Neue Freunde

Neue Freunde

Tomi Ungerer Neue Freunde Diogenes
ISBN 3257011237

Tomi Ungerer ist ein Menschenfreund, und als Menschenfreund ist er zugleich ein Kinderfreund.
Er ist zutiefst durchdrungen von der Idee der Gleichheit, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit.
Sein neues Buch bestätigt einmal mehr seine ausufernde Phantasie, mit der er seiner inneren Haltung Ausdruck verleiht.

Der farbige kleine Junge Rafi Bamoko zieht mit seinen Eltern in ein neues Stadtviertel. Als er Geburtstag hat, ist er alleine, denn er ist ja fremd in der Gegend. Weit davon entfernt, darüber in Trübsinn zu verfallen, fängt er an zu basteln, denn darin ist er gut!
Aus Metall bastelt er sich einen Hund und zwei Katzen.
Bald schaut Ki Sing, ein kleines chinesisches Mädchen aus der Nachbarschaft, über den Zaun, neugierig, was er denn da macht. Als sie sieht, dass er sich lauter Freunde bastelt, ist sie Feuer und Flamme, ihm zu helfen. Aus alten Stofffetzen, Strümpfen, Pullovern und Blechbüchsen machen sie die schönsten Figuren. Die beiden werden unzertrennlich, und auch ihre Eltern freunden sich an.

Die Geschichte nimmt ihren Lauf: als der Hof voll ist, und die Obrigkeit in Gestalt der Polizei erscheint, weil sie das Gerümpel entfernen will, bekommt die Presse Wind davon. Durch den Rummel aufmerksam geworden kommt der Museumsdirektor vorbei und ist so begeistert, dass er die ganze Sammlung der wunderschönen, bunten und phantasievollen Gebilde für sein Museum aufgekauft. Nun können alle Menschen die Figuren und kunstvoll gestalteten Plastiken betrachten. Da gibt es viel zu sehen: das Gedränge der Menschen im Museum ist beachtlich. Tomi Ungerer mit seinem Humor lässt uns Dinge sehen, die uns lachen machen. Wir sehen Menschen mit allen ihren Schrulligkeiten und Eitelkeiten. Ein alter Herr trägt seinen Spazierstock durch die Ohren gesteckt. Auf einem Ende des Stockes sitzt ein bunter Papagei. Augenklappen, verrückte Ohrgehänge, lachende und schiebende Menschen komplettieren das Bild. Die Hersteller der Installationen, das Künstlerduo Rafiki, werden als berühmtes Künstlerpaar gefeiert!

Die Bilder zeigen zwei Kinder, die aus verschiedenen Ethnien kommen, so wie wir heute die kulturelle Vielfalt in unserem Land häufig sehen. Über die Kinder finden die Erwachsenen zusammen. Die Phantasie und das gemeinsame Basteln verbindet Rafi und Ki.
In schönerer Manier lässt sich Völkerverständigung kaum denken.

Ungerer malt mit klaren Strichen kraftvolle Figuren, die auf den ersten Blick an Plakate denken lassen.
Sie wirken leicht hölzern und deutlich abgezirkelt.
Das Handwerk, dem Ungerer gerne frönt, findet in diesem Buch plastischen Ausdruck. Der Reichtum an Ideen, mit denen aus Blech und Stoff und allen nur erdenklichen Schrottüberbleibseln die schönsten Gestalten entstehen, ist überwältigend. Gießkannen, Filter, Schläuche, Nägel,—es gibt nichts, wofür man keine Verwendung fände. Er gibt den Figuren Formen, Farben und Charakteristiken und zeigt sich als unermüdlicher Schöpfer. Die erzählte Geschichte bildet mit ihren Illustrationen eine Einheit, fröhlich, unbeschwert und lustig.
Das letzte Bild zeigt nach den unruhigen Vorgängen um die Kunst ein zufriedenes Paar auf einem Boot im Mondenschein, unschwer als Rafi und Ki zu erkennen.
Wer genau hinschaut, meint Künstler des Mittelalters, der Romantik und des Jugendstils in den Bildern wieder zu erkennen.

Mit seinen Büchern ist Ungerer ein überzeugender Pädagoge der Gleichberechtigung und des freundlichen Umgangs der Menschen miteinander, zugleich aufmüpfig und frech, wenn es angebracht erscheint.
Ein ausgezeichnetes, aufklärendes und heiteres Werk ist ihm mit dem Buch gelungen.
Wie man in den Medien verfolgen kann, wird dieses Buch nicht sein letztes sein!

Zu empfehlen ist es für Kinder ab etwa 8 -10 Jahren,–und wie immer auch für Erwachsene!

