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Kategorie: Belletristik

Linn Ullmann: Das Verschwiegene

Linn Ullmann: Das Verschwiegene

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Verschwiegenheit, Einsamkeit und Not!

In Jahr 2008 trifft sich Siri und ihr Mann Jon wie jedes Jahr im Sommer mit den beiden Töchtern Liv und Alma im Haus ihrer Mutter Jenny. Diese wohnt in Mailund/Norwegen. Jon ist Schriftsteller in einer schweren Schaffenskrise, und Siri führt zwei Gaststätten. Sie kommen gerade so über die Runden. Für die Töchter haben sie Mille, ein Au-pair-Mädchen aus Oslo, engagiert. Mit Mille ist etwas nicht so, wie es sein sollte. Sie ist geheimnisvoll, widersprüchlich in sich und Siri bedauert schon, sie für den Sommer als Hilfe angenommen zu haben.

Man erfährt noch über die Mutter von Mille, dass sie eine anerkannte Schriftstellerin in Oslo ist.

Schnitt: Drei Jungen finden im Jahr 2011 bei der Suche nach einem vergrabenen Schatz im Wald auf verweste Leichenteile. Das können nur die Reste von Mille sein, kombinieren sie sogleich! Sie war vor zwei Jahren am Geburtstag von Jenny verschwunden und nie gefunden worden.

Langsam die Personen in ihrem Umfeld umkreisend, nähert sich Linn Ullmann der eigentlichen Geschichte: Familien, die ihre Schwierigkeiten miteinander haben aber nicht darüber sprechen.

Verwirrend die Vielzahl von Personen, die nach und nach wie auf einer Bühne erscheinen. Als umkreiste sie eine Kamera treten sie aus dem Schatten der Erzählung und fügen sich in das Gesamtgeschehen ein. Man tut sich zunächst schwer, den Faden der Geschichte nicht zu verlieren. Spiegelt sich darin die Unfähigkeit auch der handelnden Personen, in Kontakt miteinander zu treten und zu bleiben? Ein Familiendrama mit Toten und Geheimnissen spielt sich ab, das in seiner Ausweglosigkeit schwer erträglich bleibt.

Geheimnisvoll bis zuletzt reflektiert Linn Ullmann die Einsamkeit der Betroffenen und ihre Unfähigkeit, sich einander zu offenbaren. Getragen von düsteren und unterschwellig verborgenen Gedanken und Gefühlen durchlebt man mit der Familie die Abgründe, die sich zwischen Menschen auftun können. Ein schwermütiges und anrührendes Geschehen spielt sich ab, das die Spannung bis zuletzt nicht verliert.

Linn Ullmann ist die Tochter des bekannten verstorbenen schwedischen Regisseurs Ingmar Bergmann und der Schauspielerin Liv Ullmann.

Von ihrem Vater mag sie den tiefenscharfen Blick hinter die Kulissen menschlichen Seins mitbekommen zu haben.

Linn Ullmann
Das Verschwiegene
352 Seiten, gebunden
Luchterhand Literaturverlag, April 2013
ISBN-10: 3630874096
ISBN-13: 978-3630874098
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Donatella Di Pietrantonio: Meine Mutter ist ein Fluss

Donatella Di Pietrantonio: Meine Mutter ist ein Fluss

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Was tut man, wenn die Mutter ihre eigene Geschichte vergisst? Wenn die Erinnerungen gehen oder nur noch bruchstückhaft existieren. Dass es nicht wieder besser werden wird, weiß die Tochter, die sich um ihre Mutter kümmert. So geht sie gedanklich zurück in die Vergangenheit und arbeitet diese auf, indem sie ihrer Mutter ihre Erinnerungen schildert und auch die Erinnerungen, die sie nur von ihrer Mutter weiß, weil sie ein kleines Kind war oder diese in eine Zeit zurückgehen, die die Kindheit und Jugend ihrer Mutter betreffen.

Es war ein entbehrungsreiches Leben. Esperina stammt aus einer armer Bauernfamilie in den Abruzzen und heiratete Cesare. Die beiden lebten auf den Höfen der Eltern und Schwiegereltern. Die Arbeit ging immer vor. Es reichte auch so kaum zum Überleben. In diese Großfamilie hinein wurde die Tochter geboren. Viel Liebe hat sie nicht von ihrer Mutter bekommen und das macht ihr heute immer noch zu schaffen. Eine klärendes Gespräch wäre nötig, nach all den langen Jahren. Doch das wird es nicht mehr geben.

