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Schlagwort: Leid

Anne Tyler: Der leuchtend blaue Faden

Anne Tyler: Der leuchtend blaue Faden

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Familiengeschichten: wen interessieren die nicht?

Gleicht nicht jedes Leben, jede Familiengeschichte einem Roman?

Anne Tyler versteht sich darauf, das Panorama menschlichen Glücks und Leids in einer einfachen Mittelschichtfamilie in Amerika zu erfassen und den Leser in ihre Geschichten mitzunehmen, so dass man sich fast wie ein Besuch bei ihren Protagonisten fühlt.

Abby und Red Whitshank haben ihr gemeinsames Leben um 1959 in Baltimore begonnen. Sie bilden ein Paar in mittleren Lebensjahren.

Eines Abends bekommen sie einen Anruf von ihrem Sohn Denny, der sie mit einer schwer verdaulichen Nachricht konfrontiert.

Mitten in dieses Geschehen des Alltags wird man als Leser hineingezogen.

Alsbald tun sich die einzelnen Kinder mit ihren Gewohnheiten und ihren Eigenarten hervor. Vier Kinder haben die beiden Whitshanks. Der jüngste Spross, Stem genannt, ist kein unmittelbarer Abkömmling.

Red betreibt einen Holzwarenhandel größeren Ausmaßes, und Abby ist Sozialarbeiterin. Sie kümmert sich um alle möglichen Leute, die ihrer Hilfe bedürfen.

Ihre Kinder sind mittlerweile flügge geworden und haben schon eigene Kinder. Ein buntes Treiben tut sich auf. Die Geschwister mit ihren Ehepartnern und Kindern sind so unterschiedlich wie das Leben eben ist. Man hört zu, nimmt teil, leidet mit, wenn etwas nicht so gut geht, und fühlt sich in dieser Familie bald schon zu Hause.

Fast möchte man sich mit Rat und Tat beteiligen.

Und natürlich: niemals ist in Familien alles gut, niemals verlaufen Lebensschicksale ohne Einbrüche. Man muss sich mit jedem Tag und zu jeder Stunde auf gewöhnliche und ungewöhnliche Ereignisse einstellen. Auch Eltern haben ein eigenes Leben, das vor dem ihres Familienlebens mit eigenen Kindern stattgefunden hat. Davon berichtet Anne Tyler in zwei anschließenden Teilen ihres Romans, so dass man erst spät auf die Ursprünge der Beziehungen von Eltern- und Großeltern aufmerksam wird. Auch hier gab es Glück und Leid, schwierige Aufbrüche ins Leben und nicht immer einfache Lebensbedingungen. Immerhin erlebten die Großeltern die große Wirtschaftskrise mit, die mit dem New Yorker Börsenkrach im Jahr 1929 ihren Ausgang nahm.

Gewöhnliche Leben sind nicht immer illuster. Zuweilen finden sich Paare eher zufällig zusammen. Ob die Beziehung dann gut oder schlecht wird, das wird nicht immer durch die Liebe sondern häufig durch Einsicht, Gewöhnung und Beharrungsvermögen entschieden.

Über dieses Auf und Ab in Freude und Leid schreibt Anne Tyler so lebendig und mitteilsam, dass man gar nicht möchte, dass die Geschichten in dem Buch irgendwann aufhören.

Felicitas von Lovenberg beschrieb in der FAZ ihren Eindruck des Buches in dieser Weise. Ihrer Vorstellung kann ich mich nur anschließen!

