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Schlagwort: Liebe

Daniel Schreiber: Allein

Daniel Schreiber: Allein

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Eine Philosophische Abhandlung über das Leben mit seinen zahlreichen Facetten im Zusammen- und Alleinleben.

In den Schriften von Daniel Schreiber geht es darum, wie wir in der Welt verortet sind.
Schon in dem Buch „Zuhause“ ging es um sehr persönliche Fragen dieser Denkrichtung.
In dem jetzt erschienenen Buch „Allein“ stellt der Autor die gleichen Fragen nun aber bezogen auf sein Dasein als Schriftsteller.
Er bezieht Stellung zu seinem Alleinsein und sucht die Gründe für das Leben ohne Liebe oder eine Zweisamkeit. Wie und auf welche Weise lebt man überhaupt in den Beziehungen zu anderen Menschen?

Dass die Liebe und die Gemeinschaft mit anderen unser soziales Leben bestimmen, ist unleugbar.
Nicht jedem aber ist es vergönnt, eine anhaltend gute Beziehung in der Zweisamkeit zu finden.

Für uns Menschen können Freundschaften einen großen Teil sozialer Einsamkeit abdecken. Für seine Freundschaften ist D. Schreiber ausdrücklich dankbar und definiert genau, wo Freundschaften anfangen, und wie es um Bekanntschaften steht, und wie verschieden Beziehungen sein können. Unwillkürlich denkt man an den jungen Pianisten Igor Levit, der in allen Gesprächen betont, wie wichtig ihm Menschen, gute Freunde und Freundinnen sind, auch und gerade in schwierigen Zeiten, wichtiger sogar als die Musik!

Daniel Schreiber entwickelt seine Ideen, in dem er u.a. auf die Aussagen bekannter Schriftsteller und Philosophen zurückgreift. Er bleibt in der Erzählung jedoch bei sich, denn die Reflexion eigener Erfahrungen werden zur Grundlage für seine Theorien über das Alleinsein.

Die Natur als Entdeckung und Horizonterweiterung wird von ihm unglaublich einfühlsam beschrieben. Er war zu einem Literaturaufenthalt in der Schweiz eingeladen. Sehr lustlos hat er die Reise angetreten, um dann in Schnee, Kälte und einsamen Wanderungen die Befreiung seiner Seele zu erleben. Das ist hinreißend geschildert.

In weiten Teilen greift Schreiber die Wochen und Monate der Pandemie auf, um anhand der Lebensformen, die uns alle betreffen, über Isolation und Einsamkeit nachzudenken.

Zwischen den Reflexionen über sein Leben zitiert Schreiber unzählige Autoren und Philosophen, die ihm bei seinen Einsichten Stützpfeiler zur Selbsterkenntnis waren.

Das Buch mit seinen Essays regt zum Nachdenken an. Die Abhandlungen sind intensiv und einprägsam.

Die Denkschrift von Daniel Schreiber ist nicht unterhaltsam. Sie enthält eine Analyse wichtiger Stadien menschlichen Seins im Sozialgefüge menschlichen Zusammenlebens am Beispiel seines eigenen Lebens. Dabei eröffnet sich auch für uns Lesende der Horizont in Richtung Kontemplation und Begreifen. Eine sehr empfehlenswerte und erhellende Studie ist Daniel Schreiber mit seiner Schrift gelungen.

Im Anhang findet man eine lange Liste zitierter Schriften und Autoren.

Daniel Schreiber
Allein
Hanser Berlin, 6. Auflage September 2021
160 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3446267921
ISBN-13: 978-3446267923
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Elizabeth Strout: Oh William!

Elizabeth Strout: Oh William!

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Wieder geht es in diesem Roman um Lucy Barton, die schon aus einigen früheren Romanen bekannt ist.

Heute ist sie schon fortgeschrittenen Alters.
Ihr zweiter Mann David ist tot, und sie lebt alleine.
Zu William, ihrem ersten Mann, einem Biologieprofessor, hat sie den Kontakt nie verloren.

In kurzen Episoden erinnert sie sich an das Leben, das sie als glückliche Familie mit ihren zwei Töchtern und William einst gelebt hat.
Wir erfahren, warum sie ihn verließ, und wir hören, wie innig ihre Beziehung zu ihren Töchtern ist, die inzwischen längst verheiratet sind, und an deren Leben sie lebhaft Anteil nimmt.

