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Das Lied von Leben und Tod

Das Lied von Leben und Tod

Der Latein sprechende Wolf war wahrscheinlich nicht real. Die Frau scheint es aber zu sein, zumindest verarztet sie Teos Wunden, die er sich auf der Flucht vor dem möglicherweise imaginären Wolf zugezogen hat.
Pat lebt mit ihrer Tochter in einiger Entfernung vom Dorf Santa Brígida in Patagonien. Eine Gegend, die Teo gefällt. Er ist ein Riese, der immer auffällt, deswegen mag er die Abgeschiedenheit. Im Moment ohne Arbeit, hat er die Freiheit zu bleiben und tut dies auch. Nicht nur die eine Nacht, die mit ihr zu verbringen, Pat ihn überredet hat. Auch Pats Tochter Miranda freundet sich mit die Riesen an. Pat und Teo leben zusammen ohne Pläne, ohne Versprechen und ohne Bedingungen. Das geht auch eine Weile gut.

In dieser Geschichte kommen zwei Menschen zusammen, die sich eigentlich nicht kennen. Das Pat auf der Flucht ist, und ein Geheimnis mit sich herumträgt, ahnt Teo aber schon bald. Weil Pat sich ihm nicht anvertrauen will, wird ihre Beziehung auf eine harte Probe gestellt. Ihr Handeln müssen die beiden vor dem Kind verantworten, es findet aber auch eine Beeinflussung von außen statt, etwa durch die Dorfbewohner. Man spürt als Leser die Bedrohung, die auf die kleine Familie zukommt sehr deutlich. Unbehagen macht sich breit. Die Familiengeschichte gerät immer mehr zum tragikkomischen Drama, dessen Höhepunkt das Sever ist. Dieses Dorffest setzt dem Ganzen die Krone auf. Es fungiert als Spiegel und zeigt die Verlogenheit hinter der Wahrheit.

Das Drama gerät zum Krimi. Wo andere Geschichten aufhören, geht diese unbarmherzig weiter. Die Vergangenheit holt jeden ein. Und bald zeigt sich, warum der Autor die politischen Hinergründe, der Geschichte, die im Jahre 1984 spielt, so anschaulich aufzeigt. Für den Leser ist das eine ungeahnte Wendung.
Das Buch lebt von den teils grotesken Figuren. Teo, Pat und Miranda sind die Hauptfiguren, aber auch viele Bewohner des Dorfes müssen ihr Innerstes offen legen und kommen dabei nicht gut weg.
Es scheint zunächst verwirrend, dass hier auch fantastische Elemente zum Tragen kommen. Auf der anderen Seite verstärkt dies die Wirkung des Buches.
Die Geschichte ist traurig, auch wenn der Autor zwischendurch immer wieder versucht, für Auflockerung zu sorgen. „Das Lied von Leben und Tod“ ist eine ewige Tragödie, der man aber immer auch Positives abgewinnen kann.

Rezension von Heike Rau

Marcelo Figueras
Das Lied von Leben und Tod
Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg
Nagel & Kimche
528 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3312004171
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Kamtschatka

Kamtschatka

Marcelo Figueras Kamtschatka Nagel& Klimsche
ISBN-13: 978-3312003778

In diesem einmaligen Roman wird der Militärputsch von 1976 in Argentinien auf eine besondere Art und Weise verarbeitet.
Harry, der zehnjährige Sohn eines auf der Flucht vor den Militärschergen befindlichen Ehepaares, ist der Hauptprotagonist und Icherzähler.
Zu Beginn der Erzählung gibt es noch viele Freunde und Gäste im Haus der Eltern, das einen weltoffenen Horizont bietet.
Dann aber muß die Familie über Nacht ihre schöne Wohnung und allen Besitz, die Spielsachen, die Schule und Freunde in Buenos Aires verlassen.
Die Eltern, der Vater Anwalt und die Mutter Physikerin, tauchen unter dem Decknamen Vicente mit den zwei Söhnen im Alter von zehn und fünf Jahren unter. Sie finden eine Bleibe auf einem Landgut fern von Buenos Aires.

Zunächst ist für die Kinder alles ein Abenteuer.
Sie finden ein verrottetes Schwimmbad vor, in das immer wieder Kröten fallen, in dem es dreckig und stinkig ist. Aber nichts ist schöner für Harry, als sich darin zu bewegen.

