Die Träumer

Die Träumer

Auch diesmal kommt Robert nicht zu Iris’ Veranstaltung. Er hat sich aus diesem Teil ihres Lebens zurückgezogen. Dabei ist Iris mit ihrem Catering-Service sehr erfolgreich. Für andere Männer, wie den Bürgermeister oder den Bauunternehmen wirkt der Erfolg anziehend. Dass Iris’ Mann sich unsichtbar macht, bedeutet für sie, dass Iris zu haben ist.
Nach einer dieser gelungenen Partys, am nächsten Morgen, erfährt Ines, dass ihr Mann tot aufgefunden worden ist. Sie muss glauben, was sie nicht glauben will, denn sie identifiziert ihn. Sie bricht nicht zusammen und dennoch ist das Leben um sie herum plötzlich ein anderes. Es findet nicht mehr mit ihr statt, sondern eher um sie herum.
Nach der Beerdigung trifft Iris einen Bekannten ihres Mannes. Er macht glaubhaft, zu wissen, warum Robert sich umgebracht hat.

Die Geschichte erzählt von einem Ehepaar, das sich nichts mehr zu sagen hat, dass sich nicht mehr beachtet und das trotzdem an der Verbindung festhält. Iris bleibt in der Geschichte im Hintergrund. Sie erfährt nicht, was ihr Mann getan hat, wenn er nicht bei ihr war und warum er sich letztendlich umgebracht hat. Der Leser dagegen schon. Ihm wird schonungslos offenbart, was die Ehefrau nie erfahren wird. Und das macht den Reiz dieses Buches aus. In Wahrheit ist Robert in eine Geschichte hineingeraten, aus der es kein entrinnen gab, weil es Dinge gibt, die er aus gutem Grund nicht gewillt war, hinzunehmen.
Seiner Frau konnte er sich nicht anvertrauen, sie ahnte nicht mal, dass er seinen Job verloren hat. Ohne hier zu viel zu verraten, die Geschichte ist brisant, ihre Entwicklung dramatisch.
Interessant ist, wie der Autor das gegensätzliche Ehepaar in seiner Zerrissenheit darstellt. Er geht dabei, psychologisch gesehen, sehr tief und beeindruckt mit den charakterlichen Beschreibung seiner Protagonisten und erzählt sehr gekonnt aus den zwei Perspektiven von Iris und Robert ohne diese Erzählstränge zusammenzuführen.

Über den Autor:
Peter Truschner, geboren 1967 in Klagenfurt, studierte Kommunikationswissenschaften und Philosophie in Salzburg. Er lebt heute in Berlin.

Rezension von Heike Rau

Peter Truschner
Die Träumer
255 Seiten, gebunden
Paul Zsolnay Verlag
ISBN: 978-3-552-05326-7
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München Blues

München Blues

Die abendliche Ruhe wird von einem seltsamen Geräusch gestört. Auf der Schwelle zu seinem Laden entdeckt Gossec einen stark alkoholisierten Mann. Er ist scheinbar ausgeraubt worden, denn er hat nichts von Wert bei sich. Visitenkarten sagen Gossec, dass er hier einen Landtagsabgeordneten vor sich hat. Hilfsbereit wie er nun mal ist, schleppt er die Bierleiche vom Oktoberfest in seine Wohnung, führt die üblichen Wiederbelebungsmaßnahmen durch und ruft ein Taxi.
Zwei Stunden später verschaffen sich ungefragt zwei Herren Zutritt zu Gossecs Wohnung hinter dem Laden. Dem Abgeordneten ist nämlich ein Schriftstück abhanden gekommen. Das hat Gossec aber nicht. Ein paar Tage später schickt das Büro des Abgeordneten einen Boten mit den rückzuerstattenden Auslagen. Damit ist die Sache vom Tisch.

Gossec hat die Nase voll vom schlechten Wetter und beschließt erst einmal Urlaub zu machen. Seinen Freund Julius, der gerade eine schwierige depressive Phase durchmacht, überredet er mitzukommen. Als die beiden wieder in München sind, finden die beiden Julius’ Wohnbüro komplett ausgeräumt vor. Einem Brief ist zu entnehmen, dass Rechtsanwalt Zwicklhuber im Auftrag seines Klienten das „vertragswidrige Sperrmülllager“ über die Firma Bärnbichl und Partner räumen lassen hat. Gossec will das nicht hinnehmen. Er holt den Totschläger aus dem Schrank, um sich Bärnbichl vorzuknöpfen.