Inzwischen ist Lucy eine gefeierte Schriftstellerin.
Sie ist eine sehr gefühlvolle Frau, die gute wie schlechte Zeiten in ihrem Leben erlebt hat.
Die Nähe und das Heimatgefühl, das sie bei William immer gefühlt hat, das hat sie nie vergessen.
Die beiden sind Freunde fürs Leben geworden. In schwierigen Momenten suchen sie immer Kontakt zu einander. Jetzt ist es so weit: auch Williams dritte Frau hat ihn verlassen.
Die Sprache, die die Eheleute mit einander sprechen, lässt auf eine tiefe Vertrautheit schließen.

Elizabeth Strout hat die besondere Gabe, sich ihren Figuren mit sehr viel innerer Wärme zu nähern und auf diese Weise den Leser*in ganz in den Bann ihrer Erzählung zu schlagen.
Sie ist den beiden Hauptprotagonisten so nah, dass man fast meint, es hier mit einer Biographie zu tun zu haben.

Der Roman ist ein wenig episodenhaft aufgebaut. So hört man einmal, wie es früher war, um dann wieder im Heute anzukommen. Es sind die feinen kleinen Details, die uns immer wieder begeistern.
Die Nachbarn, Freunde, das tägliche Leben oder auch Landschaftseindrücke: wir dürfen an allem teilnehmen.

Strouts Protagonistin Lucy, die in der Ichform erzählt, ist ausgesprochen reflektiert in ihren Überlegungen; dass sie aus sehr armseligen und lieblosen Verhältnissen stammt, kann man fast nicht glauben. Ihre traurige Kindheit und Williams liebevolle Mutter, die allerdings ein Geheimnis mit sich trägt, sind ebenso Gegenstand der Erzählung, wie die momentanen Gefühlszustände ihrer Hauptpersonen: Lucy und William.
Ein ganzes Leben mit Höhen und Tiefen erschließt sich vor dem Auge des Lesers/ Leserin.

Da allgemeine Lebenserfahrungen zur Sprache kommen, lassen sich Parallelen zum Leben des/der Lesenden durchaus herstellen. Tiefe Erkenntnisse und Einsichten bringen uns immer wieder zum Nachdenken.

Weisheit bietet das Ende des Romans, in dem es heißt: „Wir sind alle gleich unerforschlich. Das ist die einzige wirkliche Wahrheit, deren bin ich mir ganz sicher.“

Elizabeth Strout ist eine Meisterin der Innenschau, der psychologischen Beobachtung und der unendlichen Suche nach dem Kern der Wahrheit unseres Selbst. Sie spürt feinste Unterschiede zwischen den Charakteren ihrer Hauptfiguren auf und blickt mit überzeugender Menschenkenntnis hinter die nach außen gezeigten Fassaden.

Ihr Roman gehört zu den Büchern, die man nicht aus der Hand legen will.

Elizabeth Strout lebt in Maine und in New York City.

Elizabeth Strout
Oh William!
Luchterhand Literaturverlag, November 2021
224 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3630875300
ISBN-13: 978-3630875309
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Éliette Abécassis: Mit uns wäre es anders gewesen

Éliette Abécassis: Mit uns wäre es anders gewesen

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Zwei junge Menschen, Amélie und Vincent, treffen sich an der Sorbonne, als sie sich für das nächste Semester einschreiben wollen. Später geht man als Grüppchen noch in ein Café.

Vincent und Amélie verplaudern die ganze Nacht, in der sie sich über ihre Herkunft, die Zukunftswünsche und ihre Träume unterhalten. Sie erfahren viel über sich aber nicht genug.

Bald ist klar, dass sie sich verliebt haben. Ein nächstes Treffen wird vereinbart. Und dann passiert eine Schicksalswende: sie verpassen sich!

Das Leben geht weiter. Im großen Abständen begegnen sie sich wieder. Sie hat innerlich an ihm festgehalten, während er inzwischen verheiratet ist und zwei Kinder hat. Auch Amélie findet einen Mann, von dem sie glaubt, er könnte der Richtige sein. Nach der Geburt ihrer Kinder aber tut sich eine Leere auf, die am Ende zur Scheidung führt. Bei den Kindern merken beide erst, wie sehr sie lieben können, während ihre Ehen im Alltag und in der Gleichgültigkeit versinken.

Die Jahre gehen ins Land. Nach dreißig Jahren und vielen Zwischenstationen auf ihren Lebenswegen begegnen sich die beiden wieder. Sie empfinden großes Glück miteinander!