Rezesnion von Claudine Borries

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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Robert Löhr nennt seinen Roman einen historischen Roman.
Das ist nun sicher übertrieben und soll es wohl auch sein, denn ehemals berühmte Dichter geben die Protagonisten, während eine fabelhaft erfundene abenteuerliche und obskure Geschichte den Plot bildet.
Wie geht das zusammen?

Goethe soll im geheimen Auftrag des Großherzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach den vermeintlichen Dauphin von Frankreich, der sich in den Händen Napoleons befindet und z. Zt. in Mainz versteckt wird, befreien.
August von Weimar fürchtet Napoleon und er fürchtet vor allem, dass man den Dauphin umbringen werde, um zu verhindern, dass er als Ludwig der XVII. den französischen Thron besteigt. August von Weimar aber will genau das: Ludwig aus den Händen seiner Häscher befreien, Napoleon die Herrschaft entreißen und mit Ludwig dem XVII. die Monarchie wiedererrichten.

Goethe ist zwar entsetzt über das Ansinnen seines Freundes, nimmt die Aufgabe aber an. Er sucht in Schiller und Alexander von Humboldt Mitstreiter. Sie machen sich flugs auf die Reise, um in Frankfurt noch Bettine von Arnim dazu zu gewinnen. Auch sie willigt freudig in das Abenteuer ein, denn sie verehrte Goethe bekanntlich sehr!
Die Entführung wird tatkräftig angegangen und auf ihren abenteuerlichen Wegen hört man den Gesprächen und Erlebnissen der einflussreichen und berühmten Dichter zu.

Was zunächst wie Klamauk erscheint, entwickelt sich zu einem amüsanten und höchst geistreichen Zusammenspiel der bekanten Größen aus Literatur, Geschichte und Forschung.

Die Zeit der Romantik lebe hoch! Die Jahre um 1800 sind politisch und im gesellschaftlichen Diskurs glänzend beschrieben, detailgenau und faszinierend.
Auch die handelnden Personen werden glaubwürdig in ihrem Denken verkörpert.
Goethes Weisheit ist ersichtlich, Schiller wirkt mutig, Achim von Arnim pedantisch und Bettine von Brentano, Arnims spätere Frau, kapriziös, verspielt und neckisch. Humboldt ist weit gereist und daher mit Weltblick ausgestattet. Zuletzt stößt mutig Heinrich von Kleist noch zur Gruppe dazu.

Die Handlung ist erfunden, die Figuren aber lehnen sich nahe an das an, was von ihnen überliefert ist.
Die Städte Weimar, Frankfurt und Mainz finden mit ihren Strassen und Gassen Erwähnung; Reisen in der Kutsche, Überfälle und abenteuerliche Wege zeigen die Zeit um 1805, wie man sie sich vorstellen möchte.
Abwechselnd ist die Sprache der Zeit um 1800 entlehnt, um dann einer recht burschikosen und saloppen Diktion zu weichen, die dem heutigen Zeitgeist entspricht.
Die Gespräche drehen sich um die französische Revolution, um die Vorteile der Monarchie, um die Jakobiner, Sansculotten und Napoleon und mit seinem zerstörerischen Eroberungswahn.
Auch ohne Kenntnis der Klassiker kann man den Themen folgen, denn humorig und spritzig sind die Unerhaltungen, amüsant und zum Lachen die Kalauer.
So manchen weisen Spruch wird man aus den Werken der großen Dichter und Denker wieder erkennen.
Von , einem Ausspruch von Goethe bis zu < dem Mann kann geholfen werden > aus Schillers Drama Die Räuber reichen die Originaltöne.

Ein reiches Quellenstudium muß der Romanschreiber betrieben haben.

In schelmischer und humorvoller Weise verbindet Löhr seine Recherchen über die Historie mit Erfundenem, so dass ein amüsanter Mix aus wahren Begebenheiten und dazu erdichteter Geschichte entstanden ist. Abenteuerlich, teilweise grotesk, immer aber unterhaltsam, geistreich und witzig ist die Geschichte konstruiert.
Zwischen Schelmenroman und Gaunerkomödie möchte man den Plot ansiedeln.
Einige Längen sind zu ertragen, wenn man denn die Muße hat, sich auf das ausführliche Phantasiegebilde der Geschichte einzulassen.

Gelungen präsentiert sich hier ein Roman zwischen Dichtung und Wahrheit!