Bärnbichl ist ein Schlägertyp, besser bekannt als Mongolen-Adi. Weil Gossec es wagt, auf dessen Schreibtisch herumzuwühlen, nimmt Mongolen-Adi ihn sich zur Brust und schmeißt ihn dann in hohen Bogen vor die Tür. Das kann Gossec nicht auf sich sitzen lassen. Er geht zurück. Er fackelt nicht lange und schon sitzt Mongolen-Adi gefesselt und mit heruntergelassener Hose auf einem Bürostuhl. Gossec findet das verlorengeglaubte Schriftstück und erfährt, als er es später liest, dass das Schlachthofviertel in ein attraktives Wohnviertel umgebaut werden soll. Gossecs Zukunft ist in Gefahr. Mongolen-Adi muss noch einmal eingehender befragt werden. Doch der kann nicht mehr auf Fragen antworten. So gerät Gossec unter Mordverdacht.

Gossec ist schon ein außergewöhnlicher Typ. Der Autor zeichnet ihn als Draufgänger mit Herz. Mit der Selbstbeherrschung hat er es nicht so, er wird mehr von seinen Adrenalinschüben gesteuert. So kommt es immer wieder zu extrem aus dem Ruder laufenden Situationen, bei denen Gossecs Gegenspieler, aber auch er selbst, einiges einstecken müssen. Es kann schon passieren, dass man die eigentliche Geschichte mal aus den Augen verliert und nur darauf wartet, was Gossec als Nächstes von sich gibt oder sich leistet oder mit welcher ungeahnten Charakterstärke er sich unvermutet präsentiert.
Auch wenn der Krimi wirklich gut ist, wird er doch hauptsächlich von der Figur Gossecs getragen. Er ist eine vielseitige Persönlichkeit und lässt kaum Raum für andere Charaktere. Die bleiben notgedrungen im Hintergrund.
Die Geschichte zu lesen, ist ein Vergnügen. Sie ist erfrischend witzig, lebendig und voller überraschender Szenen. Der Schreibstil des Autors tut ein Übriges. Durchweg wird man gut unterhalten.

Über den Autor:
Max Bronski wurde 1964 in München geboren. Hier lebt er auch heute noch. Er hat sich nach einem abgebrochenen Theologiestudium mit verschiedenen Jobs durchgebracht, gemalt und geschrieben.

Rezension von Heike Rau

Max Bronksi
München Blues
175 Seiten, gebunden
Verlag Antje Kunstmann
ISBN: 978-3888974632
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Schöne Verhältnisse

Schöne Verhältnisse

Wenn man eine Geschichte in Lacoste in der Provence ansiedelt, so lässt das schon Schlüsse auf die Handlung zu.
Hier befindet sich nämlich das Schloß des Marquis de Sade!

Die Villa der Familie Melrose liegt bei Lacoste.
Der Hausherr David Melrose, Engländer wie seine Frau, beschießt gerade mit dem Wasser aus einem Gartenschlauch Ameisen, die sich auf ihrem Weg trollen oder erledigt sie mit einer glühenden Zigarette Er ist an die sechzig Jahre alt. Seine Frau Eleanor trinkt, raucht und nimmt jede Menge Medikamente. Ein kleiner Sohn von fünf Jahren spielt zwischen alten Gemäuern im Garten. Er ist sich selbst überlassen und offensichtlich nicht sehr erwünscht.

Was leicht sadistisch mit dem Jagen und Töten von Ameisen beginnt, wird weitergeführt mit dem Bericht über eine Reihe von Menschen, die uns in dieser ländlichen Villa begegnen.
Die englische Adelsschicht gibt sich ein Stelldichein und zu jeder Person gehört eine Geschichte.

Ein älterer Philosophieprofessor jüdischer Herkunft gehört zu den Freunden des Hauses ebenso wie seine amerikanische Freundin Anne, Nicholas und seine vulgäre Freundin Bridget.

