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Schlagwort: Erinnerungen

Mary Higgins Clark: Wintersturm

Mary Higgins Clark: Wintersturm

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Nancy Eldridge lebt seit sieben Jahren an der Ostküste der USA gegenüber von Cape Cod. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder, doch ob sie glücklich ist, ist nicht so leicht einzuschätzen. Denn dem Leser wird unmissverständlich klargemacht, dass Nancy hier an die Ostküste gezogen ist, weil sie vor sieben Jahren zwei Kinder verloren hat. Es war genau an ihrem Geburtstag, als ihre beiden Kinder spurlos verschwanden. Erst Wochen später wurden die Leichen aufgefunden und Nancy wurde in einem aufsehenerregenden Prozess des Mordes an ihren Kindern für schuldig gesprochen. Ihre Unschuldbeteuerungen hatte ihr keiner geglaubt. Dennoch kommt sie frei. Ein simpler Verfahrensfehler ist Grund dafür, dass sie auf freien Fuß gesetzt werden muss. Ihr Prozess hatte in den Medien hohe Wellen geschlagen. So verwundert es nicht, dass sie es nach diesem Prozess an der Westküste der USA nicht mehr aushält. Sie glaubt, mit ihrem Umzug an die Atlantikküste auch ihre Vergangenheit weit hinter sich lassen zu können. Da passiert an einem trüben Novembermorgen der schlimmste Albtraum für sie. Während Nancy oben im Haus die Betten macht, spielen die Kinder draußen im Garten. Als sie sie nach einer Viertelstunde hereinholen will, findet sie nur noch den Handschuh der kleinen Missy. Es scheint alles wieder von vorne zu beginnen.

Es beginnt das perverse Spiel eines Psychopathen, der die Kinder entführt hat und Nancy dafür büßen lassen möchte. Es scheint alles genauso abzulaufen wie vor sieben Jahren. Auch dieses Mal ist die Polizei der Ansicht, dass die Mutter ihre Kinder getötet hat. Hatte bislang keiner in diesem Örtchen gewusst um die Vergangenheit von Nancy, so wird diese jetzt schnell entdeckt. Die Leute reden über sie. Doch es gibt ganz wenige Menschen, die ihr nach wie vor zur Seite stehen.

In mehreren Parallelsträngen wird von den Ermittlungen genauso erzählt wie von den Machenschaften des Täters. Da zumindest der Leser jetzt weiß, dass Nancy dieses Mal nicht ihre Kinder entführt hat, mag er etwas Verständnis dafür aufbringen, dass sie vor sieben Jahren wohl recht gehabt hatte mit ihrer Unschuldsbehauptung. Ob dem aber wirklich so ist, wird sich herausstellen müssen.

In schnörkellosem Stil ist dieser Psychothriller geschrieben, mit dem sich die Schriftstellerin Mary Higgins Clark 1975 in die Bestenlisten hineinschrieb. Seitdem gilt sie nach wie vor als eine Meisterin des Psychothrillers. Oft sind typisch amerikanische Kleinstädte die Orte für ihre Romane.

Wintersturm liest sich schnell und bietet eine pure spannende Unterhaltung.

Higgens Clark, Mary
Wintersturm
Aus dem Amerikanischen von Heinz Rentmeister
Heyne, München
ISBN 9783453025103

© Detlef Knut, Düsseldorf 2015
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Hugo Hamilton: Jede einzelne Minute

Hugo Hamilton: Jede einzelne Minute

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Reise in die Vergangenheit…

Eine alternde und kranke irische Schriftstellerin begibt sich mit ihrem viel jüngeren Freund auf eine Abschiedsreise. Sie möchte nach Berlin, um die ihr lieben Orte noch einmal zu sehen und sich von guten Freunden zu verabschieden. Zu den Orten gehört der Botanische Garten, das Pergamonmuseum, die Staatsoper Berlin, Café Einstein, die Paris Bar, alles bekannte und dem Berlinbesucher vertraute Plätze.

