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Schlagwort: Stille

Jocelyne Saucier: Ein Leben mehr

Jocelyne Saucier: Ein Leben mehr

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Vom Glück des einfachen Lebens…

Drei alte Männer haben sich hoch oben in die nordkanadischen Wälder zurückgezogen. Sie leben dort unter denkbar einfachsten Bedingungen mit wenig Komfort, doch sie scheinen glücklich zu sein.

Eine ungenannte Fotografin sucht den Weg zu ihnen, weil sie sich für die großen Brände interessiert, die im Jahr 1916 in dieser Gegend weite Teile der Wälder und mit ihnen Dörfer, Städte und Menschen vernichtet haben.

Eigentlich sucht sie Boychuck, Ted, Ed oder Edward mit Vornamen.

Doch der ist kürzlich verstorben.

Hier in der Wildnis fühlt man sich wie am Ende der Welt. Die Fotografin ist zunehmend fasziniert von dieser endlosen Stille, dem Einsiedlerleben und den Erzählungen der sehr alten Männer.

Steve und Bruno versorgen die Alten mit dem, was man im Wald nicht finden kann. Als die Tante von Bruno, Marie-Desneiges, 81 jährig, zu ihnen stößt, wird die Geschichte zunehmend spannend. Was haben diese Menschen alles erlebt, wovon sie zu erzählen wissen! Dabei bleibt die Erzählung unaufdringlich und diskret.

Mit einnehmende Worten, poetischen Bildern und nachfühlbarem Erleben nimmt uns die Autorin mit auf eine Reise, von der wir nicht wissen, wohin sie uns führen wird. Es ist ein stiller und ruhiger Erzählstrom, der keine Hektik oder unerträgliche Erwartungshaltung auslöst. Man überlässt sich der Führung der Erzählung und den Geschichten, um die sich das Geschehen rankt.

Spannend ist ein jedes Schicksal, von dem hier die Rede sein wird. Man lernt zuhören und genau hinzuschauen. Die wunderbare, klare und kräftigende Natur bietet den Rahmen, in dem man die alten Männer trifft. Marie-Desneiges mit ihrem seltenen Schicksal macht die Gruppe komplett. Sie hatte es besonders schwer im Leben und schließt sich nur schwer an. Dass ihr hier nochmals ein spätes Glück beschieden sein würde, hat sie nicht geahnt. Es ist eine delikate und von hinreißender Zartheit gezeichnete Liebesgeschichte.

Die Erzählung handelt von Alter und Einsiedelei, von spätem Glück und Vergänglichkeit, von Freundschaft, Treue und Verlässlichkeit. Einfach herrlich!

Jocelyne Saucier lebt in Kanada. Dieser Roman ist ihr erster, der auf Deutsch erschienen ist. Man sollte sich ihren Namen merken.

Jocelyne Saucier
Ein Leben mehr
192 Seiten, gebunden
Insel Verlag, August 2015
ISBN-10: 3458176527
ISBN-13: 978-3458176527
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Linn Ullmann: Das Verschwiegene

Linn Ullmann: Das Verschwiegene

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Verschwiegenheit, Einsamkeit und Not!

In Jahr 2008 trifft sich Siri und ihr Mann Jon wie jedes Jahr im Sommer mit den beiden Töchtern Liv und Alma im Haus ihrer Mutter Jenny. Diese wohnt in Mailund/Norwegen. Jon ist Schriftsteller in einer schweren Schaffenskrise, und Siri führt zwei Gaststätten. Sie kommen gerade so über die Runden. Für die Töchter haben sie Mille, ein Au-pair-Mädchen aus Oslo, engagiert. Mit Mille ist etwas nicht so, wie es sein sollte. Sie ist geheimnisvoll, widersprüchlich in sich und Siri bedauert schon, sie für den Sommer als Hilfe angenommen zu haben.

Man erfährt noch über die Mutter von Mille, dass sie eine anerkannte Schriftstellerin in Oslo ist.

