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Juan José Millás: Meine Straße war die Welt

Juan José Millás: Meine Straße war die Welt

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Wachsen aus materieller Armut zum Reichtum der Literatur.

„Wer als kleines Kind gefroren hat, wird für den Rest seines Leben frieren—die Kälte der Kindheit verschwindet nie.“

Diese Worte markieren den Beginn einer Kindheit, die nach Sommern und herrlichen Badetagen am Meer in Valencia zu Ende ging, als die Familie nach Madrid übersiedelte.
Juan, der jüngste Sohn von vier Geschwistern, ist zu dieser Zeit sechs Jahre alt und erlebt den Gegensatz der beiden Städte als schmerzliche und verlustreiche Impression. Das Paradies seiner Kindheit bleibt danach nur mehr sehnsuchtsträchtige Erinnerung. Der kleine Icherzähler Juan lebt in einer Welt voll unheimlicher Wahrnehmungen. Er ist äußerst sensibel und hört genau auf die Zwischentöne, wenn Erwachsenen sprechen. Aus den Andeutungen der Eltern zwischen Zuversicht und negativer Erwartung spürt er im Voraus, dass Madrid kein glücklicher Ort werden würde. Und richtig: die Winter sind hart, kalt und bedrückend. Der Ofen heizt nur ungenügend, und das Wasser rinnt durch Dächer und Wände.
Der Vater ist Erfinder, die Mutter wird als „ Naturgewalt“ geschildert. Nicht immer ging es zwischen den beiden friedlich zu.

Aus der Perspektive des kleinen Jungen erlebt man den Niedergang einer Familie, die sich in Madrid in einem Viertel ansiedelt, das als vornehm deklariert ist, in Wirklichkeit aber zu den ärmlichsten Lebensbedingungen für die wachsende Familie führte.
Der wache Blick führt Juan durch die weiteren Jahre, in denen ein schwächlicher und kränklicher Freund mit dem Spitznamen „Vitaminreich“ ihm aus dem Keller des Hauses, in dem sein Vater einen Lebensmittelladen betreibt, den Blick auf die Straße gestattet; es ist ihre Straße, in der sie Erfahrungen sammeln, und die sie zum Ort ihrer aufregenden und heimlichen Erlebnisse werden lassen. Durch Juans Augen erblickt man die Häuser und Plätze und sieht die Menschen; hier nimmt man an ersten unerlaubten Experimenten und Ausflügen in die weitere Umgebung teil und fühlt sich an die eigene Kinderzeit erinnert.

Aus dem schüchternen Jungen wird schließlich ein Dichter, der oszillierend zwischen Traum, Fantasie und Wirklichkeit seinen ganz eigenen Weg als anerkannter Schriftsteller geht.
In den Therapiestunden bei einer sanften Analytikerin spürt er den Schrecknissen seiner Kindheit nach. Zuletzt erwachsen geworden und in der Realität angekommen, gibt es drastisch- realistische Aussprüche, die zum Schmunzeln verleiten.

Millás bestrickt mit der feinfühligen Wiedergabe frühkindlicher Verwunderungen, Ängste, Hoffnungen und mit seinem ehrlichem Erstaunen über die Welt der Erwachsenen. Selten erlebt man eine so intensive, empfindsame, von Ängsten und skurrilen Fantasien belebte Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit wie in dem autobiographischen Roman von Juan José Millás. Am Ende zeigt sich: wir alle bleiben, wo immer wir sind, der Straße unserer Kindheit verhaftet, in der wir uns überall auf der Welt wieder finden.
Der philosophische Tiefgang der Erzählung ist unübersehbar, ohne die Geschichte dramatisch zu überfrachten. Gelegentlich enden Gedankengänge in einer Leichtigkeit, die den Leser beglücken und uns zeigen, wie reich das Leben ist!
Juan José Millás schreibt anregend, klug, weise und höchst inspirierend. Seine Affinität zu Proust ist unverkennbar. Besser kann man sich einen autobiographischen Roman nicht vorstellen!
Der Autor wurde in Spanien mit höchsten Preisen für sein Werk bedacht.

Juan José Millás
Meine Straße war die Welt
Gebundene Ausgabe: 208 Seiten
Verlag: S. Fischer
ISBN-10: 3100490134
ISBN-13: 978-3100490131