Der Blick der Tochter, die längst eine eigene Familie hat und beruflich erfolgreich ist, auf die Mutter ist dennoch von Liebe geprägt. Das kann man zwischen den Zeilen lesen. Der Anklang ist melancholisch, sehnsüchtig, gedankenverloren, unendlich traurig und dennoch wohlwollend. Denn diese Erinnerungen verbinden beide Frauen und das versöhnt letztendlich doch.

Rezension von Heike Rau

Donatella Di Pietrantonio
Meine Mutter ist ein Fluss
Aus dem Italienischen von Maja Pflug
176 Seiten, gebunden
Verlag Antja Kunstmann
ISBN-10: 3888978173
ISBN-13: 978-3888978173
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Alfred Neven DuMont: Drei Mütter

Alfred Neven DuMont: Drei Mütter

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Kindheit, Liebe, Lust und Leidenschaft.

Handelt es sich hier um einen Liebesroman oder um einen Entwicklungsroman?
Ich vermute beides.

Im Mittelpunkt der Erzählung steht der Junge Alwyn, der zu Beginn der Erzählung etwa fünf Jahre alt ist. Er wird von einer bildschönen Mutter versorgt, die ihn zärtlich liebt und ihm alle körperliche Wohltaten einer stillenden Mutter zuteil werden lässt. Leider steht es um die Ehe der Eltern nicht zum Besten. Als der Vater schließlich die Familie verlässt, verlustiert sich die Mutter mit einem neuen Liebhaber. Alwyn gerät nun in die Fänge seiner fünf Jahre älteren Schwester Alwena. Sie erzieht ihren Bruder, liebt und züchtigt ihn. Diese fast inzestuöse Beziehung zeitigt jedoch auch seelische Folgen.

Als Alwyn in die Schule muss, passt ihm das gar nicht. Verwöhnt, hübsch und klug zieht er den Neid der Mitschüler auf sich, bis Egon erscheint. Jetzt hat er einen Beschützerfreund, der zugleich noch die Lehrfunktionen von Alwena genießt. Sie macht aus Egon einen passablen Schüler.

In dieser wohligen Kinderwelt gibt es kaum Kummer aber viel Eros und Wohlgefallen. Doch ganz unberührt bleibt der Knabe nicht von der Verfolgung böser Geister, hinter der sich eine verkappte Depression verbirgt.

Alwyn wächst heran und ist der Liebling der Frauen. An Zuwendung mangelt es ihm nie. Er ist klug und lernt leicht, so dass er ein äußerlich unbeschwertes Leben führt. Alfred Neven DuMont erzählt die Geschichte seines sensiblen und vom Glück begünstigten Helden mit Liebe und Einfallsreichtum. Malerische Landschaftseindrücke, ein träumerischer Liebling der Götter; so ist das Leben in Freuden perfekt! Um ihn herum mögen die Beziehungen in die Brüche gehen: er bleibt der unangefochtene Held, den fast nichts aus der Bahn wirft, denn an liebestollen Frauen mangelt es ihm nicht.

Erst bei dem Besuch seines Großvaters in Afrika erfährt er, wie sehr ihm ein beschützender Vaterfreund gefehlt hat!

Mit zahlreichen Liebesszenen angereichert wird die Geschichte leicht, ruhig und einfühlsam beschrieben. Ist die Mutter auch exzentrisch und der Vater oft abwesend: unser Helden meistert sein Leben ungestört. Der Großvater in Afrika aber ist seine große Entdeckung, denn er in ihm findet er einen liebevollen und weisen väterlichen Freund.

Die Entwicklung vom vergötterten Kleinkind zum schönen und klugen Mann geht insgesamt jedoch ohne schwere Einbrüche vonstatten.

Alwyn geht seinen Weg  und schließt Frieden mit seinen diversen Freundinnen und Bezugspersonen. Einzig seine Besitz ergreifende Schwester wird mit seiner Loslösung von ihr nicht fertig.

