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Autor: jon

Àlex Rovira und Francesc Miralles: Einsteins Versprechen

Àlex Rovira und Francesc Miralles: Einsteins Versprechen

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Lieber Leser, Sie sehen mich weinen. Warum? Ich habe soeben das Buch „Einsteins Versprechen“ zu Ende gelesen und habe – und das ist keine literarische Übertreibung – Tränen in den Augen. Vor Wut. Da habe ich mich einige Nachmittage lang durch das langweiligste spannende Buch gekämpft, das mir je untergekommen ist, und stehe nun vor der banalsten falsch-wahren Weisheit, die je verkündet wurde. Verwirrt Sie das? Ja? Mich auch.

Also was ist passiert? Ich habe ein Buch gelesen, das damit anfängt, dass ein spanischer Wissenschaftsjournalist namens Javier aus der Not heraus öffentlich spontan vermutet, Albert Einstein habe in seinen letzten Jahren offenbar etwas ganz Großes entdeckt, das so „potent“ ist, dass er es der damals noch nicht reifen Menschheit noch nicht offenbaren wollte. Kurz darauf sieht sich Javier in eine mysteriöse Suche nach dieser Erkenntnis hineingezogen. Diese Suche basiert auf der Idee, dass Einstein seiner unehelichen und von ihm lange ignorierten Tochter diese Erkenntnis zugespielt hat, sie ihr sozusagen „vererbte“. Jene Lieserl habe dann, so die Idee, dieses Erbe ihrer Tochter vermacht. Man müsse also jene Einstein-Enkelin finden, lautet die Arbeitsthese der Suchenden.

Wobei „Suche“ ein fast schon euphemistischer Ausdruck ist, zumindest was Ich-Erzähler Javier angeht. Der Journalist wirkt eher wie ein im Wind aus Zeichen, Andeutungen und Hinweisen getriebenes halbtotes Blatt. Sarah, mit der er gemeinsam unterwegs ist, scheint da schon gezielter vorzugehen, obwohl auch das eher eine Vermutung als eine im Buch erkennbare Tatsache ist. Die anderen Suchenden überleben übrigens das Buchende nicht, nach und nach werden sie von diesem oder jenem eliminiert. Einer der „Mörder“ ist eine junge Frau, die – wie auch immer sie das schafft – offenbar besser als alle anderen sichtbaren und (anfangs) unsichtbaren Figuren weiß, was gerade vorgeht.

Das für mich unverständlicher Weise mit einem Literaturpreis geehrte Buch (laut Klappentext: der hochdotierte „Premio de Novela Ciudad de Torrevieja“) wird in einer Sprache erzählt, die extrem leicht lesbar weil extrem simpel gehalten ist. Spaß am Text lag eindeutig nicht in der Intension der Autoren. Àlex Rovira und Francesc Miralles setzen statt dessen auf einen der neumodischen Verschwörungs-und-Quest-Plots. Nicht, dass ihnen das gut gelingen würde, die Figuren nähern sich zwar faktisch und lokal ihrem Ziel, der Einstein-Erbin, das eigentliche Geheimnis bleibt aber trotz diverser Annäherungsversuche so fern wie am Anfang. In dieser Sache passiert nichts – bis zu jenem unsäglichen Finale, das mich so erbost und verzweifeln lässt.

Wenn ich sage, es passiert nichts, dann bezieht sich das auch auf die Figuren. Sie sind das, was ich als Lektor meinen Kunden gegenüber als Marionetten bezeichne. Dass Javier offenbar nicht den geringsten Nerv dafür hat, in seinen Mitmenschen Emotionen und Stimmungen zu erkennen und seine Beschreibungen sich auf rein Plakatives beschränken, mag ja noch entschuldbar sein, aber er selbst ist innerlich – vorsichtig ausgedrückt – auch eher tot als lebendig. Ihn wandelt immer mal ein wenig Trauer an, wenn er an seine zerbrochene Ehe zurückdenkt, und er versucht dem Zuhörer weis zu machen, er habe sich in Sarah verliebt. So wie das erste pure Behauptung bleibt, kann man auch das zweite zwar zur Kenntnis nehmen, aber sehen, nachfühlen kann man es nicht. Dass auf Javiers Empfindungen bei Mord und Totschlag und sogar bei den (angeblich) spektakulären Enthüllungen am Ende der Begriff „blass“ noch eine maßlose Übertreibung ist, passt da prima ins Bild.