Die Gesellschaft pflegt Kontakte und hält die Etikette ein. Gespräche sind geistreich und beweisen Bildung, wechseln jedoch häufig zu zynischer Überheblichkeit, bei der jeweils der eine erniedrigt, der andere mit dem Mythos der Überlegenheit ausstattet wird. Man weiß, woher jeder kommt. Eton als Ort der Bildungsherkunft ist die mindeste Voraussetzung, um hier dazu zu gehören.

Insgesamt handelt es sich um eine dekadente und überdrüssige Gesellschaft. Jeder beäugt jeden und jeder weiß über jeden Nachteiliges zu berichten.
Keiner kann sicher sein, dass er nicht Zielscheibe von bösartigen Gerüchten und morbiden Unterstellungen wird.
Im Zentrum aller Figuren steht David, ein bösartiges Ungeheuer, der mit seinen Sarkasmen alle übertrifft.
Ein unerhörter Zwischenfall lässt ahnen, dass sich an diesem Ort Tragödien sadistischen Ausmaßes abspielen.

Die Geschichte ist packend und randvoll mit scharfen Monologen und Dialogen. Dazwischen gibt es malerische Landschaftsbeschreibungen, mit denen die Provence ins Blickfeld gerückt wird.
Mit schwarzem Humor und kritischem Blick karikiert der Autor Abgründe in der Gesellschaft. Eine scheinheilige Adelswelt, ihre verlogenen Ansichten und die gegenseitigen Abhängigkeiten werden entlarvt.
Da die Geschichte in Frankreich spielt, wird Distanz zu DER englischen Oberschicht geschaffen. Es sind einzelne, die dieses Leben führen. Sie haben keine Aufgaben, frönen dem Müßiggang und sind vor allem reich.

Die Figuren werden einfallsreich und tiefgründig beschrieben. Einige der Schilderungen sind mir fast ein wenig zu weitschweifig. Z.B.: ein Glas Pastis stand wie eine eingefangene Wolke auf dem Klavier.
Man kann darüber hinwegsehen.
St Aubyn ist ein renommierter englischer Autor. Das beweist er mit diesem Buch erneut.
Die Geschichte ist anspruchsvoll und spannend erzählt. Sehr lesenswert!

Edward St Aubyn
Schöne Verhältnisse
Eine morbide Gesellschaft
ISBN:3832180125
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Zwei Leben und ein Tag

Zwei Leben und ein Tag

Anna Mitgutsch Zwei Leben und ein Tag

Luchterhand Verlag ISBN 3630872565
Psychogramm einer Ehe

Die Prallelen zweier Lebensgeschichten: H. Melville gibt den Stoff zu der einen, das Leben von Edith und Leonard beinhaltet die zweite.

Letztere sind sich in jungen Jahren begegnet. Leonard schrieb an einer Dissertation über Melville und hatte damit Ediths Interesse geweckt. Sie willigte nur zögerlich in eine Beziehung zu ihm ein, die in eine Ehe mündete.

Nach vielen Jahren ist sie geschieden von Leonard und erinnert sich in der Form des Briefromans noch einmal an die Stationen ihrer Ehe.

Eingebettet in Beschreibungen der Natur um den Hudson River, wo alles begann, wird zugleich Hermann Melvilles Leben, seine Ehe und seine Dichtung in die Erzählung einbezogen.
Es gibt Parallelen zwischen beider Ehen: das anfängliche Glück z.B., das schon bald von einem unsteten Nomadenleben und mangelnder Behaustheit bei beiden Paaren gekennzeichnet ist.
Edith und Leonard sind beruflich viel in Ländern Südostasiens und Osteuropas unterwegs gewesen, weil Leonhard in Amerika keine Stelle finden konnte.
Aus der Ehe von Edith und Leonard ging ein Sohn hervor, der psychisch krank ist. Schreckliche Panikzustände und auffällige Verhaltensweisen haben die Eltern auf eine harte Probe gestellt und ließen sie verzweifeln an seiner Fortentwicklung. Er bleibt ein Außenseiter, der sich in keine Gesellschaft einfügen kann. Durch seine Entwicklung bekommt die Geschichte eine nachhaltige Dramatik.

Auch in H. Melvilles Leben gab es Unvereinbarkeiten zwischen Eltern und Söhnen und das Außenseitertum.

