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Paulus Hochgatterer: Fliege fort, fliege fort

Paulus Hochgatterer: Fliege fort, fliege fort

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Furth am See ist ein idyllisches Städtchen. Das schützt den Ort jedoch nicht vor merkwürdigen Vorkommnissen. Ein alter Mann, der in Krankenhaus eingeliefert wird, hat seltsame Verletzungen, deren wahre Ursache er nicht preisgeben möchte. Eine Nonne, ebenfalls in die Jahre gekommen, kann gerade so vor dem Erstickungstod gerettet werden. Obwohl es offensichtlich ist, dass ihr jemand Gewalt angetan hat, wiegelt sie ab. Das Haus eines Politikers wird mit einem Graffito beschmiert. Die Botschaft ist noch zu ergründen. Und dann verschwindet die kleine Elvira spurlos, aber es gibt keinen Erpresserbrief.

Der langsam ins Alter kommende Kommissar Ludwig Kovacs ist mit den Fällen betraut. Doch die Ermittlungsarbeit ist kompliziert. Es gibt keine Hinweise oder Spuren im Entführungsfall. Und es ist äußerst mühsam aus den Befragungen der Opfer, die keine sein wollen, Relevantes herauszufiltern. Ohnehin macht ihm seine Gesundheit zu schaffen, auch wenn er das nicht wahrhaben will und vor den anderen zu verbergen versucht. Nur dem Leser wird offenbart, wie es um ihn steht.

Psychiater Raffael Horn ist geschickt darin, Nuancen in Patientengesprächen zu erkennen. Er erlebt die Patienten, auch wenn das nicht im häuslichen Umfeld geschieht, in einer gewissen Alltagssituation in einem größeren zeitlichen Rahmen. Er ist ein guter Beobachter, der auf die Hilfe seines Teams zählen kann. Seine Gedanken kann Horn allerdings nicht immer für sich behalten. So sprudelt unbemerkt aus ihm heraus, was er eigentlich nicht sagen will. Manchmal ist das witzig und manchmal nicht. Es sind diese kleinen Details, die das Buch, obwohl die Fälle anfangs unzusammenhängend erscheinen, unterhaltsam macht.

Es ist nicht ganz leicht, den Überblick über die Geschehnisse zu behalten. Der Autor springt zwischen den Handlungsepisoden hin und her. Es ist also ein hohes Maß an Konzentration beim Lesen erforderlich. Ich habe mich an den beiden Ermittlern Kovacs und Horn orientiert. Und so nimmt eine Geschichte ihren Lauf, die sich aus Geschehnissen, die in der Vergangenheit liegen, entwickelt. Was damals passiert ist, hätte verhindert oder zumindest aufgehalten werden müssen. So viel wird schnell klar!

Werden jetzt offene Rechnungen beglichen? Geht es um späte Rache? Oder geht es um Gerechtigkeit und darum, etwas im Bewusstsein der Menschen wieder aufleben zu lassen? Ein Wort gibt den entscheidenden Hinweis. Man beginnt das Unglaubliche zu begreifen. Das Puzzle fügt sich zusammen. Und den Rest muss man sich denken!

Rezension von Heike Rau

Paulus Hochgatterer
Fliege fort, fliege fort
304 Seiten, gebunden
Deuticke Verlag
ISBN-10:3552064036
ISBN-13:978-3552064034
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Hanya Yanagihara: Ein wenig Leben

Hanya Yanagihara: Ein wenig Leben

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Von den dunklen und hellen Seiten des Lebens…

Vier Studenten unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft und Zukunftspläne finden sich in New York zusammen. Sie kennen sich vom College, und man lernt sie nach und nach in ihren sehr verschiedenen Charakteren und Leidenschaften kennen.

Zuerst ist die Erzählung ein sanftes Herantasten an die gegenwärtigen Lebensbedingungen ihrer Protagonisten.

Da ist JB, der Künstler, Malcolm, der Architekt aus reichem Elternhaus, Willem, der Schauspieler werden will und Jude St.Francis, der geheimnisvolle und von heftigen Schmerzattacken gepeinigte letzte in der Runde, der sein Jurastudium beendet hat.

Die vier Freunde befinden sich nach dem Ende ihres Studiums auf der Suche. Es geht ihnen um gute Jobs, die nicht so leicht zu finden sind, um das Leben und den Sinn ihres Tuns, um Ablösung von herkömmlichen Bindungen, um neue Erfahrungen, um Liebe, Sex und Freundschaft! Letztere hält sie zusammen. Sie sprechen viel miteinander. Reich oder arm, weiß oder schwarz spielt die geringste Rolle, obwohl diese Merkmale sicher auch bei der Identitätsfindung von Belang sind.

Ganz allmählich wird der Leser in Bann gezogen von ihrem Lebensdrang, ihren Fragen aneinander, auch von den Alltäglichkeiten wie Umzüge, Wohnungs- oder Jobsuche.

Man begleitet die Jungs durch ihr halbes Leben. Sie sind sehr verschieden von Charakter und Herkunft! Jude trägt offensichtlich ein schweres Schicksal mit sich. Er ist der Geheimnisvolle und mehr und mehr die zentrale Figur, von dem man nur wenig weiß, der sich nie äußert und doch von allen geliebt wird.

Fesselnd und atemberaubend in ihrer Dramatik und von grausamer Düsternis scheint seine  Kindheit überschattet gewesen zu sein.

