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Schlagwort: Einsamkeit

Ulla-Lena Lundberg: Eis

Ulla-Lena Lundberg: Eis

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Mitte der 1940er Jahre kommt der Pfarrer Petter Kummel mit seiner Frau Mona und der kleinen Tochter Sanna auf die Örar-Inseln zwischen Finnland und Schweden. Das Ehepaar ist begeistert von der kargen Landschaft, ihrem neuen Zuhause auf der Kirchinsel und den Bewohnern, die ihnen durchweg freundlich gegenübertreten. Die Fischer und die Bauern auf ihren Höfen sind sofort fasziniert von dem junger charismatischen Pfarrer, der noch nichts weiß von den Konflikten zwischen den östlich und den westlich gelegenen Dörfern. Er begegnet allen Bewohnern unvoreingenommen und versucht so, die Gemeinschaft wieder zu stärken.

Petter und Mona wachsen in ihrem neuen Umfeld weiter zusammen. Dennoch wird ihre Ehe einer harten Prüfung unterzogen, denn der Pfarrer ist viel unterwegs und hat kaum Zeit für Gemeinsamkeiten. Die gesamte Haushaltsführung obliegt Mona. Jede Minute, die frei ist, genießt die kleine Familie deshalb doppelt. Ein weiteres Kind wird geboren. Traditionen und Kirchliches sorgen für Gemeinschaft zwischen den Höfen und bilden ein Rhythmus, nach dem gelebt wird. Die Pfarrersfamilie ist trotz der harten Arbeit glücklich. Aber mit dem Glück ist das so eine Sache. Man soll sich nie zu sicher fühlen. In der Abgeschiedenheit der wenig besiedelten Inseln mit ihren unwägbaren Wetterphänomenen, mit Stürmen, Eis und Schnee ist stets Vorsicht geboten. Doch lässt das der Pfarrer außer Acht.

Erzählt wird eine alltägliche Geschichte von Liebe, Glück und Leid. Das Leben der Familie Kummel wird beschrieben, mit allen Höhen und Tiefen, die der schwierige Alltag so mit sich bringt. Die Autorin stellt das auf eine sehr sensible Art und Weise dar, aber ohne zu beschönigen.
Es ist ein schwieriges entbehrungsreiches Leben und es ist ein Kampf ums Vorwärtskommen. Aber es ist auch voller glücklicher Momente, Hoffnungen und Pläne, die sich erfüllen, und deshalb hält die kleine Familie daran fest.
Als Leser wir man in die Lage versetzt, sich in das Geschehen hineinzuversetzen, mitzufühlen, ganz nah dran zu sein. Was ist wichtig im Leben? Was macht überhaupt ein Leben aus? Auch mit diesen Fragen setzt sich der Roman auseinander und auch damit wie zerbrechlich das Glück und wie verletzlich ein Mensch ist.

Rezension von Heike Rau

Ulla-Lena Lundberg
Eis
Übersetzt von Karl-Ludwig Wetzig
528 Seiten, gebunden
Mareverlag
ISBN-10: 386648206X
ISBN-13: 978-3866482067
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T. Coraghessan Boyle: San Miguel

T. Coraghessan Boyle: San Miguel

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San Miguel, vor der Küste Kaliforniens gelegen, ist das, was man eine einsame Insel nennt. Überredet von ihrem Ehemann, beginnt Marantha hier im Jahre 1888 mit ihm und ihrer Stieftochter ein neues Leben, in der Hoffnung, es möge ihrer Gesundheit zuträglich sein. Ab und an bessern sich die Symptome der Schwindsucht tatsächlich, aber bald wird klar, dass es auch auf der Insel keine Heilung geben wird. Die Arbeit auf der Farm mit den Schafen ist hart. Das Wetter ist unberechenbar. Es gibt keinerlei Komfort. Die Sehnsucht nach dem Leben in der Stadt wächst ins Unermessliche. Die alltägliche Monotonie und vor allem auch die Einsamkeit machen ihr zu schaffen. Sie erträgt das Leben hier nicht und ihrer Adoptivtochter Edith, die 14 Jahre alt ist, geht es genauso. Doch sie wird viel mehr Zeit auf der Insel verbringen, als ihre Stiefmutter, weil der Stiefvater sie dazu zwingt.

