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Schlagwort: Zeitgeschichte

Karl Schlögel: der Duft der Imperien

Karl Schlögel: der Duft der Imperien

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Anhand von Düften Zeitgeschichte darzustellen, das ist eine originelle Idee. Karl Schlögel hat sich dieser Aufgabe unterzogen. Er beschreibt die Jahrhundertwende vom 19. bis weit ins zwanzigste Jahrhundert. Es geht um die Düfte von Chanel Nr. 5 in Frankreich und Rotes Moskau in Russland.

Noch herrschen in Russland die Zaren. Karl Schlögel bemüht eine Vielzahl der Namen von Personen, die an der Entwicklung der beiden Düfte maßgeblich beteiligt waren.

In Wirklichkeit geht es um die Zuordnung der Düfte, die unweigerlich mit Orten und mit Geschichte verbunden waren. Karl Schlögel erinnert an das berühmte Beispiel von M. Proust, dem bei dem Duft von Madeleines Erinnerungen an seine Urlaube mit seiner Großmutter kamen.

Sehr entscheidend bei der Namensgebung und Etablierung der beiden Düfte waren Polina Shemtschushina Molotowa in Russland und Coco Chanel in Frankreich. Molotowa war die Frau des späteren Außenministers der Sowjetunion, Molotow.

Coco Chanel ist die berühmte Modedame in Paris. Beide waren in die jeweiligen politischen Verhältnisse mit verwickelt.

Chanel hatte sich aus armen Verhältnissen stammend in die Welt der high society hochgearbeitet und verkehrte mit allen Großen von Rang und Namen der dreißiger Jahre. Sie war im Grunde unpolitisch wechselte aber gelegentlich die Seiten.

Ihre Kontakte pflegte sie in England ebenso wie in Frankreich und Deutschland. Unter ihnen gab es Künstler, Politiker und hoch gebildete Schichten aus Intellektuellen und Schriftstellern. Auf diese Weise konnte sie auch ihren Einfluss geltend machen, um ihren Landsleuten in prekären Situationen zu helfen.

In Russland ist es die russische Revolution, die das gesellschaftlichen Leben veränderte. Nicht aber die Sehnsucht nach den gepflegten Düften!

Molotowa agiert politisch und tritt 1918 der Partei der Bolschewiki bei. Nach langen Jahren politischer Arbeit wurde sie als Jüdin 1949 zu fünf Jahren Verbannung verurteilt.

Ihr Weg durch zahlreiche hohe Ämter in Politik und Wirtschaft findet ausführlich Erwähnung in den Darstellungen von Karl Schlögel. U.a. war sie auch für die Kosmetikindustrie tätig, daher ihre Verbindung zu dem russischen Parfum Rotes Moskau.

Im Mittelpunkt der beschriebenen Ereignisse stehen die dreißiger Jahre, in denen Nationalsozialismus, die Folgen der russischen Revolution, Verfolgung und Krieg zu den zentralen Ereignissen des Jahrhunderts wurden.

Viele interessante Einzelheiten zum Regime unter Stalin machen immer wieder Staunen, wie die Anhänger Stalins jede noch so infame Strafe hinnahmen, ohne von ihm abzufallen.

Der Autor hat zahlreiche Einzelheiten zu den gesellschaftlichen Verbindungen der beiden Frauen in ihrer Zeit parat. Er hat für seine Ausführungen alles gründlich recherchiert.

In der Gegenüberstellung der beiden Frauen Coco Chanel und Polina Molotowa ersteht ein ganzes Jahrhundert mit den unterschiedlichen Tendenzen: Luxus, Reichtum, Bürgertum (Chanel) gegen Funktionärsmacht, Intrigen, politische Dominanz in allen gesellschaftlichen Bereichen ( Molotowa).

Ein hoch gelungenes aber dank der unzähligen Namensnennungen nicht ganz leicht zu lesendes Werk. Für Geschichtsinteressierte eine ganz neue Art, die Entwicklungen des vergangenen Jahrhunderts zu betrachten.

