterhalten gefühlt.

Rezension von Heike Rau

Mattias Edvardsson
Die Bosheit
Deutsch von Annika Krummacher
448 Seiten, Klappenbroschur
Limes Verlag, November 2021
ISBN-10: 3809027227
ISBN-13: 978-3809027225
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Dr. med. Anne Fleck: Energy! in 5 Minuten – Gesünder Tag für Tag mit der Doc-Fleck-Methode

Dr. med. Anne Fleck: Energy! in 5 Minuten – Gesünder Tag für Tag mit der Doc-Fleck-Methode

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Auf „Energy!: Der gesunde Weg aus dem Müdigkeitslabyrinth“ folgt nun „ENERGY! in 5 Minuten: Gesünder Tag für Tag mit der Doc-Fleck-Methode“. Es ist ein aufwendig illustriertes Mitmachbuch, mit dem es noch einfacher ist, Gesundheitsratschläge in den Alltag einzubauen. Man kann es komplett durcharbeiten oder zunächst ein oder zwei Kapitel, die derzeit besonders relevant sind.

Ohne Motivation geht nichts, viele wissen das aus Erfahrung. Aber Dr. med. Anne Fleck gelingt es sehr gut, mit ihrer zugewandten und freundlichen Art, den Leser zu begeistern.

Wir beginnen mit einem Warm-up. Sich besser kennenzulernen und ehrlich mit sich zu sein, ist der Schlüssel zum Erfolg. Also dann: Vertrag unterschreiben und los geht es! Die Bestandsaufnahme erfolgt mit einem Fragebogen sowie einem Ernährungs- und Bewegungsprotokoll, die zeigen, wo man steht. Wo die Baustellen liegen, die angegangen werden müssen, wird auf diese Weise schnell deutlich. Daraus entsteht eine Motivation, die das Vorhaben voranbringt.

Die verschiedenen Kapitel beschäftigen sich mit Ernährung, Verdauung, Bewegung, Entgiften, Stress, Schlaf, mit Gewohnheiten und dem Lebensrhythmus. Die Autorin zeigt, was gut für die Gesundheit ist und vor allem auch, was es bringt, ihre Ratschläge zu beherzigen. Sie vermittelt hilfreiches Wissen, erklärt Zusammenhänge verständlich und regt zum Nachdenken an. Zwischendurch wird immer wieder Bilanz gezogen. Es ist viel Platz im Buch für eigene Notizen, Erkenntnisse, Ziele, Erfolge und Affirmationen zur Selbstmotivation. Es macht Spaß, mit dem Buch zu arbeiten.

Jeden Tag kann ein Praxistipp ausprobiert werden. Und ja, manchmal ist es nicht mit 5 Minuten getan. Es geht hier vor allem darum, gesündere Gewohnheiten zu etablieren, wodurch weniger gesunde automatisch verdrängt werden. Hat man das geschafft und folgt einer gewissen Routine, spielt der Zeitfaktor keine Rolle mehr. Etwas für die Gesundheit zu tun, fällt mit dem Mitmachbuch nicht schwer.

Rezension von Heike Rau

Dr. med. Anne Fleck
Energy! in 5 Minuten
Gesünder Tag für Tag mit der Doc-Fleck-Methode
Ein Mitmachbuch, das Ihr Leben verändert
Illustrationen von Katharina Fleck
256 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, November 2021
ISBN-10: 3423283092
ISBN-13: 978-3423283090
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Elizabeth Strout: Oh William!

Elizabeth Strout: Oh William!

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Wieder geht es in diesem Roman um Lucy Barton, die schon aus einigen früheren Romanen bekannt ist.

Heute ist sie schon fortgeschrittenen Alters.
Ihr zweiter Mann David ist tot, und sie lebt alleine.
Zu William, ihrem ersten Mann, einem Biologieprofessor, hat sie den Kontakt nie verloren.

In kurzen Episoden erinnert sie sich an das Leben, das sie als glückliche Familie mit ihren zwei Töchtern und William einst gelebt hat.
Wir erfahren, warum sie ihn verließ, und wir hören, wie innig ihre Beziehung zu ihren Töchtern ist, die inzwischen längst verheiratet sind, und an deren Leben sie lebhaft Anteil nimmt.

Inzwischen ist Lucy eine gefeierte Schriftstellerin.
Sie ist eine sehr gefühlvolle Frau, die gute wie schlechte Zeiten in ihrem Leben erlebt hat.
Die Nähe und das Heimatgefühl, das sie bei William immer gefühlt hat, das hat sie nie vergessen.
Die beiden sind Freunde fürs Leben geworden. In schwierigen Momenten suchen sie immer Kontakt zu einander. Jetzt ist es so weit: auch Williams dritte Frau hat ihn verlassen.
Die Sprache, die die Eheleute mit einander sprechen, lässt auf eine tiefe Vertrautheit schließen.

Elizabeth Strout hat die besondere Gabe, sich ihren Figuren mit sehr viel innerer Wärme zu nähern und auf diese Weise den Leser*in ganz in den Bann ihrer Erzählung zu schlagen.
Sie ist den beiden Hauptprotagonisten so nah, dass man fast meint, es hier mit einer Biographie zu tun zu haben.