Jahrzehnte später kommt wieder eine Frau auf die Insel. Elise Lester begleitet ihren Mann hierher. Die beiden behalten ihre Liebe und ihr Glück und lassen sich von der schweren Arbeit nicht unterkriegen. Sie genießen die einsamen Momente, die Natur und die Geborgenheit, die sie sich schaffen. Zwei Kinder werden geboren und wachsen auf der Farm auf. Sogar die Presse wird aufmerksam auf die einsam lebende Familie und das mitten in der Weltwirtschaftskrise. Was nach außen hin so idyllisch wirkt, ist das Ergebnis harter Arbeit und der Bereitschaft, Entbehrungen hinzunehmen. Die Jahre kommen und gehen und es wird immer schwerer, das Glück festzuhalten.

Drei Geschichten werden erzählt. Marantha, Edith und Elise stehen jeweils im Mittelpunkt. Für jede bedeutet San Miguel etwas anderes. Für die eine ist es die Hölle, für die andere ein steiniger Weg in ein selbstbestimmte Leben und für die Dritte das wahre Glück. Diese Unterschiede zu sehen, diese verschiedenen Lebensentwürfe, ist sehr spannend. Man nimmt teil am Leben der Frauen, das der Autor auf eine sehr ruhige und melancholische Art schildert. Immer wieder scheint es, als versuche die Insel, ihnen die Hauptrolle streitig zu machen. Glück, selbst wenn man glaubt, es für immer zu haben, scheint doch vergänglich zu sein. Es gibt so vieles, das als gegeben hingenommen werden muss.

Historische Fakten liegen dem Buch zugrunde. Diese hat der Autor aneinander gewoben und mit seiner Fantasie zu einer lebendigen Erzählung aufgefüllt, die berührt.

Rezension von Heike Rau

T. Coraghessan Boyle
San Miguel
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
448 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag
ISBN-10: 3446243232
ISBN-13: 978-3446243231
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Thomas C. Boyle: San Miguel

Thomas C. Boyle: San Miguel

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Der amerikanische Bestsellerautor T. C. Boyle hat sich mit diesem Roman der Geschichte zweier Familien angenommen, die auf der kleinen Pazifikinsel San Miguel vor der kalifornischen Küste lebten. Aufmerksam geworden auf diese Geschichte ist er während seiner Recherchen zu dem vorhergehenden Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“. Mit den beiden nacherzählten Familiengeschichten, die in unterschiedlichen Epochen spielen, die erste im 19. Jahrhundert und die zweite 50 Jahre später im 20. Jahrhundert, nimmt sich Boyle dem Phänomen des immer weiter nach Westen strebenden Pioniers an. Wir finden den über 400 Seiten starken Roman in drei Teile untergliedert vor. Die ersten beiden Teile, die um 1880 spielen, sind der Familie Waters gewidmet. Der dritte Teil rückt dann in die Zeit ab 1930 vor, ragt bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein und erzählt die Geschichte der Familie Lester. Die kleine Kanalinsel, auf die die beiden Familien ziehen, ist geprägt von kargem Land. Kaum Vegetation ist lediglich Schafzucht in diesem minimalistischen Lebensraum möglich. Der Autor stellt zu Recht die Frage, was bewegte diese Menschen, auf diese Insel zu ziehen. Während Marantha Waters und ihre Tochter Edith nur dem Ruf von Maranthas Ehemann folgen und das Gefühl haben, auf der Insel wie in einem Gefängnis zu leben, geht Elise Lester mit ihrem Mann aus freien Stücken auf die Insel und lebt sehr gerne auf dieser Insel.