Robert Löhr
Das Erlkönig-Manöver
Schein und Wirklichkeit im historischen Kleid
ISBN:349204929X
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Der geheime Zirkel – Circes Rückkehr

Der geheime Zirkel – Circes Rückkehr

Es ist Weihnachten. Gemma, Felicity und Ann, die Schülerinnen der Spence-Akademie für junge Damen in London sind, haben kein großes Interesse an den Weihnachtsvorbereitungen teilzunehmen. Sie gehen zur alten Eiche, die in der Nähe der zugemauerten Höhle liegt, um ihrer Freundin Pippa zu gedenken.
Gemma gibt vor, im Moment das Magische Reich nicht betreten zu können. Sie befürchtet, damit nicht richtig umgehen zu können. Ohnehin müssen zunächst die anderen Mitglieder des Ordens gefunden werden.
In einem Versteck im Baum findet Gemma eine Botschaft. Kartik ist zurück. Doch Gemma kann ihn nur schwer einschätzen. Sie weiß nicht aus welchen Interessen heraus er handelt.

Kartik nutzt eine Gelegenheit, um Gemma zu sehen. Er berichtet ihr von Problemen im Magischen Reich, weil die Zauberkraft nun frei ist. Die Magie muss unbedingt wieder gebunden werden, damit nicht die Falschen Macht über sie erlangen können, wie die geheimnisvolle, mächtige Circe. Dazu muss der Tempel mit der Quelle der Magie gefunden werden.
Gemma weiß, sie kann nicht länger warten, so geht sie doch wieder in Begleitung ihrer Freundinnen in das Magische Reich zurück, um nach dem Tempel zu suchen. Zu ihrer Überraschung treffen die Mädchen hier auf Pippa, die eigentlich nicht mehr am Leben ist. Noch ist sie in einer Zwischenwelt gefangen. Doch vielleicht kann die Freundin bei der Suche nach dem Tempel helfen. Gemma kann sonst niemandem trauen.

Auch der zweite Teil der Trilogie ist wieder äußerst spannend. Die Geschichte ist noch mysteriöser. Gemma muss mit der Hilfe ihrer Freundinnen eine Aufgabe lösen, die eigentlich unlösbar scheint. Dabei muss sie Charakterstärke beweisen und Weitblick. Ihr Leben gerät dabei immer wieder in Gefahr.
Die Autorin beschreibt, in welcher schwierigen Lage sich Gemma befindet. Außer ihren Freundinnen Felicity und Ann kann sie eigentlich niemandem vertrauen, tut es dennoch immer wieder und wird enttäuscht.
Als Leser wird man in dieses Verwirrspiel mit ungewissem Ausgang hineingezogen. Man kann sich ganz wunderbar in die Geschichte hineinvertiefen.

Dem Schreibstil der Autorin mutet etwas Geheimnisvolles, ja Geisterhaftes an, dem man sich nicht entziehen kann.
Der Schauplatz ist diesmal ein anderer, denn Gemma und Felicity verbringen die Weihnachtsferien nicht in der Spence-Akademie, sondern bei ihren Familien, mit Ann, die keine nahen Verwandten hat und eigentlich in Spence hätte bleiben müssen. Das wertet die Geschichte noch einmal auf und sorgt für Abwechslung, denn die gesellschaftlichen Verpflichtungen halten die Mädchen auf Trab.
Das Buch ist damit rundherum gut gelungen und sehr empfehlenswert. Die Neugier auf den dritten Band ist geweckt.

Rezension von Heike Rau

Libba Bray
Der geheime Zirkel
Circes Rückkehr
Aus dem Amerikanischen von Ingrid Weixelbaumer
656 Seiten, Klappenbroschur
Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN: 978-3423712729
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Die Affäre Calas

Die Affäre Calas

Die verstorbene Charlotte hat Sandrine zu ihrer Alleinerbin bestimmt. Sandrine wusste, dass ihre Tante sehr vermögend war. Sie muss nun ihren Beruf als Anwältin nicht mehr unbedingt ausüben. So bleibt sie nach der Beerdingung erst einmal in Südfrankreich, um alle Angelegenheiten in Ruhe zu regeln. Henri, einem Freund aus Kindertagen, dem es im Moment nicht allzu gut geht, erlaubt sie, ins Dachgeschoss des Hauses der Tante einzuziehen.
Zum Erbe gehört auch ein Brief Charlottes. Die alte Dame vertraut Sandrine hier nachträglich ein Familiengeheimnis an. Sie weist den Weg zu einer eisernen Kassette, die eingemauert in einer Kellerwand des Landhauses versteckt liegt. So erfährt Sandrine von der Affäre Calas und dass sie selbst ein Abkömmling dieser Familie ist – ihre Urgroßmutter stammte aus der berühmten Toulouser Familie. Die Tante wünscht, dass die Dokumente, die Sandrine vorfinden wird von ihr als Anwälin begutachtet und veröffentlicht werden.

