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Schlagwort: Alter

André Aleman: Wenn das Gehirn älter wird

André Aleman: Wenn das Gehirn älter wird

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Der holländische Neuropsychologe André Aleman hat in einem sachlichen und informativen Buch die Vorgänge beschrieben, die Einflüsse auf die Entwicklung unseres Gehirns im Laufe eines langen Lebens nehmen.

Das alltägliche Wissen vom „jungen“ Gehirn das sich zum alten Gehirn verändert, liegt auf der Hand. In seinen Abhandlungen bespricht Aleman die Stadien des Langzeit-, Kurzzeit- und Arbeitgedächtnisses und, sehr wichtig, die Veränderungen in den kognitiven Fähigkeiten. Testverfahren und Bilder veranschaulichen die verschiedenen Stadien der Gehirnentwicklung. Neu für den Leser mag sein, dass sich das alte Gehirn vom jungen dahingehend unterscheidet, dass es auch Vorteile gibt, die das alte Gehirn auszeichnen.

Wenn sich nicht gerade die Alzheimerkrankheit ins Gehirn einschleicht, kann das Alter mit dem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses durchaus gleichwertige andere Möglichkeiten entwickeln. Gereifte Emotionen, lebenslange Erfahrungen, soziale Kompetenz und Training vermögen den alten Menschen mit dem Zugewinn an Freiheit beglücken.

Alemans Empfehlungen für den Erhalt zahlreicher Kompetenzen sind ernst zu nehmen; sie zeigen, dass das berühmte Schlagwort „wer rastet der rostet“ immerwährend gültig ist.

Zum Abschluss seiner Ausführungen, die z.T. recht fachwissenschaftlich sind, werden noch einmal die Verhaltensweisen aufgezeigt, die dem Verfall der Hirnzellen entgegen wirken könnten: dazu gehören Bewegung, gesunde Ernährung, geistige Aktivität, soziale Kontakte, Spiritualität, Religion und die Liebe.

Für mich haben die letzteren Aussagen einen leicht moralisierenden Charakter. Als könnten wir dem Altern und Tod entgegen wirken, und als wäre derjenige, der diesen Ratschlägen nicht folgt, selber schuld an einem frühzeitigen Verfall und Ende. So aber ist es nicht. Eine Vielzahl von negativen Krankheits- und Altersmerkmalen sind unabänderlich, und es gilt, mit diesen Einschränkungen zu leben und zu sterben.

Dennoch ist dieses Buch ein weiteres Mosaiksteinchen unter den zum Thema veröffentlichten Abhandlungen, das zu Erklärungen über das physische und mentale Altwerden beiträgt.

André Aleman
Wenn das Gehirn älter wird
240 Seiten, gebunden
C.H.Beck, 2. Auflage, Dezember 2013
ISBN-10: 3406653251
ISBN-13: 978-3406653254
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John Cheever: Ach, dieses Paradies

John Cheever: Ach, dieses Paradies

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Landschaftsidylle und Zivilisationsschäden.

Beginnend mit der poetischen Landschaftsbeschreibung eines kleinen Städtchens im Osten der USA erscheint uns dieses wie ein idyllisches Plätzchen Erde, wo es sich gut leben lässt. Die Stadt heißt „Janice“ nach der ersten Frau des Fabrikbesitzers im Ort und liegt im US amerikanischen Staat Connecticut.
Der Held in unserer Geschichte ist Lemuel Sears. Er ist ein alter Mann, ehemaliger Geschäftsreisender und passionierter Schlittschuhläufer. In diesem Winter ist der Teich Beasley’s Pond in Connecticut einmal zugefroren, und er kann geruhsam darauf seine Runden drehen.
Die äußerliche Idylle findet ausführlich Erwähnung und regt die Fantasie an, sich die Künstler des 19. Jahrhunderts hier malend vorzustellen. Ein Ausflug in die Welt holländischer Malerei wie Brueghel u.a. mit ihren Schlittschuhszenen komplettiert die Außenansicht dieser landschaftlich so schönen Gegend.
Als Sears nach einer Woche erneut zu einem Schlittschuhausflug startet, macht er die erschreckende Erfahrung, dass der Teich als Müllkippe benutzt wird.
Hier deutet sich zum ersten Mal an, dass Sears ein ausgewiesener Naturschutzfan ist.