Beide Familien haben tatsächlich existiert und es liegen Dokumente über deren Leben auf der Insel vor. Das besondere Verdienst Boyles ist es, die real existierenden Familien in eine fiktive Handlung eingebettet zu haben, um sie plastischer vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen zu lassen. Erst durch die Handlungen und Dialoge, wie sie nur in einem fiktiven Roman, zudem von einem wortgewandten Schriftsteller wie T. C. Boyle und seinem präzise und ebenso wortgewandten Übersetzer Dirk van Gunsteren machen die Verhältnisse und das Leben auf dieser Insel spürbar. Auch die Herausarbeitung von Figuren, wie sie vom Schriftsteller bezeichnet werden, sind nur in einer fiktiven Geschichte möglich. Dies macht die Charakterstudien der beiden Familien äußerst lesenswert.

Wer mit dem Roman jedoch ein spannendes Abenteuer wie „Drop City“ oder „Amerika“ erwartet, der wird enttäuscht werden. Harte Auseinandersetzungen und Konflikte zwischen zwei Menschengruppen stehen nicht im Vordergrund. Wohl aber eben solch harte Konflikte zwischen den Bewohnern dieser Insel und den Naturgewalten. Diese brechen herein in Form von Stürmen, in Form des Zweiten Weltkrieges, in Form von Krankheiten. Mit San Miguel kann man sich einlassen auf einen eine historische Fiktion. Es besticht durch die vom Autor gewohnten präzisen Charakterstudien und detailreichen Beschreibungen der Landschaft, die Heimat des Inselfuchses ist, der nur auf dieser und fünf anderen kleinen Kanalinsel lebt.

Obwohl das Leben auf dieser Insel einem Abenteuer gleicht, ist der Roman kein Abenteuerbuch und man muss sich auf den Inhalt einlassen. Nichtsdestotrotz ist es hervorragend geschrieben und hat meine volle Punktzahl verdient. Ich freue mich auf ein Treffen mit dem Autor, wenn er in den nächsten Wochen durch Deutschland lesetourt.

Boyle, Thomas Coraghessan
San Miguel
Hanser, München
ISBN 9783446243231

© Detlef Knut, Düsseldorf 2013
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Matthew Quick: Silver Linings

Matthew Quick: Silver Linings

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Wohin die Liebe führt…

Dieser Debütroman des jungen Schriftstellers Matthew Quick sprengt alle Erwartungen!

Pat, ein 34 jähriger Mann, wird auf Drängen seiner Mutter aus einer psychiatrischen Anstalt entlassen. Weshalb er dort fest gesessen hat, wird sich erst allmählich zeigen. Zu Hause angekommen spürt man sogleich, dass sein Vater ein fanatischer Anhänger des Baskettballspiels ist. Besonders hängt er an der Gruppe der Eagles. Für seinen Sohn und die Familie hat er wenig übrig.

Pat lebt unter ständiger Medikation und muss sich zu Hause weiterhin einer Psychotherapie unterziehen. Seine Erinnerungen an die vergangenen vier Jahre sind ausgelöscht. In seinen Gedanken ist er ganz bei seiner Frau Nikki, mit der er sich unbedingt wieder vereinigen will. Er spricht von einer „Auszeit“, die er einhalten muss, doch er weiß noch nicht, wie lange diese währen wird. Die Psychiatrie ist “der schlimme Ort“, wohin er nie mehr zurück will. Durch ständiges hartes Training gelingt es ihm, sein Übergewicht zu reduzieren. Aufsteigende Wutanfälle bekämpft er mit ausdauerndem Laufsport. Er will gut sein und nicht mehr immer „recht haben“! Alle seine  Aktivitäten zeugen von einer fast manischen Anstrengung, auf die einstige Spur seines alten Lebens zurück zu finden.