Ediths Betrachtungen zwischen kontemplativer Rückschau, empathischer Einfühlung in die Familiengeschichte Melvilles und realistischer, traurig-melancholischer Einsicht in die nicht gelungene eigene Ehe, ist anrührend.
Anna Mitgutsch kann mit ihrem Sprachtalent psychische Empfindungen zwischen Menschen beschreiben, die außerordentlich nahe an der Realität sind.
Sprachlosigkeit, Angst, Beklemmung, Nähe – und Distanz finden präzisen Ausdruck.
Sie beschreibt wechselnde Gefühlswelten, die für die Beziehung zwischen zwei Menschen beängstigend und befremdlich sind.
Mitgutsch beweist mit dieser Geschichte eine klare Denkungsart. Sie spiegelt uns ein Bild zwischenmenschlicher Beziehungen, das im täglichen Leben vorkommt, das aber selten in dieser reflektierten Weise vorgetragen wird.

Zugleich entsteht ein Panorama der Welt Melvilles, das fast einer Biographie dieser unsteten, düsteren, von Zweifeln, Wut, Hass und Getriebensein bedrückten Persönlichkeit gleichkommt.

Die Spannung der Erzählung wird durch die zügig vorangetriebene Geschichte bewirkt. Der Roman ist anspruchsvoll, psychologisch -analytisch klug aufgebaut und sehr genau konstruiert und schlüssig durchgearbeitet.
Man liest ihn mit anhaltender Spannung.

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Perlen

Perlen

Schmuck selbst zu gestalten, ist ein ganz besonderes Hobby. Mit Hilfe des Buches gelingt es ganz verschiedenen Halsketten, Armbänder und Ohrringe zu fertigen. Die zum Einsatz kommenden Perlen können aus Keramik, Perlmutt, Holz, Glas, Kunststoff oder Metall sein. Der eigenen Fantasie sind bei der Verwendung der Werkstoffe keine Grenzen gesetzt.

Die Autorin erklärt, worauf es ankommt und berichtet über alles Wissenswerte rund um die Perlen. Sie beschreibt die Perlenvielfalt sehr genau und geht dabei auf die verschiedenen Materialien, Formen und Farbgebungen ein. Anhand der vielen Fotos kann man sich ein Bild davon machen, welche Perlen man käuflich erwerben kann. Schon an dieser Stelle wird klar, dass bei diesem schönen Hobby der eigenen Kreativität keine Grenzen gesetzt werden. Wichtig ist, dass man sich mit den verschiedenen Techniken der Schmuckherstellung gut auskennt. Das kann man mit Hilfe des Buches lernen. Die Autorin zeigt sämtliche Zubehörteile wie Haken, Ringe, Endstücke und Verschlüsse und erklärt den Umgang mit den verschiedenen Werkzeugen wie Zangen, Fadenschneider und Pinzetten. Auch wie der Arbeitsplatz idealer Weise auszusehen hat, wird gezeigt.

Vorgestellt werden dann ganz verschiedene Projekte, die man nachgestalten oder als Anregung nehmen kann. Hergestellt werden Ohrringe, Armbänder, Halsketten von verspielt bis klassisch, kitschig bis edel. Je nach Anlass kann man hier das geeignete Schmuckstück heraussuchen, für festliche Anlässe genauso wie für die Faschingsfeier. Viele der vorgestellten Schmückstücke dürften auch jungen Mädchen gut gefallen.

Die Autorin gibt zahlreiche Tipps und verrät interessante Tricks, die das Arbeiten erleichtern. Die Anleitungen selbst sind sehr gut nachvollziehbar. Jeder Arbeitsschritt wird in Wort und Bild erklärt. Auch die Pflege der Schmuckstücke findet Beachtung. Es gibt viele Hinweise, wie man Schmuck reinigen, reparieren oder auch älteren Schmuck wieder aufpeppen kann.