Und genau das macht das Buch langweilig. Zwar erlaubt der kunstlose Schreibstil, dass man der Frage „Was hat Genie Einstein wohl herausgefunden?“ ohne Anstrengung hinterlaufen kann, aber auf dieser Rennstrecke gibt es nichts zu entdecken. Die Figuren sind uninteressant, der Ablauf der Suche nicht aufregend, weil sich nie akute Spannung aufbaut. Statt mit Spannungsbögen arbeiten die Autoren mit Sätzen wie „Hätte ich geahnt, auf was für einem Spielfeld ich mich bewegte, hätte ich niemals auf ,Senden‘ geklickt.“ oder „Hätte ich jedoch den Namen Sarah Brunet rechtzeitig überprüft, wäre alles, was in Kürze geschehen sollte, vollkommen anders verlaufen.“ Das ist Spannungsbildung für Möchtegern-Schriftsteller. Magisch, wie der Klappentext auf dem Buch behauptet, ist da gar nichts.

Bevor ich zum Hauptdesaster dieses Werkes komme, will ich mal einen kleinen Ausflug in die Abteilung „Gut am Buch“ machen. Groß ist die allerdings ohnehin nicht. Die anspruchslose Sprache in den vielen superkurzen Kapiteln zum Beispiel zählt in dem Sinne dazu, dass sie das Lesen nicht zusätzlich erschwert, und wer noch nicht viel über Einsteins Leben wusste, kann es anhand der biografischen Einschübe ein wenig kennenlernen.

Als günstig erwies sich auch, dass man über Physik generell und die Einstein’sche im Besonderen gar nichts wissen muss, um dem Buch folgen zu können. Denn auch wenn ständig so getan wird, als habe das zu lüftende Geheimnis eine vergleichbare Bedeutung wie die zur Atombombe geführt habende Gleichung E = mc2: Die „Enthüllung“ ist eher simpelste Kindergarten-Philosophie. Dazu hätte weder Einstein bemüht, noch ein mit Toten gepflasterter Weg beschritten werden müssen. Dafür ist weder die Weltreise der Figuren nötig gewesen noch das am Ende dahingesagte Existieren von zwei rivalisierenden Organisationen (die ganz bestimmt als Methaper für dies und jenes gemeint sind, wie so manch anderes in dem Buch). Denn – bitte halten Sie sich fest! – die letzte große Erkenntnis Einsteins ist nicht der Grundstein für eine Superbombe oder die Lösung aller Energieprobleme der Menschheit, keine Erkenntnis darüber, dass wir alle nicht real sind, dass wir allein sind im All oder auch nicht allein sind. Nein, es viel ungeheuerlicher. Einsteins letzte Erkenntnis ist die von der Über-Kraft, die alle anderen Kräfte in sich vereint und damit die von den Wissenschaftlern seit jeher gesuchte Einheitliche Theorie des Universums möglich macht. Es ist – Trara! – die Liebe.

Tja. Was soll man da noch sagen …

Àlex Rovira und Francesc Miralles
Einsteins Versprechen
384 Seiten, gebunden
List
ISBN-10: 3471350519
ISBN-13: 978-3471350515
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Uwe Schimunek: Katzmann und die Dämonen des Krieges

Uwe Schimunek: Katzmann und die Dämonen des Krieges

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Ich habe mich auf den Kriminalroman „Katzmann und die Dämonen des Krieges“ gefreut, denn ich hatte Uwe Schimuneks Schreibstil aus den Kurzgeschichten in „13 kleine Thriller“ als sehr unterhaltsam in Erinnerung. Er hat diesen Stil auch bei dem Roman beibehalten. Leider.