Matthew Quick baut seinen Roman in hervorragender Weise auf. Man ahnt mehr als zu wissen: auf der Vergangenheit von Pat und seinem Aufenthalt in der Psychiatrie lastet ein dunkles Geheimnis. Von Gelegenheit zu Gelegenheit ergeben sich Zeichen, die Matthew als Außenseiter zeigen. Seine Mutter schützt ihn, wo sie kann. Schließlich begegnet ihm Tiffany, die Schwägerin eines Freundes. Sie ist aufdringlich und lästig. Matthew denkt ja nur an Nikki, an der er unverbrüchlich hängt. Der Autor steigert die Spannung, indem er immer neue geheimnisvolle Begebenheiten einfügt. Ihm gelingt die Schilderung eines Milieus von Langeweile und Überdruss in einer öden Mittelschichtfamilie. Darüber hinaus bietet er einen Eindruck von den Gefährdungen in der Großstadt Philadelphia, wohin es den Helden auf der Suche nach seiner Frau verschlagen hat.

Pat liest anerkannte Werke der Weltliteratur in der Hoffnung, seiner abwesenden Frau damit zu imponieren, doch nichts gibt ihm sein inneres Gleichgewicht zurück. Zeigt er nicht die Anzeichen einer manischen Depression? Und wo ist der Silberstreifen am Horizont mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft?

Die Lösung des Rätsels bleibt dem Ende vorbehalten. Spannend und anspruchsvoll bleibt die Geschichte bis zuletzt.

Die Lektüre schwankt zwischen Psychothriller und Gesellschaftsroman und ist hoch gelobt und mit Preisen ausgezeichnet 2013 erfolgreich verfilmt worden.

Matthew Quick
Silver Linings
352 Seiten, gebunden
Kindler, März 2013
ISBN-10: 3463400812
ISBN-13: 978-3463400815
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Linn Ullmann: Das Verschwiegene

Linn Ullmann: Das Verschwiegene

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Verschwiegenheit, Einsamkeit und Not!

In Jahr 2008 trifft sich Siri und ihr Mann Jon wie jedes Jahr im Sommer mit den beiden Töchtern Liv und Alma im Haus ihrer Mutter Jenny. Diese wohnt in Mailund/Norwegen. Jon ist Schriftsteller in einer schweren Schaffenskrise, und Siri führt zwei Gaststätten. Sie kommen gerade so über die Runden. Für die Töchter haben sie Mille, ein Au-pair-Mädchen aus Oslo, engagiert. Mit Mille ist etwas nicht so, wie es sein sollte. Sie ist geheimnisvoll, widersprüchlich in sich und Siri bedauert schon, sie für den Sommer als Hilfe angenommen zu haben.

Man erfährt noch über die Mutter von Mille, dass sie eine anerkannte Schriftstellerin in Oslo ist.

Schnitt: Drei Jungen finden im Jahr 2011 bei der Suche nach einem vergrabenen Schatz im Wald auf verweste Leichenteile. Das können nur die Reste von Mille sein, kombinieren sie sogleich! Sie war vor zwei Jahren am Geburtstag von Jenny verschwunden und nie gefunden worden.

Langsam die Personen in ihrem Umfeld umkreisend, nähert sich Linn Ullmann der eigentlichen Geschichte: Familien, die ihre Schwierigkeiten miteinander haben aber nicht darüber sprechen.

Verwirrend die Vielzahl von Personen, die nach und nach wie auf einer Bühne erscheinen. Als umkreiste sie eine Kamera treten sie aus dem Schatten der Erzählung und fügen sich in das Gesamtgeschehen ein. Man tut sich zunächst schwer, den Faden der Geschichte nicht zu verlieren. Spiegelt sich darin die Unfähigkeit auch der handelnden Personen, in Kontakt miteinander zu treten und zu bleiben? Ein Familiendrama mit Toten und Geheimnissen spielt sich ab, das in seiner Ausweglosigkeit schwer erträglich bleibt.

Geheimnisvoll bis zuletzt reflektiert Linn Ullmann die Einsamkeit der Betroffenen und ihre Unfähigkeit, sich einander zu offenbaren. Getragen von düsteren und unterschwellig verborgenen Gedanken und Gefühlen durchlebt man mit der Familie die Abgründe, die sich zwischen Menschen auftun können. Ein schwermütiges und anrührendes Geschehen spielt sich ab, das die Spannung bis zuletzt nicht verliert.