Rezension von Heike Rau

Maya Brenner
Perlen
Schmuck selbst gestalten
Aus dem Englischen von Wiebke Krabbe
224 Seiten, gebunden, mit über 165 Farbfotografien
Dorling Kindersley Verlag
ISBN: 978-3-8310-1016-5
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Pawel Sanajew: Begrabt mich hinter der Fußleiste

Pawel Sanajew: Begrabt mich hinter der Fußleiste

Es vergeht keine Stunde, ohne dass die Großmutter auf das Gröbste flucht und schimpft. Der Großvater ist für sie ein stinkender alter Esel und ihr Enkelkind Sascha ein dreimal verfluchtes, verkommenes Miststück. Während der Großvater seinem Zuhause Tage oder auch für Stunden den Rücken kehren kann, ist Sascha daran gefesselt. In die Schule geht er nur selten. Er ist krank. Ein Staphylococcus frisst sein Gehirn auf. Die Großmutter hält den Jungen am Leben. Sie kennt sich besser aus als die Ärzte und weiß genau wie die chronischen Stirn- und Kieferhöhlen- und Mandelentzündungen, der Leberschaden, die Niereninsuffizienz und die Pankreatitis zu behandeln sind. Sie weiß auch, woher die Krankheiten kommen. Sascha muss für die Sünden seiner Eltern büßen.

Die Großmutter redet dem Jungen ein, so gut wie tot zu sein. Sie macht ihm glauben, er verfaule ganz langsam. Sascha macht sie damit eine ungeheure Angst. Es ist für ihn ein Schreckenszenario, sich vorzustellen auf einem Friedhof in der Erde unter einem Kreuz zu liegen. Viel lieber möchte er hinter der Fußleiste begraben werden, wo durch die Ritzen etwas Licht fällt.

Der Autor lässt Sascha die Geschichte selbst erzählen. Sie gewinnt dadurch an Dramatik und an Glaubwürdigkeit. Einen Menschen wie die Großmutter kann man sich dennoch nur schwer vorstellen. Das Buch ist vollgestopft mit ihren Flüchen und Beschimpfungen, die sehr betroffen machen. Der Autor offenbart erst spät im Verlauf der Geschichte, warum die Großmutter so geworden ist, dass sie eine Wand um sich herum zum Selbstschutz gebaut hat. Eine Entschuldigung für ihre Art ein Kind und auch ihren Ehemann zu quälen, ist das aber nicht. Der Autor lässt den Leser auch manchmal durchblicken durch diese dicke Wand, zeigt, dass die Großmutter sehr wohl Liebe empfinden kann. Wenn Sascha sehr schwer krank ist, umgibt sie ein Hauch von Wohlwollen.

Das Buch löst daher sehr widersprüchliche Gefühle aus. Es ist nicht einfach zu lesen, so eindringlich ist seine Dramatik. Die Charaktere werden in ihrer Zerrissenheit sehr tiefgehend beschrieben. Viele Szenen wirken auf makabere Weise geradezu komisch. Aber diese Komik löst kein Lachen aus, sondern Traurigkeit. Das Buch liegt dann auch bleischwer im Magen. Entgehen lassen, sollte man es sich trotzdem nicht. Die Art des Autors zu schreiben, ist außergewöhnlich.

Über den Autor:
Pawel Sanajew, der einer berühmten russischen Schauspielerfamilie entstammt, wurde 1969 in Moskau geboren. Er studierte an der Filmhochschule und arbeitete dann als Drehbuchautor und Synchronisator. Sein erster Film, der Thriller „Letztes Wochenende“ kam 2005 in die Kinos und wurde auf Filmfestivals ausgezeichnet. „Begrabt mich hinter der Fußleiste“, das für den russischen Bookerpreis nominiert wurde, ist sein erstes Buch.

Rezension von Heike Rau

Pawel Sanajew
Begrabt mich hinter der Fußleiste
Aus dem Russischen von Natascha Wodin
240 Seiten, gebunden
Verlag Antje Kunstmann
ISBN: 978-3-88897-464-9
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Präludium für Josse

Präludium für Josse

Dieses Buch ist ein kleines Meisterwerk, unaufdringlich und bescheiden.

Angesiedelt ist die Geschichte in einem kleinen Ort in Niedersachsen.

Eine zarte Beziehung beginnt zwischen dem sechzehnjährigen Holtes und der Abiturientin Josse.
Sie lernen sich über die Musik und insbesondere die Musik von Bach kennen. Josse spielt Orgel und wird bald mit einem Studium der Kirchenmusik beginnen.