Éliette Abécassis hat einen bezaubernden Roman geschrieben. Die Atmosphäre des Studentenlebens ist wunderbar eingefangen. Es ist das Glück des Neubeginns, der jugendlichen Freiheit und die Neugier auf das Leben, die uns die Autorin vermittelt.

Amélie ist die zarte, empfindsame und von Selbstzweifeln geplagte Frau, die sich nach dem großen Glück sehnt. Es hat lange gedauert, bis sie sich zu einer ersten Ehe entschlossen hatte.

Der Leser*in lässt sich vom Leben in der Pariser Gesellschaft beeindrucken und empfindet mit, wie locker und frei Begegnungen und Feiern ablaufen.

Das Entscheidende an dieser Erzählung aber ist die unterschwellige Spannung und der Charme, mit der die Liebe zwischen zwei Menschen bestehen bleibt und erst nach vielen Wirren, Enttäuschungen und zerplatzten Lebensträumen noch einmal neu aufflammt. Oder ist sie nie erloschen?

Ich war hingerissen, weil es den Leser zuerst in die Welt der Jugend mitnimmt und neben der Leichtigkeit die Tragik nie weit ist. Auch alles Folgende ist besonders reizvoll, weil eine immerwährende Sehnsucht nach der einen großen Liebe spürbar bleibt.

Menschwerdung und Menschsein zeigt sich facettenreich und getragen von Sehnsüchten, die dem Menschen eigen sind. Irrtümer können unerwartete Wendungen herbeiführen, und das Schicksal und der Zufall spielen mit. Verletzungen, die Partner sich zufügen können, werden ebenfalls in den Focus genommen.

Wer am Ende zu wem findet, und ob es das vollkommene Glück überhaupt gibt, das bleibt hier die Frage.

Auf jeden Fall ist die Geschichte lesenswert, weil sie mit der lockeren, flotten Erzählweise, die nicht der Tiefe entbehrt und uns keine schöne Welt vorgaukelt, besonders gut getroffen ist.

Das Büchlein liest sich leicht, ist spannend und anregend bis zur letzten Seite und verspricht anhaltendes Lesevergnügen.

Éliette Abécassis
Mit uns wäre es anders gewesen
144 Seiten, gebunden
Arche Literatur Verlag, Juli 2021
ISBN-10: 3716027979
ISBN-13: 978-3716027974
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Alex Schulman: Die Überlebenden

Alex Schulman: Die Überlebenden

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Drei erwachsen gewordene Brüder begegnen sich nach zwanzig Jahren im Sommerhaus der Eltern, um die Asche der Mutter zu verstreuen. Es ist ein altes Haus, morsch z.T., in einer idyllisch gelegenen Gegend an einem See nicht weit von Stockholm entfernt. In wechselnden Szenen erlebt man die Geschwister einmal in ihrer Kindheit und dann wieder im Heute mit der Urne der Mutter.

Der Autor Alex Schulmann malt ein düsteres Bild sowohl von heute als auch von damals.
Die Atmosphäre ist beklemmend. Die Eltern sitzen und trinken, sie trinken sehr viel, sie essen und schlafen.
Dazwischen wechseln die Brüder vom Spielen oder Schwimmen in die Nähe der Eltern oder in den nahegelegenen Wald.

Ganz unmerklich schälen sich die Charaktere heraus.
Nils ist der Älteste. Er ist klug und steht innerlich und äußerlich oft abseits.
Benjamin ist 9 und Pierre 7 Jahre alt.
Benjamin scheint sensibel und still beobachtend. Man ahnt, wie intensiv er Stimmungen und laute Unstimmigkeiten registriert. Aus seinen Beobachtungen wird die Erzählung gespeist.
Pierre wirkt in der Darstellung ängstlich, klein und eher verzagt.
Glücklich wirkt die Kindheit dieser drei Brüder nicht.
Man spürt, dass in diesem Elternhaus vieles ungesagt bleibt und ein eisernes Schweigen herrscht.
Benjamin, der Sensible, neigt zu Vorstellungen, in denen er die Wirklichkeit nicht mit der Einbildung vereinbaren kann.

Man erfährt nichts über den Alltag der einzelnen Familienmitglieder und von ihrem Leben in Stockholm. An einer Stelle wird vermerkt, dass die Kinder in einem „Oberklassenhaushalt“ aufgewachsen sind. Dass sie am Rande des Existenzminimums lebten, an einer anderen. Für die akademische Ausbildung scheint kein großer Aufwand getrieben worden zu sein. Der Leser*in merkt, dass über der Familie ein unbekanntes Unheil schwelt.