Sie wohnt mit ihrem Freund im Adlon unter den Linden. Mehr noch als die Besichtigungen liebt sie die Gespräche mit ihrem Freund, hier Liam genannt. Alte Erinnerungen heraufzubeschwören genießt sie fast ebenso wie die Stadt Berlin, in der sie gute und schöne Augenblicke erlebt hat.

Unter dem Pseudonym Úna verbirgt sich die irische Schriftstellerin Nuala O’Faolein und Liam ist Hugo Hamilton persönlich!

Wie geht es einem, wenn man vor dem kurz bevorstehenden Tod noch einmal eine Reise in die Vergangenheit unternimmt?

Da fließen gute und schlechte Erinnerungen ein, doch überwiegend ist es eine Art Lebensbilanz, die man hier vorfindet.

Über Kindheit, das Menschsein, über Geben und Nehmen, über Geheimnisse und Gewalt in Familien, über Selbstverwirklichung in der Rolle als Frau oder Mutter reflektiert Úna unermüdlich, ja, ihre Überlegungen gipfeln in dem Gedanken, dass Menschsein Geschichten an sich bedeuten. Über nichts als das, was das eigene Erleben an Erkenntnissen schafft, kann man erzählen, egal, in welcher Verkleidung man seine Impressionen und Erfahrungen des Lebens wieder gibt.

Der große Altersunterschied zwischen den Protagonisten lässt an eine Mutter-Kind-Beziehung denken; doch eigene Kinder waren der Autorin versagt. So bleibt die Erzählung in sporadischen Erinnerungsaugenblicken stecken. Das ganze Leben ist eine Geschichte; so wird es von Úna empfunden, und so gibt es Hugo Hamilton weiter.

Zitat aus einer Schrift von Nuala O’Faolain aus dem Nachwort von Elke Heidenreich: „Das Beste, das ich von meiner Kindheit mitbekam, ist das Lesen“ und “Wenn es auch sonst nichts gäbe — für das Lesen lohnte sich das Leben schon“. Ein schöneres Plädoyer für die Literatur lässt sich nicht denken!

Dieses Buch ist beschaulich und bei aller Endzeitstimmung eine ruhige und freundliche Rekapitulation eines langen Lebens. Ein wenig Nostalgie und Melancholie verleihen der Geschichte Glanz und Farbe.

Man liest den Roman mit Anteilnahme und lässt sich auf die sporadischen Erinnerungsgeschichten gerne ein.

Hugo Hamilton
Jede einzelne Minute
352 Seiten, gebunden
Luchterhand Literaturverlag, September 2014
ISBN-10: 3630874258
ISBN-13: 978-3630874258
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Paul Auster und J. M. Coetzee: Von hier nach da

Paul Auster und J. M. Coetzee: Von hier nach da

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Reflexionen über die eigene Arbeit und die Welt. Ein Gedankenaustausch.

Von hier nach da wandern die Gedanken zweier hoch renommierter Autoren.

Paul Auster und J. M. Coetzee haben von 2008 – 2011 einen intensiven Briefaustausch gepflegt. Beide Autoren sind einer breiten Leserschaft durch ihre Bücher gut bekannt. Sie fühlen sich offensichtlich seit ihrer ersten Begegnung in herzlicher Freundschaft verbunden. Coetzee ist hier der Ältere und Scheuere von beiden. Er hat sich in der Öffentlichkeit bisher immer sehr zurückgehalten. Umso erstaunlicher sind seine Offenbarungen über kleine lässliche Sünden wie stundelange Sportschauen und seine Begeisterung für das Schachspiel.

Es ging den beiden Autoren insgesamt um Reflexionen grundsätzlicher Art wie die über Freundschaft, Mann und Frau, Befinden, Lesungen, Reisen und vieles andere mehr. Sie gestatten hier einen kleinen Blick in ihre Gefühlswelt.

Ihr Gedankenaustausch dreht sich weiter um die Bedeutung von Sport im allgemeinen, um Politik und um die Bedeutung des Sprache für den Schriftsteller. Wie etwa findet man die richtigen Namen für die Romanfiguren?

