David Foenkinos: Charlotte

David Foenkinos: Charlotte

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Biographie

Der wunderbare Erzähler David Foenkinos hat sich der Biographie einer ungewöhnlichen Frau genähert. Er ist fasziniert von einer Künstlerin, die durch die Nazis umgebracht wurde und in wunderbaren expressionistischen Bildern die Geschichte ihres Lebens hinterlassen hat. Auf dem Umschlagsbild sieht man das Selbstporträt der Künstlerin: skeptisch, trotzig und abwartend!

Charlotte Salomon, geb. 1917, war Zeichnerin und Malerin und hat ihr besonderes Talent für die Malerei nur kurz feiern können. Sie war Jüdin und musste eine lange Flucht mit Verlusten überstehen, als die Judenverfolgung in Deutschland mit ihren Auswüchsen ihren Anfang nahm.

Doch wie begann das alles?

David Foenkinos berichtet über seine Entdeckung der Malerin und der Suche nach ihren Wurzeln. Er ist begeistert von ihr und verwendet in seinem vorliegenden Roman die Form der klaren Erzählung im Wechsel mit seinen eigenen Forschungen nach ihrem Werdegang. Ohne hier alles vorwegzunehmen, kann man sagen, dass auf ihrer Familie ein schweres Schicksal lastete. Zahlreiche Suizide haben in ungewöhnlicher Weise einzelne Familienmitglieder aus dem Leben gerissen.

Charlotte erfährt erst spät, wie ihre Mutter gestorben ist und besuchte in frühester Kindheit schon das Grab der Schwester ihrer Mutter, die ihren Namen trug. Die Mutter starb 1926 ebenfalls durch Suizid.

Die Künstlerin wirkte wie ein erschrockener Mensch, der sich schon in frühester Kindheit tragischen Familienereignissen ausgesetzt sah, ohne diese zu verstehen. Sie machten sie einsam und ließen sie früh schon zum Zeichenstift greifen.

Der Vater hatte 1930 in zweiter Ehe eine bekannte Konzertsängerin geehelicht, die von Charlotte sehr akzeptiert wurde. Man führte in Berlin Charlottenburg ein großbürgerliches Leben. Bekannte jüdische Künstler, Wissenschaftler und Größen aus Forschung und Lehre verkehrten in dem geselligen Haus.

Nach Hitlers Machtergreifung 1933 wurde das Leben für Juden jedoch ungeheuer schwer. Jeder kennt die Folgen.

Charlotte gelingt dank ihrer außergewöhnlichen Begabung und Befürwortung durch einen Kunstlehrer zunächst noch die Aufnahme in die Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst. Doch auch das Glück dieser Tage endete durch die politischen Ereignisse.

Foenkinos hat eine Gabe, klar und nüchtern und doch ansprechend zu erzählen. Er beschreibt detailgenau, wie er für dieses Sujet zu eben dieser Erzählweise fand. Die knappen und kurzen Sätze ergeben ein ungeschöntes aber wahrheitsgetreues Bild der Künstlerin. Jeder Satz beginnt auf einer neuen Zeile, als solle ihm damit Nachdruck verliehen werden.

Durch die Erzählweise in dieser besonderen Form, in der das Leben von Charlotte Salomon noch einmal heraufbeschworen wird, erfährt man von einer Ausnahmekünstlerin mit ihrer besonderen Ausstrahlung.

Obwohl sie innerlich einsam war, besaß sie doch enorme seelische Kräfte. Eine kurze Liebesaffäre mit dem Gesangslehrer ihrer Stiefmutter ließ sie nie mehr los. Die Geschicke der Zeit im dritten Reich führten sie auf einem langen Weg über Frankreich und das Lager Gurs nach Südfrankreich, wo sie für einige Zeit sicher war.

Ihre Lebensgeschichte hat sie in einer Zeichenmappe mit dem Titel „Leben? Oder Theater?“ mit Bildern und Texten als Vermächtnis hinterlassen. In zahlreiche Ausstellungen waren ihre Bilder seither immer wieder zu betrachten. David Foenkinos ließen sie nie mehr los!