Linn Ullmann ist die Tochter des bekannten verstorbenen schwedischen Regisseurs Ingmar Bergmann und der Schauspielerin Liv Ullmann.

Von ihrem Vater mag sie den tiefenscharfen Blick hinter die Kulissen menschlichen Seins mitbekommen zu haben.

Linn Ullmann
Das Verschwiegene
352 Seiten, gebunden
Luchterhand Literaturverlag, April 2013
ISBN-10: 3630874096
ISBN-13: 978-3630874098
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Tomi Ungerer: Der Nebelmann

Tomi Ungerer: Der Nebelmann

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Und immer wieder Neues von Tomi Ungerer…

Mit seiner klaren Sprache und mit Geschichten, die zu Herzen gehen, hat Tomi Ungerer schon viele Kinder- und Erwachsenenherzen erfreut!

„Der Nebelmann“ ist wieder einmal eine dieser Geschichten: einfach strukturiert und mit wunderbaren Bildern versehen erzählt T. Ungerer von zwei Kindern, die mit ihren Eltern hoch im Norden Irlands am Meer wohnen.

Finn und Cara sind Bruder und Schwester. Sie hüten die Lämmer auf der Weide. Ihre Eltern gehen der Hauswirtschaft und dem Fischen nach. Mützen und Schals weisen auf die Kälte hin, die zu der kühlen Landschaft gehören. Pferd und Kuh, Schwein, Katze und Hund gehören auch dazu. Am Abend versammeln sich die Kinder mit ihren Eltern in der warmen Stube. Man liest, strickt und plaudert zusammen. Es ist richtig gemütlich!

Die Bilder zeigen eine karge Landschaft mit Felsen, wenig Grün und dem unendlichen grauen Meer.

Natürlich gehört zu dieser Geschichte auch ein ungewöhnliches Abenteuer. Der Vater hat den Kindern ein Boot gebaut, mit dem sie sich aber nicht so weit vom Ufer entfernen sollen. Er warnt sie vor dem Nebelmann, der draußen auf einem schmalen Stein im Meer sein Unwesen treibt.

Wie es das Schicksal so will, geraten die Kinder eines Tages bei einem ihrer Ausflüge aufs Meer hinaus und verirren sich auf die gefährliche Insel. Die Abenteuer, die sie da erleben, bleiben ihr Geheimnis, welches wir auch hier nicht verraten wollen.

Mit den gedämpften Farben, mit denen T. Ungerer die Menschen, die Landschaft, Haustiere und Vögel malt, zeigt er uns eine stille und ruhige Welt. In ihr ist alles überschaubar und schlicht. Doch mit dem Gesichtsausdruck seiner Figuren kann er Freude, Unglück, Sorge und Überraschung ausdrücken. Mit einer heiteren Fischergesellschaft wird das Glück vermittelt, das die wohlbehaltene Heimkehr der Kinder aus Seenot für alle bedeutet. Hier ist die Welt noch voller Zauber und Überraschungen, die der Nebelmann in das geheimnisvoll entlegene Land bringt.

Wie immer kann man Ungerer als Kinderbuch feiern, an dem doch auch die Erwachsenen ihre Freude haben.

Tomi Ungerer
Der Nebelmann
44 Seiten, gebunden
Diogenes; September 2012
ISBN-10: 3257011342
ISBN-13: 978-3257011340
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Brian Deleeuw: Der Andere

Brian Deleeuw: Der Andere

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Um es gleich vorweg zu sagen: Der Klappentext ist das spannendste an dem ganzen Buch. Und er hielt immerhin bis Seite 100 bei mir. Dann ging es nicht mehr, was bei mir schon etwas heißen will. Doch worum geht es in dem Roman?