John Cheever veranschaulicht auf eindrückliche Weise in seinem Roman eine Gegenüberstellung der einladenden Natur mit ihrer Schönheit im Kontrast zur schmutzigen Zivilisation mit ihren Auswüchsen aller Art. Dazu gehören auch die technischen Neuerungen auf dem IT Markt, die manches einfacher und leichter machen, den Menschen aber innerlich verarmen und vereinsamen lassen.
Auch Lemuel Sears leidet an Einsamkeit und macht sich Gedanken über die Liebe und ihre Annehmlichkeiten, die er nun wohl bald vermissen würde.
Doch kleine Affären und erheiternde Begegnungen machen ihn nicht schwankend bei seinen Bemühungen, der Umweltverschmutzung den Kampf anzusagen. In hinreißenden Bildern erlebt man seine letzten Liebeserfahrungen, die bei aller Leidenschaft von Melancholie und Vergänglichkeit gezeichnet sind.
Schwermut, Ironie und Sarkasmus färben die Erzählung, die einem Abriss von Erinnerungen gleicht. Der Held Lemuel Sears verdeutlicht mit seinen Erlebnissen einmal mehr, wie die Vorzeit mit ihren Naturschönheiten unsere Gegenwart überstrahlt, und dass es einiges zu bewahren gilt. Schön und luftig geschrieben bietet uns die Geschichte einen Abriss über das, was man leicht übersehen könnte: dass aller Fortschritt auch Verlust von den Paradiesen der Vergangenheit mit sich bringen kann!

Der 1912 geborene und 1982 verstorbene Autor John Cheever ist lange unentdeckt bei uns geblieben. Der Dumont Buchverlag hat ihn in unser Bewusstsein gerückt und in der Übersetzung von Thomas Gunkel diesen letzten Roman von John Cheever neu herausgebracht. Man kann ihn getrost als eine Perle im Reich der amerikanischen Erzähler betrachten.

John Cheever
Ach, dieses Paradies
127 Seiten, gebunden
Dumont Buchverlag, Oktober 2013
ISBN-10: 3832196919
ISBN-13: 978-3832196912
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J.-K. Huysmans: Monsieur Bougran in Pension

J.-K. Huysmans: Monsieur Bougran in Pension

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Literarisches Kleinod aus dem Haus der Friedenauer Presse.

Die vorliegende delikate kurze Novelle von J.-K. Huysmans ist von bezaubernder Einfachheit in ihrer Darstellung der Welt eines kleinen untergeordneten Büroangestellten. Er lebt und arbeitet in Paris zum Ende des 19. Jahrhunderts.

Im Fokus steht der unbedeutende Angestellte  Monsieur Bougran. Ihm wird die Frühverrentung angetragen, und sein geordnetes Leben gerät aus dem Gleis. Die Arbeit hat dem allein lebenden skurrilen Kleinbürger Sinn und Lebensfreude beschert. Soll das alles nun vorbei sein? Monsieur Bougran kann es nicht fassen, dass er seinen Arbeitplatz räumen muss. Ist er doch erst 50 Jahre alt und hat sein Leben ganz der Arbeit gewidmet. Wie soll er die Tage verbringen? Wie dem Tag noch etwas Gutes abgewinnen? Er fügt sich, und man erlebt einen geknechteten Charakter, den diese schmerzliche Erfahrung umtreibt.

Mit fein ziselierten Beobachtungen beschreibt der Autor die Atmosphäre und das Interieur des Büros, in dem Bougran die Entlassung von seinem Büroleiter verkündet wird. Die Teppiche, der Schreibtisch und der Bücherschrank mit den Gesetzestexten werden detailgenaue gewürdigt.

Huysmans zeigt in dieser kurzen Schrift sein ganzes Können eines Schriftstellers von Rang. Die Gedanken, das Ambiente und die Wege, die Bougran am Tage geht, sind äußerst penible beschrieben, so wie der ganze Mann von einer Aura aus Gewissenhaftigkeit und Fleiß umgeben ist, die plötzlich zerbricht.

Monsieur Bougran gestaltet den Alltag neu und verfällt darauf, zu Hause sein Büro nachzubauen und einen Laufburschen einzustellen. Er versucht beharrlich, sein altes Leben beizubehalten.

Es geht hier also auch um eine ungewöhnliche Sozialstudie, die von makaberen Zügen begleitet ist.