Schnitt: Drei Jungen finden im Jahr 2011 bei der Suche nach einem vergrabenen Schatz im Wald auf verweste Leichenteile. Das können nur die Reste von Mille sein, kombinieren sie sogleich! Sie war vor zwei Jahren am Geburtstag von Jenny verschwunden und nie gefunden worden.

Langsam die Personen in ihrem Umfeld umkreisend, nähert sich Linn Ullmann der eigentlichen Geschichte: Familien, die ihre Schwierigkeiten miteinander haben aber nicht darüber sprechen.

Verwirrend die Vielzahl von Personen, die nach und nach wie auf einer Bühne erscheinen. Als umkreiste sie eine Kamera treten sie aus dem Schatten der Erzählung und fügen sich in das Gesamtgeschehen ein. Man tut sich zunächst schwer, den Faden der Geschichte nicht zu verlieren. Spiegelt sich darin die Unfähigkeit auch der handelnden Personen, in Kontakt miteinander zu treten und zu bleiben? Ein Familiendrama mit Toten und Geheimnissen spielt sich ab, das in seiner Ausweglosigkeit schwer erträglich bleibt.

Geheimnisvoll bis zuletzt reflektiert Linn Ullmann die Einsamkeit der Betroffenen und ihre Unfähigkeit, sich einander zu offenbaren. Getragen von düsteren und unterschwellig verborgenen Gedanken und Gefühlen durchlebt man mit der Familie die Abgründe, die sich zwischen Menschen auftun können. Ein schwermütiges und anrührendes Geschehen spielt sich ab, das die Spannung bis zuletzt nicht verliert.

Linn Ullmann ist die Tochter des bekannten verstorbenen schwedischen Regisseurs Ingmar Bergmann und der Schauspielerin Liv Ullmann.

Von ihrem Vater mag sie den tiefenscharfen Blick hinter die Kulissen menschlichen Seins mitbekommen zu haben.

Linn Ullmann
Das Verschwiegene
352 Seiten, gebunden
Luchterhand Literaturverlag, April 2013
ISBN-10: 3630874096
ISBN-13: 978-3630874098
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Milena Michiko Flasar: Ich nannte ihn Krawatte

Milena Michiko Flasar: Ich nannte ihn Krawatte

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Fremd in der eigenen Haut.

Geheimnisvoll und beunruhigend beginnt der vorliegende Roman von Milena M. Flasar, der uns in die Weisheit, das Leben und die Mentalität japanischen Lebens einführt.

Jeder kennt die Bilder der schweigenden Duldsamkeit, mit denen Japaner Naturkatastrophen und das bekannte Atomunglück in Fukushima hingenommen haben.

Hier begegnen wir zwei Männern, der eine jung, der andere alt, die sich täglich auf einer Parkbank begegnen. Sie schweigen. Erst nach und nach beginnen sie in wenigen Worten, später auch Sätzen, ein Gespräch mit einander.

Wie sind sie in ihre jetzige Lage gekommen?

Zwei Gescheiterte scheinen sich hier einander anzunähern. Stumm und in ihren eigenen Gedanken gefangen erfährt man erst allmählich von ihrem Schicksal. Mit assoziativen Einfällen und langsam sich öffnenden Herzen erfahren die beiden Männer, wie sie an den Rand der Gesellschaft geraten sind. Bei dem einen war der Tod eines Mitschülers die schockierende Ursache, beim anderen der Verlust der Arbeitsstelle.

Ohara Tetsu unterbricht als erster das lange Schweigen. Sein Gegenüber ist Taguchi Hiro. Letzterer ist ein verstörter Schüler, der die Schule abgebrochen hat und sein Leben in der Höhle seines Zimmers fristet. Hikikomori heißen diese Schüler, die der Welt den Rücken kehren und sich im Elternhaus verstecken. Sie bilden eine schwere Prüfung für Väter und Mütter, die nach außen den Schein wahren möchten und von einer langen „Auslandreise“ sprechen, wenn Angehörige oder Nachbarn nach dem Verschwundenen fragen.