Der sechsjährige Luke erfindet sich im Geiste einen Freund. Die Scheidung seiner Eltern und die Depressionen seiner Mutter sind nicht ganz unschuldig an der Entstehung dieses Freundes Daniel. Der Leser erfährt das Wachsen einer gespaltenen Persönlichkeit. Als Luke ist er ein braver Junge, wie ihn die Eltern lieben. Als Daniel hingegen wird er zum Fiesling. Das soll laut Klappentext schrecklich sein. Im Roman stachelt Daniel Luke etwa an, seinen Hund zu töten. Aber dieses wirklich Böse geschieht erst jenseits von 75 Seiten. Bis dahin herrschten jede Menge Verwirrung und immer wieder die Fragen: Was soll hier geschehen? Worauf soll der Roman hinauslaufen? Welches Ziel hat der „gute“ Luke? Will er seinen Insider wieder loswerden? Will er ihn pflegen?

Der Erzähler, den der Autor gewählt hat, ist ein Wagnis, ein Experiment. Es hat nicht funktioniert. Die Geschichte wird aus der Sicht der gespaltenen Person Daniel erzählt. Es wirkt eigenartig, wenn Daniel von Luke erzählt, den er dabei beobachtet, wie er etwas macht. Schließlich steckt Daniel in demselben Körper wie Luke. Das klingt dann etwa so: „Ich stieß mit dem Fuß unverhofft gegen das Sofa. Das tat sehr weh. Als Luke auf mich zukam, sah ich, dass er einen geschwollenen, dunkelroten Zeh hatte.“ Das ist sehr ermüdend. Außerdem passiert während alledem nicht viel, sodass auch die Handlung keine Spannung hergibt. Auf Seite 92 beginnt der zweite Teil des Buches, zwölf Jahre später, den ich in der Hoffnung zu lesen begann, dass es jetzt spannend würde. Aber meine Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Schade.

Thriller ist etwas anderes.

Deleeuw, Brian
Der Andere
Übersetzt von Ulrike Clewing
352 Seiten, broschiert
Knaur, München
ISBN-10: 3426503875
ISBN-13: 978-3426503874

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012
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Gian Domenico Borasio: Über das Sterben

Gian Domenico Borasio: Über das Sterben

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Sterben und sterben lassen…

Ein Vielzahl von Besprechungen zu diesem  Buch zeigt das hohe Interesse am Thema „Sterben“. Wussten wir doch über lange Zeit nicht, wie und ob man überhaupt an das Thema herangehen sollte.

Mit der von Cicely Saunders in den sechziger Jahren ins Leben gerufenen Hospizbewegung in England begann sich im Leben der Menschen das Sterben zu verändern. Nicht mehr abgeschoben in entlegenen Räumen wie über lange Jahre üblich sollte der Tod stattfinden, sondern in freundlicher Umgebung und von liebevollen Menschen betreut wollte man das Lebensende erleichtern helfen.

Inzwischen hat sich die Hospizbewegung weiter verbreitet. In vielen Ländern gibt es Hospize, in denen der Mensch seinen Bedürfnissen gemäß im Endstadium des Lebens seinem Tod entgegen gehen darf. Parallel zur Hospizbewegung entwickelte sich die Palliativmedizin, eine das Sterben begleitende und erleichternde Medizin.  In zahlreichen Krankenhäusern gibt es inzwischen Palliativstationen, wo dem Sterbenden in seinem letzten Lebensabschnitt mit den zuweilen erbärmlichen Qualen Erleichterung geboten wird.

Gian Domenico Borasio ist einer von vielen Palliativmedizinern, der mit seinem hier vorliegenden Bericht über das Sterben sachlich, nüchtern und doch mit viel Empathie Auskunft gibt. Sein Werk ist nach Kapiteln geordnet, in denen medizinische,  sozialpsychologische und rechtliche Fragen angesprochen werden.

Borasio bringt eine gut strukturierte Zusammenfassung der Bedingungen, die Voraussetzung für einen sanften Tod sein können.