Man bleibt fasziniert und vertieft sich mit anhaltendem Interesse in die Geschichte dieser feinen, sensiblen und tief fühlenden Künstlerin, die wie so viele andere am Ende den Tod im KZ fand.

Foenkinos hat ihr mit seiner fabelhaften Erzählweise in der Übersetzung von Christian Kolb Ausdruck und Leben verliehen.

David Foenkinos
Charlotte
240 Seiten, gebunden
Deutsche Verlags-Anstalt, August 2015
ISBN-10: 3421047081
ISBN-13: 978-3421047083
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Bregje Hofstede: Der Himmel über Paris

Bregje Hofstede: Der Himmel über Paris

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Fluch und Segen der Liebe…

Mit feinem Stift und klugen Worten erzählt die Autorin Bregje Hofstede von einem Paar, das sich auf ungewöhnliche Weise kennen lernt und sich zu einander hingezogen fühlt.

Der mittel alte Professor der Kunstgeschichte Olivier soll sich auf Bitten seines Dekans um eine junge holländische Studentin kümmern, die er vorübergehend bei sich aufgenommen hat. Diese erinnert Olivier in auffallender Weise an seine frühe Jugendliebe Mathilde. Immer wieder muss er hinschauen und sich wundern über diese Ähnlichkeit!

Seine jetzige Freundin Sylvie, mit der er nicht zusammen lebt, ist patent und gegenwärtig. Die frühere Freundin aber lebt noch immer in seinen Fantasien in ihm fort.

Zuerst nur zögerlich, dann immer interessierter beschäftigt sich Olivier mit Fie, wie die junge Studentin heißt. Er lässt sich dazu herab, ihre Übungen zu Kunstbetrachtungen zu überprüfen und mit ihr zu diskutieren. Fie ist spröde, zurückhaltend und wartet ab.

Mit diesem Beginn ist schon alles gesagt, was in dem Roman der jungen Autorin abgehandelt wird.

Verstrickt in Vergangenes und fasziniert vom Gegenwärtigen gerät der renommierte Professor immer tiefer in eine Lebenskrise. Sein ganzes bisheriges Leben kommt dabei auf den Prüfstand. Am Ende steht nicht mehr ein Stein auf dem anderen. Es gilt, neue Perspektiven zu finden und nach ihnen zu leben.

Bregje Hofstede erzählt prägnant und weitblickend. Was Menschen mit ihrem Leben anfangen, und was aus ihnen werden kann. Scheu und verloren wirken die einen, stark und sicher die anderen. Die junge Studentin verantwortet mit ihrem Verhalten allerlei Widrigkeiten, unter denen Olivier unterzugehen droht. Die Nebenfiguren bieten die Reibungsfläche, unter der Schicksale zu zerschellen drohen.
Gelegentlich verwischen die Konturen zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Ist das aber nicht im wirklichen Leben sehr ähnlich?

Menschen können an sich selber verzweifeln, wenn sich Wahrnehmung und Fantasie vermengen.

Es geht in dem Roman um Liebe, Treue und Zuverlässigkeit und um Rache und Verrat.

Eine erstaunlich einfühlsame Studie ist der jungen holländischen Autorin und der Übersetzerin Heike Baryga mit diesem Roman gelungen.

Bregje Hofstede
Der Himmel über Paris
224 Seiten, gebunden
H.Beck, August 2015
ISBN-10: 3406683436
ISBN-13: 978-3406683435
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Philippe Pozzo di Borgo: Ich und Du

Philippe Pozzo di Borgo: Ich und Du

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Schicksal meistern lernen…

Dieses neue Buch von Philippe Pozzo di Borgo nimmt einen von der ersten Zeile an gefangen.

Er hat ein ungewöhnliches Schicksal.

Nach der Lähmung von den Schultern abwärts durch einen Gleitschirmabsturz und nach dem Krebstod seiner Frau, als er ca 43 Jahre alt war, hat Philippe Pozzo di Borgo wohl so ziemlich alles an schwerem Leid ertragen müssen, was man als Mensch nur fassen kann. Zu Monate langen Krankenhausaufenthalten verdammt hat er, der aus einer wohlhabenden Familie stammt, viel Zeit zum Nachdenken und Reflektieren.