Henri hilft den Schatz zu heben und Sandrine erfährt, was hinter der Affäre Calas steckt. Sie liest vom mysteriösen Tod des ältesten Sohnes der Familie, der 1761 geschah. Der Vater wurde ohne Beweise zum Mörder erklärt und hingerichtet. Die Briefe, Abschriften Voltaires, also keine Originale der Zeugen, erzählen von dem undurchsichtigen Fall, der immer noch Rätsel aufgibt.
Sandrine will ihn zusammen mit ihrem Jugendfreund Henri, in den sie sich verliebt, aufklären. Sie will wissen, ob der Vater den Sohn tatsächlich ermordet hat, ob es eventuell Selbstmord war, wie Voltaire vermutet, oder ob die Weißen Büßer, eine ominöse Bruderschaft, etwas mit dem Tod des jungen Mannes zu tun haben, vor denen die Tante bis zu ihrem Tod Angst hatte. Dass der Versuch der Aufklärung des Falles einige Menschen und auch Sandrine selbst geradewegs ins Verderben führen wird, ahnt die junge Anwältin nicht.

Die Autorin hat sich in ihrem Buch einem historischen Kriminalfall angenommen und lässt ihn noch einmal aufleben. Ihre Version der Geschichte (was Fiktion ist und was geschichtlichen Tatsachen entspricht, kann man dem Nachwort entnehmen) ist äußert spannend. Man liest das Buch mit wachsender Begeisterung.

Sandrine, eine junge Anwältin nimmt den Auftrag ihrer Tante an und beginnt, zusammen mit ihrem Jugendfreund Henri, nachzuforschen. Was sie zunächst als interessanten Zeitvertreib sieht, wird bald zu einem gefährlichen Spiel mit unbekannten Drahtziehern, die vor nichts zurückschrecken, um die Wahrheit zu vertuschen. Sandrine tatstet sich trotzdem immer weiter vor, versucht die Geschehnisse um den Mord zu rekonstruieren. Als Henri spurlos verschwindet, arbeitet sie mit einer Freundin weiter und später noch mit einem Vertrauten Henris.

Man braucht ein gutes Vorstellungsvermögen, um ihren Theorien folgen zu können. Wie nahe die drei der Wahrheit kommen, erfährt man aber erst zum Schluss. Bis dahin kann man kaum erahnen, in welche Richtung die Geschichte laufen wird.
Die Autorin kündigt das nahende Unheil immer wieder an, hält den Leser dadurch neugierig und hilft damit auch durch schwierige Stellen des Buches.

Sandrine ist eine interessante Persönlichkeit. Sie bleibt dran an dem Fall, auch als sie gesundheitliche Probleme bekommt und ihre Nerven nicht mehr mitspielen wollen. Sie wird dennoch nicht zur Heldin stilisiert und bleibt dadurch stets glaubwürdig.
Nicht zuletzt lebt das Buch von der Stimmung, die die Autorin geschaffen hat. Die Geschichte ist mysteriös und bleibt es bis zum Schluss.

Rezension von Heike Rau

Helene Luise Köppel
Die Affäre Calas
Aufbau Taschenbuch Verlag
400 Seiten, broschiert
ISBN: 978-3746623702
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Der letzte Weynfeldt

Der letzte Weynfeldt

Der letzte Weynfeldt: das ist Adrian, Sohn einer wohlbetuchten Familie, einziger und spät geborener Sohn seiner Eltern.

Er ist Kunstmäzen, Experte und Auktionator.
Schon Mitte fünfzig, bewegt er sich in zwei Freundeskreisen. Der eine setzt sich aus den älteren Freunden seiner Eltern zusammen, der andere aus jüngeren Künstlern, Architekten, Dichtern und solchen, die sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlagen.
Er führt ein Leben im Wohlstand und hilft gerne und diskret seinen Freunden mit finanziellen Mitteln aus, wenn diese sich einmal in einem Engpass befinden.
Klaus Baier befindet sich in einer Notlage, als er Weynfeldt ein Bild anbietet. Schon auf dem Cover des Buches findet man die Abbildung von: „La femme nue devant une salamandre“ des Schweizer Malers Felix Vallotton. Das Bild wird hoch gehandelt, und Baier verspricht sich viel von dem Verkauf.

Mit diesem Bild hat es eine besondere Bewandtnis, die im Verlauf der Geschichte zu aufregenden Verwicklungen führt.

In einer seiner nicht üblichen Handlungen hat Weynfeldt Lorena, die er in einer Bar traf, mit zu sich nach Hause genommen. Zu seiner Überraschung will sie sich am Morgen danach das Leben nehmen. Mit einigem Glück gelingt es ihm, sie davon abzubringen.