„In der Auflehnung von Monsieur Bougran gegen die Regeln des Öffentlichen Dienstes, die Heimsuchungen des Alters und die unwiederbringlich vergehende Zeit manifestiert sich ein wahrhaft heroischer Widerstand.“

In dieser Form birgt der Text eine Menge kostbarer Details, die das Lesen zu einem Genuss werden lässt.

Huysmans war selbst Beamter. Er hat den vorliegenden Text als Auftragsarbeit geschrieben. In dieser Form wurde die Arbeit vom Auftraggeber abgelehnt. Erst 1964 gewann der 1888 verfasste Text die Aufmerksamkeit eines Verlegers.

Heute nun haben uns die Mitarbeiter der Friedenauer Presse wieder einmal eines ihrer Kleinodien präsentiert, mit denen sie immer wieder Aufmerksamkeit erregen.

In der Aufmachung und dem Inhalt nach eignet sich das fast an eine Broschüre gemahnende kleine Büchlein als edles Geschenk zu passenden Gelegenheiten.

J.-K. Huysmans
Monsieur Bougran in Pension
32 Seiten, broschiert
Friedenauer Presse, Oktober 2012
ISBN-10: 3932109724
ISBN-13: 978-3932109720
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Pierre Bost: Ein Sonntag auf dem Lande

Pierre Bost: Ein Sonntag auf dem Lande

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Liebenswertes Landleben.

Monsieur Ladmiral lebt ein ruhiges und beschauliches Leben auf dem Lande nicht weit von Paris entfernt.

Seine Haushälterin Mercédès hält alles so weit in Ordnung. Der Alte ist schon ein wenig schrullig, und man meint, ihn vor sich hinknurren zu hören. Zuerst hält man ihn für einen kleinen Angestellten, der seinen Lebensabend genießt. Doch weit gefehlt davon ist er ein passabler Maler, nicht besonders ambitioniert aber mit nicht geringen Auszeichnungen versehen. Er lebt ein glückliches Leben.

Jeden Sonntag kommt sein Sohn Gonzague, auch Edouard genannt, mit Frau und drei Kindern zu Besuch. Auch dieser hat sich an der Malerei versucht, ist jedoch daran gescheitert,–zum Glück für Monsieur Ladmiral, der die Kunst als sein Metier betrachtet. Dass Edouard Kaufmann wurde, passt aber auch nicht so recht in das Weltbild seines Vaters. „Ins Büro gehen war für Monsieur Ladmiral ein Zeichen von Knechtschaft und Armseligkeit“.  Gonzague lässt keine Anzeichen von Weltläufigkeit erkennen und ist mit sich und dem Dasein im Kolonialwarenhandel zufrieden.

Dieser Sohn, dessen drei Kinder und die Schwiegertochter sind eher ein Ärgernis als eine Freude für Monsieur Ladmiral. Gonzague ist zu geflissentlich, die Schwiegertochter nervig und die drei Kinder sind ganz nett werden aber ständig zur Ordnung gerufen.

Erst als Irène, die Tochter des Hauses, zur Tür hereinschneit, wird der alte Herr munter. Sie ist so ganz das Gegenteil von der spießigen und anbiedernden Sohnesfamilie. Ein frischer Wind scheint mit ihr aufzukommen, denn sie ist offen, zu Scherzen aufgelegt und einfach eine große Freude für ihren Vater. Er weiß nicht viel von ihr, kann sich nur vorstellen, dass sie ein sehr anderes Leben lebt, als er es gewohnt war. Ob sie ein wenig damit seine eigenen verdrängten Träume auslebt? Zwischen Bruder und Schwester steht es nicht gerade zum Besten.

Der 1945 zum ersten Mal veröffentlichte Roman von Pierre Bost ist ein poetisches und ruhiges kleines Meisterwerk, in dem der Provinzalltag seine Urständ feiert. Wie ein impressionistisches Bild mutet einen die Erzählung an. Pointillistisch dahin getupft erstrahlen die ländlichen Farben, an denen der alte Maler seine Freude hat. Landluft, Mittagsruhe und die ewig gleichen Gespräche zu jedem Sonntagsbesuch sind einerseits Ritual andererseits aber auch Anlass für Ärgernisse. Monsieur Ladmiral ist schon lange Witwer und liebt die freundliche und malerische Kulisse seines Landlebens. Da bieten die Sonntagbesucher zwar Abwechslung und sind doch zugleich auch ein wenig störend.