Was hatte es mit dem Heim oder dem Kloster auf sich? Er fügt sich selber Leiden zu, indem er sich mit Rasierklingen verletzt, um die Vergangenheit und seinen Selbsthass, der aus dieser Vergangenheit resultiert, zu ertragen. Nach außen hin bleibt er verschlossen, liebenswert und liebenswürdig, und jeder bemüht sich, hinter sein Geheimnis zu kommen.

Vorsichtig führt uns die Autorin in die Tiefen der Beziehungen. Hier ist von Hass, menschlicher Destruktivität, von Misstrauen und echter Zuneigung, von Kränkungen, Verstehen und nicht zuletzt von einer tiefen und unverbrüchlichen Freundschaft und homosexuellen Beziehung die Rede.

Als Leser ist man erschlagen von der Wärme der Gefühle und dem Zusammenspiel von Liebe und Freundschaft, von Glück und Verzweiflung. Es ist ein Buch, das einen zum Weinen bringt!

Hanya Yanagihara beschreibt das Amerika, das wir kennen; ein Amerika, von dem so mancher junge Mensch träumen mag. Vom Auf und Ab der Möglichkeiten, von Verlusten, vom Abstand des Kleinen zum Großen, von Chancen und von der schier unbegrenzten Freiheit, die junge Menschen beim Aufbruch ins Leben erhoffen dürfen. Die einen finden ein bescheidenes Glück, und die anderen sind geplagt von Sehnsucht nach der einen wahren und großen Liebe und von der Unerfüllbarkeit erhoffter Lebensträume. Die Wahrheit ist fast immer eine andere!

Hier erleben wir ein Amerika, das es heute nicht mehr gibt! Fast setzt der Roman einen Schlusspunkt unter das freie, liberale Vielvölkerstaatengemisch, das in den Vorstellungen der westlichen Welt die wahre Freiheit Amerikas verkörperte.

Bis zur letzten Seite kann man sich von den Geschehnissen nicht lösen. Der Roman wird vermutlich den Literaturbetrieb in diesem Frühjahr heftig beschäftigen!

Hanya Yanagihara
Ein wenig Leben
960 Seiten, gebunden
Hanser Berlin, Januar 2017)
ISBN-10: 3446254714
ISBN-13: 978-3446254718
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Anna Funder: Alles was ich bin

Anna Funder: Alles was ich bin

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Politik, Spionage und Heimtücke im Spiel um die Macht im Deutschland des Dritten Reichs.

Der Schriftsteller, Revolutionär und Politiker jüdischer Herkunft, Ernst Toller, 1893 -1939, spielte zum Ende des Ersten Weltkriegs eine tragende Rolle bei der Gründung der pazifistischen und radikal-sozialistischen USPD.

In ihrem Roman „Alles was ich bin“ setzt sich die australische Schriftstellerin Anna Funder mit dem Leben der beeindruckenden Persönlichkeit dieses charismatischen Mannes auseinander.

A. Funder hatte einst in Melbourne Ruth Blatt kennen gelernt, die eng mit Dora Fabian befreundet und verwandt war, der Sekretärin von Ernst Toller. Aus seinen Aufzeichnungen schöpft die Autorin ihr Wissen, mit dem sie über die politischen Verhältnisse von der Weimarer Republik bis ins dritte Reich berichtet.

Waren die zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts noch geprägt von Aufbruchstimmung und umwälzenden künstlerischen und gesellschaftlichen Neuerungen, so ändert sich das alles mit der Machtübernahme Adolf Hitlers. Aus der Räterepublik über die Weimarer Verfassung ging der Weg unverdrossen in Richtung Faschismus und Naziherrschaft.

Man hört noch heute von den zwanziger Jahren in Berlin, in denen Lebenslust und kreativer Neubeginn die Stimmungen beflügelten.

Eine kulturelle und politische Elite fand sich hier ein, die anhaltend kreativ arbeitete und Feste zu feiern verstand.

Bildenden Künste, Theatervorstellungen und Lesungen bekannter Schriftsteller gehörten zur Zeit des Aufbruchs und der hoffnungsvollen Zuversicht auf eine bessere Zeit. Anna Funder fängt diese Stimmung effektvoll und realistisch ein.

Das Jahr 1933 markierte den Höhepunkt, denn nach Hitlers Machtergreifung änderte sich alles und Scharen von Politikern und Schriftstellern flohen ins benachbarte Ausland. Hier begann die Arbeit im Untergrund.

Anna Funder beschwört in ihren Schilderungen die agitatorische Zeit mit ihren Auswüchsen, ihren Opfern und der Furcht vor dem langen Arm der Gestapo. Verrat, Spionage, Treue und Untreue wurden allgegenwärtige und veränderten die Gesellschaft und das politische Leben unabänderlich.

In den Perspektivwechseln, deren sich Anna Funder bei ihrer Erzählung bedient, muss man sich von Person zu Person und von Zeit zu Zeit aus New York über London bis Berlin in der Rückerinnerung an die Plätze dieses aufwühlenden Jahrhunderts zurück versetzen. Unterschiedliche Personen kommen zu Wort, und man muss dabei bleiben, um die Geschichte als Ganzes zu verstehen. Doch eindrucksvoll und realitätsnah werden die Ereignisse um die früh Verfolgten und früh zu Tode Gekommenen hier beschrieben. Das Buch lässt wenige Fragen offen und ist absolut empfehlenswert.

Anna Funder
Alles was ich bin
432 Seiten, gebunden
S. FISCHER, Februar 2014
ISBN-10: 3100215117
ISBN-13: 978-3100215116
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