Neben dem geheimnisvollen Verkauf des Bildes ist es Lorena, die das Geschehen mit ihren ungewöhnlichen Auftritten bestimmt. Sie treibt ein Versteckspiel mit ihm, lässt ihn zappeln und fängt ihn mit ihren Spielchen ein, ihn, der nach einer betrauerten ersten Liebe sich mit dem Alleinsein schon eingerichtet hatte!

Suter baut seine Geschichte gemächlich auf. Mit der Beschreibung der Atmosphäre im Umfeld von Weynfeldt, seiner herrschaftlichen Wohnung, in der er residiert, seinem Tagesablauf, den Begegnungen mit Freunden und Mitarbeitern entsteht das freundliche Bild einer Stadt in er Schweiz mit ihren Bewohnern. Hinter der Fassade der guten Bürgerlichkeit und Weynfeldts argloser Wohlanständigkeit umgeben ihn subtile Machenschaften, von denen er nichts ahnt.

Sehr lange wissen wir nicht: handelt es sich hier um einen Liebesroman oder erwartet uns ein spannender Krimi?
Unermüdlich spinnt Suter die Geschichte fort. Mit der Ruhe des geübten Erzählers, der durch ausgefeilte Sätze und wortreiche Charakteristiken ein Bild der Menschen mit ihren Gewohnheiten zeichnet, steckt er den Rahmen für die Handlung ab. Das Thema Kunst, Kunstauktion und Handel bietet Gewähr für kultivierte und anspruchsvolle Unterhaltung.

Suter ist der Meister der subtilen Geschichten, die er langsam aufbaut, um sie zuletzt zu unerwarteten Höhen der Spannung und zu ebenso unerwarteten Lösungen hin zu treiben.

Mit diesem Roman ist ihm wieder ein Glanzstück gelungen!

Rezension von Claudine Borries

Martin Suter
Der letzte Weynfeldt
Spannende und kultivierte Unterhaltung
ISBN:3257066309
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Lerche

Lerche

Deszö Kosztolányi Lerche Manesse Bibliothek
ISBN 3717521446

In diesem kleinen Büchlein des 1936 bereits verstorbenen Autors Kosztolányi erwacht eine längst versunkene Welt in Ungarn z.Zt. der k.u.k – Monarchie für uns zu neuem Leben.

Fernab von den großen Städten mit ihrer Pracht erleben wir eine kleine Provinzstadt, in dem das Ehepaar Vajkay ihrem Alltag nachgeht.
In einer unspektakulären Handlung wird ihr Haus, die Inneneinrichtung, ihre Wohnung und ihr Leben mit ihrer ältlichen Tochter Lerche beschrieben.
Schon lange waren sie auf das Gut eines Vetters nur unweit ihres Städtchens eingeladen. Sie wollten die Einladung nie annehmen. Nun fährt statt ihrer die Tochter Lerche für eine Woche aufs Land.

Der Aufbruch der Tochter ist in allen Details aufgezeichnet.
Der Tisch im Wohnzimmer, auf dem sich die Sonnenstrahlen abzeichnen, die Couch, auf der noch Bänder zum Verschnüren liegen, der prall gefüllte Koffer und ein Korb mit allerhand Habseligkeiten stehen zur Abfahrt bereit.
Mit großem Aufwand begleiten die beiden alten Leutchen ihre Tochter zum Zug, der schon dampfend auf dem Gleis wartet.
Sie haben Tränen in den Augen beim Abschied und sind zum ersten Male seit langer Zeit alleine.
Zunächst etwas ratlos nehmen sie ihr Leben mit alten Bekannten in dem kleinen Städtchen wieder auf.

In feiner Manier und detailgenau werden die Gefühle der Alten zu Protokoll genommen. Man liest mit Entzücken über die Ruhe, die über der Stadt liegt. Das eintönige Leben läuft immer nach dem gleichen Maß ab. Zwischen den Zeilen spürt man die Ambivalenz gegenüber einer Tochter, die recht hässlich ist, und deren ältliche Gewohnheiten zum täglichen Allerlei gehören, und die man sogleich nach ihrer Abreise vermisst. Ein wenig aber darf man auch spüren, dass der Vater zwischen Zuneigung und stark verleugneter Abneigung schwankt. In einem Augenblick der Schwäche, er hatte ein wenig zu viel getrunken, rutscht ihm seine Abneigung, ja fast Hass, auch verbal heraus,–zum Entsetzen von Mutter!

In einer höchst einduckvollen und den damaligen Geflogenheiten gemäßen Sprache wird die Geschichte fort gesponnen.
Da steht ein Gasthausbesuch an, wo sich die Honoratioren treffen, und eine Theateraufführung steht ins Haus.