Pierre Bost hat diesen Roman zwischen den beiden Weltkriegen verfasst. Es weht noch der Zauber der untergegangenen guten alten Zeit durch seine Zeilen, ohne dass sich zukünftiges Ungemach schon am Horizont zeigt.

In der Übersetzung von Rainer Moritz und in der feinen in Leinen gebundenen Aufmachung liegt hiermit ein wunderschöner kleiner Roman aus dem Dörlemann Verlag vor, der Herz und Sinne erfreut.

Pierre Bost
Ein Sonntag auf dem Lande
160 Seiten, gebunden
Dörlemann, 14. Februar 2013
ISBN-10: 3908777852
ISBN-13: 978-3908777854
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Anne Gesthuysen: Wir sind doch Schwestern

Anne Gesthuysen: Wir sind doch Schwestern

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Wanderung in eine ferne Zeit…

Wunderbar leicht, unbeschwert und humorvoll kommt eine Erzählung daher, die von drei Schwestern handelt. Sie sind die Großtanten der Erzählerin Anne Gesthuysen, die sich einfühlsam und umwerfend liebevoll mit den Charakteren der Tanten beschäftigt hat.

Der 100.Geburtstag von Gertrud steht an, und so versammeln sich die Schwestern bei Katty, die mit ihren 84 Jahren die jüngste der drei Schwestern ist. Paula ist nur zwei Jahre jünger als Gertrud. So ein runder Geburtstag bietet Anlass, zurück zu schauen. Das tun die drei Schwestern mit teils bitteren Erinnerungen immer aber auch mit wachem Nachdenken über all’ das Vergangene!

Verschlungen sind die Wege des Menschen, und so mussten auch die drei Schwestern neben frohen zahlreiche traurige und enttäuschende Erfahrungen machen.

Gertrud hatte 1915 gerade ihre Ausbildung zur Volksschullehrerin beendet, als sie Franz Hegmann kennen lernte. Dieser lebte mit seinem älteren Bruder Heinrich und den Eltern auf dem Tellemannshof. Die Hegmanns waren wohlhabend, während Gertrud und ihre Schwestern den eher dürftigen Ansprüchen eines kleineren Bauernanwesens entstammten. Die Liebe zwischen Gertrud und Franz wurde von Heinrich unterminiert, der bereits Chef des elterlichen Hofes war. Der Ausbruch des ersten Weltkriegs kam letzterem zupass. Wollte er doch die Ehe zwischen Franz und der armen Gertrud nicht dulden. Im Krieg verlor Franz sein Leben, und Gertrud blieb gebrochen zurück.

Nun, fast achtzig Jahre später, sind die Wunden immer noch nicht verheilt. Doch sehen die Geschehnisse aus unterschiedlichen Perspektiven anders aus, als es zunächst den Anschein hatte.

Der 100. Geburtstag von Gertrud wird zu einem Festtag. Fröhlich und voller Überraschungen geht man dem Ereignis entgegen, das doch so viele Erinnerungen heraufbeschwört.

Im Wechsel zwischen Heute und Gestern erzählt die Autorin die Geschichten ihrer Großtanten, die wohl in dieser Konstellation außergewöhnlich sind. Wo werden Geschwister schon gemeinsam so alt? Anne Gesthuysen schildert die drei Schwestern teils liebevoll und teils korrigierend und ärgerlich im Umgangston mit einander. Auch im hohen Alter haben sich die Hierarchien zwischen den Geschwistern nicht verändert. Sie sind jedoch alle unterschiedlich in Wesen und Charakter.

Paula musste eine traurige Ehegeschichte erleben, und Katty hatte das aufregendste Leben als „Haustochter“ auf dem Tellemannshof.

Liebe, Zwistigkeiten, Eifersucht, Missverstehen und Neid sind Komponenten, die unser aller Leben begleiten und so auch die drei Schwestern. Doch immer wieder und besonders jetzt im Alter finden sie einen guten Weg zueinander. Anne Gesthuysen zeichnet ein  facettenreiches Bild ihrer drei Tanten. Man kann sich gut vorstellen, wie sich alles zugetragen hat.

Doch der Leser überzeuge sich selbst vom Leben der drei Schwestern! Die Lektüre bleibt anregend und unterhaltsam bis zuletzt! Der Autorin ist es gelungen, eine heitere, witzige und mit Leben prallvolle Rückschau zu halten, die fast ein ganzes Jahrhundert umfasst.