Jenseits des öffentlichen Hypes um den Autor, der mit seinem Buch und Film „Ziemlich beste Freunde“ seit einigen Jahren Furore macht, spricht hier derselbe Mensch über seine Selbsteinsichten gepaart mit zuweilen herber Selbstkritik. Die geäußerten Gedanken sind offen, ehrlich und aufrichtig.

Pozzo di Borgo hat offensichtlich seine Hybris und Eitelkeiten abgelegt und ist durch leidvolle Erfahrung zu einer inneren Haltung gelangt, die ihn wach und lebendig im Geiste zu immer tieferen Einsichten führt. Es geht ihm um Toleranz und Respekt dem Nächsten gegenüber, um eine Horizonterweiterung im Denken und darum, Mitmenschen in ihrer je eigenen Art gelten zu lassen. Seine These heißt: aus Ich und Du soll Wir werden in gegenseitiger Toleranz, Akzeptanz, Wohlwollen und Anerkennung.

Der Text ist selbstverständlich und klar im Ausdruck, so dass man keinerlei Eitelkeiten oder gar Eiferertum entdecken könnte.

Wenn das Leid gar zu groß wird, beschreibt er, wie er dann im „Augenblick“ zu leben beginnt. „Es mag prätentiös klingen, aber ich betrete dann die „Zeit“.( S 42)

Der Autor lässt mit dieser Niederschrift andere an seinen Einsichten teilhaben. Sympathisch, mit einem Schuss Ironie und Humor, hat di Borgo seine Entwicklungsgeschichte beschrieben, die ganz einfach neugierig macht. Neugierig auf einen Menschen, dessen Kräfte schier unerschöpflich zu sein scheinen, und der immer neue Stadien und Hürden des Lebens bewältigt.

Eingeflochtene kurze biographische Einschübe erweitern den Blick auf eine ungewöhnliche Persönlichkeit. Sie mag wahrlich Trost und Vorbild für andere Betroffene sein.

Festhalten muss man, dass Pozzo di Borgo eine visionäre Vorstellung über das menschliche Miteinander hegt, die sich nur schwer verallgemeinern lässt. Zu groß sind die Diskrepanzen der menschlichen Spezies zwischen Herkunft, Bildung, Begabung, Chancen und Wohlstand.

Man kann jedoch von seinem Weg durchaus für das eigene Wachsen und Gedeihen profitieren.

Für die Nachdenklichen unter den Lesern ist die Lektüre überaus lehrreich und anregend.

Philippe Pozzo di Borgo
Ich und Du
152 Seiten, gebundn
Hanser Berlin, August 2015
ISBN-10: 3446249451
ISBN-13: 978-3446249455
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Florian Wagner: 100 % Abenteuer: Pferde

Florian Wagner: 100 % Abenteuer: Pferde

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Florian Wagner liebt das Abenteuer. Das beweisen sein Beruf und seine Hobbys. Beides lässt sich verbinden und so sind es die Pferde, die der Fotograf mit seiner Kamera ins Visier nimmt. Seine Abenteuer werden zu Geschichten, die erzählt werden. Sachwissen wird ganz nebenher vermittelt.

Der Autor begibt sich mit seiner Kamera auf eine ungewöhnliche Reise um die Welt. Kein Ort scheint ihm zu weit. Er genießt die „Freiheit zu Pferde“ mit anderen Reitern bei einem Wanderritt durch Andalusien und beschreibt genau, wie so etwas abläuft. „Löwen, Gnus und Elefanten“ begegnet er bei einer Safari zu Pferde durch die Savanne Kenias. Es ist eine Reise voller unglaublicher Gefahren. „Die Reiter vom Todeshügel“ trifft Florian Wagner in einem Indianerreservat im US-Bundesstaat Washington. Hier findet das spektakuläre „Omak Suicide Race“ statt. In der Wüste Abu Dhabis, besucht er das königliche Gestüt Al-Asayl und befindet sich damit „Im Paradies für Pferde“.

Florian Wagner hat seine Abenteuer mit der Kamera dokumentiert. Die Fotos, von denen jedes einzelne eine ausführliche Bildunterschrift hat, sind außergewöhnlich. Es sind bewegende Bilder, die besondere Situationen einfangen oder spektakuläre Momente erfassen. Es ist die Perspektive, der andere Blickwinkel und die leidenschaftliche Art zu fotografieren, die begeistern. Mensch und Tier bilden nicht selten eine Einheit.