Anne Tyler

Der leuchtend blaue Faden
452 Seiten, gebunden
Kein & Aber, März 2015
ISBN-10: 303695712X
ISBN-13: 978-3036957128
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Anne von Canal: Der Grund

Anne von Canal: Der Grund

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Wie das Leben so spielt…

Dieser besondere Roman beschreibt das Leben von Laurits Simonsen. Beginnend mit den sechziger Jahren führt der Roman in verschiedenen Zeitebenen bis in das Jahr 2005.
Rückblendend erfahren wir von seiner Kinder- und Schulzeit und von den musikalischen Ambitionen des Helden, denn er ist ein ausgezeichneter Klavierspieler. Erzählt wird auch von seiner ersten großen Liebe und seinem Kind Liis.
Neugierig folgt man ihm auf seinem Lebensweg.
In einem wohlhabenden Elternhaus in Stockholm aufgewachsen muss er sich in allen wichtigen Entscheidungen dem autoritären Vater beugen, einem Chirurgen von untadeligem Ruf.
Erst spät wird man über den inneren Zustand der elterlichen Ehe aufgeklärt. Hier finden sich die Ursachen für den unsicheren und zweifelnden Charakter des Helden.
Er wird Arzt, wie es der Vater gewünscht hat. Mit seiner Frau Silja verbindet ihn eine innige Liebe, und seine Bahn ist vorgezeichnet. Doch dann erfolgt ein Einbruch, der alle bisherigen Bezüge ins Wanken bringt.

Abenteuerlich ist sein weiterer Weg. Er birgt eine Menge Geheimnisse, die sich dem Leser erst allmählich erschließen.
Zuerst bleibt man als Leser ein wenig ratlos, denn immer wieder beginnt die Geschichte in einem neuen Umfeld und zu einer anderen Zeit. Einmal befindet man sich in dem großbürgerlichen und kalten Elternhaus des Helden. Dann erleben wir den erwachsenen Arzt und liebenden Familienvater. Zuletzt ist er Klavierspieler auf einem Kreuzfahrtschiff. Auf diese Weise steigert die Autorin die Spannung, mit der sich die einzelnen Schilderungen zu einem schlüssigen Ganzen zusammenfügen. Zuletzt sind die Wege des Menschen doch nicht so unergründlich, wie es zunächst erscheint. Es gibt Ursachen und Wirkungen für Entwicklungen, die ganz eigenen Regeln zu folgen scheinen. Und dann gibt es immer einen GRUND, warum dieses oder jenes Ereignis erfolgt.

Ein lesenswerter Roman mit zahlreichen freudigen aber auch sehr erschütternden Begebenheiten.

Anne von Canal
Der Grund
272 Seiten, gebunden
Mare Verlag, Juli 2014
ISBN-10: 3866481969
ISBN-13: 978-3866481961
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Majella Lenzen: Fürchte Dich nicht

Majella Lenzen: Fürchte Dich nicht

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Katholische Kirche kontra Armut und Not.

Majella Lenzen kehrte 1997 zwei Jahre nach ihrem Austritt aus einem deutschen Kloster nach Afrika zurück. Sie hatte bis 1995 vierzig Jahre als Nonne für die katholische Kirche in Afrika missioniert. Auseinandersetzungen mit dem Orden über die Arbeit in der Aidshilfe hatten sie mehr oder weniger unfreiwillig aus dem Kloster ausscheiden lassen. Jetzt beginnt sie ihre Arbeit für eine weltliche Organisation in dem unterentwickelten Land Tansania.

Mit Sensibilität und ständigem Hinterfragen ihrer Arbeit unter den strengen Regeln des Ordens hatte sie zunächst vorsichtig doch dann immer standfester erkannt, dass die katholische Kirche mit ihrem allgemeingültigen Anspruch auf die richtige Moral und Lebensführung dem alltäglichen Leben in Afrika nicht gerecht zu werden versteht.

Aids ist eine Krankheit, die eng mit sexuellen Verhaltensweisen in Zusammenhang gesehen wird. Sie ist in Afrika weit verbreitet. Einzige Hilfe ist Vorsicht. Kondome als probates Mittel zur Verhütung von Schwangerschaft und dem Schutz vor dieser Krankheit werden von der Kirche abgelehnt. Majella Lenzens Handeln orientierte sich jedoch an der täglich erlebten Realität und nicht an abstrakten Dogmen.