Man ist amüsiert und hat sich gut unterhalten mit den Geschichten, die nicht im Oberflächlichen hängen bleiben.

Anne Gesthuysen
Wir sind doch Schwestern
416 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, 2. Auflage, November 2012
ISBN-10: 3462044656
ISBN-13: 978-3462044652
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Klaus Nonnenmann: Die sieben Briefe des Doktor Wambach

Klaus Nonnenmann: Die sieben Briefe des Doktor Wambach

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Doktor Hubert Wambach genießt seinen Ruhestand. Das Leben des ehemaligen Obervertrauensarztes ist von den immer gleichen alltäglichen Verrichtungen geprägt. Jeden Tag spaziert Dr. Wambach zum Grab seiner Frau, bis er eines Tages auf seinem Weg die kleine Louise trifft. Die Fünfjährige ist verzweifelt. Ihre Puppe Rapunzel ist verschwunden. Dr. Wambach ist betroffen und auch ein bisschen hilflos. Die kleine Louise tut ihm leid. Er fragt sich, wie er das Mädchen trösten kann. So schreibt er einen Brief auf einen Werberezeptblock. Es soll so aussehen, als schreibe Rapunzel an ihre Puppenmutti Louise. Mit dem Schreibstil ist er allerdings nicht zufrieden. Für ein Kind ist das nichts.
Dr. Wambach scheint sich ohnehin tüchtig verzettelt zu haben. Als er mit Louise im Hotelcafé Rheinterrasse sitzt, macht die zufällig vorbeikommende Mutter Louises eine gewaltige Szene. Wie kommt ihre Louise dazu hier mit einem fremden alten Mann auf der Terrasse zu sitzen und Kakao mit Sahne zu löffeln?

Das Leben des Doktor Wambach geht zu Ende. Der Tag ist bestimmt von Eintönigkeit. Wie immer. Aber das Alter fordert nun mal seinen Tribut. Wambach ist dennoch zufrieden. Mehr braucht er nicht. Er genießt die Ruhe und das gute Essen von Frau Gutöhrlein, die ihm momentan den Haushalt führt. Der Autor betrachte die Gewohnheiten des alten Mannes mit Traurigkeit, die geschickt, aber doch nicht vollständig, hinter Ironie verborgen wird.
Die kleine Louise bringt wieder Leben ins Haus. Der alte Mann und das kleine Mädchen werden schnell Freunde. Sie kommen nicht drauf, dass ihre Freundschaft auf andere, auch auf die Eltern von Louise, befremdlich wirken könnte. Wie kann ein alter Mann nur so naiv sein? Man kommt ihm dennoch mit Wohlwollen entgegen oder man übernimmt die Sympathie, die der Autor dem Doktor entgegenbringt. So verzeiht man auch die Briefe, die alles andere als kindgerecht sind. Aber Louise mit ihren fünf Jahren, blendet ohnehin alles aus, das sie sich nicht erklären kann. Die Briefe sind viel wertvoller für Dr. Wambach selbst, der mit ihnen noch einmal Erinnerungen an sein gelebtes Leben wachruft. Die Zeit läuft schließlich für ihn ab und das mit jedem Tag und jedem Kapitel im Buch. Vielleicht ahnt er es.
Man liest das kleine Büchlein mit Vergnügen, auch wenn es wehmütig macht. Die Neuauflage ist in Leinen gebunden. Die Erstausgabe erschien im Jahre 1959.

Rezension von Heike Rau

Klaus Nonnenmann
Die sieben Briefe des Doktor Wambach
155 Seiten, gebunden
Unionsverlag
ISBN-10: 3293004504
ISBN-13: 978-3293004504
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David Foenkinos: Souvenirs

David Foenkinos: Souvenirs

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Vom Glück und Segen der Erinnerungen

Der neue Roman von David Foenkinos steckt voller Weisheit, Lebenseinsichten und Beobachtungen des sich wandelnden individuellen Lebens heute, wie man es sich ehrlicher nicht vorstellen kann.