Die ruhige, liebenswürdig daher erzählte Geschichte liest sich unbeschwert und einfach. Man findet Vergnügen an einem Leben mit geringen Aufregungen und Kümmernissen, wenn es so auch der wirklichen Welt kaum entspricht. Soll um ihn herum die Welt in Trümmern liegen. Alwyn bewegt sich unberührt von Betrübnissen und schwerem Leid des Lebens zwischen den ihn liebenden Frauen um ihn herum auf Forschungspfaden. Er wird ein glücklicher Mann. Und wir erleben die Entwicklung einer Adoleszenz, die ihresgleichen sucht.

Eine leichte und kurzweilige Lektüre bietet Alfred Neven DuMont mit diesem Roman seinem geneigten Lesepublikum.

Alfred Neven DuMont
Drei Mütter
364 Seiten
Hoffmann und Campe, März 2013
ISBN-10: 3455404219
ISBN-13: 978-3455404210
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Hiromo Kawakami: Bis nächstes Jahr im Frühling

Hiromo Kawakami: Bis nächstes Jahr im Frühling

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Langsame Trennung.

Das gleichmütig dahin plätschernde Leben von Noyuri bietet dem Leser den Einstieg in eine Liebesgeschichte, wie sie Hiromi Kawakami in zahlreichen Abwandlungen immer wieder zum Thema ihrer Romane nimmt. Noyuri ist eine etwas langweilige Person. Sie ist seit sieben Jahren mit Takuya verheiratet. Dieser hat seit längerer Zeit eine Geliebte.

Mit ihrem Onkel Makoto verbindet sie eine geschwisterliche Freundschaft. Er vermittelt ihr einen Job in einer Arztpraxis. Sie ist fleißig und genau und wird doch zum Ende des Jahres wieder entlassen.

Nouyri nimmt alle Gegebenheiten gelassen hin. Insgeheim ahnt man, dass sie unter ihren Misserfolgen in der Ehe und im Beruf leidet. Doch irgendwie bleibt sie ein Blatt im Winde, das leicht dahin schwebt, ohne Aufstand und Widerspruch.

Hiromi Kawakami ist eine Autorin, die ihren Figuren diese schwebende Gleichmütigkeit eingibt. Vieles bleibt unausgesprochen. Doch nicht alles ist verborgen. Ihre Figuren, die sich voneinander entfernen, schweben wie zarte Schneeflocken und Kirschblütenblätter durch den Raum. Fragen nach dem wohin werden sehr direkt gestellt. Noyuri wirkt naiv und ist doch voller Sehnsucht nach Hingabe und der großen Liebe. Ihr Mann bleibt ihr fremd, denn sie lässt ihn seinen Wünschen nachgehen, ohne aufzubegehren oder zu rebellieren. Unter der äußeren Schicht ihres Auftretens spürt man eine Melancholie und eine Abschiedsstimmung, die sich durch das ganze Buch zieht. Noyuri wird nach und nach mutiger und blickt lakonisch der sich anbahnenden Trennung von ihrem Mann ins Auge. Die Würde ihrer Einfachheit macht die Lektüre so eindrucksvoll und anziehend. Da gibt es keine großen Gefühlseruptionen oder anstrengende Kämpfe um das eigene Wohl und Wehe. Das Leben gleitet wie ein leise rauschender Fluß vorbei, und man möchte Noyuri ermuntern, auf das eigene Wohlergehen mehr zu achten.

Hiromi Kawakami ist hier zu Lande schon lange bekannt für ihre einfühlsamen und leicht gesponnenen Liebes- und Ehegeschichten.

Hiromo Kawakami
Bis nächstes Jahr im Frühling
224 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, Januar 2013
ISBN-10: 3446241280
ISBN-13: 978-3446241282
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Liv Winterberg: Sehet die Sünder