Der „Salaryman“, ein ehemaliger Firmenangestellter, zeichnet sich durch korrekte Arbeitskleidung und eine Krawatte aus. Seine Frau soll nicht wissen, dass er arbeitslos geworden ist. Er ist ein liebevoller Ehemann, der jedoch dem Leistungsdruck der nachrückenden jüngeren Generation in der Firma nicht mehr gewachsen war.

Man weiß, dass Japaner in der Tat schweigsam sind, höflich und korrekt. Diese Männer, der alte und der junge, klagen und zetern nicht: sie nehmen stillschweigend ihr Unglück hin, dass jeden von ihnen zum einsamen Außenseiter gemacht hat. Erst allmählich lösen sich die Zungen, und die trostlosen Erfahrungen, von denen man hört, wollen schier kein Ende nehmen.

Der Leser bekommt ein Bild von dem Arbeitsdruck in den Firmen und erfährt von der öffentlichen Schande, die das Herausfallen aus allen Lebensmustern mit sich bringt. Geheimnisvoll und vielsagend beschreibt die Autorin, wie die beiden Außenseiter Konfliktsituationen und Schicksalsschläge vergeblich in den Griff zu bekommen trachten. Vor uns breitet sich ein fremde Mentalität und innere Verschlossenheit aus.

Besinnlich, nachdenklich und zart gesponnen entwickelt die Autorin ihren Romanstoff, der doch einen Teil japanischer Realität widerspiegelt.

Die Geschichten der beiden Hauptprotagonisten verdichten sich zu einer empfindsamen und traurigen Erzählung, in der sehr viel inneres Leid steckt. Mit poetischen Bildern untermauert M. M. Flasar noch die äußere Schönheit der Welt mit dem inneren Zerfall der Unglücksraben.

Eine stille, ruhige  und nachdenklich gestaltete Erzählung erwartet den Leser, der auf diese Weise ein Bild vom japanischen Leben bekommt.

Milena Michiko Flasar
Ich nannte ihn Krawatte
144 Seiten, gebunden
Verlag Klaus Wagenbach, Januar 2012
ISBN-10: 380313241X
ISBN-13: 978-3803132413
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Tim Parks: Stille

Tim Parks: Stille

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Harold Cleaver ist Star-Journalist, Fernsehmoderator und Dokumentarfilmer. Nach einem Interview mit dem amerikanischen Präsidenten ist er auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Allerdings hat sein Sohn ein Buch über ihn geschrieben: „Im Schatten des Allmächtigen“. Cleaver hat nur noch eins im Sinn, er muss weg, weg von seiner Lebensgefährtin und den Kindern. Der 55-jährige regelt eben noch das Finanzielle, damit seine Familie versorgt ist, dann macht er sich aus dem Staub. Nimmt nichts mit, nur das Handy, wohl wissend, dass der Akku irgendwann leer sein wird. Er liest noch die zahlreichen Nachrichten seiner Lebensgefährtin, antwortet aber nicht mehr.

Die Reise führt ihn von England nach Südtirol. Im Rosenkranzhof findet er Unterschlupf. In zweitausend Metern Höhe. Es ist ein kleines Haus, direkt am Abgrund. Dahinter tut sich eine Felswand auf. Anderthalb Kilometer sind es bis zum nächsten Hof. Sein Haus ist auf keiner Karte verzeichnet. Cleaver fühlt sich unauffindbar. Hier wird er, überarbeitet und übergewichtig wie er ist, Ruhe finden Familienstreitigkeiten und Karrierestress haben ihn aus der Bahn geworfen. Jetzt will er nur noch Mensch sein, sonst nichts. Hier kann er in Ruhe rätseln, was den Sohn bewogen hat, so über ihn zu schreiben. Dabei will er Abstand gewinnen und zu mehr Gelassenheit finden. Doch die eigenen Gedanken werden lauter und lauter.