Alex Schulman konstruiert seine Geschichte so ausgefeilt, dass eine schwer zu ertragende Spannung entsteht. Warum machen die Eltern einen recht verwahrlosten Eindruck? Welche Dynamik besteht zwischen der äußeren Lebensform und der inneren seelischen Unausgeglichenheit?

Langsam und unmerklich nähert man sich einem Ereignis, dass ungeahnte Folgen für alle hatte. Alex Schulman hält uns ganz lange im Ungewissen, bis wir uns dem eigentlichen tragischen Geschehen nähern.

Es handelt sich in diesem Roman um die Sozialstudie einer Familie, deren Regeln ungeordnet und fahrlässig von den Eltern bestimmt werden, und die die Kinder in Einsamkeit und Verlustgefühle treiben. Angst und Unbehagen ist aus allen Handlungen zu spüren immer im Wechsel mit dem Bemühen, Liebe und Zuwendung von den Eltern zu erfahren.

Der Stil der Erzählung schwankt zwischen fast protokollartigen Berichten bis zu unregelmäßigen Gefühlsausbrüchen der Mutter und unverhofft auftretenden Wutausbrüchen des Vaters. Ein jeder lässt hier jeden allein.
Zusammenhalt zwischen den Brüdern gibt es, wenn dieser auch zerbrechlich ist.
Am Ende sind sie im Unglück vereint.

Die raue Natur, die Schönheit der Bäume, Pflanzen und der See bilden einen wunderbaren Hintergrund zu dem Familiendrama. Es ist ein lesenswerter Roman, voller Tiefe und intensiver Innenbetrachtung eines zerrütteten Familienlebens mit einem überraschenden Ende.

Alex Schulman
Die Überlenden
dtv Verlagsgesellschaft, August 2021
304 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3423282932
ISBN-13: 978-3423282932
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Eva Fellner: Die Highlanderin

Eva Fellner: Die Highlanderin

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Enja ist eine Auserwählte. Doch ihren geheimnisvollen Bestimmungsort erreicht die kleine Isländerin nicht. Das Schiff hält einem Unwetter nicht stand. Enja kann sich retten, doch sie verliert ihre Mutter, die mit ihr gekommen war. Sie gerät in die Hände von Menschenhändlern und wird in den Orient gebracht und verkauft. Stets denkt sie an Flucht und so steht ihr eine wechselhafte Zukunft bevor.

Enja wird im Laufe der Jahre zur Assassinin und Heilerin ausgebildet, bevor sie nach Schottland kommt und auf Caerleverock Castle ein Zuhause findet. Sie verfügt also schon als junge Frau über eine außergewöhnliche Ausbildung, die sie auch dringend benötigt, denn es herrscht Krieg. Die schottischen Clans kämpfen für ihre Unabhängigkeit. Bei einem Kampf wird Enja schwer verletzt. Der charismatische Clanführer James Douglas wird zu ihrem Retter. Als sie sich eines Tages revanchieren will, setzt sie viel aufs Spiel.

Die Geschichte ist wundervoll erzählt. Die Autorin bedient sich einer gefühlvollen, bildhaften und perfekt ausformulierten Sprache. Das erzeugt einen harmonischen Lesefluss.

Dennoch verlangt das Buch eine besondere Aufmerksamkeit, denn es werden verschiedene Zeitabschnitte aus Enjas Leben dargestellt. Die Handlungsstränge wechseln oftmals abrupt. Kaum hat man sich auf die eben erzählte Handlung eingestellt, erfolgt ein Blick in die Vergangenheit oder etwas bereits Begonnenes wird fortgesetzt. Man muss also stets die Jahreszahlen, die am Anfang eines neuen Abschnitts aufgeführt sind, im Blick behalten und schnell umschalten können.

Dazu kommen die Perspektivwechsel. Enja ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Ein Teil der Handlung wird aus ihrer Sicht erzählt, sodass es möglich ist, ihr etwas näherzukommen und ihre Motivation zu erkunden. Sie ist eine starke Frau, die ihre Emotionen jedoch vor anderen zu verbergen versucht. Dennoch verliebt sie sich in James Douglas. Viel Raum wird dieser Liebe jedoch vorerst nicht gewährt.