Liv Winterberg: Sehet die Sünder

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Sehr flüssig zu lesender, historischer Roman. Er spielt im Nordwesten Frankreichs, in der Bretagne, im Jahre des Herrn 1440. In dem kleinen Dorf Saint Mourelles verschwinden Menschen. Zunächst wird den Einwohnern nicht klar, ob diese Menschen getötet oder ob sie einfach nur verschwunden sind. Misstrauen gegenüber den Nachbarn und Angst schleichen sich unter die Bewohner des Dorfes, die zuvor eine unverbrüchliche Dorfgemeinschaft bildeten. Es wird von Gottesstrafe gesprochen, es wird eine Heimsuchung des Teufels vermutet oder es wird angenommen, dass es vielleicht doch das Werk eines Wahnsinnigen ist. Protagonisten dieses Romans, wenn man sie als solche bezeichnen möchte, sind Catheline, die Haushälterin des Dorfpfarrers, und der junge Bauer Mathis, der vor kurzem erst ein Krüppel geworden ist, weil er dem Lehnsherren das Leben gerettet hatte. Beide versuchen auf ihre Art Licht in das Dunkel der verschwundenen Menschen zu bringen. Jeder von ihnen hat eine eigene Theorie, die er zu beweisen versucht. Während für Catheline die Spuren ganz eindeutig zum nahe gelegenen Schloss und dessen Herrn führen, versucht Mathis loyal gegenüber dem Baron zu sein, dem er vor kurzem das Leben gerettet hat, und der ihm deshalb in besonderer Weise verbunden ist.

Eine grundlegende Spannung des Romans basiert also auf einer kriminellen Geschichte. Der Leser wird stets bemüht sein, mit dem Protagonisten zu ermitteln und zu rätseln, um zu erfahren, wer hinter den Morden steckt, wie sich herausgestellt hat. Eine weitere Spannung bezieht der Roman aus der Liebesgeschichte zwischen Catheline und Mathis. Mathis weist Catheline ab, weil er nicht möchte, dass sie sich mit einem Krüppel abgibt. Neben den Spannungsbögen hat das Buch einen angenehmen Schreibstil, der sehr gut zu lesen ist. Die historischen Hintergründe und Abenteuer machen Spaß zu lesen.

Winterberg hat außerdem sehr viel Wert darauf gelegt, dass sich der Leser in diesem Roman nicht so verloren vorkommt. So gibt es zu Beginn eine detaillierte Personenübersicht über die Figuren in den einzelnen Abschnitten, zum Ende des Romans gibt es darüber hinaus ein Glossar, in welchem die ausgefallenen Begriffe und auch einige real existierende Figuren beschrieben wurden. In weiteren Notizen beleuchtet die Autorin den geschichtlichen Hintergrund sowohl des Landstrichs der Bretagne als auch konkret den Hintergrund des Inquisitionsprozesses, den es in ähnlicher Weise in der Vergangenheit tatsächlich so gegeben hat.

Ein angenehm zu lesender und spannender historischer Roman mit allem Drum und Dran, was ein solcher Roman bieten sollte. Von meiner Seite gibt es dafür fünf von fünf Punkten.

Winterberg, Liv
432 Seiten, gebunden
Sehet die Sünder
Taschenbuch
DTV, München
ISBN-10: 3423249404
ISBN-13: 978-3423249409

© Detlef Knut, Düsseldorf 2013
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Jordi Punti: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz

Jordi Punti: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz

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Abenteuer, Leben, Irrtum

In einer kuriosen Geschichte lernen sich vier Halbbrüder kennen, die alle in wechselnder Schreibweise den Namen „Christoph“ tragen.

Wie konnte es dazu kommen?

Ihr gemeinsamer Vater Gabriel hat in Paris, London, Frankfurt und Barcelona mit dort ansässigen Frauen Familien gegründet, aus denen je ein Sohn hervorging.

Natürlich sind die vier Söhne neugierig auf den Mann, der vier Söhne mit Namen Christof, Christoph, Cristofol und Christophe als seine Nachfahren hinterließ. Wer war dieser Gabriel?

Die Zusammenkunft der vier Christofs gestaltet sich einmalig. Hat doch jeder von ihnen ähnliche Erinnerungen aus den Erzählungen des selten anwesenden Vaters.

Man folgt neugierig den Ortswechseln, in denen sich Gabriels Leben abgespielt hat.

Als Waisenkind 1941 in Barcelona geboren ist er in einem Kloster aufgewachsen. Mit 17 Jahren trat er in ein Umzugsunternehmen ein, für das er Lastwagen fuhr. Das erklärt seine Abwesenheit bei seinen diversen Frauen! Immer mit ihm ist sein treuer Freund Bundó. Sie haben sich im Waisenhaus kennen gelernt und fühlen sich wie Brüder. Als dritten Kumpan haben sie noch Petroli mit an Bord ihres Lastwagens, so dass sich jeder turnusmäßig zwischendrin ausruhen kann.