Nach seiner Auffassung gibt es einmal den rein physiologischen Vorgang des Sterbens. Es gibt aber darüber hinaus die viel bedeutenderen Aspekte des mental-gefühlsmäßigen Eingehens auf die Bedürfnisse des Sterbenden. Hier setzt Borasio an und zählt die vielen Möglichkeiten der Sterbebegleitung auf. Dazu gehört die menschlich-einfühlsame Gesprächshilfe des Arztes oder Hospizhelfers, zu der selbstverständlich ganz vordringlich die Medikamentenversorgung bei den vielfältig auftretenden Beschwerden eines Sterbenden gehört. Insbesondere die Angst- und Schmerzbekämpfung steht hier im Vordergrund des Interesses.

Tabus über das Sterben gibt es immer noch in einer unübersehbaren Vielzahl von Fällen. Diese zu beseitigen und das Gespräch mit dem Sterbenden und auch den Angehörigen zu ermöglichen gehört zu den Anliegen Borasios.

Wenn man das Buch gelesen hat, wünscht man sich sehr, dass man die entsprechenden Hilfen und Möglichkeiten für sich nutzen könnte. Doch gibt es nach wie vor nicht genügend Anlaufstellen für das letzte Stadium des Lebens, dem wir unweigerlich alle entgegen gehen.

Gian Domenico Borasio leistet mit seinem Buch einen wichtigen Schritt in Richtung Aufklärung über das individuelle Sterben und die damit verbundenen Voraussetzung für einen guten Tod. Mögen es viele Mediziner, Politiker und Betroffene lesen, damit jeder von uns in Würde und Frieden sterben darf.

Gian Domenico Borasio
Über das Sterben
207 Seiten, gebunden
C.H. Beck, 8. Auflage April 2012
ISBN-10: 3406617085
ISBN-13: 978-3406617089
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Milena Michiko Flasar: Ich nannte ihn Krawatte

Milena Michiko Flasar: Ich nannte ihn Krawatte

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Fremd in der eigenen Haut.

Geheimnisvoll und beunruhigend beginnt der vorliegende Roman von Milena M. Flasar, der uns in die Weisheit, das Leben und die Mentalität japanischen Lebens einführt.

Jeder kennt die Bilder der schweigenden Duldsamkeit, mit denen Japaner Naturkatastrophen und das bekannte Atomunglück in Fukushima hingenommen haben.

Hier begegnen wir zwei Männern, der eine jung, der andere alt, die sich täglich auf einer Parkbank begegnen. Sie schweigen. Erst nach und nach beginnen sie in wenigen Worten, später auch Sätzen, ein Gespräch mit einander.

Wie sind sie in ihre jetzige Lage gekommen?

Zwei Gescheiterte scheinen sich hier einander anzunähern. Stumm und in ihren eigenen Gedanken gefangen erfährt man erst allmählich von ihrem Schicksal. Mit assoziativen Einfällen und langsam sich öffnenden Herzen erfahren die beiden Männer, wie sie an den Rand der Gesellschaft geraten sind. Bei dem einen war der Tod eines Mitschülers die schockierende Ursache, beim anderen der Verlust der Arbeitsstelle.

Ohara Tetsu unterbricht als erster das lange Schweigen. Sein Gegenüber ist Taguchi Hiro. Letzterer ist ein verstörter Schüler, der die Schule abgebrochen hat und sein Leben in der Höhle seines Zimmers fristet. Hikikomori heißen diese Schüler, die der Welt den Rücken kehren und sich im Elternhaus verstecken. Sie bilden eine schwere Prüfung für Väter und Mütter, die nach außen den Schein wahren möchten und von einer langen „Auslandreise“ sprechen, wenn Angehörige oder Nachbarn nach dem Verschwundenen fragen.

Der „Salaryman“, ein ehemaliger Firmenangestellter, zeichnet sich durch korrekte Arbeitskleidung und eine Krawatte aus. Seine Frau soll nicht wissen, dass er arbeitslos geworden ist. Er ist ein liebevoller Ehemann, der jedoch dem Leistungsdruck der nachrückenden jüngeren Generation in der Firma nicht mehr gewachsen war.