Der Icherzähler und Enkel seiner Großeltern berichtet Details aus dem Leben seiner Vorfahren. Voller Achtung und zugleich entsetzter Erkenntnis bringt er zusammen mit dem Vater dessen Mutter, seine Großmutter, ins Altenheim. Emphatisch und tief berührt hat er zuvor schon den Tod seines Großvaters erlebt. Auch anlässlich der Pensionierung des Vaters fällt ihm auf, wie schnell ein Mensch in Vergessenheit gerät. Der Verlust von Ansehen und Würde ist eklatant. Zwischen belustigender und fast karikierender Blickschärfe sieht der Enkel, wie alles Leben vergeht und man als jüngerer Mensch in so fernen Welten von den Alten lebt, dass man fast nicht weiß, wie und worüber man mit diesen sprechen soll.

Klar und ehrlich blickt der Enkel in die Zukunft! Er sieht in das Wartezimmer des Todes, wie man das Altersheim auch bezeichnen kann. Und er bemerkt, wie sich alle Jüngeren dieser Wahrnehmung zu entziehen trachten. Er selber dümpelt als Nachtportier vor sich hin, ohne so recht zu wissen, wohin die Reise gehen soll, bis auch ihm die große Liebe begegnet. Mit dem Schreiben, das er sich vorgenommen hat, will es allerdings nicht so recht vorangehen.

David Foenkinos streift in seinem Roman aber nicht nur das Alter sondern auch Kindheit und Jugend, und eine erstaunliche Liebesgeschichte bahnt sich an. Mit Sätzen wie: „Es gab in dem Hotel einen weiblichen Gast, eine Russin, der die magische Schönheit russischer Frauen und der durchdringende Blick eines tragischen 800 Seitenromans zu eigen war“ kann der Autor ganze Romaninhalte zusammenfassen.

Durch ein markante Wende kann man noch einmal zurückschauen in die Kindheit der Großmutter und erfährt bis hin zum zweiten Weltkrieg von Ereignissen, die von seltenem Erinnerungswert sind. „Erinnerungen sind eine Art Hafen; und vielleicht sind sie das Einzige, was uns wirklich gehört.“ Diesen Satz zitiert David Foenkinos aus den Memoiren Mastroiannis, denn er passt auch zu diesen Erzählungen.

Überraschende Ereignisse geben dem Roman eine Spannung, die bis zur letzten Seite anhält.

Die Geschichte wird mit einer Art Komik und in schwankenden Gefühlswelten erzählt, die von großer Warmherzigkeit und ernsthaftem Verstehen zeugen.

Tiefenscharf, klug und einsichtig zeigt uns David Foenkinos, wie das Leben so spielt und welche unvorhersehbaren Wendungen das Leben nehmen kann. Melancholisch bis ehrlich und zuweilen fast hilflos wirken seine Einsichten.

„Souvenirs“ sind Erinnerungsstücke. Genauso liest sich der Roman: als Puzzle einer Vielzahl von Erinnerungsstücken, das eine ganze Familiengeschichte in Einzelteilen zum Vorschein bringt. Man liest die Geschichten mit sich steigernder Erwartung, Freude und aus dem eigenen täglichen Leben resultierendem Wiedererkennungswert.

Dieser Roman wird als Glanzlicht aus den Neuerscheinungen im kommenden Herbst herausragen.

David Foenkinos
Souvenirs
332 Seiten, broschiert
Beck, Juli 2012
ISBN-10: 340663947X
ISBN-13: 978-3406639470
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Husch Josten: Das Glück von Frau Pfeiffer

Husch Josten: Das Glück von Frau Pfeiffer

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Hohes Alter und makabere Taten…

Was erwartet den Leser wohl in dem auf dem Deckblatt des Umschlags abgebildeten Haus?

Auf jeden Fall haben wir es mit einer kuriosen Geschichte zu tun.

Lee Curtin, Tochter aus begütertem Elternhaus, betätigt sich in London als eine Art Voyeurin von Handygesprächen. Sie hört die unsinnigen Reden, die allenthalben und an allen Orten per Handy geführt werden. Die blödsinnigen Gespräche, unwichtig und nichtig, schreibt sie alle protokollarisch auf. Man kann es ihr nachfühlen: wie häufig ist man selber Zeuge von Privatem, wenn Menschen auf der Strasse, in den öffentlichen Verkehrsmitteln, im Kaffee und von überall her ihre einseitigen Reden führen. Doch eines Tages hört Lee ein Gespräch mit, das sie alarmiert. Sie hat sofort den Eindruck, dass da jemand eine uralte Frau ihrem Schicksal überlassen will.