Holtes und Josse nutzen ein paar freie Tage in den Sommerferien, um eine Reise nach Lübeck auf den Spuren Bachs zu erleben.
So beginnt eine bezaubernde Liebesgeschichte zwischen den beiden. Zart, zurückhaltend und unspektakulär wandern sie durch die sommerliche Natur, beobachten die Landschaft, die Tiere und Pflanzen und nächtigen auf freiem Feld im Schlafsack, bestenfalls noch unter einem Igluzelt.
Holtes traut sich nur sehr zaghaft, seinen Gefühlen für Josse Ausdruck zu verleihen.

Sie besuchen Kirchen in Lüneburg und Lübeck, und Josse darf sogar einmal auf einer Orgel in Lübeck spielen.

Ihre Jugend und die Musik von Bach gestatten den beiden einen unverbildeten und vorsichtig tastenden Blick in die Zukunft und auf die Welt der Erwachsenen.

Der Großvater von Holtes, sein schwieriger Vater, die verständnislose Mutter, die Familie von Josse: sie alle bilden den Rahmen für eine Erzählung, in der sich Kinder aus der Welt der Erwachsenen entfernen, um ihren eigenen Weg zu suchen.

Als der Sommer zuende geht, zieht Josse nach Freiburg zum Studium und Holtes muß weiter die Schule besuchen.

Holtes hängt melancholischen Erinnerungen über die vergangenen Sommertag nach. Hat er etwas versäumt, weil er nicht wusste, wie und auf welche Weise er sich Josse nähern könnte?

Für mich war das Buch voller poetischer Feinheiten und nachdenklicher Reflexionen über den Beginn des Erwachsenwerdens.

Snorre Björkson
Präludium für Josse
Zarte erste Liebe
ISBN:3351030851
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Tender Bar

Tender Bar

J.R. heißt unser Held; er hat dieselben Kürzel für seinen Namen wie der Autor dieses ungewöhnlichen Romans.

Er lebt mit seiner Mutter im Staat New York im Kreise einer großen Familie, die sich im Haus der Großeltern tummelt.
Morgens lauscht er im Radio der Stimme seines Vaters, der als Discjockey arbeitet. Er hat sich verdrückt und seine Frau und den Sohn auf Nimmerwiedersehen verlassen. Mutter und Sohn schlagen sich mühselig durch. Im Hause der Großeltern herrscht ein muffiges und unfreundliches Klima. Bis auf einzelne Figuren scheinen sich keine harmonischen Beziehungen abzuzeichnen. Die Geldnot herrscht an allen Ecken und Enden.
JR läuft als kleiner Junge verloren und verlassen durch diese Welt der Erwachsenen, immer auf der Suche nach einem Vaterersatz. Die Mutter ist ihm wichtig, um sie sorgt er sich, für sie wünscht er sich ein besseres Leben.
Die Bar Namens Dickens wird mehr und zunehmend zum Lebenszentrum von JR. Hier findet er die Männer, die ihm Vaterersatz werden und ihm einen Einblick in das Leben der Erwachsenen bieten. Mit dem Onkel Charlie und seinen Freunden verbringt er die Tage im Sommer am Strand, wenn die langen Sommermonate ohne Schulalltag ihn zu erdrücken drohen. Der Alkohol ist unabdingbarer Begleiter bei diesen Ausflügen.
Man bekommt ein eineindrucksvolles Bild von einer Outlaw Gesellschaft, deren Leben von nur sehr wenigen und überschaubaren Glücksmomenten aus dem müden und ergebenen Alltag unterbrochen wird.

Im zweiten Teil des Romans steigert sich die Geschichte zu einem großen Romanwerk.
Jetzt geht es um die Liebe, um Trennungen, Schmerz, Erkenntnis und das Erwachsenwerden.
Während im ersten Teil die kleine Welt einer engen Bürgerschaft beschrieben wird, erweitert sich die Welt für JR um unvergleichliches ein Spektrum, als er es schafft, nach Yale zu kommen.
Nun hören wir Geschichten von urkomischen Sonderlichkeiten, von rührenden Selbstlosigkeit, Mitgefühl, Enttäuschungen und immer wieder Zuflucht zu den alten Freunden und Verwandten.