Auster und Coetzee sprechen die gleiche Sprache, mit der sie sich über diverse Themen unterhalten. In zahlreichen Fragen herrscht Einigkeit, in anderen geht es darum, sich gegenseitig zu ergänzen. Selten schreiben sie von persönlichen Dingen aus dem Alltagsleben. Doch die intensive Freundschaft, die sie verbindet, findet man fast in jedem Wort und Satz. Sie geben sich gegenseitig Trost, wenn z.B. Leser in kritischen Briefen monieren, dass die behandelten Themen nicht den anerkannten ethischen Regeln entsprechen. Ob Antisemitismus oder Mord im Krimi: im Roman versucht der Autor eine fiktive Geschichte zu schreiben, die nicht immer der Auffassung des Dichters entspricht. Oder müsste man etwa den Mord im Krimi als vom Autor gebilligt betrachten, weil er darüber schreibt?

Der Gedankenaustausch erfolgt auf hohem Niveau und bringt einem das Leben als Schriftsteller näher. Da gibt es durchaus Zweifel und immer wieder auch den Arbeitsstress, mit dem man sich über die eigene Arbeit austauscht.

Angeregt legt man das Buch aus der Hand, bereichert durch den Ideenreichtum, mit denen Schriftsteller ihre Welt und Umwelt betrachten. Es ist gut, einmal hinter die Kulissen zu schauen, um zu erfahren, wie Dichter leben, womit sie sich befassen und wie schwer es ist, ein richtig gutes Buch zu schreiben!

Paul Auster und J. M. Coetzee
Von hier nach da
288 Seiten, broschiert
FISCHER Taschenbuch, Mai 2014
ISBN-10: 3596196876
ISBN-13: 978-3596196876
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Alan Bennett: Leben wie andere Leute

Alan Bennett: Leben wie andere Leute

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Liebevolle Hommage an die eigenen Eltern!

Alan Bennett ist aus seinen zahlreichen kleinen Erzählungen, die im Verlag Wagenbach erschienen sind, einer breiteren Leserschaft bekannt.

In dieser hübschen Geschichte geht es ganz offensichtlich um die eigenen Eltern, denen er seine nüchternen und doch sehr herzlichen Erinnerungen widmet.

Leben wie andere Leute!

Das ist der Wunsch der um bürgerliche Lebensart bemühten Eltern, mit denen uns Alan Bennett konfrontiert!

„Smalltak, Buddhismus und Würstchenspieße….“ so stellt sich dieses liebe Paar das Leben auf den Cocktailparties vor, die sie nie erlebten und wohl kaum gemocht hätten. Auch Alkohol gehörte ja nicht zu ihren bevorzugten Gelüsten.

Vater und Mutter von Alan Bennett waren rechtschaffene Leute, fleißig, ein wenig spießig und sehr angepasst an das sie umgebende bürgerliche Leben. Leider litt die Mutter schon lange an sporadisch auftretenden Depressionen. Rührend und anhänglich besucht der Vater die kranke Mutter bei ihren diversen Krankenhausaufenthalten.

Alan Bennett beobachtet das Leben der Eheleute mit leicht belustigten und doch sehr liebevollen Blicken. Im Leben der beiden  ging es um die „Nachbarn“ und das, was sie denken mögen, um familiäre Rituale und vielerlei Alltagskleinigkeiten, die den Blick schärfen auf ein Leben ohne großen Ruhm oder Abgehobenseins.

Der Autor zeigt klaren Abstand zum eigenen Leben. Es geht ihm nicht um die eigene Person, wie in so vielen Lebenserinnerungen anderer Schriftsteller. Es geht einzig und allein um die Beobachtung von Menschen, die dem eigenen Anspruch genügen wollen und sich immer fleißig um Ordnung und

Aufrichtigkeit bemühen. Auch die Traurigkeit eines beschränkten und in den letzten Jahren mit Krankheit und Demenz geschlagenen Paares bleibt nicht ausgespart. Bennett bedauert deren mühseligen Alltag im hohen Alter. Er bleibt der Sohn, der hilft, wo er kann, der jedoch sein eigenes Leben dabei nicht aus den Augen verliert. Am Ende ist eine ganze Familienchronik entstanden mit allen ihren skurrilen, selbstsüchtigen, neugierigen und seltsamen Familienmitgliedern.