Die Texte sind dem entsprechend spannend. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass Florian Wagner aus der Ich-Perspektive schreibt. Diese persönliche Schreibweise wäre sicher noch authentischer gewesen.
Das ergänzende Sachwissen wird in Kästchen oder am Bildrand präsentiert. Wissenswertes und Fakten werden hier dargestellt. Diese sind für die Zielgruppe, das sind Kinder im Alter von 10-14 Jahren, ausgelegt.
Aber auch allen anderen pferdebegeisterten Menschen wird das Buch gefallen.

Rezension von Heike Rau

Florian Wagner
100 % Abenteuer: Pferde
60 Seiten, gebunden
Ravensburger Buchverlag
ISBN-10: 3473554235
ISBN-13: 978-3473554232
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Helen Mcdonald: H wie Habicht

Helen Mcdonald: H wie Habicht

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Falknerin zu werden, war schon immer das Ziel von Helen McDonald. Schon als sie noch ein Kind war, nahm dieses Vorhaben Gestalt an. Ihr Vater ermutigte und unterstützte sie. Und so ging Helen ihren Weg. 2007 starb der Vater plötzlich. Helen gerät in eine tiefe Krise. Immer weiter zieht sie sich zurück. Beschließt dann aber, sich ein Habicht-Weibchen zu kaufen. Es wird ein anderer, als der ursprünglich zum Kauf stehende Vogel, weil es Faszination auf den ersten Blick ist. Sie nennt ihren Habicht Mabel. Die Abtragung geht langsam vonstatten. Aber Helen stellt sich dieser äußerst schwierigen Aufgabe.

Orientierung gibt ihr T. H. White mit seinem Buch „The Goshawk“. Die Zeit, die zwischen der Erscheinung dieses Buches im Jahre 1951 und der Gegenwart liegt, ist lang. Die Fehler, die man heute machen kann, sind dieselben wie damals. Helen will sie nicht wiederholen und arbeitet hart, mit Geduld und Zuversicht. Aber auch mit Besorgnis und Zweifeln. Bald hat sie erste Erfolge zu verzeichnen, aber immer sind auch Rückschläge hinzunehmen.

So konzentriert Helen auch arbeitet, die Zurückgezogenheit lähmt sie in allen anderen Bereichen. Doch sie braucht diese Zeit, um zu trauern und um sich zu erinnern. Die Natur und die Wildheit des Habichts helfen ihr, die Bodenhaftung nicht gänzlich zu verlieren. Letztendlich kann ein wildes Tier aber kein Gefährte sein. Doch die Realität muss warten.

Es ist ein autobiographisches Buch, das berührt. Helens Trauer scheint so unbezähmbar wie der Habicht. Das als Leser nachvollziehen zu dürfen, heißt, über das Leben nachzudenken und über den Tod. Es heißt, sich der Mediation der Autorin anzuschließen.

Es ist nicht so, dass mir das Buch durchweg gefallen hat. Es ist eine traurige und auch sehr persönliche Geschichte. Manche Zusammenhänge haben sich mir nicht offenbart. Trauer und Schmerz mit der Zähmung eines wilden Habichts zu verarbeiten, ist einfach für mich schwer nachvollziehbar. Manchmal konnte ich mich darauf einlassen, manchmal nicht. Aber wie auch immer: Es ist der Weg von Helen McDonald gewesen und für sie war es der richtige.

Rezension von Heike Rau

Helen Mcdonald
H wie Habicht
Aus dem Englischen von Ulrike Kretschmer
416 Seiten, gebunden
Allegria Verlag
ISBN-10: 3793422984
ISBN-13: 978-3793422983
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Marcello Fois: Schwestern

Marcello Fois: Schwestern

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Geschwisterliebe…

Marcello Fois erzählt die Geschichte zweier Schwestern. Alessandra und Marinella begegnen sich nach dem Tod des Vaters in dessen Wohnung. Vierzig Jahre sind vergangen, seit der Vater sie verlassen hat. Doch nicht nur seine Abwesenheit bereitet hier den Boden für eine hintergründige Geschichte. Die Schwestern, Zwillinge zudem, sind von einer tiefen Abneigung gegeneinander erfüllt. Man ahnt nur mehr, als dass man es weiß, dass sie sehr unterschiedliche Leben führen. Im tiefsten Grunde sind sie einander Feind und voller Groll auf die jeweils andere.