Der Roman wird mitten in der Handlung abgebrochen. Das ist sehr schade. Ein gewisser abgeschlossener Rahmen wäre dann doch schön gewesen. Nun heißt es, auf die Fortsetzung zu warten.

Rezension von Heike Rau

Eva Fellner
Die Highlanderin
505 Seiten, broschiert
Aufbau Taschenbuch, Mai 2021
ISBN-10: 3746638291
ISBN-13: 978-3746638294
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Philippa Gregory: Gezeitenland

Philippa Gregory: Gezeitenland

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1648. Die junge Kräuterfrau Alinor Reekie, die mit ihren zwei Kindern Rob und Alys in ärmsten Verhältnissen am Wattenmeer in der Grafschaft Sussex lebt, hat sich am Mittsommerabend auf dem kleinen Friedhof eingefunden. Sie hofft, auf den Geist ihres verschollenen Mannes zu treffen. Hätte sie Gewissheit, dass er tot ist, wäre sie eine Witwe und frei.

Stattdessen trifft sie im unheimlichen Mondlicht auf einen lebenden Menschen. Der junge Mann stellt sich als Pater James vor. Er gibt vor, auf einer geheimen Mission zu sein. Sie gewährt ihm schließlich Unterschlupf im Netzschuppen und hilft ihm am nächsten Tag, einen Kontakt zu knüpfen. Für ihr Schweigen wird sie bezahlt. Als sich die beiden verabschieden, ist eine unerklärliche Wehmut zu spüren.

Als Alinor ihm in der Kapelle erneut begegnet, ist er in die Gemeinde integriert. Niemand im Dorf kennt seine wahre Identität. Alinor und James sollten sich fern voneinander halten und können es doch nicht. Alinor weiß, wie schnell Gerüchte entstehen und wie gefährlich das ist. Als Kräuterkundige und Hebamme hat sie einen Ruf zu verlieren. So mancher glaubt, in ihr eine Hexe zu sehen.

Erzählt wird eine spannende Liebesgeschichte vor einem historischen Hintergrund. Pater James spielt ein falsches Spiel. Niemand darf wissen, in wessen Auftrag er unterwegs ist und dass er dazu berufen ist, den König zu befreien, dem eine Anklage wegen Hochverrats droht. Und so konzentriert sich die Handlung zunächst zum größten Teil auf Alinor, die trotz ihrer Armut eine sehr beeindruckende Persönlichkeit ist. Dass sie Unterstützung haben muss, bleibt jedoch nicht verborgen. Missgunst und Neid schlagen ihr entgegen. Diese Stimmen werden lauter.

Das harte Alltagsleben von Alinor wird sehr ausführlich beschrieben. Es ist ein beschwerlicher Kampf um das tägliche Brot. Doch trotz der widrigen Umstände verliert sie nie die Hoffnung. Sie lebt mit den Gezeiten. Beeindruckend bildgewaltig ist die Natur mit in die Handlung eingebunden.

Der flüssige Schreibstil der Autorin ist sehr angenehm zu lesen. Sie bedient sich einer ausgefeilten Sprache. Die Geschichte von Alinor und James ist faszinierend und das Ende an Dramatik kaum zu übertreffen.

Rezension von Heike Rau

Philippa Gregory
Gezeitenland
544 Seiten, Klappenbroschur
Knaur, April 2021
ISBN-10: 342622724X
ISBN-13: 978-3426227244
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Alexandra Kui: Trügerischer Sog

Alexandra Kui: Trügerischer Sog

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Die Begeisterung hält sich in Grenzen, als die Klasse erfährt, was sich ihre Lehrerin Frau Hoppe für sie ausgedacht hat. Es ist eine Klassenreise auf die Nordseeinsel Maroog. Hier werden die Schüler ziemlich abgeschnitten von der Außenwelt und ohne Internet sein. Frau Hoppe hofft, dass das ausufernde Mobbing ein Ende haben wird, wenn die Jugendliche zusammenrücken müssen.

Sara hat in der Klasse das Sagen. Für sie ist die Schule der „Friedhof der Namenlosen“. Sie entscheidet, wer zu ihrem Freundeskreis gehört. Die Namenlosen sind abgeschrieben, so wie Kim. Sarah merkt nicht, dass er sie mag.

Kaum sind die Schüler auf der kleinen Nordseeinsel angekommen, wird ihnen von Frau Hoppe und ihrem Kollegen Magnus Jensen ein Projekt vorgestellt, dem sie sich widmen sollen. Es gibt hier nämlich einen echten„Friedhof der Namenlosen“, der allerdings nach einem Sturm in sehr schlechtem Zustand ist.