Der Roman ist ein wenig episodenhaft aufgebaut. So hört man einmal, wie es früher war, um dann wieder im Heute anzukommen. Es sind die feinen kleinen Details, die uns immer wieder begeistern.
Die Nachbarn, Freunde, das tägliche Leben oder auch Landschaftseindrücke: wir dürfen an allem teilnehmen.

Strouts Protagonistin Lucy, die in der Ichform erzählt, ist ausgesprochen reflektiert in ihren Überlegungen; dass sie aus sehr armseligen und lieblosen Verhältnissen stammt, kann man fast nicht glauben. Ihre traurige Kindheit und Williams liebevolle Mutter, die allerdings ein Geheimnis mit sich trägt, sind ebenso Gegenstand der Erzählung, wie die momentanen Gefühlszustände ihrer Hauptpersonen: Lucy und William.
Ein ganzes Leben mit Höhen und Tiefen erschließt sich vor dem Auge des Lesers/ Leserin.

Da allgemeine Lebenserfahrungen zur Sprache kommen, lassen sich Parallelen zum Leben des/der Lesenden durchaus herstellen. Tiefe Erkenntnisse und Einsichten bringen uns immer wieder zum Nachdenken.

Weisheit bietet das Ende des Romans, in dem es heißt: „Wir sind alle gleich unerforschlich. Das ist die einzige wirkliche Wahrheit, deren bin ich mir ganz sicher.“

Elizabeth Strout ist eine Meisterin der Innenschau, der psychologischen Beobachtung und der unendlichen Suche nach dem Kern der Wahrheit unseres Selbst. Sie spürt feinste Unterschiede zwischen den Charakteren ihrer Hauptfiguren auf und blickt mit überzeugender Menschenkenntnis hinter die nach außen gezeigten Fassaden.

Ihr Roman gehört zu den Büchern, die man nicht aus der Hand legen will.

Elizabeth Strout lebt in Maine und in New York City.

Elizabeth Strout
Oh William!
Luchterhand Literaturverlag, November 2021
224 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3630875300
ISBN-13: 978-3630875309
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Wendy Walker: Herzschlag der Angst

Wendy Walker: Herzschlag der Angst

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Der überaus heftige Sturm verhindert das Molly Clarke mit ihrem Auto weiterfahren kann. Aber ohnehin ist das Benzin ausgegangen. Die Tankstelle in Hastings ist geschlossen, was dem Wetter geschuldet ist. Doch hat sie Glück, es kommt jemand vorbei, der sie mit seinem Auto mitnimmt.

Verzweifelt suchen ihre Familie und die Polizei später nach Molly. Ein Brief, der in einem nahe gelegenen Hotel aufgefunden wird, zeigt, dass sie hier war. Durch dieses Schriftstück wird klar, dass sie ihre Familie verlassen hat. Das ist nicht unbedingt verwunderlich, denn die Familie hat eine Tragödie zu verkraften und drohte zu zerbrechen.

Nach zwei Wochen kommt Mollys Tochter Nicole zurück nach Hastings. Es gibt Neuigkeiten. Eine Zeugin hat sich gemeldet, die sich gerne die ausgesetzte Belohnung verdienen möchte. Sie berichtet glaubwürdig, dass sie Molly Clarke am Tag ihres Verschwindens gesehen hat. Nicole will hier ansetzen, denn an das freiwillige Verschwinden ihrer Mutter glaubt sie nicht, wie groß die familiären Probleme auch sein mögen.

Der Thriller hat zwei Erzählstränge. Einer ist aus der Sicht Mollys in der Ich-Perspektive geschrieben. Der andere schaut auf die Suche Nicoles nach ihrer Mutter. Man hat also umfassenden Einblick, weiß aber nicht, wer die Fäden zieht. Man erfährt, wie Molly sich aus ihrer schlimmen Lage befreien will und kann versuchen abschätzen, ob ihr Tochter auf der richtigen Fährte ist und den richtigen Personen vertraut. Hastings wird als seltsamer Ort beschrieben. Noch seltsamer aber sind einige Mitbewohner. Das hört bei den Polizisten der Gemeinde nicht auf. Entsprechend unheimlich wird es. Und die Zeit läuft.

Falsche Fährten und interessante Wendungen schaffen eine ungeheure Spannung. Auch der Schreibstil gefällt mir. Tiefgründig wird die Handlung vorangetrieben. Nur mit einigen Szenen am Ende des Thrillers kann ich mich nicht anfreunden. Hier wird es noch einmal richtig kompliziert. Es kommt ein Aspekt dazu, mit dem nicht zu rechnen war und der die Handlung im Nachhinein in ein etwas anderes Licht rückt.

Rezension von Heike Rau

Wendy Walker
Herzschlag der Angst
Deutsch von Susanne Goga-Klinkenberg
dtv Verlagsgesellschaft, Oktober 2021
352 Seiten, Klappenbroschur
ISBN-10: ‎3423263059
ISBN-13: 978-3423263054
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