Als Schriftsteller und Dramaturg bekannt zeigt der Autor mit seinen geübten Blicken, wie humorvoll er die Dinge betrachtet. Ironisch und heiter, mit Vergnügen und Witz erzählt er vom Leben seiner Eltern. Er  behält die nötige Distanz, die ihm die neutrale Sicht der Dinge gestattet.

Auf dem Deckblatt sieht man den Autor mit seinem Schwein am Halsband herumspazieren. Er führt uns vor Augen, wie er selbst durchs Leben geht: mit Selbstironie und Heiterkeit! Sein Büchlein ist Herz erwärmend, denn alle Ironie täuscht nicht darüber hinweg, dass es Lebensläufe gibt, die bescheiden, liebenswert und schlicht sind, und über die man sprechen kann, ohne die menschliche Würde zu verletzen.

Alan Bennett
Leben wie andere Leute
168 Seiten, broschiert
Verlag Klaus Wagenbach, März 2014
ISBN-10: 3803113008
ISBN-13: 978-3803113009
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Monika Maron: Zwischenspiel

Monika Maron: Zwischenspiel

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Lebenslinien…

Ruth, Protagonistin des vorliegenden Romans von Monika Maron, ergeht sich auf dem Weg zur Beerdigung ihrer kürzlich verstorbenen neunzigjährigen Freundin Olga in Erinnerungen, in denen sie sich mit ihren eigenen verschiedenen „Ichs“ konfrontiert sieht. Mutter, Schwiegertochter, Freundin oder potenzielle Ehefrau: alle Perspektiven vermischen sich zu einem nebulösen Durcheinander. Und doch suggeriert uns Monika Maron in ihrem Roman, wie die Wendungen des Lebens in einzelnen verlaufen können: diffus und von Brüchen und Abschieden gezeichnet.

Von Olga gilt es Abschied zu nehmen, der Frau, die Freundin und fast Schwiegermutter und Ratgeberin zugleich für Ruth gewesen ist.

Doch in ihren Erinnerungen an einem trüben Tag, den sie auf einer Parkbank verbringt, stehen auch Schuldgefühle, Trauer über das Vergangene und die Brüchigkeit ihrer Beziehungen, Versäumtes, Erlebtes und der Tod vor ihrem inneren Auge. Fanny, Ruths Tochter, ist längst ihren eigenen Weg gegangen. Jetzt, am Grab von Olga, würde Ruth allen wieder begegnen: Bernhard, ihrem fast-Ehemann und Vater ihrer Tochter, den sie mit einem kranken Sohn aus einer früheren Beziehung einst alleine gelassen hat. Sie denkt wie verloren an Fanny und auch an Bruno, einen Freund aus längst vergangenen Tagen.

In ihrer Erzählweise lässt Monika Maron ganze Lebensphasen wieder erstehen, und in einem bunten Reigen sieht man Ruths Leben vorbeiziehen.

Die DDR mit ihrem Denunziantentum hinter der Mauer und dem Zustand der Eingeschlossenen findet ebenso Erwähnung wie die guten und schlechten Beziehungen in verschiedenen Ehen oder Paarbeziehungen.

Geht es nicht uns allen so, dass wir verschiedene Leben durchleben? Gute und schlechte Zeiten, glückliche und einsame Zeiten, gelungene  und weniger gelungene Entscheidungen?

Die Lektüre regt an und auf, denn unweigerlich werden wir in eigenen Assoziationen an Erlebtes und Vergangenes erinnert. Dazu gehören denn auch politische Gegebenheiten, die unseren jeweiligen Aufenthalt mit bestimmen. Lebten wir in Frieden, unter einer Diktatur, im Westen oder im Osten?

Vieles im Leben ist Zufall. Es bleibt unsere Aufgabe, uns durch das Dickicht des Tagesgeschehens einen eigenen Weg zu bahnen.

Ein nachdenkliches, weises und kluges Buch hat uns die Autorin beschert. Man lasse sich inspirieren, der eigenen Vergangenheit ins Auge zu blicken.