Tiere unserer Heimat

Tiere unserer Heimat

Im Buch wird erzählt wie verschiedene Tierkinder unserer Heimat zur Welt kommen und aufwachsen. Dazu gehören das Kaninchen, das Rehkitz, die junge Schwalbe, die kleine Kröte, das Rebhuhnküken, das kleine Wiesel und viele mehr. Man erfährt, wie der Nachwuchs sich von der Geburt an entwickelt. Man kann also direkt einen Blick in die Kinderstube der Tierfamilien werfen.
In einem Text wird erklärt, was passiert. Ergänzt werden die Informationen mit Fotos. Und diese sind wirklich brillant. So nah kommt man an die Tiere sonst selten heran. Selbst kleinste Details werden sichtbar. Viele der Nahaufnahmen sind einzigartig. Man kann Vogeleltern beim Füttern ihres Nachwuchses beobachten, eine Ringelnatter beim Häuten sehen, eine Rehmutter mit ihrem Kitz betrachten und sehen, wie ein Marienkäfer sich von der Larve zum Käfer entwickelt.
Neben Text und Fotos gibt es zu jedem Tier einen kleine Steckbrief. Man erfährt den wissenschaftlichen Namen, die Klasse, die Größe, das Gewicht und bekommt wichtige Merkmale aufgelistet.
Die schöne Gestaltung macht das Buch zu etwas Besonderen. Fakten werden sehr anschaulich und verständlich in kindgerechter Form präsentiert. Die Fotos haben Bildunterschriften, so dass man erklärt bekommt, was auf den Bildern zu sehen ist oder gerade passiert.
Man lernt eine Menge über Tierkinder unserer Heimat. Um diese Wissen zu festigen, bietet es sich an, das Tierquiz zu machen. Mit im Buch ist auch ein Glossar mit Erklärungen zu einigen etwas schwierigeren Wörtern.
Das Buch anzuschauen, macht sehr viel Spaß. Gerade Kinder im Vor- und Grundschulalter wird es zum Staunen bringen. Aber auch die vorlesenden Eltern werden ihre Freude an dem Buch haben. Es ist für die ganze Familie zu empfehlen.

Rezension von Heike Rau

Tiere unserer Heimat
Die schönsten Bilder junger Tiere
72 Seiten, gebunden
ab 4 Jahren
Ravensburger Buchverlag
ISBN: 978-3473552412
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Bittersüße Heimat

Bittersüße Heimat

Necla Kelek
Bittersüße Heimat
Kiepenheuer & Witsch
ISBN 3462040421

Heutiges Leben in der Türkei.
Bittersüß sind die Erfahrungen, die Necla Kelek auf einer Reise in ihre Heimat macht, in eine von gesellschaftlichen Gegensätzen beherrschte Türkei. Es gibt dort eine alte Kultur, liebenswerte Menschen, gutes Essen, aufgeklärte und gebildete Bürger und herrliche Landstriche, und es gibt daneben barbarische archaische Gesellschaftsstrukturen.
Die politische Vergangenheit zeigt äußerst komplizierte Entwicklungen hin zum heutigen Staat Türkei!

In einem Eingangskapitel philosophiert Necla Kelek über den Begriff von Heimat, den sie dahingehend definiert, dass Heimat da sei, wo man sich verantwortlich fühle. Ein Satz für ihren Neubeginn in Deutschland gipfelt in der Einsicht, dass
„Respekt kein Gehorsam, sondern Achtung vor dem anderen ist, dass Zurückhaltung keine Kälte, sondern Höflichkeit ist.“ Um in Deutschland nicht fremd zu bleiben, hat sie sich mit diesen Begriffen auseinander gesetzt. Sie bilden eine der Grundlagen ihres Demokratieverständnisses.

Ihr Bericht beginnt mit dem Tod ihres sehr geliebten Onkels, der in Ankara beerdigt wird. Der Rahmen seiner Bestattung bietet Einblicke in eine von Traditionen und starkem Familienzusammenhalt geprägte Gesellschaft.

Kelek steigt in ihrem Buch tief in die jüngste türkische Geschichte ein, in der Atatürk als Nationalheld gefeiert wird. Sie kritisiert den heute waltenden türkischen Nationalismus, den unterschiedliche politische Richtungen auf ihre Fahnen geschrieben haben. Diesen Nationalismus mit seinem chauvinistischen Anspruch bezeichnet sie als sinnentleert und überholt. Er passt “ besser zu den noch existierenden Diktaturen in der Welt als in ein demokratisches Europa.“ Argwöhnisch betrachtet sie die Trennung von Staat und Religion, da in der Realität der Islam in der Türkei stark in den Staat hineinwirkt.
Bei ihrer Suche nach einer nach Anatolien entführten Deutsch-Türkin geht Kelek auf den Begriff der Ehre in diesen abgelegenen Landstrichen ein. Die harten Auslegungen des Ehrbegriffs in den östlichen Landesteilen erfahren harsche Kritik. Positives weiß sie über die Arbeit einer Frauenhilfsorganisation Kamer zu berichten, die Frauen bei der Suche nach Recht und Befreiung zur Seite steht.

Necla Kelek gibt mit ihrem fundierten Wissen über den Staat und seine Geschichte und den aus eigenen Erfahrungen bei Reisen ins Landesinnere gewonnenen Eindrücken beredt Auskunft über ihr Land. Es ist von diversen ethnischen Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten geprägt. Das Übergewicht der muslimischen Bevölkerung bestimmt den Alltag, und Familienclans herrschen auch heute noch über ganze Regionen.
Ausführlich sind ihre Studien, genau ihre Beobachtungen und wissenswert ihre Schlussfolgerungen.
Sie ist eine streitbare Frau, der das Land ihrer Herkunft am Herzen liegt. Mit ihrem Buch leistet sie einen gelungenen, nachdenklich stimmenden und kritischen Beitrag zur Aufklärung über die Lage in der heutigen türkischen Gesellschaft.
Necla Kelek ist Türkin von Geburt lebt jedoch seit vierzig Jahren in Deutschland. Hier gehört sie einer emanzipatorischen Bewegung an, die sich der Unterdrückung türkischer Frauen annimmt. Sie ist eine mit vielen Ehrungen ausgezeichnet Sozialwissenschaftlerin und lebt als freie Publizistin in Berlin.

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