Bruno, Lees Freund in langen Jahren, ist gerade aus Amerika zurückgekehrt. Er ist Künstler und auf gewisse Art und Weise bindungsunfähig. Seine langjährige Freundschaft zu Lee ist ihm umso wichtiger. Sie teilt ihm ihren Verdacht um das belauschte Gespräch mit. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach einer in dem Gespräch erwähnten Frau Pfeiffer, ein zunächst recht aussichtsloses Unterfangen. Doch sie finden sie, und eine sehr amüsante Geschichte nimmt ihren Lauf. Frau Pfeiffer ist 99 Jahre alt und wird von ihrem alten Faktotum Emma betreut. Die beiden alten Damen zusammen mit dem jungen Paar geben den Plot zu einer Handlung, die in ihrer Komik und Alterweisheit bemerkenswert ist.

Es stellt sich heraus, dass Frau Pfeiffer gezielt nach Menschen gesucht hat, die ihr bei einem sehr ungewöhnlichen Unterfangen helfen sollen. Schließlich spürt man, dass Frau Pfeiffer eine weise alte Frau ist, die mit den vergleichsweise jungen Leuten Gespräche über das Leben hier und heute führt und ihnen gelegentlich gehörig die Meinung sagt. Sie weiß, wie das Leben so spielt und weist Lee darauf hin, was die Antriebsfeder für ihr sonderbares Verhalten wie z.B. ihre Scheidung, ihre Tätigkeiten und die Freundschaft zu Bruno sein könnte. Alles dreht sich schließlich um den Sinn und das Sein, in dem so manch’ einer die Orientierung verliert. Lees geschiedener Mann ist während der Finanzkrise gefeuert worden und kehrt genauso ratlos nach London zurück wie vor kurzem schon Bruno aus Amerika.

Komisch, makaber und äußerst witzig in Szene gesetzt folgt man einer Geschichte mit surrealem Hintergrund.

Die subtile Erzählweise lässt die Hintergrundgeschichten erst nach und nach aufleuchten und man hat seine liebe Müh’, zu erraten, was Frau Pfeiffer mit all’ ihrem Tun denn eigentlich im Schilde führt.

Das exzentrische Vierergespann bildet den Plot zu einer Geschichte, die neben dem witzigen Hauptereignis unsere Gegenwart und so manche Zeiterscheinung infrage stellt.

Amüsant und unterhaltsam weiß Husch Josten über Land und Leute, über Gegenwart und Vergangenheit zu erzählen. Läuft nicht am Ende alles auf die Sinnsuche und das Wesentliche im Leben hinaus?

Das Buch lässt eher an einen englischen Erzähler denken denn an eine deutsche Erzählerin. Die Komik und die Weltläufigkeit der Handlung vermitteln diesen Eindruck, und ich werte sie als positiv.

Der Leser darf gespannt sein und wird seine helle Freude an dem makaberen Sujet dieser Erzählung haben.

Husch Josten
Das Glück von Frau Pfeiffer
212 Seiten, gebunden
Berlin University Press, Februar 2012
ISBN-10: 3862800245
ISBN-13: 978-3862800247
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Walter Kappacher: Land der roten Steine

Walter Kappacher: Land der roten Steine

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Es ist eine weite Reise. Er hat den Ort ganz bewusst gewählt. Das „Land Of Standing Rocks“ in den USA. Hier im Canyonland findet der Arzt aus Bad Gastein im Salzburger Land, was er sucht. Einsamkeit und Stille. Ruhe zum Nachdenken. Auch wenn er nicht allein unterwegs ist, sondern mit Everett Kish, dem Fahrer des Geländewagens. Aber Kish ist eher einer, der viel schweigt.

Michael Wessely findet, was er sucht. Die Bilder, die er sieht, die einzigartigen Landschaften, werden im Buch sehr malerisch beschrieben. Die Faszination entsteht durch das, was zu sehen ist, und die nicht von Grenzen behinderten Gedanken, die dadurch assoziiert werden und die Erinnerungen, keine Grübeleien. Er versucht Klarheit zu gewinnen durch den weiten und von allem losgelösten Blick in die Landschaft. Der Alltag ist weit weg, Zeit ist bedeutungslos. Und Wessely kann sich kaum vorstellen, dass nach dieser Expedition daheim alles so sein wird wie vorher. Man muss doch einfach nach so einer zutiefst berührenden Reise ein anderer Mensch sein.

