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J.M.G. Le Clézio: Lied vom Hunger

J.M.G. Le Clézio: Lied vom Hunger

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Kriegsschicksale in Frankreich: eine Familienstudie.

Vor dem zweiten Weltkrieg versammelten sich in Paris zahlreiche russische Adeligen, die nach der Revolution von 1917 ihre russische Heimat verlassen mussten. Mitte der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts wohnt auch Ethel mit ihren Eltern, die aus Mauritius stammen, in der Stadt.

Ethel freundet sich mit Xenia an, einer russischen Fürstentochter, die schon etwas älter, leicht raffiniert und ein wenig berechnend ist. Doch Ethel bewundert sie, weil sie zu Hause unter den Spannungen zwischen ihrem leichfertigen Vater und der streitenden Mutter leidet. Sie hätte so gerne ein Geschwisterkind und sucht in Xenia einen Ersatz dafür.

Ein in jungen Jahren von einem Onkel ererbtes  größeres Vermögen bringt Ethels Vater Alexandre als Vormund an sich. Er bringt alles Geld dann auch ganz schnell durch, so dass die Familie sehr bald dank der unseriösen Geschäftspraktiken des Vaters mittellos dasteht.

Früh schon taucht Laurent Feld im Kreise geselliger Abende bei Ethels Eltern auf. Ethel mag ihn, vertraut ihm und wünschte sich aufs sehnlichste einen Bruder wie ihn! Wie sich das Schicksal der beiden erfüllen wird, das erfahren wir später!

Durchsichtig und leicht spinnt Clézio seine Geschichte aus, in der es um Flüchtlinge in Paris, um Reichtum, Armut, um Rivalität, große Geselligkeiten und amouröse Abenteuer geht.

Die Atmosphäre der Vorkriegs – und Kriegszeit bestimmt die Gefühlslage in den Familien. Dass Alexandre ein schwadronierender Angeber ist, der seine Frau betrügt und die Familie in den Ruin führt, zeigt die eine Seite des damaligen Lebens. Die andere zeigt eine entschlossene junge Frau, die das Schicksal der Familie in die Hand nimmt und den traurigen Niedergang zu Ende führen muss. Die Familie hungert im Süden Frankreichs dem Kriegsende entgegen.

Ethel ist die Heldin dieses Stücks Zeitgeschichte, in der durch den Krieg und familiäre Umstände ihr Glück und ihre Zukunft nur noch durch eigene Kraft zu bewältigen sein wird. Ethel beeindruckt durch ihre sensible und scharfe Beobachtungsgabe, mit der sie ihr persönliches Unglück realisiert. Fein gezeichnet erlebt man eine dekadente Gesellschaft, die in den letzten Zügen liegt. Dass Esther ihr Leben und das ihrer Familie zu meistern versteht, bildet den Plot der Geschichte. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes ihre „eigene Schmiedin des Glücks!“

Die Naziherrschaft und die Judenverfolgung in Frankreich sind Themen, denen sich Clézio schon in anderen Werken( Fliehender Stern) angenommen hat.

Nachvollziehbar, lebhaft und glaubwürdig zeigt Clézio  als Meister der Poesie erneut, dass er den Nobelpreis 2008 verdient hat!

J.M.G. Le Clézio
Das Lied vom Hunger
Gebundene Ausgabe: 217 Seiten
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN-10: 3462041363
ISBN-13: 978-3462041361

Vertrauen ist gut

Vertrauen ist gut

Trotz seiner körperlichen Behinderung führt Felix ein weitgehend selbstbestimmtes Leben. Der fast Fünfzigjährige wohnt in einem Anbau am Haus von seinem Bruder und dessen Familie. Leider scheint die Ehe seines Bruders nicht mehr ganz so harmonisch wie früher. Immer öfter wird gestritten. Das beunruhigt Felix. Das handschriftliche Manuskript, das Felix für seinen Bruder abtippt, verstärkt die Ängste noch. Es scheint ihm, dass es sich hier nicht um Fiktion, sondern viel mehr um die Beschreibung der Wirklichkeit handelt. Wird hier gezeigt, was sich drüben im Haus abspielt? Im Buch geht es um eine Frau, die immer mehr in die Fänge einer Sekte gerät. Sie will ihren Mann dort mit hineinziehen oder, wenn ihr Plan nicht gelingt, ihn mit dem kleinen Sohn verlassen. Aber nicht nur das, was mit seiner Schwägerin womöglich passiert beunruhigt ihn. Auch sein Bruder hat sich in letzter Zeit verändert. Er wird dem Vater immer ähnlicher, entwickelt sich ebenfalls zu einem Choleriker. Felix wird an seine Kindheit erinnert. Alte Geschichten kochen wieder hoch.

Felix macht sich das Leben schwer. Er ist ein sehr ängstlicher Mann, der überall Gespenster sieht. Diese ständige Wachsamkeit zermürbt ihn. Er schafft es nicht, die Vergangenheit ruhen zu lassen. So glaubt man als Leser zunächst, er jagt einem weiteren Hirngespinst nach, als er das Manuskript inhaltlich hinterfragt. Man wird davon angesteckt, wird hellhörig. Man sucht nach Hinweisen, die Felix’ Annahmen stützen könnte. Man ist aber hier ganz auf das, was Felix erlebt und denkt angewiesen. Eine andere Perspektive auf das Geschehen wird dem Leser verweigert. So gerät man mit hinein in den Gedankenstrudel. Die Vorstellungskraft wird derart angeregt, dass man auch schon bald die Katastrophe kommen sieht.
Das Buch ist also gut gemacht. Man wird als Leser von einer außergewöhnlichen Geschichte gefangen genommen, die auf die Macht der Fantasie setzt. Genau wie Felix wird man in Alarmbereitschaft versetzt. Das erzeugt eine ungeheure Spannung, obwohl lange nichts wirklich Dramatisches passiert. Diese Art der Beeinflussung ist ein interessantes und überraschendes Gefühl. Sehr unheimlich!

Rezension von Heike Rau

Jürg Acklin
Vertrauen ist gut
160 Seiten, gebunden
Nagel & Kimche
ISBN: 978-3312003648
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