Johannistag

Johannistag

Courtillon ist ein kleines, abgeschiedenes Dorf in der französischen Provinz. Hierher flüchtet der Ich-Erzähler. Er will um seine verloren Liebe trauern und sich einlullen lassen vom beschaulichen Dorfleben.
Die Idylle trügt allerdings. Die Gefühle kochen hoch, als Valentine Charbonnier in einer Vollmondnacht aus dem Fenster fällt. Jean meint, er sei schuld, auch wenn keiner weiß, wie er darauf kommt. Zum Glück hat sie sich nicht ernsthaft verletzt. Auf alle Fälle hat die Dorfgemeinschaft nun wieder etwas zum Tratschen. Vielleicht ist das Mädchen ja nur geschlafwandelt. Leise denkt man darüber nach, ob sie möglicherweise gestoßen worden ist oder gar selbst gesprungen.

Es kehrt schon fast wieder Ruhe ein, als Jean zusammengeschlagen wird. Geprügelt taucht er beim Erzähler auf und berichtet von den zwei jungen Männern mit Motorradhelmen, die beim Pilzesammeln auf ihn losgegangen sind. Die Sache muss geplant gewesen sein, aber über die Gründe kann man allerdings nur spekulieren. Also ist es besser, meint Jean, einen Unfall vorzutäuschen.
Aber wie das so ist, Lügen haben kurze Beine.

Dann wird der Erzähler von einem alten Mann gewarnt. Sehr eindringlich, aber wovor er warnt, bleibt unverständlich. Dem Erzähler kommt es vor, als bekomme er ein Theaterstück geboten.
Valentine taucht ab sofort nur noch in Begleitung zweier junger Kerle auf. Der Erzähler hat natürlich sofort einen Verdacht. Er erzählt Jean von Valentines verdächtigen Freunden. Jean interessiert sich nicht dafür, er hat etwas viel Spannenderes zu erzählen. Eine Geschichte aus dem Krieg. Damals war der General, also der alte Mann, der die Warnung ausgesprochen hat gerade mal achtzehn. Die Dorfgemeinschaft hat damals ein Attentat auf einen Zug verhindert. Die Deutschen wurden von jemanden aus dem Dorf informiert. Dass die Sache Hintergründe hatte und nur ein Ablenkungsmanöver war, konnte man nicht wissen. Der Kurier mit dem Geld wurde erschossen.

Jean hat nun etwas Licht in die dunkle Sache gebracht. Mit einem Metalldetektor hat er eine Gürtelschnalle ausfindig gemacht. Nun weiß er, wo das Grab des Kuriers ist. Er kann jetzt beweisen, dass des Bürgermeisters Vater, der Mörder gewesen ist. Auch wenn die Sache fünfzig Jahre her ist, kann man den Bürgermeister noch damit erpressen.

Der Autor hat hier eine sehr interessante Geschichte vorgelegt. Der Erzähler gerät in eine Sache hinein, von der er nie zu Träumen gewagt hätte. Er, der nur nach Ruhe und Abgeschiedenheit gesucht hat, wird zum Spielball einer Intrige, welche die Dorfgemeinschaft mit Hingabe spinnt. In einem arrangierten Theaterstück übernimmt der Erzähler die Aufgabe eines Detektivs und wird bei seiner Suche nach der Wahrheit schamlos manipuliert. Die Dorfbewohner sind im Vertuschen sehr geschickt. Sie füttern ihn mit leckeren Häppchen, um vom Wesentlichen abzulenken. Es ist dementsprechend spannend, den Fortgang der Geschichte zu verfolgen.

Das Dorf, als Kulisse, wird sehr bildhaft beschrieben. Es ist ein Ort, der mehr Geschichten als Häuser hat. Die Einwohner kompensieren ihre Langeweile mit Neugier, die um jeden Preis befriedigt werden muss. Da wird zur Wirklichkeit gemacht, was einmal Lügen waren. Und dies beschreibt der Autor so fließend, dass die Grenze zwischen Wahrheit und Erfindung tatsächlich immer mehr verschwimmt. Man kann sich dem auch als Leser nicht entziehen.

Der Schreibstil des Autors ist als äußerst gekonnt zu bezeichnen. Seine bildhaften Beschreibungen sind von einer unglaublich tiefen Direktheit geprägt, obwohl es nur Wortspiele im weitesten Sinne sind. Man staunt über die geschickte Wortwahl. Auch die Beschreibung der Charaktere, in ihrer kleinkarierten Dramatik ist brillant. Aber der Autor beschreibt sie nicht nur, er „durchschaut“ sie. Selbst der Erzähler hat ein Geheimnis, das dem Leser nur langsam offenbart wird.
Unbedingt lesen!

Über den Autor:
Charles Lewinsky wurde 1946 geboren. Er lebt in Frankreich und Zürich, arbeitet als Dramaturg, Regisseur und Redakteur, schreibt Romane, Theaterstücke und Fernsehsendungen. Für das Buch „Johannisttag“ erhielt er den Preis der Schweizerischen Schillerstiftung 2004.

Rezension von Heike Rau

Charles Lewinsky
Johannistag
316 Seiten, gebunden
Nagel & Kimche
ISBN: 978-3-312-00388-4
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