Tatsächlich ist es eher der Lauf der Dinge, der Veränderungen mit sich bringt. Seine Eltern leben nicht mehr und auch die Mutter seiner Tochter ist verstorben. Die Praxis wird geschlossen. Die Verantwortung für die Patienten wird abgegeben. Wessely geht in Pension. Es beginnt unaufhaltsam ein neuer Lebensabschnitt, dem man er sich anpassen muss, es ist der letzte. Der alte Mann fragt sich, was er nun machen soll mit der freien Zeit. Was wird mit dem viel zu großen Elternhaus, dem leer stehenden Hotel seiner Eltern. Wird er Tochter und Enkeltochter wiedersehen?

Es ist ein sehr ruhiger, bedenkenswerter Roman, der von Bildern lebt und von Eindrücken. Es geht um Verlust und das was immer bleibt. Es geht darum, für sich zu wissen, was zufrieden macht und wo man hingehört, allen Zweifeln zum Trotz.

Rezensionen von Heike Rau

Walter Kappacher
Land der roten Steine
160 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag
ISBN-10: 3446238611
ISBN-13: 978-3446238619
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Stewart O’Nan: Emely,allein

Stewart O’Nan: Emely,allein

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Abschiede!

Nach langen Jahren mit ihrem Mann Henry und den beiden Kindern Margaret und Kenneth lebt Emily als Witwe allein in ihrem Häuschen in Pittsburgh/Pennsylvanya. Henry ist tot, und die Kinder haben ihre eigenen Familien weit weg in anderen US Staaten. Als Gesellschafter ist Emily nur der Hund Rufus geblieben, ebenfalls schon hoch betagt.

Gelegentlich trifft sie sich mit ihrer Schwägerin Arlene, die auch alleine aber gesundheitlich etwas angeschlagen ist.

Stewart O’Nan ist ein einfühlsamer und aufmerksamer Beobachter. Wie kleine Wortjuwelen muten seine Sätze an, in denen er die Einsamkeit, die Mühsal des Alters, den Mut und die Tapferkeit der alten Dame beschreibt. Sie findet sich zurecht, doch schmerzt es sie, wie wenig die Kinder sich an ihr Zuhause erinnern und ganz im Mainstream ihres gegenwärtigen Lebens schwimmen. Mit einem kurzen Blick in die Vergangenheit sieht sie die vielen Autos und das volle Haus zu Thanksgiving in den längst vergangenen Zeiten ihrer jüngeren Jahre.

Der humorvoll-wehmütige Satz zu ihrem Hund Rufus gesprochen, „ich weiß, es macht keinen Spaß, alt zu werden. Aber wenigstens musst Du nicht vor den Leuten herumstolzieren…“ zeigt ihre Stimmung sehr genau.

Beim Kartenschreiben zu Weihnachten erinnert sie sich an viele glückliche Stunden im Kreis von Freunden. Sie sind entweder schon verstorben oder aber fortgezogen. Dabei idealisiert sie die Vergangenheit nicht und gedenkt der vielen Kämpfe, die sie z. B. mit ihrer Tochter ausgetragen hat.

Ein Dasein abseits vom Lebensstress und beruflichem Ehrgeiz macht das Alter aus. Emilys Schwägerin Arlene ist ihre beständigste Gesprächspartnerin.

Das stille vergebliche Warten auf Post oder Nachrichten von den Kindern oder Enkelkindern,–alles ist immer auf die gleiche Art schon da gewesen. Emily verliert nie den Lebensmut; sie kann sich freuen, hängt ihren Erinnerungen nach und denkt an Henry, ihren verstorbenen Mann. Stewart O’Nan gibt dem Alter ein Stimme, behutsam, sensibel und sehr nahe an der Realität, denn Altern heißt immer von Neuem Abschied nehmen, die Vergangenheit erinnern und sich abfinden.

O’Nan hat das richtige Einfühlungsvermögen, um alles so realitätsnah wie möglich wieder zugeben. Eine schöne, stille, ruhige und bewegende Geschichte ist ihm mit diesem neuen Roman gelungen.

Stewart O’Nan
Emily, allein
384 Seiten, gebunden
Rowohlt, Januar 2012)
ISBN-10: 3498050397
ISBN-13: 978-3498050399
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