Monika Maron
Zwischenspiel
192 Seiten, gebunden
S. FISCHER, Oktober 2013
ISBN-10: 3100488210
ISBN-13: 978-3100488213
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Richard Ford: Kanada

Richard Ford: Kanada

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Als Bev Parsons die Air Force verlässt, ist nicht mehr genug Geld für den Lebensunterhalt der Familie da, die in Great Falls/Montana lebt. Merken sollen das weder seine Frau, noch die Zwillinge Berner und Dell.
Doch Dell ist mit seinen fünfzehn Jahren ein guter Beobachter. Er merkt, dass etwas geschieht, dass die Stimmung sich wandelt und sein Vater sich verändert.
Dass der Vater einen Banküberfall plant und die Mutter da mit hineinzieht, ahnt er nicht. Selbst als es dann geschehen ist, ist die Sache immer noch unglaublich und nicht nachvollziehbar.

Dell Parsons nähert sich im Rückblick den Geschehnissen an. Fünfzig Jahre sind vergangen und die Erinnerung ist immer noch wach. Einen anderen Blickwinkel bietet die Chronik seiner Mutter, die diese kurz vor ihrem Selbstmord im Gefängnis verfasst und die ihm seine Schwester Berner erst sehr spät ausgehändigt hat.

Mit fünfzehn stehen die beiden Jugendlichen völlig allein da. Berner reißt aus, um dem Zugriff des Jugendamtes zu entgehen, während Dell von einer Freundin der Mutter nach Kanada gebracht wird. Der Bruder dieser Freundin, Arthur Remlinger, betreibt ein einsam gelegenes Hotel in Fort Royal/Saskatchewan. Und hier gerät Dell in das nächste Verbrechen. Diesmal ist es Mord.

Dell ist als Figur unglaublich gut herausgearbeitet. Der Autor lässt ihn aus der Ich-Perspektive die Geschichte erzählen. Die gute Beobachtungsgabe, über die Dell verfügt, verleiht dem Roman eine ungeheure Tiefe. Die Geschehnisse werden von ihm schonungslos und ehrlich wirkend rekonstruiert und analysiert. Das ist sehr beeindruckend.

Das ausgesprochen gut geschriebene Buch endet in der Gegenwart. Der Leser erfährt also zum Schluss, wie sich Dells weiterer Lebensweg gestaltet hat. Dennoch, es liegt Wehmut über der Geschichte. Sich zu erinnern, ist ein Prozess, der auch alte Wunden wieder aufreißen lässt.

Rezension von Heike Rau

Richard Ford
Kanada
Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert
464 Seiten, gebunden
Hanser Berlin
ISBN-10: 3446240268
ISBN-13: 978-3446240261
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Frances Greenslade: Der Duft des Regens

Frances Greenslade: Der Duft des Regens

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Es ist ein einfaches, schlichtes und dennoch zufriedenes Leben, das Maggie, ihre Schwester Jenny und die Eltern führen. Duchess Creek, in den Wäldern im Westen Kanadas, scheint ein Ort zu sein, an dem man glücklich sein kann. Unbeschwert ist die Kindheit Maggies dennoch nicht. Auch wenn es keinen konkreten Anlass gibt, immer macht sie sich Sorgen.

Maggie fühlt sich bestätigt, als der Vater einen tödlichen Unfall erleidet. Unerträgliche Trauer hüllt die Mutter und ihre Töchter ein. Gemeinsam fahren sie zelten, an einen Ort, wo es nichts gibt außer Ruhe. Es ist ein Ort, den die Mutter ihren Mädchen schon immer zeigen wollte. Hier in diesem Tannenwald ist man der Natur ganz nah.

Eine Freundin beginnt sich zu kümmern und die Melancholie, die die Mutter befallen hat, etwas zu vertreiben. Irene rafft sich auf, nimmt einen Sommerjob in einem Anglercamp an. Danach zeltet die Familie wieder eine Zeit. Das eigene Haus musste aufgegeben werden. Dann wird Ritas Farm ein Zufluchtsort. Immer öfter ist Irene abwesend.