Es ist das Amerika, wie wir es aus vielen Filmen und Büchern kennen: Glück und Verlust, Armut und Hoffnung, Reichtum und Verlassenheit stehen in einem steten Wechsel zu einander.

Ein großartiger Romane, der uns das selbstironische und kritische Amerika so sympathisch macht.

J.R. Moehringer
Tender Bar
Ein großes amerikanisches Erzähltalent!
ISBN:3100496027
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Die Liebhaber unserer Mutter

Die Liebhaber unserer Mutter


Ulrike Edschmid hat einen Erinnerungsroman geschrieben.
Beginnend in den letzten Kriegsjahren des zweiten Weltkriegs wirkt die Geschichte vom ersten Moment an lebendig und sehr anschaulich.
Ein Liebhaber der Mutter erzählt den Kindern die Geschichten aus Tausend und eine Nacht und sie betrachten den Himmel über der Rhön, wo ihnen die Sternbilder erklärt werden.
Ein anderes schönes Bild ist der über die Rhön segelfliegende Vater, an den sich die Erzählerin aber nicht mehr erinnern kann.

Unbeschwert und heiter schildert U.E. mit amüsierter Distanz und gleichzeitiger Empathie, wie es sich im Krieg mit einer allein erziehenden Mutter und einem Bruder auf einer Fluchtburg in der Rhön leben ließ. Daß diese Zeit keinesfalls leicht zu ertragen und zu bewältigen war, ist aus vielen Nachkriegsberichten und Familienromanen gleichen Genres bekannt.
Ungewöhnlich aber ist das Einfühlungsvermögen der Erzählerin, wenn sie über den im Krieg gefallenen Vater berichtet und sein Verhältnis zur Mutter als glücklich aber schwierig bezeichnet. Er war ein Frauenheld und Verführter des Naziregimes, dem das böse Erwachen und mögliche Niederlagen im Leben nach dem Kriegsende durch den Tod erspart blieben. In den Augen der Tochter war und blieb er der einzige Mann der Mutter.

U.Edschmid gibt nicht vor, als kindliche Erzählerin aufzutreten, sondern berichtet aus der Perspektive der Erwachsenen aus eigenem Erleben und den Berichten der Mutter, wie es im Kriegs- und Nachkriegsdeutschland zuging.
Die glückliche Gabe der Mutter, sich den täglichen Anforderungen zu stellen und schwierige Fragen des Alltags zu lösen, wird von der Tochter mit Bewunderung vermerkt.
Selbst leidvollste Erfahrungen wie Kindstode kann diese starke Mutter verkraften.

In einem munteren Erzählton geht die Geschichte über die vielen Liebhaber der Mutter weiter. Sie verstand es, sich das Glück zu nehmen, wenn sich die Gelegenheit dazu bot, ohne sich von ihrer einmal gewonnenen selbst bestimmten Lebensweise zu trennen. Da taucht einmal ein Student auf, ein Hausarzt und der Mann der schönen Schwester. Kein Liebhaber bleibt lange, weil die Mutter ihre einmal gewonnene Selbständigkeit vor einem möglichen tristen Alltag in Abhängigkeit bevorzugt.

Nicht nur die kleinen Alltäglichkeiten machen die Erzählung aus, sondern der ganze Rahmen eines Lebens unter Verlusten und Neuorientierungen bestimmte den Tag.
Es ist keine Verherrlichung oder Idealisierung zu spüren. Diese Mutter ruhte in sich selber und war mit der glücklichen Gabe der Zufriedenheit ausgestattet.
Das alles versteht U.Edschmid mit einer Sprache zu erzählen, die eine gewisse Leichtigkeit erkennen läßt.
Dass die Mutter spät noch zu Glück, einem Studium und Beruf kam, der ihren eigentlichen Möglichkeiten entsprach, zeigt das abgerundete Bild einer Frau, der die Anerkennung der Leser gelten wird. Daneben gilt die Anerkennung einer Erzählerin, die in feinsten Details eine Lebenswirklichkeit wiedergibt, der kein falscher Ton anhaftet.
Unbedingt lesenswert!