In den Nachforschungen über sein Leben, das die vier Söhne nach seinem endgültigen Verschwinden anstellen, hört man von dem abenteuerlichen Leben eines Mannes, der nach den langen Kindheitsjahren im Kloster nie mehr an anderen Orten ansässig werden konnte. Er lebte in Hotels oder besonders in einer Pension in Barcelona und fuhr mit seinem Freund durch die Lande.

Die Geschichte wird in skurrilem Ton erzählt und umfasst die ganze Palette eines Heimatlosen. Zahlreiche Ereignisse und Interventionen auf den Lebensstationen schildern ein Dasein, in dem es keine Ruhe, gelegentlich liebevolle Zuneigung und nicht zu letzt eine unendliche Folge von Abenteuern in von ihm besuchten Quartieren in Spanien, Frankreich, England und Deutschland gibt. Nie kommt die Liebe zu kurz, die sich jedoch zwischen Eigenbrötlern zuträgt. Die Flucht aus zu engen Bindungen bestimmt das Leben der Protagonisten.

Der Roman besteht aus einer Mischung von Schelmenroman, Gangsterkunststück und Lebenskunst. Mit diesen Eigenschaften ist die Geschichte des Autors Jordi Punti in Spanien und aller Welt schon lange zu Ruhm gekommen.

Ein wenig Zeit und Ausdauer sollte man mitbringen, wenn man sich an diesen Roman heranwagt. Doch dann wird man durch die ausgezeichnete Fabulierkunst des Autors und die wilden Abenteuer der drei Lastwagenfahrer voll auf seinen Lesegenuss kommen.

Jordi Punti
Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz
608 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, April 2013
ISBN-10: 3462045237
ISBN-13: 978-3462045239
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Kevin Powers: Die Sonne war der ganze Himmel

Kevin Powers: Die Sonne war der ganze Himmel

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Nie wieder Krieg!

Kevin Powers hat das ungewöhnliche Zeugnis einer Kriegsteilnahme mit allen Schrecken und Schmerzen in seinem Debütroman zum Thema genommen. Er ist in Gestalt des Icherzählers der Protagonist, der den Irakkrieg mit gemacht hat.

Zwischen den Jahren 2003, 2004, 2005 und 2009 beschreibt er seine Erlebnisse als Teilnehmer des kruden und grausamen Krieges im Irak. Fast kein Soldat wusste so richtig, was ihn beim Aufbruch in den Irak erwarten würde.

John Bartle und sein 18-jähriger Truppenkamerad Daniel Murphy ziehen mit Ängsten aber auch Erwartung in diesen Krieg, der sich ihnen bald schon als barbarisch, heimtückisch und sinnlos erweist.

Die beiden haben sich wie vielleicht viele andere freiwillig aus jugendlichem Überdruss und einer Laune heraus zur Army gemeldet. Diese Jungs sind fast noch Kinder, als sie sich zum Töten bereit fanden. Im nun anstehenden Kampf sehen sie erst, dass es ums Überleben geht und sonst nichts. Sie sehen die Leichen und erfahren eine bestialische Zerstörung an Körper und Seele und müssen sich in alles schicken.

Die Hitze, die Unwägbarkeiten und Überfälle in der Stadt Al Tafar sind schrecklich und werden nur ertragen, indem man sich hart gegen die Toten macht. John hat leichtsinnigerweise der Mutter von Murph versprochen, ihn heil wieder nach Hause zu bringen. Solche Versprechungen waren nicht haltbar, doch John konnte sich den Bitten von Murphys Mutter nicht entziehen. Dass alles ganz anders kommt als erwartet, zeigt erst den ganzen Wahnsinn des Krieges.

In einer Mischung aus Neugierde, Angst, Wut und dem Strudel der Kriegsereignisse zeigt John Bartle emotionsgeladen das Entsetzen im Angesicht von Zerstörung und Kampf.

Kevin Powers ist sprachmächtig und gewandt. Mit seinem feinsinnigen und urteilssicheren Wortschatz schildert er Heimweh, die Natur in seiner Heimatstadt Richmond/Virginia oder Sonnenaufgänge und stille Augenblicke im Irak.