In einer Art Kammerspiel umschleichen sie einander mit Worten. Argwohn paart sich mit Wut, Neugier mit unverhohlenem Zorn. Schließlich taucht auch noch eine Nachbarin auf, die ihre Hilfe – oder ist auch das wieder nur Neugierde? – anbietet.

Die Mädchen verbleiben in einer gleichbleibenden Missgunst. Man kann sich nicht vorstellen, dass diese beiden Frauen je zusammenfinden werden. Anschuldigungen und Erinnerungen an frühe Kinderjahre haben zur Folge, dass immer eine vorsichtige Abneigung über allem liegt.

Die ganze Erzählung hindurch gibt es diese quälenden Andeutungen und Verdächtigungen, es schlechter gehabt zu haben als die andere. Der Vater hat die Familie verlassen, als die Mädchen 8 Jahre alt waren. Ist er die Ursache für die Missgunst zwischen den Schwestern? Hat er eine mehr geliebt als die andere?

Alles in allem löst sich der Knoten nicht: beide Schwestern verlassen einander nach diesem Nachmittag in der Wohnung des verstorbenen Vaters und tauchen in ihr jeweiliges eigenes Leben ein, von dem man sehr wenig erfahren hat.

Geschwisterlicher Neid und Hass scheinen die Grundlage dieser Beziehung zu sein. Im Untertitel heißt es: die alte Geschichte. Und ja: so ist es wohl häufiger als man denkt, dass Geschwister in alten Beziehungsmustern verharren. Klärende Gespräche bringen nichts, weil die Fronten verhärtet und unauflöslich bleiben.

Eine gelungen Sozialstudie ist dem Autor Marcello Fois hier gelungen. Es wird nur gehandelt und gesprochen, nicht aber analysiert. Schlüsse muss der Leser für sich alleine ziehen. Der Autor bedient sich zwischen den Gesprächen der beiden Frauen einer poetischen und sanften Sprache. Zuletzt siegt die Vergänglichkeit, die über allen Geschehnissen in Vergangenheit und Zukunft liegt.

Marcello Fois ist ein sardischer Schriftsteller, der heute in Bologna lebt. Er hat sich vor allem als Kriminalbuchautor hervorgetan.

Marcello Fois
Schwestern
144 Seiten, gebunden
Wagenbach, K; August 2015
ISBN-10: 3803113121
ISBN-13: 978-3803113122
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Alain Claude Sulzer: Postskriptum

Alain Claude Sulzer: Postskriptum

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Größe und Niedergang eines angesehenen Künstlers…

Das Waldhaus in Sils-Maria in der Schweiz ist ein Ort der Sehnsüchte, des Wohlbefindens und der Ruhe. Hier gehen seit eh und je die Großen des Showgeschäftes, der Kunst und der Literatur ein und aus.

Zu seinen Gästen gehörten in der Vergangenheit Friedrich Nietzsche, Theodor W. Adorno, Thomas Mann und Friedrich Dürrenmatt, um nur einige wenige zu nennen.

Hier spielt der neue Roman von Alain Claude Sulzer.

Anfang der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts kehrte der Schauspieler Lionel Kupfer aus Berlin in das Hotel ein, nicht ahnend, dass es mit seiner Karriere unter dem Naziregime Hitlers als Jude zu Ende sein könnte.

Fein gesponnen taucht man in die Atmosphäre dieses legendären Ortes ein. Für Kupfer schwärmen mehr Männer als Frauen. So auch der kleine Postbeamte Walter, der sich als Gast in das Hotel einschleicht, um einen Blick auf den geliebten Künstler zu erhaschen. In Berlin hingegen lebt Lionels Liebhaber, der Kunsthändler Eduard, der ihm im neuen Glanz als Nazi mit Hochmut begegnet.