Die Probleme sind nicht auf dem Festland geblieben. Doch mit Sara passiert etwas. Bei einer Begegnung mit Pferden kann jeder sehen, dass sie kaum beherrschbare Angst vor den Tieren hat. Das schadet ihrem Ansehen und ihrem Selbstbewusstsein. Ohnehin gehen die Machtkämpfe bald nicht mehr immer zu ihren Gunsten aus. Dennoch setzt sie ihre Tyrannei fort und teilt aus, wann immer sie kann.

Der eher zurückhaltende Kim beobachtet Sara genau. Er glaubt sogar, sie ein Stück weit zu durchschauen. Und er möchte, dass sie sich ändert. Er holt die anderen Namenlosen seiner Klasse mit ins Boot. Sie sind begeistert von seinen Plänen. Doch was dann passiert, war von ihm nicht gewollt.

Die Geschichte wird abwechseln aus der Sicht von Sara und Kim erzählt. Das ist bedeutsam, denn um sich eine Meinung bilden zu können, muss man nun einmal von zwei Seiten auf das Geschehen blicken können. Die Ich-Perspektive lässt einen tiefen Blick auf die Gefühle von Sara und Kim zu, während die anderen Schüler die Lage nur nach dem äußeren Schein bewerten können.

Es geht in diesem spannenden Jugendroman also um Mobbing, die Gründe dafür und die Möglichkeiten, dem etwas entgegenzusetzen. Die Autorin lässt den Leser im Buch hinter die Kulissen blicken. Es wird gezeigt, wie schwierig eine Konfliktlösung sein kann und dass es dafür unerlässlich ist, die Beweggründe für das Mobbing zu erkennen und einzuordnen.

Rezension von Heike Rau

Alexandra Kui
Trügerischer Sog
320 Seiten, broschiert
ab 14 Jahren
cbj, März 2021
ISBN-10: 3570165949
ISBN-13: 978-3570165942
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Micaela Jary: Das Kino am Jungfernstieg – Der Filmpalast

Micaela Jary: Das Kino am Jungfernstieg – Der Filmpalast

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Lili hat noch immer mit den Folgen ihres Unfalls zu kämpfen. Auch ihr Erinnerungsvermögen ist noch nicht vollständig zurückgekehrt. Sie lebt mit ihrem Mann Albert, der aus dem Krieg heimgekehrt ist, notgedrungen bei der Familie ihrer Halbschwester Hilde. Diese lässt Lili jeden Tag spüren, wie unwillkommen sie ist. Das lässt sich aber, da Wohnungsnot herrscht, momentan nicht ändern. Die Ehe bietet Lili keinen Trost, denn sie und Albert haben nie wirklich zusammengefunden. Es mag auch daran liegen, dass Lili den britischen Filmjournalisten John Fontaine nicht vergessen kann, mit dem sie vor dem Unfall eine Liebesbeziehung hatte.

Lilis Träume sind zerplatzt. Aus ihrem geliebten Kino am Jungfernstieg ist ein Musikclub geworden. Sie weiß, dass Hilde und deren Mann Peter dafür verantwortlich sind. Dass sie weiter ausgenutzt wird, entgeht Lili aber. Sie hat keine Energie, sich um das Erbe der Eltern zu kümmern. Als Frau hätte sie ohnehin kein Mitspracherecht, und so vertraut sie darauf, dass Albert die richtigen Entscheidungen trifft. Auch beruflich schöpft sie ihr Potenzial nicht aus. Sie schneidet keine Filme mehr, sondern die Nachrichten für die Wochenschau.

Das Blatt wendet sich, als Lili John wiedersieht, von dem sie annimmt, dass er mittlerweile mit seiner damaligen Verlobten Catherine Lancaster verheiratet ist. Er ist ebenfalls vom Unfall gezeichnet, hat aber von seiner charismatischen Wirkung nichts verloren. Lili gerät in ein Gefühlschaos und plötzlich ist die Vergangenheit wieder da.
Nach und nach erinnert sie sich wieder an den schweren Unfall und auch an das von ihrer verstorbenen Mutter gehütete Familiengeheimnis.