In ihrem Asyl ist es still, spartanisch und geheimnisvoll. Der Vater hat seine Anwaltskanzlei verlassen, die Mutter arbeitet noch eine Weile als Physikerin an der Universität, bis auch sie ihren Job verliert. Harry ist informiert darüber, dass sie sich nirgends zu erkennen geben dürfen.
Man hört von verschwundenen Freunden und die Eltern sind immer häufiger alarmiert. Sie bieten ihren Kindern dennoch Trost und Geborgenheit.
Kinder haben die Gabe, aus allem ein Abenteuer zu machen, und das gelingt auch Harry und seinem Bruder, den man Zwerg nennt.
Insgesamt wird die Geschichte aus der Sicht eines Kindes erzählt, das wach beobachtet, interessiert und aufmerksam auf die Neuerungen reagiert, aber auch Trauer über Verlorenes empfindet.
Teilweise sind die Beschreibungen der Menschen von skurrilem Humor geprägt. Harry und sein Bruder sind immer auf Abenteuer aus, zeigen aber zugleich ein verschworenes Einvernehmen mit den Eltern, die in ihrer Not zu Kumpeln werden.
Es gibt ein Spiel, das der Vater mit den Söhnen spielt. In diesem taucht der Ausdruck Kamtschatka immer wieder auf. Es ist ein Ort letzter Einsamkeit und Zuflucht, und es ist das letzte Wort, das Harry von seinem Vater hört.
Die Diktatur und ihre Folgen mit den Augen eines Kindes gesehen vermittelt den völligen menschlichen Wahnsinn politischer Absurdität.
Das Buch liest sich spannend und ist trotz aller Dramatik voller Wärme und Menschlichkeit.

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Kamtschatka

Kamtschatka

Eine Reise mitten in der Schulzeit ist ungewöhnlich, zumal die Fahrt Hals über Kopf und ohne Reisegepäck beginnt. Es war nichts abgesprochen. Harry und sein kleiner Bruder haben viele Fragen, doch die Mutter hält sich bedeckt. Zuerst geht es zu Freunden, um zu warten, bis der Vater da ist. Dann fährt die Familie weiter bis zu einem abgelegenen Landhaus. Hier will die Familie bleiben, bis die Lage sich entspannt.

Harry wittert ein Abenteuer. Seine Fantasie wird durch die Regeln, die die Mutter den Kindern auferlegt noch mehr angeregt. So darf zum Beispiel das Telefon nicht benutzt werden. Der Vater lässt sich einen Schnurrbart wachsen. Alle denken sich neue Namen aus. Die Kinder schlagen die Zeit tot, vermissen ihr Zuhause. Aber der Plan, die beiden in die Obhut der Großmutter zu geben, schlägt fehl.

Eines Tage kommt ein 18-jähriger Junge in die Familie. Zunächst empfinden ihn die Kinder als Eindringling. Aber er fungiert auch als Babysitter, so dass die Eltern das Haus immer mal wieder verlassen können.
Harry und sein Bruder gehen schließlich wieder zur Schule. Es ist eine kirchliche Schule und der Priester ist ein Freund des Vaters. Die Kinder können sich dort sicher fühlen. Doch Harry verweigert das Lernen.

Die Lage ist angespannt. Die Mutter hat ihre Arbeit im Labor verloren, der Papa hat keine Kanzlei mehr. Harry hat Angst, dass seine Eltern eines Tages nicht zurückkommen könnten. Er träumt davon, ein berühmter Entfesselungskünstler zu werden. Unbewusst versucht er damit auch seinen eigenen Fesseln zu entkommen.

Der Autor erzählt die Geschichte aus der Sicht des kleinen Harry, der die entstandene Gefahr gar nicht begreifen kann. Für einen Zehnjährigen spielt die Politik noch keine Rolle und doch wird er damit konfrontiert. Sein Leben wird auf den Kopf gestellt. Zusammen mit seiner Familie muss er untertauchen, ohne die politischen Hintergründe verstehen zu können. Während die Eltern versuchen zu überleben, erlebt Harry ein Abenteuer. Versucht so, die Schrecken und die Bedrohung auf seine Weise zu kompensieren.
Die Geschichte ist sehr sensibel erzählt. Aber gerade die kindliche Sichtweise auf die Dinge, macht sie so schockierend, so unglaublich desillusionierend. Kinder beobachten ihren Alltag genau, so auch Harry, der aber die Bedrohung ganz anders wahrnimmt, als die wissenden Eltern. So sind viele Szenen für den Leser, der ja im Gegensatz zu den Kinder begreift, was wirklich passiert, schwer zu verkraften. So ist es kein Wunder, dass diese Geschichte lange im Gedächtnis bleibt.

Über den Autor:
Marcelo Figueras wurde 1962 in Buenos Aires geboren. Er arbeitete als Journalist und Redakteur für verschiedene Zeitungen, veröffentlichte Kurzgeschichten, Romane und schrieb mehrere Drehbücher, auch für „Kamtschatka“. Der Kinofilm wurde als bester ausländischer Film für den Oscar nominiert.

Rezension von Heike Rau

Marcelo Figueras
Kamtschatka
320 Seiten, gebunden
Nagel & Kimche
ISBN-10: 3-312-00377-6
ISBN-13: 978-3-312-00377-8
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