Lionel Kupfer musste schließlich emigrieren und hat in New York kümmerlich überlebt. Nach dem Krieg hat ihm Visconti noch einmal eine Position für eine kleine Nebenrolle angeboten. Doch die Stelle wurde weggeschnitten.

Man folgt den Spuren Walters und Edouards, des trickreichen Kunsthändlers, mit anhaltendem Interesse. Unter der Naziherrschaft ließen sich mit den Juden und ihren Kunstsammlungen treffliche Geschäfte machen. Am Ende aber ereilt jeden/ jede das ihm zugedachte Schicksal. Lionel Kupfer, der Jude, der aus Österreich stammt, bleibt im fernen Amerika, wo er mehr schlecht als recht überlebt.

Im „Postskriptum“ von 1963 hört man dann von späten Erfolgen des Schauspielers, die ihm noch einmal ein Durchstarten ermöglichen.

Alain Claude Sulzer hat einen melancholischen Roman geschrieben, so wie alle seine Romane von einer leichten Melancholie geprägt sind. Man folgt den Geschichten und ihren spannenden Wendungen mit anhaltender Aufmerksamkeit. Das Nazireich mit seinen Bedrohungen und Österreich mit seinem Charme im Begleitstrom der nationalsozialistischen politischen Richtung umrahmen die Erzählung. Alles klingt wie aus dem richtigen Leben, und Sulzer hat die wirren politischen Zeiten mit ihrer Dramatik konsequent eingefangen. Die erkennbaren homoerotischen Szenen wirken stark und bieten Einblicke auch in die moralischen Aspekte einer Zeit, in der Homosexualität strafbar und verboten waren. Jeder konnte zu jeder Zeit auffliegen, und dann drohte Ungemach.

Der Roman ist schlüssig und sehr lebensnah konzipiert. Es lohnt sich, ihn zu lesen.

A.C. Sulzer ist ein blendender Erzähler, dessen Werke vielfach preisgekrönt wurden.

Alain Claude Sulzer
Postskriptum
256 Seiten, gebundn
Galiani-Berlin, August 2015
ISBN-10: 3869711159
ISBN-13: 978-3869711157
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Martin Amanshauser: Der Fisch in der Streichholzschachtel

Martin Amanshauser: Der Fisch in der Streichholzschachtel

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Eine Karibik-Kreuzfahrt kann ein recht langweiliges Unterfangen sein. Aber irgendwas muss man seiner Frau ja zum Geburtstag schenken, vor allem, wenn es der vierzigste ist. Tatsache ist, dass Fred Dreher die Reise, die auch die zwei Kinder mit antreten, wegen der Schräglage seiner Firma vorerst nicht bezahlen kann und Tamara in Vorkasse gehen muss.
Etwas Spannung kommt auf, als er einer ehemaligen Freundin an Bord begegnet. Bisher war Fred treu, aber Amélie wäre einen Seitensprung wert, zumal sie nicht abgeneigt scheint.
Eine etwas andere Art von Abenteuer bringt ein Orkan mit sich, der das Schiff vollkommen lahmlegt. Weiterfahren kann es ohne Hilfe nicht. Allerdings gibt es keinen Kontakt zur Außenwelt.
Dann kommt ein Piratenschiff aus einem längst vergangenen Jahrhundert in Sicht und jeder vernünftige Mensch glaubt, im falschen Film zu sein. Oder es ist alles arrangiert. Schließlich ist Faschingsdienstag. Die Piraten spielen ihre Rolle überzeugend. Der Spaß hört allerdings auf, als sie Freds Tochter entführen …

Auf diese Geschichte lässt man sich gern ein. Haarsträubende Situationen entstehen, als Gegenwart und Vergangenheit aufeinandertreffen. Die Piraten sind äußerst kritisch mit dem, was sie sehen. Der Autor hat hier sehr witzige Beschreibungen für technische Errungenschaften und die heutige Art zu leben gefunden, die ein Pirat natürlich hinterfragen und auf seine Weise kommentieren muss. Interessant, wie ignorant dagegen die Menschen auf dem Kreuzfahrtschiff sind. Was nicht sein kann, existiert einfach nicht. Man tut, als gäbe es kein Problem. Wenn das Schiff nicht langsam Schräglage bekommen würde, könnte alles so bleiben, wie es ist.