Micaela Jary unterhält mit ihrem historischen Roman sehr gut. Sie führt den Leser in das im Wiederaufbau befindliche Hamburg der 1950er Jahre, beleuchtet den Alltag und webt die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe dieser Zeit anschaulich mit in die Geschichte ein. Dabei setzt sie auf viele Details. Es ergibt sich gut vorstellbares Bild des Alltagslebens und der Filmszene. Alles wirkt so lebendig, das man meinen könnte, man würde im Kino sitzen. Das Cover des Buches spiegelt diesen Eindruck gut wider.

Lili wird zunächst als recht naiv beschrieben. Sie hat etwas von ihrer Entschlossenheit und Stärke verloren und keine Zukunftspläne. Doch sie gewinnt ihre Tatkraft zurück, als sie wieder beginnt, der Spur des Familiengeheimnisses zu folgen, dessen Aufklärung weitreichende Folgen haben dürfte. Endlich setzt sie sich auch mit ihren widerstrebenden Gefühlen auseinander. Es spielen sich dramatische Szenen ab. Die Spannung steigt. Unerwartete Wendungen spielen hier mit hinein. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen. Es ist eine wirklich gute Fortsetzung des 1. Bandes der Kino-Saga.

Rezension von Heike Rau

Micaela Jary
Das Kino am Jungfernstieg – Der Filmpalast
400 Seiten, Klappenbroschur
Goldmann Verlag, Februar 2021
ISBN-10: 3442488478
ISBN-13: 978-3442488476
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James Baldwin: Giovannis Zimmer

James Baldwin: Giovannis Zimmer

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Es geht in diesem Roman u.a. um Homosexualität, um Liebe und den Rausch, den diese auszulösen vermag.

Ein ratloser junger Mann nimmt eines Tages in New York eine Passage nach Frankreich. Er hat seine Orientierung verloren, da auch sein Vater nach dem Tod seiner Frau seinen inneren Halt verloren zu haben scheint.
In Paris lebt David schlecht und recht von Ersparnissen, die sich bald dem Ende zuneigen.
In einer Bar lernt er Giovanni kennen. Dieser wird zu seinem Schicksal!

Die Atmosphäre im Paris der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bestimmt das Geschehen.
Es ist eine morbide, eine zügellose und doch so anziehende Welt, in die der Amerikaner David fällt. Die nächtlichen Eskapaden mit viel Alkohol und mit der Begegnung ungewöhnlicher Männer und Frauen nimmt ihn gefangen. Sex in einer runtergekommenen und anzüglichen Form legt einen Schleier der Verruchtheit über die Geschichte.
Aller bürgerlichen Tabus beraubt fällt man der ungezügelten Gier nach Lust, Genuss und Ausschweifung zum Opfer.

David ist verlobt und sehnt sich nach bürgerlicher Ordnung. In seiner ungewöhnlichen Liebe zu Giovanni fällt er jedoch aus seinem bisherigen Leben heraus.

James Baldwin wäre nicht der herausragenden Schriftsteller, als der er uns bekannt ist, wenn die Geschichte nicht einen tieferen Sinn hätte. Abgesehen von seiner hinreißenden Sprache mit Bildern, die gelegentlich fast biblisch anmuten, geht es um die Gefühle einer sich verlierenden Generation: Alkohol, Sex, Frauen und Homosexualität spielen ihre Rolle bei der Suche nach der wahren Identität. Es geht um Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung. Im Nachtleben von Paris kommen die Genies und die Versager zusammen.

Als Extrakt der Geschichte möchte man festhalten: wenn man die Unschuld verliert, hat man den Garten Eden verlassen. Man fällt der Fratze der Hässlichkeit, der ungezügelten Gier und Lust anheim, und man schaut in die Grimasse des Betrugs und der Besitzgier.

Zuweilen fühlt man sich beim Lesen abgestoßen von der Darstellung, kann sich aber dem tieferen Sinn der Geschichte nicht entziehen. Alle Schranken sind gefallen, und man lebt nur noch auf der Suche nach Geld, Zeitvertreib und Lustgewinn. Das Verbotene treibt Menschen in immer höhere Sphären der Exzesse bei gleichzeitig zunehmender Düsternis der Gemüter.

Das muss ein tragisches Ende nehmen!

Der erste Verlag von Baldwin lehnte die Veröffentlichung ab und trennte sich von ihm.

Immerhin befinden wir uns in der Mitte der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als gänzlich andere Regeln den Umgang unter den Menschen bestimmten. Es gab noch längst keine auch gesetzlich verankerten Freiheiten, wie wir sie heute im Zusammenleben von Männern und Frauen kennen.

