Kamtschatka

Kamtschatka

Eine Reise mitten in der Schulzeit ist ungewöhnlich, zumal die Fahrt Hals über Kopf und ohne Reisegepäck beginnt. Es war nichts abgesprochen. Harry und sein kleiner Bruder haben viele Fragen, doch die Mutter hält sich bedeckt. Zuerst geht es zu Freunden, um zu warten, bis der Vater da ist. Dann fährt die Familie weiter bis zu einem abgelegenen Landhaus. Hier will die Familie bleiben, bis die Lage sich entspannt.

Harry wittert ein Abenteuer. Seine Fantasie wird durch die Regeln, die die Mutter den Kindern auferlegt noch mehr angeregt. So darf zum Beispiel das Telefon nicht benutzt werden. Der Vater lässt sich einen Schnurrbart wachsen. Alle denken sich neue Namen aus. Die Kinder schlagen die Zeit tot, vermissen ihr Zuhause. Aber der Plan, die beiden in die Obhut der Großmutter zu geben, schlägt fehl.

Eines Tage kommt ein 18-jähriger Junge in die Familie. Zunächst empfinden ihn die Kinder als Eindringling. Aber er fungiert auch als Babysitter, so dass die Eltern das Haus immer mal wieder verlassen können.
Harry und sein Bruder gehen schließlich wieder zur Schule. Es ist eine kirchliche Schule und der Priester ist ein Freund des Vaters. Die Kinder können sich dort sicher fühlen. Doch Harry verweigert das Lernen.

Die Lage ist angespannt. Die Mutter hat ihre Arbeit im Labor verloren, der Papa hat keine Kanzlei mehr. Harry hat Angst, dass seine Eltern eines Tages nicht zurückkommen könnten. Er träumt davon, ein berühmter Entfesselungskünstler zu werden. Unbewusst versucht er damit auch seinen eigenen Fesseln zu entkommen.

Der Autor erzählt die Geschichte aus der Sicht des kleinen Harry, der die entstandene Gefahr gar nicht begreifen kann. Für einen Zehnjährigen spielt die Politik noch keine Rolle und doch wird er damit konfrontiert. Sein Leben wird auf den Kopf gestellt. Zusammen mit seiner Familie muss er untertauchen, ohne die politischen Hintergründe verstehen zu können. Während die Eltern versuchen zu überleben, erlebt Harry ein Abenteuer. Versucht so, die Schrecken und die Bedrohung auf seine Weise zu kompensieren.
Die Geschichte ist sehr sensibel erzählt. Aber gerade die kindliche Sichtweise auf die Dinge, macht sie so schockierend, so unglaublich desillusionierend. Kinder beobachten ihren Alltag genau, so auch Harry, der aber die Bedrohung ganz anders wahrnimmt, als die wissenden Eltern. So sind viele Szenen für den Leser, der ja im Gegensatz zu den Kinder begreift, was wirklich passiert, schwer zu verkraften. So ist es kein Wunder, dass diese Geschichte lange im Gedächtnis bleibt.

Über den Autor:
Marcelo Figueras wurde 1962 in Buenos Aires geboren. Er arbeitete als Journalist und Redakteur für verschiedene Zeitungen, veröffentlichte Kurzgeschichten, Romane und schrieb mehrere Drehbücher, auch für „Kamtschatka“. Der Kinofilm wurde als bester ausländischer Film für den Oscar nominiert.

Rezension von Heike Rau

Marcelo Figueras
Kamtschatka
320 Seiten, gebunden
Nagel & Kimche
ISBN-10: 3-312-00377-6
ISBN-13: 978-3-312-00377-8
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