Die altmodische und differenzierte Sprachweise löst unweigerlich Bewunderung aus. Die k.u.k Monarchie ersteht mit ihrem Glanz und ihren konventionellen und höflichen Formen, ja so liebenswürdig und zuvorkommend charmanten Tönen des Umgangs miteinander. Man ist hingerissen von der filigranen Ausstattung der Beschreibungen. An jedem Wort und jedem Satz hat man seine Freude. Wie fast toten Gegenständen Leben eingehaucht wird, und ein langweiliges Provinzleben vor unseren Augen belebt wird; wie das Leben so ganz abseits vom Glanz der großen Welt auch im Kleinen seine Lebhaftigkeit und Reize enthüllt, das zeigt Meisterschaft.

Viele berühmte Dichter und Denker wurden Mitte des 19. Jahrhunderts geboren. Zu ihnen gehörten Musil, Broch, Th. Mann, Kafka, Einstein u.a. Aus Ungarn stammten Dichter, die uns heute fremd sind. So manches Kleinod mag darunter noch zu finden sein. Kosztolányi wird in einem Nachwort von Péter Esterházy als einer der besten Dichter jener ungarischen Zeit um die Jahrhundertwende benannt.

Das kleine, wunderschön aufgemachte Büchlein ist eine Kostbarkeit für Menschen mit bibliophilen Neigungen! Ich möchte es sehr empfehlen!

Rezension von Claudine BorriesBestellen

Nicht so schlimm

Nicht so schlimm

Er ist fremdgegangen, jedenfalls fast, will seine Frau verlassen. Doch ganz schnell ändert er seine Meinung wieder. Dennoch ist die Ehekrise perfekt. Sie schlägt ihn fast tot, er erträgt es aus dem Schuldgefühl heraus, glaubt, es verdient zu haben. Sie verprügelt ihn, bis sie denkt, mit ihm quitt zu sein. Dann verarztet sie ihn.

Aber es wird nicht wieder gut. Jetzt betrügt sie ihn, nicht nur fast. Es ist ihre Rache. Er schafft es nicht, sie zu verlassen. Will seine Ruhe haben, ein trautes Familienleben mit Frau und Kindern.

Und doch lässt er sich wieder auf eine andere Frau ein. Nicht er selbst beginnt den Flirt, sondern sie, die andere, die ihm ihre Telefonnummer durch einen Kellner hat geben lassen. Sie könnte seine nächste große Liebe werden. Doch seine Ehefrau wird zur Furie.

Der Autor schafft eine ungeahnte Nähe, lässt seinen Icherzähler den Leser direkt ansprechen, als wäre er sein bester Freund. Er vertraut ihm seine intimsten Gedanken an. Sein ganzes Herz schüttet der Protagonist aus, erzählt vom Ende seiner Ehe. Schonungslos und ohne einmal zwischendurch Luft zu holen. Das Buch hat Tiefgang, fast kommt es einer Beichte gleich.

Die Geschichte erschüttert. Erzählt sie doch vom Ende der Beziehung zweier Menschen, die eigentlich für immer zusammenbleiben wollten. Wenn die Liebe geht, kommt der Schmerz. Der Prozess des Auseinandergehens ist geprägt von Eifersucht. So nah zum Zeuge dieser Entwicklung zu werden, ist nicht leicht zu verkraften. Aber der Autor nimmt dem Leser nicht jede Hoffnung, sonder nur seine Illusionen.

Rezension von Heike Rau

Nicolas Fargues
Nicht so schlimm
Deutsch von Frank Wegner
187 Seiten, gebunden
Rowohlt Verlag
ISBN: 978-3498021177
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Mark Beaman: Handbuch der Vogelbestimmung – Europa und Westpaläarktis

Mark Beaman: Handbuch der Vogelbestimmung – Europa und Westpaläarktis

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Vögel zu beobachten ist ein sehr beliebtes Hobby. Die Vögel, die ans Futterhäuschen kommen, lernt man sicher sehr schnell kennen. So wird das Interesse geweckt, auch die weniger bekannten Vogelarten kennen zu lernen. Aber um umfangreiche Feldforschungen betreiben zu können, ist ein sehr breitgefächertes Wissen erforderlich. Ein gutes Nachlagewerk ist unerlässlich.
„Handbuch der Vogelbestimmung“ ist solch ein Werk. Beschrieben werden alle Vogelarten (über 850), die in Europa, bzw. in den Grenzen der westlichen Paläarktis beobachtet worden sind. Auch seltene Ausnahmegäste und eingebürgerte Arten werden beschrieben.

Es gibt einen ausführlichen, etwa 25 Seiten langen Einführungstext. Hier wird die Kunst der Vogelbestimmung erklärt. Es wird erörtert, was bei der Vogelbestimmung beachtet werden muss und was von besonderer Bedeutung ist. Damit ist das Buch für Anfänger, erfahrene Beobachter und Ornithologen gleichermaßen geeignet.