Das Buch ist trotz ihrer Unterhaltsamkeit hin und wieder etwas langatmig. Besonders am Anfang macht sich das bemerkbar. Es fällt schwer, sich in den Roman hineinzufinden. Mit dem Orkan ändert sich das dann. Die Geschichte beginnt immer mehr zu überraschen, zu verblüffen und Sprachwitz und Komik sind bald nicht mehr zu übertreffen. Desweiteren kann man als Leser darüber sinnieren, wie die Geschichte nun wirklich zu interpretieren ist. Eine wirklich schlüssige oder wenigstens halbwegs glaubwürdige Erklärung für die Geschehnisse, außerhalb der möglichen Zeitverschiebung, ist gefragt.

Rezension von Heike Rau

Martin Amanshauser
Der Fisch in der Streichholzschachtel
576 Seiten, gebunden
Deuticke Verlag
ISBN-10: 3552062920
ISBN-13: 978-3552062924
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Pierre Bost: Bankrott

Pierre Bost: Bankrott

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Eine ungewöhnliche Charakterstudie.

Wieder einmal ist es dem Dörlemann Verlag gelungen, ein Werk aus der Vergessenheit zu holen. Pierre Bost, 1901-1975, hat seinen Roman „Bankrott“ in den dreißiger Jahren veröffentlicht.

Seine Romanfiguren kranken häufig am Leben und finden nicht den richtigen Weg. So ergeht es auch dem Helden des nun vorliegenden Romans “Bankrott“.

Brugnon hatte eine unbeschwerte Jugend, geliebt von der Mutter und auf vorgezeichnete Bahnen seines Vaters setzend. Dieser war ein reicher Zuckerfabrikant. Kurz nach dem Ende seines Studiums wurde Brugnon Sekretär des Vaters. Etwas anderes war für ihn nicht vorstellbar. Nach dem plötzlichen Tod des Vaters übernahm Brugnon die Firma und strebte ein einfaches Leben an. Er ging früh zur Arbeit, ruhte zur Mittagszeit ein Stündchen, um sich danach wieder der Arbeit zu widmen. Alles in allem ist er ein furchtbar langweiliger Mensch.

Wie Pierre Brost dieses Leben in seiner Schilderung umsetzt, zeugt von einer subtilen Beobachtungsgabe. Hier beginnt einer, um Anerkennung und Selbständigkeit zu ringen und ist doch recht eigentlich nie richtig erwachsen geworden. Wenngleich im Laufe der Erzählung schon 45 Jahre alt, wirkt er wie ein alter, müder Mann, der sich den Freuden des Lebens kaum hingeben kann. Er ist dem Spott eines Provinzredakteurs ausgesetzt, der ihn in tiefe Selbstzweifel stürzt.

Man sieht einen Menschen, der sich von Pflichtversessenheit beseelt in den streng diktierten eigenen Vorsätzen verheddert, verwegene Pläne zur Erweiterung seiner Firma schmiedet und auf ein unausweichliches Scheitern zusteuert. Zwischen zwei Frauen schwankend kann er sich auch hier nicht zu einer Entscheidung durchringen. Die treue Simone will er nicht, und die flatterhafte Florence bekommt er nicht. So bleibt er ein getriebener und unsteter Mensch, der fahrlässig seinem finanziellen und psychischen Ruin entgegen steuert. Seine Mitarbeiter sind scheu um ihn versammelt; doch auch sie können ihm nicht helfen. Die selbstzerstörende Gewalt ist erschreckend.

Pierre Bost nimmt die Zeichen seiner Zeit auf, denn überall schlingert die Nachkriegszeit in den zwanziger Jahren einer unausweichlichen Katastrophe entgegen. Brugnon wird zum Prototyp des Hasardeurs. Eine traurige Gestalt, die dem Leben nicht gewachsen ist.

Feine Beobachtungen der Menschen wechseln mit Bürostimmungen und Landschaftsbeschreibungen, die in ihrer stimmigen Genauigkeit faszinieren.

Es lohnt sich, Pierre Bost als herausragenden Schriftsteller seiner Zeit wieder zu entdecken.