Schließlich bringt sie ihre Töchter zu den Edwards, die Freunde ihres Mannes waren, um in einem Holzfällercamp Arbeit anzunehmen.
Das Leben bei den Edwards gefällt Maggie nicht, während Jenny ganz gut zurechtkommt. Anfangs schreibt die Mutter noch Briefe und schickt Geld. Dann meldet sie sich nicht mehr. Eine Mauer aus Schweigen baut sich auf. Keiner weiß, was passiert ist und keiner wagt zu fragen, weil ein weiteres Unglück geschehen sein könnte.

Es ist eine wunderschön geschriebene Geschichte. Traurig und berührend. Maggie erinnert sich zurück. An die Zeit der Kindheit. Damals war die Welt noch in Ordnung, auch wenn Maggie gespürt hat, das ein Unglück kommt.
Der Unfalltod des Vaters reißt eine Lücke in die Familie. Es ist nur zu verständlich, dass die Zurückgebliebenen jeden Halt verlieren. Die Mutter kann ihrer Rolle nicht mehr gerecht werden. Auch die Zeit heilt ihre Wunden nicht.

Maggie erinnert sich, wie es war, plötzlich ohne Heim zu sein und ohne die Verlässlichkeit der Mutter, ohne ihre Erziehung und ihren Rat, den die heranwachsenden Mädchen so dringend brauchten. Und doch hat sie ihnen schon einiges mitgegeben. Stärke und Mut, die Dinge selbst zu regeln.

Die Autorin hat eine beeindruckende Art zu schreiben. Sie begegnet ihren Charakteren, insbesondere Maggie, mit viel Liebe und Verständnis. Es sind diese kleinen Nuancen, dieses Feingefühl, das seine Wirkung nicht verfehlt. Man wird als Leser in eine ganz besondere Stimmung gehüllt.

Warum handeln Menschen, wie sie es tun? Was sind ihre Beweggründe? Was prägt den Charakter? Welche Umstände machen uns zu dem, was wir sind? Man kann an leidvollen Geschehnissen zerbrechen. Man kann aber auch Stärke daraus gewinnen und das Ruder wieder herumreißen. Davon erzählt diese Geschichte, die man lange in Erinnerung behält.

Rezensionen von Heike Rau

Frances Greenslade
Der Duft des Regens
Aus dem kanadischen Englisch von Claudia Feldmann
368 Seiten, gebunden
Mareverlag
ISBN-10: 3866481764
ISBN-13: 978-3866481763
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Nina Sankovitch: Tolstoi und der lila Sessel

Nina Sankovitch: Tolstoi und der lila Sessel

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Hommage an die Welt der Bücher!

Eine der schönsten Veröffentlichungen dieses Frühjahrs ist mit dem Buch über das Lesen von Büchern von Nina Sankovitch auf den Buchmarkt gekommen.

Zeigt sie uns doch, welche Kraft und Einsicht, welche Träume und welche Lebensfreude Bücher in uns auslösen können. “So lange das Denken besteht, sind Worte lebendig, wird Literatur zum Ausweg- nicht aus dem, sondern ins Leben.“ Besser als mit diesen zitierten Zeilen von Cyril Connolly lässt sich nicht in Worten ausdrücken, welche Bedeutung Literatur für uns haben kann.

Nina Sankovitch beschließt ein paar Jahre nach dem Tod ihrer ältesten Schwester Anne-Marie, ein Jahr lang jeden Tag ein Buch zu lesen und zu besprechen. Sie hat getrauert und konnte keine Ruhe mehr finden, bis ihr das Lesen neue Perspektiven und Einsichten für ihr eigenes Leben boten.

Leicht und locker geht sie es an, von ihrer Kindheit bis zum Heute von ihrer Bücherliebe zu erzählen.