Zur Verfügung gestellt wird ausgesprochen viel Bildmaterial. Die Zeichnungen sind äußerst detailliert. Präsentiert werden diese in Bildtafeln, so dass man gut Vergleiche ziehen kann. Andererseits kann man so nicht den Text mit dem Bild direkt vergleichen, sondern muss hin und her blättern. Die Verbreitung der Arten kann man dem Kartenmaterial entnehmen. Die Porträts der Vögel erfolgen in Texten, die stichpunktartig gehalten und dennoch sehr umfangreich sind. Die Formulierungen sind gut gewählt und äußerst treffend. Die Autoren helfen dem Vorstellungsvermögen sehr gut auf die Sprünge. Wer sich mit den verwendeten Fachbegriffen nicht gut auskennt, findet Erklärungen im Buch. Es gibt auch ein Glossar. Selbstverständlich verfügt das Buch über ein Register der lateinischen und der deutschen Vogelnamen.

Fazit: Das Buch ist ein sehr umfangreiches Nachschlagewerk, dass durch seine Einzigartigkeit fasziniert.

Rezension von Heike Rau

Mark Beaman / Steve Madge
Handbuch der Vogelbestimmung – Europa und Westpaläarktis
Aus dem Englischen von Detlef Singer
2. korrigierte Auflage
869 Seiten, 8000 Farbzeichnungen, 641 Verbreitungskarten
Verlag Eugen Ulmer Stuttgart
ISBN 978-3-8001-5494-4
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Die kommende Welt

Die kommende Welt

Im Jahr 2001 kam auf einer Singleparty zu Ehren von Marc Chagalls Bildern im Jüdischen Museum in New York ein kleines Bild < Über Witebsk > abhanden.

Marc Chagall hatte 1919 in der jüdischen Kinderkolonie Malachowka gearbeitet. Die Kinder waren während der russischen Revolution bei Pogromen an Juden zu Waisen geworden. Viele seiner Bilder sind dort entstanden, so auch das entwendete Gemälde in New York. Chagall lebte in seinen späteren Jahren in New York und überlebte viele seiner Künstlerkollegen, mit denen er in Malachowka zusammen gearbeitet hatte.

Angeregt durch den Diebstahl hat Dara Horn eine Familiensaga erfunden, die uns zurück nach Russland und in die Jetztzeit nach New York führt.

Die Familie Ziskind bildet den Plot.
Sie wird ähnlich wie die Bilder von Chagall, die Träumen gleichen, in verschiedenen Schattierungen und an unterschiedlichen Orten beschrieben.

Boris Kulback war 1920 mit 11 Jahren in dem Kinderheim Malachowka für jüdische Waisenkinder gelandet und bekam von seinem Zeichenlehrer Chagall ein Bild geschenkt. Seine Tochter Raisa wird es behalten und in ihre Familie mitnehmen.
Als Ben das Bild 2001 in New York in der Ausstellung wieder entdeckte, nahm er es ohne Skrupel an sich. Es gehörte seiner Familie. Was er nicht wusste: seine Mutter hatte es nach dem Tod des Vaters aus Geldnot verkauft.
Unschwer lässt sich erraten, dass seine Mutter die Tochter von Boris Kulback ist.

Die Kuratorin des Museums, Erica Frank, kommt bald dahinter, dass Ben hinter den Diebstahl steckt.

Ben lebt in New York, ist geschieden, war ursprünglich ein Wunderkind und schlägt sich nun tapfer als Erfinder von Quizfragen durch. Seine Zwillingsschwester Sara wird ein Kind bekommen von Leonid, ihrem geschäftstüchtigen Ehemann. Die Mutter von Sara und Ben war Illustratorin und hat bekannte Geschichten jüdischer Autoren für ihre Kinderbücher nacherzählt. Sie ist kürzlich verstorben.
Eines ihrer Bücher heißt < Die kommende Welt >. Ben versteht eines Tages, dass die Geschichten nicht auf das Jenseits gerichtet sind, sondern dass die kommende Welt die Zukunft ist, die man mit den eigenen Entscheidungen in diesem Leben schafft.

Die Autorin wechselt die Zeitebenen, so dass ein wechselvolles Familiengemälde entsteht.
Durch das jüdische Leben in Russland und das jüdische Leben in New York entstehen Parallelwelten. Verbunden bleiben sie durch die Familiengeschichte der Ziskinds.

Atmosphärisch eindringlich und mit Humor werden die Eigenheiten der Einwanderer russisch-jüdischer Abstammung vorgestellt. Archaische Familiengebote bestimmen auch in der neuen Welt das Leben jüdischer Familien. Bens Vater musste im Vietnamkrieg kämpfen, um unabhängig vom Vater sein Studium zu beenden, denn die Ehe mit Raisa war dem Vater nicht genehm.