Eine lange Reihe von Anmerkungen vervollständigen das Werk zu einem ausgezeichneten Zeitdokument auf dem Weg über die „Düfte“!

Karl Schlögel
Der Duft der Imperien
224 Seiten, gebunden
Hanser Verlag, 2. Auflage, Februar 2020
ISBN-10: 3446265821
ISBN-13: 978-3446265820
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Edmund Hartsch: Maffay – Auf dem Weg zu mir

Edmund Hartsch: Maffay – Auf dem Weg zu mir

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Echter Lesespaß: „Maffay – auf dem Weg zu mir“

Nein, das Buch ist entgegen der meisten Presse-Aussagen keine Autobiografie. Es ist eine Biografie, ein echtes Edmund-Hartsch-Buch. In seinem knackig-spitzen Stil geschrieben – das allein wär schon Empfehlung genug. Ohne Drumherumgerede skizziert Journalist Edmund Hartsch, laut Wikipedia „Pressebetreuer in der Musikbranche“, nicht nur die Stationen des Peter Maffay, sondern auch das musikalisch-tagespolitische Umfeld, durch das hindurch Maffay seinen Weg zu sich suchte. Vieles erscheint dabei für das Thema des Buches irrelevant, sei es, weil es das wirklich war, weil Maffay die Relevanz nicht bewusst war oder weil er sie während der Gespräche mit dem Autor nicht dar- oder nahelegte. Interessant ist es trotzdem, weil es das Phänomen Maffay aus dem luftleeren Raum einer bloßen Faktensammlung holt und in die Wirklichkeit einsortiert.

Dass man zum Genuss des Inhalts wenn schon nicht Maffay-Fans sein, so doch wenigstens mit „Peter was am Hut“ haben sollte, liegt nahe. Tatsächlich bleibt bei aller Detailiertheit und vieler kraftstrotzender Auf-den-Punkt-Aussagen ein Beobachter-Abstand erhalten, der es Nicht-Fans vielleicht erschwert, Zugang zu dem Menschen Maffay zu bekommen. Dass dies zu dessen Charakter des offenen, sich aber nicht entblößenden Menschen passt, kann man als Geniestreich Hartschs auffassen, ist aber wohl eher Zufall.

Vielleicht ist dieser Abstand und dieses Tempo, dieses nicht in Gefühlsduselei-gedrängt-Werden, aber auch ein Vorteil für Nicht-Maffay-Fans. Denn egal, ob man zur Masse der Peter-Treuen gehört oder nicht: Das Buch liest sich wie locker-fröhliche Unterhaltung, wie ein witzig-bissiger Abriss über 40 Jahre Populärmusik Deutschlands. Vor allem wer Spaß am Wort hat, wird bestens bedient – Musikszenekenntnisse können da ruhig rudimentär sein.

Und als sei das alles nicht genug, besticht das Buch durch ein ungewöhnliches, dekoratives und doch höchst lesefreundliches Layout. Es balanciert mit traumwandlerischer Sicherheit jenseits der buchtypischen „Bleiwüsten mit Bild“ und diesseits der überdekorierten „Schmuck-Stücke“. Jede Seite ist grafisch konsequent durchgestaltet, Spaltenstrukturen werden aufgebrochen, Illustration und Text fließen zuweilen ineinander, Details erfrischen den Blick ohne abzulenken.

Nur das Schlusswort, das ist irgendwie daneben gegangen. Hartsch schreibt es durchweg in der Vergangenheit. Vielleicht sollte das den frisch-witzigen Ton mit einem Maffays Leistungen angemessenen Pathos überziehen, tatsächlich jedoch klingt das Schlusskapitel wie ein Nachruf. Aber wie heißt es so schön? Totgesagte leben länger.

Edmund Hartsch
Maffay – Auf dem Weg zu mir
Bertelsmann, 2009
ISBN 978-3-570-01029-7