Baldwin lebte von 1924 bis1987. Er war zu seiner Zeit ein vielfach geehrter Schriftsteller und hat sich für Gleichberechtigung im Geschlechterkampf, zwischen arm und reich, Mann und Frau und zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe eingesetzt.

James Baldwin
Giovannis Zimmer
208 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, Februar 2020
ISBN-13: 978-3423282178
ISBN-10: 3423282177
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Nick Hornby: Just Like You

Nick Hornby: Just Like You

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Nick Hornby schreibt über eine Liebesbeziehung, die sicher nicht alltäglich ist.

Wir schreiben das Jahr 2016 in London. In England findet die Abstimmung für oder gegen den Brexit statt, was zu gesellschaftlichen Verwerfungen geführt hat. Freunde und Familien gerieten in Streit über diese Frage. In den Gesprächen im Roman wird der Brexit zum Synonym für eine offene, liberale Gesinnung gegen eine, die engherzig und rückwärts gewandt daherkommt.

Die Erzählung befasst sich mit der Beziehung einer 42 jährigen weißen Lehrerin mit zwei halbwüchsigen Söhnen, die von ihrem Mann getrennt lebt. Sie verliebt ich in einen 22 jährigen Mann schwarzer Hautfarbe, der sie seinerseits wunderbar findet. Sie beschäftigt ihn gelegentlich als Babysitter. Doch dabei soll es nicht bleiben.

Nick Hornby lässt die Geschichte langsam angehen. Er umkreist förmlich sanft die gegenseitige Zuneigung. In langen Dialogen, das Umfeld der beiden mit ausleuchtend, nähert er sich dem Plot, der die Erzählung beherrschen wird. Durch zaghafte Annäherungen gewinnt die Geschichte eine fast erotische Spannung, die den LeserIn ganz in seinen/ ihren Bann zieht.

Die Geschichte beinhaltet ja einen Doppelkonflikt: schwarz gegen weiß und Alter gegen Jugend.

Lucy ist eine gescheite Person, die zwar zunächst Skrupel beschleichen, als sie sich mit Joseph einlässt. Doch ihre Söhne mögen diesen jungen Mann, der so schöne Spiele mit ihnen spielt. Was als Job mit gelegentlichem Babysitten beginnt, endet in einer langen Liaison. Für die Söhne ist er Joseph und sonst nichts. Dass sich seine Mutter mit ihm einlässt, bereitet ihnen eher Freude als Anstoß.

Dialoge beherrschen die Szenen und hinter den Dialogen die Gedanken.

Es handelt sich bei Lucys Freunden um einfache Mittelschichtfamilien. In London ist zwar die Diskriminierung von Paaren mit unterschiedlicher Hautfarbe nicht mit der in den USA zu vergleichen. Dennoch wundert sich jeder, was es mit dieser besonderen Verbindung auf sich haben könnte. Beide Partner fürchten die Konfrontation mit ihren jeweiligen Lebenskreisen.

Nick Hornby bietet das Bild einer engen Verbindung, die sich langsam ergeben hat. Alle Schritte werden analysiert: kleine Reisen, Feste und Feiern. Der LeserIn fragt sich, wie es wohl weitergehen wird mit diesem so ungleichen Paar.

Während Lucy als souveräne und besonnene Person beschrieben wird, entwickelt sich Joseph zu einem nachdenklichen, treuen Mann, der fest zu seiner Freundin steht. Dass eine einmalige Untreue von Joseph zur Zerreißprobe werden könnte, wird von Nick Hornby genial aufgelöst. Er erweist sich mit dieser Geschichte als hervorragender Kenner menschlicher Zweifel und Möglichkeiten.

Es handelt sich hier nicht um einen gelungenen Lebensentwurf, sondern die Geschehnisse zeigen eine von zahlreichen Zumutungen geprägte Einmaligkeit.

Wie mit dem Thema um Moral, gesellschaftliche Zwänge und Zweifel umgegangen wird, zeugt von tiefer Menschenkenntnis. Es bleibt der Eindruck einer warmherzigen und starken Liebesgeschichte.

Mich hat das Buch sehr beeindruckt.

Nick Hornby ist ein gefeierter Autor, der in London lebt.

Nick Hornby
Just Like You
384 Seiten, gebunden
ISBN-10: 346200039X
ISBN-13: 978-3462000399
Kiepenheuer & Witsch, 2. Auflage, September 2020
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