Man weiß, dass Japaner in der Tat schweigsam sind, höflich und korrekt. Diese Männer, der alte und der junge, klagen und zetern nicht: sie nehmen stillschweigend ihr Unglück hin, dass jeden von ihnen zum einsamen Außenseiter gemacht hat. Erst allmählich lösen sich die Zungen, und die trostlosen Erfahrungen, von denen man hört, wollen schier kein Ende nehmen.

Der Leser bekommt ein Bild von dem Arbeitsdruck in den Firmen und erfährt von der öffentlichen Schande, die das Herausfallen aus allen Lebensmustern mit sich bringt. Geheimnisvoll und vielsagend beschreibt die Autorin, wie die beiden Außenseiter Konfliktsituationen und Schicksalsschläge vergeblich in den Griff zu bekommen trachten. Vor uns breitet sich ein fremde Mentalität und innere Verschlossenheit aus.

Besinnlich, nachdenklich und zart gesponnen entwickelt die Autorin ihren Romanstoff, der doch einen Teil japanischer Realität widerspiegelt.

Die Geschichten der beiden Hauptprotagonisten verdichten sich zu einer empfindsamen und traurigen Erzählung, in der sehr viel inneres Leid steckt. Mit poetischen Bildern untermauert M. M. Flasar noch die äußere Schönheit der Welt mit dem inneren Zerfall der Unglücksraben.

Eine stille, ruhige  und nachdenklich gestaltete Erzählung erwartet den Leser, der auf diese Weise ein Bild vom japanischen Leben bekommt.

Milena Michiko Flasar
Ich nannte ihn Krawatte
144 Seiten, gebunden
Verlag Klaus Wagenbach, Januar 2012
ISBN-10: 380313241X
ISBN-13: 978-3803132413
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Walter Kappacher: Land der roten Steine

Walter Kappacher: Land der roten Steine

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Es ist eine weite Reise. Er hat den Ort ganz bewusst gewählt. Das „Land Of Standing Rocks“ in den USA. Hier im Canyonland findet der Arzt aus Bad Gastein im Salzburger Land, was er sucht. Einsamkeit und Stille. Ruhe zum Nachdenken. Auch wenn er nicht allein unterwegs ist, sondern mit Everett Kish, dem Fahrer des Geländewagens. Aber Kish ist eher einer, der viel schweigt.

Michael Wessely findet, was er sucht. Die Bilder, die er sieht, die einzigartigen Landschaften, werden im Buch sehr malerisch beschrieben. Die Faszination entsteht durch das, was zu sehen ist, und die nicht von Grenzen behinderten Gedanken, die dadurch assoziiert werden und die Erinnerungen, keine Grübeleien. Er versucht Klarheit zu gewinnen durch den weiten und von allem losgelösten Blick in die Landschaft. Der Alltag ist weit weg, Zeit ist bedeutungslos. Und Wessely kann sich kaum vorstellen, dass nach dieser Expedition daheim alles so sein wird wie vorher. Man muss doch einfach nach so einer zutiefst berührenden Reise ein anderer Mensch sein.

Tatsächlich ist es eher der Lauf der Dinge, der Veränderungen mit sich bringt. Seine Eltern leben nicht mehr und auch die Mutter seiner Tochter ist verstorben. Die Praxis wird geschlossen. Die Verantwortung für die Patienten wird abgegeben. Wessely geht in Pension. Es beginnt unaufhaltsam ein neuer Lebensabschnitt, dem man er sich anpassen muss, es ist der letzte. Der alte Mann fragt sich, was er nun machen soll mit der freien Zeit. Was wird mit dem viel zu großen Elternhaus, dem leer stehenden Hotel seiner Eltern. Wird er Tochter und Enkeltochter wiedersehen?

Es ist ein sehr ruhiger, bedenkenswerter Roman, der von Bildern lebt und von Eindrücken. Es geht um Verlust und das was immer bleibt. Es geht darum, für sich zu wissen, was zufrieden macht und wo man hingehört, allen Zweifeln zum Trotz.

Rezensionen von Heike Rau

Walter Kappacher
Land der roten Steine
160 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag
ISBN-10: 3446238611
ISBN-13: 978-3446238619
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