Von vorn: „Katzmann und die Dämonen des Krieges“ ist der zweite Fall um den Dresdner Journalisten Konrad Katzmann. Die Roman-Reihe lässt in fiktiven Kriminalfällen das Sachsen der frühen 1900er Jahre lebendig werden. Sagt zumindest der Klappentext auf dem hinteren Cover. Das Buch von Uwe Schimunek (Journalist) führt Katzmann bei einem Diensteinsatz in das Leipzig des Jahres 1920. Schimunek (Jahrgang 1969) hat dafür gründlich recherchiert und kann das Leipzig jener Tage anscheinend auf die Hausnummer genau nachzeichnen. Und er tut es auch.

Ist das das Problem? Wie schon in den „13 kleinen Thrillern“ benutzt Schimunek Straßen- und ähnliche Namen mit einer Selbstverständlichkeit, als zeigten sie, wie es „dort“ aussieht. Aber das tun sie natürlich nicht. Das heißt, man bekommt Fakten genannt, die leer bleiben. Bei den Kurzgeschichten war das schon nicht so glücklich, hier aber stört es mich massiv. Nicht nur, dass so das offenkundig geplante Lokalkolorit nicht entsteht, der Leser wird mit jedem Namen, der ihm fremd ist, auch noch daran erinnert, dass er keine Ahnung vom Handlungsort hat. Dummerweise fühlte ich mich dennoch verpflichtet, den Namen Bedeutung beizumessen. Sicher – so das penetrante Gefühl – hat in dieser Straße und jenem Haus etwas historisch Interessantes stattgefunden, wenn die Lokalität schon so plakativ erwähnt wird. Ich weiß es nur nicht, ich Dummchen. Nachgegrübelt habe ich beim Lesen trotzdem immer. Ablenkend war das auf jeden Fall.

Ablenkend ist auch der zugegeben besondere Stil Schimuneks. Es ist eine eher harte, detailreiche Sprache, die nicht recht ins Fließen kommt. Das betrifft zum einen den reinen Klang, zum anderen die ständigen sehr farbigen Details, die permanente Konzentration fordern. Sowas wie „Stimmung“ gibt es nicht, selbst das Denken der Figuren ist kurz, faktenreich und abgehakt. Richtig schwer wird das Erfassen all dieser Details dadurch, dass sie nahezu nie aufeinander aufbauende Bilder ergeben, und – und das ist das größte Manko – so ungewöhnlich „codiert“ und bildhaft gemacht sind, dass man immer neu überlegen muss, was Schimunek meint. Nicht immer gelang mir das. Der Drang, originelle Vergleiche anzustellen, treibt zuweilen sogar groteske Blüten. Da sind Geheimratsecken dergestalt, dass man „ein Hühnerei darin platzieren könnte“ oder das eigentlich harte, trockene, laute Klappern von etlichen Schreibmaschinen wird mit „Mäusen“ verglichen, die „versuchen, Stahlträger mit kleinen Hämmerchen zu verformen“. Dass einer der Protagonisten, als er zusammengekrümmt daliegt, seine „Hände in der Bauchhöhle“ versteckt, ist schließlich regelrechter Unsinn. In den ganz kurzen Texten Schimuneks mag dieser Wunsch nach Originalität zu einem locker-witzigen Ton führen – nach 15 Seiten wird es jedoch kraft- und konzentrationsraubend und Katzmanns zweiter Fall hat da noch nicht mal richtig angefangen.