Sie schildert ausführlich die Zustände in den Slums von Tansania oder Simbabwe, wo sie zeitweilig gearbeitet hat. Die Widersprüche in der moralischen Haltung der katholischen Kirche gegenüber den Armen und Kranken dieser jenseits jeder zivilisatorischer und hygienischer Standards existierenden Länder waren für die ehemalige Nonne nicht auszuhalten. In einem langen, inneren Kampf beschließt sie ihren Weg zurück in die bürgerliche Gesellschaft. Wie schwer dieser Weg war, erzählt sie mit bemerkenswerter Offenheit und Klugheit. Ihre Geschichte ist ein Lehrstück über Doppelmoral, Intrige, Gruppenzwang und Selbstfindung. Man staunt darüber, wie weltfremd die katholische Kirche in der dritten Welt agiert und mit ihren dogmatischen Vorstellungen an der Realität vorbei geht. Doch Majellas Austritt aus dem Kloster lässt ahnen, wie schwer ein solcher Schritt ist, da er ihr auch die soziale Absicherung nimmt. Sie kämpft später für die Rechte „Ehemaliger“, tut sich mit Gleichgesinnten zusammen und rechtfertigt anhand von Beispielen ihren Austritt aus dem Orden immer von Neuem.

Mit ihrem eigenen Schicksal zeigt uns Majella Lenzen, wo es der Kirche an Einsicht und Toleranz im gesamten hierarchischen System mangelt.

Aufschlussreich und wichtig ist Majella Lenzens Beitrag, in dem zahlreiche Themenkomplexe wie Armut oder die Mentalitätsunterschiede zwischen schwarz und weiß und arm und reich aufgezeigt werden. Die Krankheit Aids ist ihr Thema ebenso wie die ungute Machtstellung der katholischen Kirche mit ihrem machohaften Gebaren gegenüber Andersdenkenden und Abtrünnigen.

Majella Lenzen hat offensichtlich mit diesen Aufzeichnungen ihrem Herzen Luft gemacht, um endlich ihr Selbstwertgefühl zu dokumentieren und ihren Frieden zu finden.

Majella Lenzen
Fürchte Dich nicht
253 Seiten, gebunden
Dumont Buchverlag, Oktober 2012
ISBN-10: 3832196897
ISBN-13: 978-3832196899
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Emily Perkins: Die Forrests – Roman einer Familie

Emily Perkins: Die Forrests – Roman einer Familie

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Insgesamt haben die Forrests vier Kinder. Dorothy, Evelyn, Michael und Ruth. Daniel kam in schwierigen Zeiten in die Familie, als Freund Michaels. Die Kinder wachsen ohne Erziehung auf. Sie werden von alleine groß, fühlen sich frei in ihrer Wahlheimat Neuseeland, bis Geldsorgen alles kaputt machen. Als die Eltern Frank und Lee zurück nach Amerika gehen, nehmen sie nur die Jüngste mit.
Dorothy, Evelyn und Michael und natürlich auch Daniel bleiben und beginnen ihr eigenes Leben und überlassen alles dem Selbstlauf. Dorothy und Evelyn sind einander verbunden, aber erst als Evelyn nach einem Unfall und daran anschließender Krankheit verstirbt, beginnt Dorothy, die mittlerweile verheiratet ist und vier Kinder hat, ihr Tun zu hinterfragen.

Das Buch wird von einer traurigen Stimmung getragen. Inhaltlich ist es undurchdringlich und schwer zu erfassen. Die Vergangenheit drückt auf die Gegenwart, die auch nicht besser ist. Unschöne Erinnerungen sind stets präsent, schöne werden davon plattgewalzt. Man begegnet einem Durcheinander von Menschen, vor allem unglücklichen, die alle irgendwie zusammengehören und aus dem Dorothy erst zum Ende des Buches hin als roter Faden hervorgeht. Sie ist die einzige Person, der man ein wenig näher kommt, leider ohne sie zu verstehen.