In Gestalt von John Bartle hat er wahrhaftig die Gabe, Emotionen der verschiedensten Schattierungen in differenzierter Weise auszudrücken. So ist er einmal nachdenklich, dann wieder aufgewühlt, melancholisch und anrührend in seinen Gefühlen dem jungen Murph und anderen Kameraden gegenüber. Die Wucht, mit der er die Grausamkeiten und die Heimtücke dieses Krieges aufzeigt, ist faszinierend. Da das Buch kein Heldenepos ist, sondern eine reine und wahrhaftige Bekanntgabe der eigenen Befindlichkeit im Zustand der Verzweiflung und Zerstörung, liest man gebannt und ergriffen, zu welchen Gefühlen dieser junge Autor fähig ist.

Man kann seinen Debütroman nur empfehlen. Henning Ahrens hat ihn treffend und sensibel übersetzt.

Kevin Powers
Die Sonne war der ganze Himmel
240 Seiten, gebunden
S. FISCHER, März 2013
ISBN-10: 3100590295
ISBN-13: 978-3100590299
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Taiye Selasi: Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Taiye Selasi: Diese Dinge geschehen nicht einfach so

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Familie in Not!

Inspiriert von Toni Morrison hat Taiye Selasi sich an ihren ersten Roman gewagt. Er beinhaltet eine Familiengeschichte und ist ein seltenes Gemisch aus Trauer, Wirklichkeit und Erinnerung.

Kweku Sai, ein aus Ghana stammende Arzt und Familienvater, stirbt eines Tages einfach so. Man findet ihn eines Morgens im feuchten Gras. Er ist erst 57 Jahre alt und niemand begreift, wie er so unauffällig sterben konnte. War er doch ein hervorragender Arzt, der die Vorzeichen eines Infarkts hätte bemerken können. Er lebte zuletzt in Ghana mit seiner zweiten Frau Ama.

Warum ist er vor 16 Jahren zurückgekehrt in das Land seiner Väter?
Das ist die Ausgangslage für einen Familienroman der seinesgleichen sucht.
In langen assoziativen Passagen erlebt man Kweku als jungen Arzt in Amerika mit seiner Frau Fola und den vier gemeinsamen Kindern.

Die Erinnerungen an sein Herkunftsland Ghana sind stets gegenwärtig. Seine letzte heiße, urwüchsige und einfache Behausung in Ghana steht gegen ein schönes, großes und praktisches Haus in Boston/Amerika. Kweku arbeitete leidenschaftlich gerne. Er rettete Menschen- und Säuglingsleben, so auch das seiner jüngsten Tochter Sadie.

Als schweren Schicksalsschlag erreicht den berühmten und hervorragenden Arzt Kweku aufgrund einer Intrige eines Tages die Kündigung aus seinem erfolgreichen Job. Nachdem die Prozesse, die er gegen die Kündigung angestrengt hat, verloren sind, kehrt er beschämt und verarmt seiner Frau und den vier Kindern den Rücken und verschwindet unauffindbar. Er lebt bis zu seinem frühen Tod in Ghana.

Die Kinder machen auf verschiedene Weise ihren eigenen Weg. Die je eigenwilligen Berufswege zeigen sie als außergewöhnliche und individuelle Charaktere. Fola bleibt allein.

Der Tod Kwekus führt die Familienmitglieder nach vielen Jahren alle noch einmal in Ghana zusammen.

Insgesamt ist die Geschichte traurig. Die bürgerliche Ordnung, die Kweku und seine Frau anstrebten, geht unter der Infamie einer Intrige und bodenloser Beschuldigungen gegen den erfolgreichen Chirurgen zugrunde. Auch rassistische Elemente spielen hier keine geringe Rolle.

Freie Assoziationen bilden den Humus, auf dem die Geschichte entwickelt wird. Es gibt keinen durchgehenden Erzählstrang. Wie im Traum folgt man Erinnertem mit Gegenwärtigem. Über Kontinente und Großstädte hinweg bleibt die Familie zwar verbunden. Innerlich jedoch geht ein Riss durch ihr Leben.

Als folgte man einer sporadisch ablaufenden Gedankenkette, findet man sich in einer Erzählform wieder, in der es Wärme, Liebe und Geborgenheit neben Ehrgeiz und Erfolg und Verlorenheit gibt. Hat man sich einmal in die poetischen Feinheiten, die zwischen den Ereignissen zu finden sind, eingelesen, kann man sich der Faszination der Erzählung nicht mehr entziehen. Hingerissen lauscht man den atmosphärischen Klängen, mit denen man in die wechselnden Stimmungen und das Ambiente hineingezogen wird.