Ukrike Edschmid
Die Liebhaber unserer Mutter
Kriegserinnerungen
ISBN:3458173080
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Das gestohlene Lachen

Das gestohlene Lachen

Miles ist 11 Jahre alt. Seit er aus dem Waisenhaus geflohen ist, lebt er in einem großen Weinfass. Bei ihm ist sein Stoffbär Mandarine. Eines Tages beobachtet Miles, wie ein Zirkus ankommt und das große Zelt aufgebaut wird. Er schläft darüber ein und als er wieder erwacht, sitzt ein Königstiger vor dem Fass. Der Tiger wundert sich, dass Miles nicht wegrennt. Miles dagegen kann kaum glauben, dass der Tiger sprechen kann und doch tut er es. Der Junge hat Angst, doch der Tiger will ihn gar nicht fressen. Er geht wieder.
Miles glaubt daraufhin, geträumt zu haben. Aber am nächsten Tag will er sich den Zirkus genauer ansehen und überprüfen, ob es da wirklich einen Tiger gibt.

Miles schleicht sich in die Nachmittagsvorstellung. Es ist unbequem unter der Sitzbank und die Sicht ist auch nicht gut. Bei einem besonderen Kunststück lässt er sich täuschen. Schon glaubt er, die kleine Artistin stürzt vom Turm. Doch wie es aussieht, kann das Mädchen fliegen. Miles, der unvorsichtig geworden ist, wird bei Zusehen erwischt und rausgeschmissen. Draußen setzt er seine Suche nach dem Tiger fort und entdeckt ein ihm unbekanntes furchterregendes Tier, das wie ein Yeti aussieht. Schnell läuft er weg und findet diesmal die kleine Artistin. Sie ist eingesperrt, doch Miles gelingt es, dem Großen Cortado den Schlüssel zu stehlen und sie zu befreien. Die Zirkusleute lassen das Zero los. Miles schafft es, das Untier auf die falsche Fährte zu locken. Trotzdem findet und zerstört das Zero sein Fass. Die kleine Artistin Little und Miles gehen zu Lady Partridge, die in einem Baumhaus lebt. Ihr vertrauen die Kinder die ganze Geschichte an. Nun erfährt Miles auch, dass Littles Flügel echt sind und sie ein Liedengel ist.

Sie ist dem Sturmengel Silverpoint auf die Erde gefolgt. Die beiden sind gefangengenommen worden. Nun sucht Little nach Silverpoint. Möglicherweise ist er im Palast des Lachens. Das jedenfalls haben die Affen gesagt. Miles besitzt eine gefundene Eintrittskarte. Er will Little bei ihrer Suche helfen. Dass es bei diesem Abenteuer auch gilt, die Welt zu retten, weil der Große Cortado mit fiesen Methoden das Land hypnotisiert, ahnt er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Die Geschichte ist sehr spannend. Außerdem beweist der Autor Fantasie. Immer wieder überrascht er den Leser mit einem ungewöhnlichen Fortgang der Geschichte. Fast märchenhaft mutet die Geschichte um den Waisenjungen Miles an. Man empfindet Mitleid mit ihm. Doch das braucht er gar nicht. Tapfer nimmt der Junge allen Mut zusammen und beißt sich durch. Die Personen und Tiere in diesem Buch sind alle ungewöhnlich. Die Liedfee Little, der sprechende Tiger, die absonderliche alte Lady Partridge, das unheimliche Zero oder der gewissenlose Große Cortado sind nur einige davon. Es gibt in diesem Buch Engel und Ungeheuer, Menschen, die Kinder lieben und solche, die sie hassen. Trotzdem verliert man nicht den Überblick. Das könnte am Schreibstil des Autors liegen. Seine Geschichte wirkt, wie mit Worten gemalt. Jedes Detail ist klar zu erkennen. Die Buch wird dadurch zu einem wahren Leseerlebnis. Zudem vermittelt der Autor eine klare Botschaft zum Thema Freundschaften.
Das gestohlene Lachen ist der erste Band einer Trilogie und trotzdem erfreulicherweise in sich abgeschlossen.

Rezension von Heike Rau

Jon Berkeley
Das gestohlene Lachen
Die unglaublichen Abenteuer von Miles und Little
Aus dem Englischen von Gerald Jung und Katharina Orgaß
400 Seiten, gebunden
ab 10 Jahren
Ravensburger Buchverlag
ISBN: 978-3-473-34491-8
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