Manchen Dingen kann man nicht entkommen, egal wie weit man sich entfernt. Der Autor zeigt sehr anschaulich, wie seine Figur Harold Cleaver seinen eigenen Gedanken in die Falle geht. Es gibt ja auch nichts, was ihn aus seinen Überlegungen reißen könnte. Geschrieben ist das Buch mit einer ungeheuren Intensität und psychologischem Feingefühl. Das sorgt für eine greifbar wirkende Spannung, mit der man so nach der Lektüre des Klappentextes nicht rechnet. Damit liest sich das Buch überraschend gut, auch wenn man als Leser oft nur mit den Gedanken des Protagonisten unterhalten wird, der sich ja aus eigenem Wunsch heraus von seiner Umwelt völlig isoliert hat und dennoch keine Ruhe findet. Und trotzdem findet eine Veränderung statt, denn es hat sich viel getan. Das Umfeld ist ein völlig anderes. Und der Mensch ist fähig, seine Gedanken zu steuern, abzuwägen, Fehler einzugestehen, wenigstens vor sich selbst. Man kann diesem Buch sehr viel für sich selbst entnehmen, sich hineinversetzten in die Figur Harold Cleaver. Wer kennt sie nicht, diese Gedankenstrudel, das Grübeln über alte Geschichten, die Ausweglosigkeit mancher Situation. Der Autor zeigt, was passiert, wenn man einen Schlussstrich zieht und seinem Leben entflieht und das auf eine sehr glaubwürdige und vor allem beeindruckende Art und Weise.

Über den Autor:
Tim Parks wurde 1954 in Manchester geboren. Er studierte in Cambridge und Harvard, gewann zahlreiche Literaturpreise. Der Autor lebt mit seiner Familie in Verona.

Rezension von Heike Rau

Tim Parks
Stille
Aus dem Englischen von Ulrike Becker
360 Seiten, gebunden
Verlag Antje Kunstmann
ISBN-10: 3-88897-443-7
ISBN-13: 978-3-88897-443-4
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Als hätte die Stille Türen

Als hätte die Stille Türen

Dieses ist mein erstes Buch von Urs Faes, das ich gelesen habe, und es hat mich sehr berührt.

Es ist die leise, besinnlich und nachdenklich Geschichte eines Mannes, Journalist, der sich nach schwerer Krankheit auf den Weg macht, an einem Sterbeseminar teilzunehmen.
Er ist ganz in Gedanken an den Tod, seine überwundene Krankheit und seine Frau, die mit ihm nicht länger leben wollte.
David lernt bei diesem Seminar eine Frau kennen, Simone, für die er sich zu interessieren beginnt.
Die Annäherung erfolgt ganz langsam. Mal sind es kurze Begegnungen, ein andermal ein Brief, eine Karte oder ein kurzes, scheues Zusammentreffen. Eröffnungen über ihr vergangenes Leben vermittelt sie zögerlich und voller Skrupel über ein in ihren Augen unmoralisches Leben. Sie ist einer tiefen und sinnlichen Liebe zu einem nicht so bemerkenswerten Mann erlegen. Diese Leidenschaft führte zur Trennung von ihrem Mann und ihren Kindern.
David lernt durch Simone, der Sängerin, die Welt der Musik und insbesondere die Musik Alban Bergs kennen.
Er geht den Spuren dieses Komponisten nach und stößt auf seine Liebesbriefe an Hanna Fuchs, der Schwester Franz Werfels, die in Prag lebte. A. Berg war dieser Frau in leidenschaftlicher Liebe zugetan. Es war eine geheime Liebe, denn beide waren anderweitig verheiratet. David sucht die Geschichte der Liebe, wie sie in der Musik Alban Bergs seinen Niederschlag fand. So vermischt sich die eigene Suche von David nach Liebe und Zugehörigkeit mit der Geschichte Alban Bergs, die ungleich dramatischer und leidenschaftlicher war. Beider Lebens -und Liebesgeschichten und nicht zuletzt der Leidenschaft von Simones vergangener Liebe ist die Unerfüllbarkeit vollkommenen Glücks gemeinsam.

Es ist eine wunderbare, tief empfundene kleine Geschichte, voller Poesie und stiller Beobachtung.
Ich möchte sie wärmstens empfehlen.
Cl.B.

Urs Faes
Als hätte die Stille Türen
Eine wunderschöne Lebensgeschichte
ISBN:3518416669
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