Sie ist Mitte vierzig und neben der Familie, ihren Eltern, Kindern und dem Ehemann Jack gibt es für sie schon immer die Welt der Bücher, die ihr von Klein auf so viel bedeutet haben, dass sie auch heute noch von ihren liebsten Kinderbüchern zu erzählen weiß. Ihre fröhliche und emotionsreiche Sprache vermittelt uns einen Eindruck davon, wie sie in Büchern Unterhaltung, Trost und Hilfe fand, so auch jetzt, nach dem Tod der Schwester.

In ihrem alten lila Sessel hat sie sich eingerichtet und lässt für Stunden Kinder, Haushalt und Katzen unbeachtet. Sie vertieft sich ganz in ihre Lektüre, und man erfährt mit ihr vom Glück des Lesens.

Biographische Einschübe aus ihrem Leben gekoppelt an die Erfahrungen der Protagonisten in den Geschichten machen die Lektüre so lesens – und liebenswert. Kann man doch aus den erzählten Geschehnissen neben der Freude an der Sprache in der einen oder anderen Weise auch lernen, das Leben aus unterschiedlicher Sichtweise zu betrachten.

Liebe ist ein zentrales Thema im Leben von Nina Sankovitch. Damit ist nicht die Verliebtheit früher Tage gemeint, sondern die langjährige Zuneigung zu geliebten Menschen „Worte der Liebe halten uns warm, sogar an den letzten Wintertagen“.

Über das Leben etwas lernen, Wissen gewinnen und Anregung zur Selbstreflexion erlangen sind die Maximen ihrer gewonnenen Erfahrungen. Nicht zuletzt kann das Lesen heilsame Wirkung entfalten für alle jene, die Orientierung und Neuanfang nach menschlichen Krisen suchen.

So mancher Bücherliebhaber wird sich ihren Gedanken und Überlegungen zur Literatur anschließen können. Mir hat die Autorin aus dem Herzen gesprochen!

Sie lebt mit ihrer Familie in Connecticut.

Nina Sankovitch
Tolstoi und der lila Sessel
288 Seiten, gebunden
Graf Verlag, März 2012
ISBN-10: 3862200272
ISBN-13: 978-3862200276
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Anika Beer: Als die schwarzen Feen kamen

Anika Beer: Als die schwarzen Feen kamen

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Marie ist sehr überrascht, als sie in der Schule von Daniel angesprochen wird. Er lädt sie zu einem Kaffe ein am Samstag, um sich einmal richtig mit ihr unterhalten zu können. Dabei interessiert sich ihre Freundin Theresa für Daniel. Trotzdem trifft Marie sich mit ihm. Daniel versucht Marie zu warnen, er glaubt, sie würde verfolgt werden. Das verschlägt Marie die Sprache. Er zeigt ihr eine Zeichnung und sie erkennt, was darauf zu sehen ist. Auch Daniel kennt also die geflügelten Wessen, die für Marie die schwarzen Feen sind.

Dann passiert etwas mit Maries Mutter. Die Ärztin spricht von einem Schwächeanfall. Doch Marie sieht die Schatten, die von ihrer Mutter Besitz ergriffen haben, die sie umschließen wie eine dunkle Aura und sie lähmen. Marie glaubt, dass nur Daniel ihr helfen könne. Tatsächlich kann er ein Tor in Maries Schatten erkennen. Durch dieses könnten die Feen die Grenze zwischen den Welten überschreiten.

Es ist ein sehr bewegendes Buch. Die Geschichte führt Marie und Daniel zusammen, die so wunderbar zueinander passen. Sehr gefühlvoll treten die beiden in einer ungeheuer spannenden Handlung auf. Das Buch ist außerdem sehr flüssig zu lesen und so wird man als Leser hinweg getragen von dieser Geschichte, kann völlig darin eintauchen.
Es geht im Buch für Marie darum, erwachsen zu werden, sich von der Oberflächlichkeit ihrer Freundinnen abzugrenzen, ihre Kindheit aufzuarbeiten.

Denn es gibt diese andere Welt, die Schattenwelt. Ein Königreich der Kindheit. Ein Zufluchtsort, der nicht mehr länger einer sein kann, weil er in die Welt der Erinnerungen gehört. Das ist eine interessante Sichtweise, die man aber gut annehmen kann, weil sie so harmonisch in die Handlung eingebaut ist.
Es ist keine Geschichte, die sich aufdrängt, sondern vielmehr eine, die die Fantasie des Lesers nicht begrenzt. Das ist etwas ganz Entscheidendes und es macht den wunderbaren Charme der Geschichte aus.