Ein außergewöhnlicher Roman ist Tayie Selasi gelungen. Nicht umsonst wird sie als „neue internationale Stimme jenseits von Afrika“ gepriesen.

Ihre Vorfahren stammen selber aus Ghana. Sie wuchs in London und Massachusetts auf. Ihre Eltern waren Bürgerrechtler und Ärzte.

Taiye Selasi
Diese Dinge geschehen nicht einfach so
400 Seiten, gebunden
S. FISCHER, 7. März 2013
ISBN-10: 3100725255
ISBN-13: 978-3100725257
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J.-K. Huysmans: Monsieur Bougran in Pension

J.-K. Huysmans: Monsieur Bougran in Pension

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Literarisches Kleinod aus dem Haus der Friedenauer Presse.

Die vorliegende delikate kurze Novelle von J.-K. Huysmans ist von bezaubernder Einfachheit in ihrer Darstellung der Welt eines kleinen untergeordneten Büroangestellten. Er lebt und arbeitet in Paris zum Ende des 19. Jahrhunderts.

Im Fokus steht der unbedeutende Angestellte  Monsieur Bougran. Ihm wird die Frühverrentung angetragen, und sein geordnetes Leben gerät aus dem Gleis. Die Arbeit hat dem allein lebenden skurrilen Kleinbürger Sinn und Lebensfreude beschert. Soll das alles nun vorbei sein? Monsieur Bougran kann es nicht fassen, dass er seinen Arbeitplatz räumen muss. Ist er doch erst 50 Jahre alt und hat sein Leben ganz der Arbeit gewidmet. Wie soll er die Tage verbringen? Wie dem Tag noch etwas Gutes abgewinnen? Er fügt sich, und man erlebt einen geknechteten Charakter, den diese schmerzliche Erfahrung umtreibt.

Mit fein ziselierten Beobachtungen beschreibt der Autor die Atmosphäre und das Interieur des Büros, in dem Bougran die Entlassung von seinem Büroleiter verkündet wird. Die Teppiche, der Schreibtisch und der Bücherschrank mit den Gesetzestexten werden detailgenaue gewürdigt.

Huysmans zeigt in dieser kurzen Schrift sein ganzes Können eines Schriftstellers von Rang. Die Gedanken, das Ambiente und die Wege, die Bougran am Tage geht, sind äußerst penible beschrieben, so wie der ganze Mann von einer Aura aus Gewissenhaftigkeit und Fleiß umgeben ist, die plötzlich zerbricht.

Monsieur Bougran gestaltet den Alltag neu und verfällt darauf, zu Hause sein Büro nachzubauen und einen Laufburschen einzustellen. Er versucht beharrlich, sein altes Leben beizubehalten.

Es geht hier also auch um eine ungewöhnliche Sozialstudie, die von makaberen Zügen begleitet ist.

„In der Auflehnung von Monsieur Bougran gegen die Regeln des Öffentlichen Dienstes, die Heimsuchungen des Alters und die unwiederbringlich vergehende Zeit manifestiert sich ein wahrhaft heroischer Widerstand.“

In dieser Form birgt der Text eine Menge kostbarer Details, die das Lesen zu einem Genuss werden lässt.

Huysmans war selbst Beamter. Er hat den vorliegenden Text als Auftragsarbeit geschrieben. In dieser Form wurde die Arbeit vom Auftraggeber abgelehnt. Erst 1964 gewann der 1888 verfasste Text die Aufmerksamkeit eines Verlegers.

Heute nun haben uns die Mitarbeiter der Friedenauer Presse wieder einmal eines ihrer Kleinodien präsentiert, mit denen sie immer wieder Aufmerksamkeit erregen.

In der Aufmachung und dem Inhalt nach eignet sich das fast an eine Broschüre gemahnende kleine Büchlein als edles Geschenk zu passenden Gelegenheiten.

J.-K. Huysmans
Monsieur Bougran in Pension
32 Seiten, broschiert
Friedenauer Presse, Oktober 2012
ISBN-10: 3932109724
ISBN-13: 978-3932109720
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Yejide Kilanko: Der Weg der Töchter

Yejide Kilanko: Der Weg der Töchter

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Nigerianisches Familienleben heute.