Das Buch ist zutiefst deprimierend. Die Autorin unterstreicht diese hoffnungslos wirkende Stimmung mit ihrem Schreibstil. Dennoch bleibt es in den Gedanken hängen, setzt sich dort regelrecht fest. Es hat etwas Intensives, etwas Erschütterndes, das man nicht so schnell vergessen kann, auch wenn das eher unangenehm ist. Es ist die tiefe Traurigkeit, die sich einfach nicht abschütteln lässt. Das Buch ist nicht spannend, es gibt keinen Spannungsbogen oder ähnliches, nicht ergreifend und hat trotzdem etwas Fesselndes. Es ist verstörend, dass die Autorin mit ihrem Buch solche zwiespältigen Gefühle hervorrufen kann.

Rezension von Heike Rau

Emily Perkins
Die Forrests – Roman einer Familie
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
400 Seiten, gebunden
Berlin Verlag
ISBN-10: 3827010764
ISBN-13: 978-3827010766
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Patrick Ness / Siobhan Dowd: Sieben Minuten nach Mitternacht

Patrick Ness / Siobhan Dowd: Sieben Minuten nach Mitternacht

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Kurz nach Mitternacht ist es. Conor ist nach einem immer wiederkehrenden Albtraum nun wach, als die Eibe in der Nähe des Hauses sich erhebt. Sie wird zum Monster und will Conor holen. Doch Conor hat keine Angst. Das Monster aus seinem anderen Traum ist viel schrecklicher als diese hier.

Am nächsten Morgen muss Conor sich fragen, ob wirklich passiert ist, was er in dieser Nacht erlebt hat oder ob er doch wieder eingeschlafen war und träumte. Er ist allein mit seinen Gedanken und seinem Frühstück, weil es seiner Mutter nicht gut geht. Die Großmutter wird kommen, um sich um alles zu kümmern. Aber Conor versteht sich nicht gut mit ihr. Auch das macht ihm Sorgen.
In der Schule wird er gemobbt. Lily ist die Einzige, die sich für Conor einsetzt. Doch er will ihre Hilfe nicht. Sie hat allen verraten, dass seine Mutter krank ist. Seitdem sehen ihm die Schüler und Lehrer anders an.

Das Monster kommt wieder. Drei Geschichten will es erzählen. Die vierte soll Conor dann selbst erzählen. Nicht irgendeine Geschichte soll es sein. Das Monster will die Wahrheit hören. Und so nimmt das Baummonster immer mehr Raum in seinem Leben ein. So wie seine Mutter schwächer wird, scheint es stärker zu werden. Und umso stärker es wird, umso größer wird die Wut in Conor.

Zunächst etwas zur Entstehungsgeschichte. Patrick Ness hat dieses Buch nach einer Idee von Siobhan Dowd, die 2007 an Krebs starb, geschrieben. Patrick Ness erklärt in einem Vorwort, wie er sich, von dem was vorlag, das sind die Charaktere, ein Exposé und der Anfang, inspirieren lassen und ein eigenes Werk geschaffen hat.

Die Geschichte ist so traurig, dass man manchmal gar nicht weiter lesen mag. Aber es gibt Dinge, denen man sich stellen muss.
Conors Mutter ist schwer krank und Aussicht auf Heilung besteht kaum. Man leidet mit Conor, der zwar nach außen hin stark wirkt, es aber nicht ist. Er bleibt auf der Strecke, weil alles sich um seine Mutter dreht. Verständlicherweise! Er muss, als die Mutter ins Krankenhaus kommt, zu seiner Großmutter ziehen, mit der er sich nicht versteht. Ohne sein Zuhause fehlt ihm jede Rückzugsmöglichkeit. Dem Albtraum kann er nicht entfliehen und auch nicht dem Baummonster.
Conor verspürt keinen Halt mehr. Er hat große Sorge um seine Mutter und Angst vor der Wahrheit. Er spürt Wut und Hilflosigkeit. Das alles kann er kann er zunächst gar nicht erfassen.

Einfühlsam wird beschrieben, wie es Conor geht, wie das Baummonster ihm nicht gerade sanft zum Nachdenken bringt und ihm hilft die die Ursache für seinen schrecklichen Albtraum herauszufinden. Gefühle werden auch über die Bilder transportiert. Die nachtschwarz sind und sehr beklemmend wirken. Ein Buch, das so ausdrucksstark ist, in Wort und Bild, findet man selten.