Rezensionen von Heike Rau

Anika Beer
Als die schwarzen Feen kamen
448 Seiten, broschiert
cbj, München
ISBN-10: 3570401472
ISBN-13: 978-3570401477
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Joe Brainard: Ich erinnere mich

Joe Brainard: Ich erinnere mich

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Erinnerungsfragmente…

Dieses kleine Büchlein mit einer Einführung von Paul Auster wird von diesem in den höchsten Tönen gelobt. Er habe es 1975 für sich entdeckt und fortan immer wieder einmal darin gelesen. Ihn überraschte, dass er die Zeilen jedes Mal wie zum ersten Mal läse. Das Buch stammt von dem Maler und Schriftsteller Joe Brainard, der 1941 in Arkansas geboren wurde und 1994 starb.

Paul Auster hat die in Versatzstücken aufgeführten impressionistischen Erinnerungen von Joe Brainard unter bestimmten Gesichtspunkten thematisiert. So finden sich Themen wie „Grübeleien“, „Geständnisse“, „Witze und Alltagssprache“, „Freunde und Bekannte“ und „autobiographische Fragmente“ in einzelnen Satzgegenständen wieder.

In der Tat gibt es bei Joe Brainard keinen Erzählstrang, der eine kontinuierliche Entwicklung spiegelt. Frei assoziierend beginnt er jeden Satz mit „ich erinnere mich…“, um dann Einzelheiten aus seinem Leben zu erzählen. Es können Solosätze sein oder auch ganze Absätze, in denen der Autor seine Vergangenheit mit auch sehr frühen ersten Erfahrungen wieder gibt. Man wird mit dem Erzählten vertraut, und Joe Brainard eröffnet Blicke in sein Innenleben, die ihn uns näher bringen, als jede Erzählung das könnte.

Schon in frühen Kindheitstagen kreisen seine Gedanken um Sexualität und sein Schwulsein. Ganz banale oder auch glückliche Alltagsereignisse wechseln mit ernsthaften Gedanken, die jedoch nie mit Schwere oder Depression einhergehen. Ein frei assoziiertes Bild mit tausend kleinen Erinnerungsfetzen, zuweilen mit Komik versetzt, fügt sich vor unserem inneren Auge zusammen und bietet Anstöße, sich den eigenen Erinnerungen zu stellen.

Man wird bei Brainard keine Verbitterung, Zorn oder Enttäuschungen finden, sondern eine Vielzahl von flüchtigen oder eindrucksvollen Impressionen und Gefühlen, die er in seinen Erinnerungen heraufbeschwört. „Ich erinnere mich, dass ich überrascht war, wie gelb und wie rot der Herbst tatsächlich ist“ und „ich erinnere mich an Kissenschlachten“.

Joe Brainard war ein bildender Künstler, der in den sechziger Jahren in New York in einschlägigen Künstlerkreisen verkehrte und dort auf anerkennende Raisonance stieß. Befreundet mit Malern und Schriftstellern entwarf er Bühnenbilder, gestaltete Cover für Lyrikeinbände und Plattenhüllen und gehörte zur New York School, in der sich insbesondere Künstler zusammen geschlossen hatten, die den in den vierziger Jahren und bis in die sechziger Jahre hinein praktizierten konservativen Museumsstil ablehnten.

Ich muss gestehen, dass mich die Erzählweise zunächst irritierte, bis ich lernte, sie als Mosaiksteinchen der Impressionen zu betrachten. Man kann in das Buch hineinlesen und darin blättern, einzelne Teile lesen und andere zu einem anderen Zeitpunkt. Man wird durchaus Gewinn daraus ziehen!

Joe Brainard
Ich erinnere mich
160 Seiten, gebunden
Walde+Graf, August 2011
ISBN-10: 303774040X
ISBN-13: 978-3037740408
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