Hier wird die Geschichte eines mutigen, aufgeweckten und neugierigen kleinen Mädchens in Nigeria erzählt.

Sie wächst in einer lauten, freundlichen und lebhaften Großfamilie in Ibadan/Nigeria auf. Der Vater ist Geschäftsmann und viel unterwegs. Es geht der Familie wirtschaftlich gut. Sie bewohnt ein hübsches großes Haus. Im Verwandtenkreis nimmt man Anteil an einander und hilft sich gegenseitig. Morayo und ihre kleine Schwester Eniayo sind zwei fröhliche Kinder, die erfolgreich die Schule besuchen. Später werden sie sogar studieren.

Die Ereignisse umfassen den Zeitraum zwischen 1982 bis 2007.

Das unbeschwerte Leben für Morayo endet sehr plötzlich, als der Cousin Tayo, genannt Bros T, in die Familie aufgenommen wird. Seine Mutter, eine von vielen Verwandten, hat um Hilfe gebeten, weil sie mit ihrem verzogenen Sohn nicht mehr fertig wurde.

Er stellt den Frauen nach, lügt, ist ein Flegel und nicht sehr erfolgreich in seinen schulischen Leistungen.

Morayo wächst inzwischen zum Teenager heran. Sie ist hübsch und gut mit ihrem Schulfreund Kachi befreundet. Ist nicht sogar erste Liebe mit im Spiel?

Wie bei allen Völkern der Erde ist die Pubertät eine aufregende Zeit. Morayo und Kachi pflegen eine zugleich zärtliche aber zurückhaltende Beziehung. Kachi zieht eines Tages mit seiner Familie fort aus Ibadan. Er und Morayo erleben die erste schmerzliche Trennung ihres Lebens.

Als Bros T in der Schule bessere Leistungen erbringt, versöhnt sich Morayos Vater mit ihm und erkennt ihn zunehmend an. Außerhalb des Hauses verkehrt er jedoch in anrüchigen Kneipen mit ebenso anrüchigen Freunden. Dann beginnt er Morayo nachzustellen und wird zudringlich. Morayo findet sich daraufhin verfemt und abseits der Familie wieder. Das glückliche Familienleben ist zu Ende. Sie trägt ihr Leid lange alleine, bis sie bei einer älteren Cousine mit ähnlichen Erfahrungen Unterstützung findet.

Die Annäherung des brutalen Cousins an Morayo zeigt in ihren tragischen Auswirkungen das ganze Maß weiblicher Unterdrückung, von dem Frauen hier wie anderswo betroffen sind. Man glaubt nicht dem Opfer sondern misst diesem eine Mitschuld zu. Morayo hat einen langen Irrweg vor sich. Ihre Beziehungen zu Männern bleiben lange gestört.

Yejide Kilanko ist eine feinsinnige und sensible Beobachterin. Sie ist selbst in Nigeria geboren und aufgewachsen. Ihre Geschichte zeugt von ausdrücklicher Kenntnis über des Leben, Lieben und Aufwachsen in Nigeria.

Mit ihrer aufrüttelnden Erzählung macht sie sich zur Sprecherin der unterdrückten Frauenwelt in ihrem Heimatland. Atemlos folgt man dem Schicksal Morayos, das erst über Umwege und zahlreiche Stolpersteine zu einem guten Ende führt. Wütend begreift man, wie verstörend für ein Mädchen die Verständnislosigkeit der Eltern sein muss. Aus dem verschreckten jungen Mädchen wird später eine kämpferische Frau, die sich nicht unterkriegen lässt.

In ihrem breit angelegten Familienepos einer nigerianischen Familie erfährt man viel über die Riten und Geflogenheiten in dem Land.

Heiraten und Kinderkriegen sind auch hier noch erstrebenswerte Ziele für Eltern mit ihren Kindern. In den aufgeklärten und gebildeten Kreisen aber ist Berufstätigkeit durchaus erwünscht.

Die Autorin gewährt uns mit ihrer Familiengeschichte einen umfassenden Blick in ihr Land. Hier kämpfen Aufklärung und Vergangenheit noch um die Vormacht mit einander.

Yejide Kilanko
Der Weg der Töchter
384 Seiten, gebunden
Graf Verlag, März 2013
ISBN-10: 386220037X
ISBN-13: 978-3862200375
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