Rezension von Heike Rau

Patrick Ness / Siobhan Dowd
Sieben Minuten nach Mitternacht
Illustriert von Jim Kay
Aus dem Englischen von Bettina Abarbarnell
216 Seiten, gebunden
cbj, München
ISBN-10: 3570153746
ISBN-13: 978-3570153741
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Martine Leavitt: Keturah, Gefährtin des Todes

Martine Leavitt: Keturah, Gefährtin des Todes

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Auf der Suche nach einer neuen Geschichte folgt Keturah dem sagenumwobenen Hirsch in den Wald hinein. Bald muss sie feststellen, dass sie sich verlaufen hat. Drei Tage irrt sie umher, bis sie die Hoffnung verliert, noch nach Hause zu finden. Es bleibt ihr nichts anderes, als auf den Tod zu warten. Auf einem schwarzen Hengst kommt die dunkle Gestalt eines Mannes herangeritten, um Keturah mit sich zu nehmen. Doch das junge Mädchen ist noch nicht bereit. Sie bringt es aber auch nicht übers Herz, einen anderen zu benennen, der an ihrer Stelle sterben soll. Dabei, so erfährt Keturah, wird ihr Dorf bald von der Pest heimgesucht werden. Doch für Keturah ändert das nichts, vielmehr will sie die Bewohner warnen. Mit einer Geschichte, die ihre eigene ist, versucht sie den Tod hinzuhalten und erhält einen Tag Aufschub. Zeit, um eine Liebe zu finden, die größer ist als der Tod.

Der junge Lord John Temsland findet Keturah am Waldrand. Die Freude im Dorf ist groß, als er das Mädchen wohlbehalten zurückbringt. Besonders ihre Großmutter, bei der Keturah lebt, ist erleichtert. Ihren Freundinnen Beatrice und Greta erzählt Keturah dann von ihrem Handel mit Gevatter Tod. Später geht sie zu Sor Lily, der weisen Frau des Dorfes, und bittet um einen Liebeszauber. Sie zahlt einen hohen Preis dafür. Doch nun wird Keturah wissen, wenn sie der Liebe ihres Lebens gegenübersteht. Ist es der Schneider oder der Kantor? Ist es vielleicht sogar John Temsland? Der Liebeszauber schlägt nicht an. Und fast schon ist es wieder Nacht. Ob Keturah den Tod wohl noch einmal hinhalten kann?

Die Geschichte ist traumhaft schön, aber auch unendlich traurig. Keturah muss die Liebe ihres Lebens finden, um dem Tod zu entgehen, doch es will ihr nicht gelingen. So nimmt das Schicksal seinen Lauf.
Die leicht fließende Sprache der Autorin begeistert. Sehr stimmungsvoll kommt die Geschichte daher, zerfließt in Melancholie. Man liest ein Märchen. So stimmt auch das Umfeld. Die Abgeschiedenheit des von Wald umgebenen Dorfes. Der Aberglaube, der für manches Rechtfertigung ist. Die Träume der jungen Mädchen. Und über all dem liegt immer der Tod. Er ist allgegenwärtig, wartet. Doch in dieser Geschichte hat auch er so etwas wie ein Herz und weckt eine ungekannte Sehnsucht in Keturah.

Man ahnt es bald, wer sich mit dem Tod einlässt, kann im Grunde nicht gewinnen. Doch Keturah muss es versuchen, viel zu sehr hängt sie am Leben. Viel zu sehr liebt sie ihre Mitmenschen. Sie ist nicht bereit hinzunehmen, dass anderen Leid geschieht. Dass der Preis, den sie zahlen muss, viel zu hoch ist, merkt sie zu spät. Gevatter Tod ist geschickt im Manipulieren. Man weiß, dass es keine Ende geben wird, wie man es sich wünscht. Und so wird wohl der eine oder andere das Buch am Ende mit einer Träne im Auge aus der Hand legen und noch lange über die Geschehnisse nachdenken müssen und den Tod.