Die phantasievolle Ausschmückung der Familiengeschichte ist bestrickend. Einmal befindet man sich im Russland der Verfolgungen, unter denen schon früh die Bürger jüdischer Herkunft zu leiden hatten. Dann wieder ist man in der apokalyptischen Gegenwart der Welt des Terrorismus in New York.
In einer skurrilen, traumähnlichen Weise wird der zukünftige Erdenbürger Daniel, das Kind, das Sara erwartet, über die kommende Welt aufgeklärt. Die Sprache erinnert in ihrer Ausschmückung an die schwebenden, erdenfernen Bilder von Chagall. Man wird sehr lebhaft in diese Traumwelt hineinversetzt.

Die Geschichten der einzelnen Protagonisten sind in vielfältiger Weise miteinander verwoben.

Ein Gesamteindruck bildet sich erst nach und nach heraus. Lebensgeschichten und Familiengeschichten folgen eigenen Gesetzen, im Leben wie im Roman.
Die Autorin kennt sich gut aus mit dem jüdischen Glauben. Für Juden ist die kommende Welt die Verheißung auf das gelobte Land.

Das jüdische Viertel in New York gewinnt Leben durch die Tradition und die rituellen Feste. Das Yiddische wird vermischt mit dem Russisch der Herkunftsländer gesprochen.
Der Plot wird immer verwickelter und spannender. Ein weit gespannter Bogen führt vom Gestern bis in die Gegenwart.

Träumerisch, teilweise beängstigend, unwirklich und real: die Mischung lässt das Werk zu einem opulent ausgeschmückten und reich verzierten Bild werden, das den Gemälden von Chagall im Wort nacheifert.

Die Vermischung des realistischen Ausgangspunkts der Geschichte hin zu einem spannenden und ausschweifenden Familienbild, witzig, komisch und von jüdischem Humor getragen, bietet ein ungewöhnliches Szenario.

In einem Nachwort berichtet die Autorin von den jüdischen Schriftstellern, die ermordet wurden. Sie hatten sich in der Kolonie Malachowka mit Chagall zusammengefunden. In Anlehnung an ihre Erzählungen hat Dara Horn einige ihrer Geschichten im Roman ausgestaltet.
Dara Horn hat in Harvard hebräische und jiddische Literatur studiert und lebt heute in New York.

Dara Horn
Die kommende Welt
Jüdische Familiensaga zwischen Traum und Wirklichkeit
ISBN:3833305290
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Markus Grill: Kranke Geschäfte

Markus Grill: Kranke Geschäfte

Gesundheit ist ein wertvolles Gut. Unbestritten wird viel Geld dafür ausgegeben. Neben den Krankenkassenbeiträgen und den zusätzlichen Leistungen und Gebühren, stehen auch hohe Kosten für Medikamente an. Das Vertrauen in die Ärzteschaft, die Pharmaindustrie und in das Gesundheitswesen allgemein ist gesunken.

Der Titel des Buches verspricht Aufklärung. Es ist als Informationsquelle für Patienten gedacht und sicherlich auch interessant zu lesen. Der Autor hat für sein Buch viele Quellen genutzt und präsentiert nun die daraus gewonnenen Daten in zusammengefasster Form. Auch wenn das Zahlenmaterial oft etwas angestaubt wirkt und nicht immer durch Aktualität glänzt, die Pharmaindustrie kommt dabei nicht gut weg. Das war zu erwarten. Panikmache kann man dem Autor aber nicht unterstellen, viel mehr geht es darum, die Missstände aufzudecken. Das ist spannend, aber sicher ist auch in anderen Branchen ähnliches Vorgehen üblich. Nicht selten wird Gewinn um jeden Preis gemacht. Wie die Marketingstrategien der Pharmaindustrie aussehen, erfährt der Leser bis ins Detail und auch in welche Rolle er als Patient dabei gedrängt wird.

Was vom Buch bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Aber die Verdienste der Pharmaindustrie werden in diesem Buch nicht erwähnt. Es wirkt darum sehr einseitig geschrieben. So ist der Nutzen, der für den Patienten durch das Lesen entsteht, eher gering. Aber das Buch bietet interessante Einblicke und vermittelt Wissen um die Vorgänge im Gesundheitswesen, sehr genau recherchiert, nachprüfbar durch Quellenangaben und gut lesbar aufbereitet.

Rezension von Heike Rau

Markus Grill
Kranke Geschäfte
Wie die Pharmaindustrie uns manipuliert
224 Seiten, Klappenbroschur
Rowohlt Verlag
ISBN: 978-3498025090
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