Pierre Bost
Bankrott
260 Seiten, gebunden
Dörlemann, August 2015
ISBN-10: 3038200182
ISBN-13: 978-3038200185
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Elsebeth Egholm: Das nächste Opfer

Elsebeth Egholm: Das nächste Opfer

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Die Journalistin Dicte Svendsen und ihr Lebensgefährte Bo (Fotograf) werden aus dem Schlaf gerissen, weil der Pferdestall der Nachbarn in Flammen steht. Nicht weit entfernt, im Moor von Arhus, wird am folgenden Tag eine junge Frau tot aufgefunden. Sie wurde auf brutalste Weise ermordet. Es ist die Schwester der Nachbarin. Sie wurde offenbar gleich zweimal ermordet: mit dem Strick aufgehängt und mit einer Axt erschlagen. Kurze Zeit später wird eine zweite Leiche entdeckt. Auch hierbei handelt es sich um eine junge Frau, die in gleicher Weise ermordet wurde. Die Polizei geht davon aus, dass es sich um einen psychopathischen Serienmörder handelt. Neben der Polizei interessiert sich auch Dicte Svendsen als Journalistin für die Mordfälle. Nachdem sie einen Artikel darüber veröffentlicht hat, erhält sie per E-Mail eine Morddrohung.

Dieser skandinavische Roman fesselt nicht zuletzt wegen der vielfältigen Beziehungen seiner Figuren untereinander. Die Figuren sind keine losgelösten Individuen, sondern sie sind alle untereinander verbunden, was ein erhebliches Potenzial an Konfliktstoff aufweist. Zunächst einmal droht der Redaktion der Zeitung, für die Svendsen arbeitet, die Schließung bzw. die Entlassung einzelner Journalisten. Da wundert es nicht, dass ein Praktikant versucht, um den Platz, den Svendsen innerhalb der Redaktion innehat, zu kämpfen. Doch mit seinen Artikeln schießt der Praktikant in seinem jugendlichen Alter gerne über das Ziel hinaus. Dann gibt es da Martin Wagner, den Leiter der Mordkommission. Svendsen von der Zeitung und Wagner von der Polizei haben ein durchaus sympathisches Verhältnis zueinander. Es ist aber nicht konfliktlos, denn der Kommissar ist geschieden und lebt mit der Freundin der Journalistin zusammen. Zu Recht nehmen er als auch seine Freundin Ida Marie wahr, dass auf Seiten von Dicte wohl ein kleines Fünkchen Eifersucht in die Freundschaft hinein spielt. Eifersucht auf Wagner kann es eigentlich nicht sein, denn sie selbst lebt ja mit dem Fotografen Bo zusammen. Aber Eifersucht auf das schöne Leben ihrer Freundin Ida Marie wäre denkbar. Schließlich muss der Leser feststellen, dass das Verhältnis zwischen Dicte und Bo auch noch nicht sehr gefestigt ist. Auch Bo schießt als Zeitungsfotograf über das Ziel hinaus und verletzt seine Freundin in einem Moment, in dem sie es nicht erwartet hat.

Zwischen all dem Beziehungsstress wird ermittelt. Da hat die Autorin ein ganz besonderes Beziehungsgeflecht zusammengestellt und die Ermittlungen werden nicht einseitig von der Journalistin oder von der Polizei geführt. Immer wieder greifen die Rädchen ineinander. Immer wieder werden neue Aspekte ins Spiel gebracht, so das der Leser stets gezwungen ist, die Situation neu zu überdenken, um neue Möglichkeiten für die Aufklärung des Falles in Betracht zu ziehen. Egholm hat eine hinreißende Vorlage für spätere skandinavische Krimis geschaffen. Nicht zuletzt durch das Vorkommen religiöser Glaubensgemeinschaften und Sekten scheint der Roman eine Vorlage für die Krimis von Jussi Adler-Olsen zu sein. Ruhig und beschaulich geht es in diesem Roman jedenfalls nicht zu. Obwohl man ihn zurückgelehnt im Sessel mit viel Spaß genießen kann.

Egholm, Elsebeth
Das nächste Opfer
Aus dem Dänischen von Hanne Hammer
btb, München
ISBN 9783442733736
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