Rezension von Heike Rau

Martine Leavitt
Keturah, Gefährtin des Todes
Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann
237 Seiten, gebunden
ab 13 Jahren
Carl Hanser Verlag
ISBN-10: 3446234756
ISBN-13: 978-3446234758

Maria Àngels Anglada: Die Violine von Auschwitz

Maria Àngels Anglada: Die Violine von Auschwitz

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Wer diesen Ort des Grauens überlebt hat, der war begnadet.

„Und ich komme an einen Ort, wo alles Licht erloschen ist.“
Dante, Göttliche Komödie, Die Hölle
Mit diesen Worten im Vorspann befinden wir uns an einem Ort, an dem wirklich die Hölle beherbergt schien. Auschwitz 1941!

Hier krepierten und verendeten buchstäblich die Menschen, denen man im Holocaust jedes Recht auf Leben und alle Würde abgesprochen hatte. In Originaldokumenten aus dem KZ Auschwitz, verfasst und unterzeichnet von den jeweiligen Kommandanten des Lagers, kann man nachlesen, wie und in welcher Form man die Insassen quälen und schikanieren durfte, und auf welche Weise für welche Vergehen man sie liquidieren konnte.

Die Geschichte mit ihren äußeren Bedingungen, die jeden einigermaßen normalen und mit moralischen Grundsätzen vertrauten Menschen schaudern lassen, steht im auffälligen Kontrast zu dem musischen und sensiblen Hintergrund: wir haben es hier mit dem außergewöhnlichen jüdischen Geigenbauer Daniel zu tun. Er ist wie fast alle anderen polnischen Juden in die Mühlen des allgemeinen Untergangs geraten, als er als Geigenbauer im KZ durch Zufall in Erscheinung tritt. Die sadistischen Schergen des Unrechtregimes denken sich eine infame Böswilligkeit für den feinsinnigen aber gequälten KZ-Bewohner aus: bei einer Wette wird ausgemacht, dass er den Auftrag zum Bau einer Geige erhält. Gelingt das Unterfangen, geht eine Kiste Wein an den Lagerkommandanten. Verrichtet er die Aufgabe nicht zur Zufriedenheit seiner Auftraggeber, wird er zu einem medizinischen Menschenversuch freigegeben.

Kann man sich eine grausamere menschliche Handlung auch nur ausdenken?

Eingebettet in die Musik Mozarts und in die Geschichte eines Konzerttrio, das lange nach dem Kriegsende auf Konzertreisen von dieser Geschichte hört, erlebt man noch einmal die unmäßigen Behandlungen der KZ Insassen, ihre erbärmlichen Unterkünfte, den Hunger, die Kälte und den tausendfachen Tod. Es macht einem das Herz gefrieren und lässt einen schaudern. Die wunderbare Sprache mit poetischer Kraft zeigt das herausragende Können der Autorin. Ihr feines Gespür für die Empfindungen der Menschen in aussichtloser Lage ist von anrührender Überzeugungskraft. Fassungslos steht man auch heute noch vor der Erbarmungslosigkeit, wie sie uns in diesem Buch vor Augen geführt wird. Und doch zeigt uns Maria Anglada mit ihrer Geschichte, dass außerhalb aller irdischen Erniedrigungen und Qualen die Musik eine Kraft enthält, die über allem anderen Tröstung und Zuversicht zu geben vermag.

Angerührt und ergriffen legt man das kleine Büchlein zur Seite. Die Autorin Maria Àngels Anglada und die Übersetzerin Theres Moser haben ein überragendes Meisterwerk geschaffen.

Romane wie diese bleiben für immer Mahnmale, die uns erinnern werden, was zu verhindern für alle Zukunft unsere Aufgabe bleiben wird.

Maria Àngels Anglada
Die Violine von Auschwitz
Gebundene Ausgabe: 176 Seiten
Verlag: Luchterhand Literaturverlag
ISBN-10: 363087326X
ISBN-13: 978-3630873268