Apropos anfangen: Ich weiß nicht, wann Katzmann anfängt, den Fall zu lösen. Das Buch beginnt damit, dass Helmut Cramer bei einem Einbruch bei einem Großhändler diesen ermordet vorfindet und liegen lässt. Die Sekretärin – die blutjunge Liesbeth Weymann – ist die nächste, die den Toten findet, und sie holt die Polizei. Inzwischen wartet Heinz Eggebrecht, seines Zeichens Lehrling bei der Leipziger Volkszeitung, auf Konrad Katzman, der eine Zeit lang in Leipzig arbeiten soll und sich schon kurz nach der Ankunft in den Mordfall verbeißt. Erzählt wird – nahezu im ganzen Roman – aus der Sicht dieser drei Figuren. Bis zur Hälfte des Buches werden nun diese und weitere Personen zueinander in Relation und Stellung gebracht, gestohlenes Geld wird als Krimi-Element eingeführt und Katzmann führt ein paar launige, wenig informative Gespräche. Dann geht es Schlag auf Schlag: Plötzlich werden wirklich wichtige Dinge in den „Interviews“ offenbart, wirklich wichtige Figuren und Konstellationen gezeigt und die Action geht los. Im Hintergrund zumindest, denn irgendwie reiten die Hauptfiguren nur auf den Wellen der Ereignisse, statt sie selbst zu erzeugen. Im Höchstfall rühren sie gelegentlich mal ein bisschen oberflächlich darin herum. Am Ende braust alles ohne ersichtlichen Anlass plötzlich hoch auf, überschlägt sich und ist – irgendwie wie von selbst – gelöst.

Ja, mag sein, dass der Fall an sich logisch korrekt gebaut ist, dass die Straßennamen und historischen Ereignisse korrekt zitiert werden und der Spannungsbogen formal einigermaßen stimmt. Aber es gibt keinen Zugang zu den Figuren. Sie sind – trotz der mitgeteilten „Blicke aus dem Innern“ – alles in allem kaum mehr kleinteilige Oberflächen. Vielleicht hätte Schimunek wenigstens die Ermittler-Position (also Katzmann) handelnd darstellen sollen, statt Eggebrecht nur beobachten zu lassen, was Katzmann tut. Aber auch dann müsste er in die Figur eintauchen, sie spielen, statt sie wie Marionetten zu führen und die Emotionen in Bilder zu packen, die wie Hinweisschilder in die Kulisse gestellt werden. Selbst in den Momenten, wenn im Fluss des Erzählens eine Empfindung recht „pur“ heraus quillt, glaubt Schimunek, sie noch durch einen Vergleich anschaulicher machen zu müssen – und futsch ist die Stimmung.

Noch manches könnte kritisch erwähnt werden. Dass die „Dämonen des Krieges“ aus dem Titel sich als relativ simple Schweinerei entpuppen zum Beispiel, oder dass die politische Situation nackte Kulisse bleibt statt wirklich lebendig zu werden. Auch hier fühlen sich die erwähnten Fakten wie aufgestellte Schilder an, die man genausogut aus der Kulisse entfernen könnte, ohne dass die Handlung Schaden nimmt. Das zeitweilige Verbot der Leipziger Volkszeitung zum Beispiel lässt Katzmann nicht anders agieren als in der Zeit, als die LVZ wieder erscheinen darf. Das einzig Spürbare dieser Kategorie ist eine gewisses „Genossentum“ und die Animositäten zwischen den Parteien und Gruppen. Das schimmert in Dialogen immer wieder durch, was (z. B.) weder von der „ausgeschilderten“ Arroganz der „Reichen“ noch mit Blick auf den Kapp-Putsch sagen kann. Vielleicht hätte das versprochene „lebendige Bild“ dieser Zeit gezeichnet werden können, wenn Schimunek ein, zwei politisch halbwegs engagierte Figuren zum Erzählerstandort gemacht hätte und/oder seine Figuren nicht nur durch den Fall sondern tatsächlich durch ihren Alltag begleitet hätte. Und zwar nicht als originell formulierender, beobachtender Journalist, sondern als sich einfühlender Teilnehmer.

Nein, es ist kein Meisterwerk, was Uwe Schimunek da abgeliefert hat. Man kann den Stil, der in Krimi-Mini-Stories hervorragend funktioniert, eben nicht einfach auf 203 Seiten ausdehnen. Schade. Um die sicher mühsame Recherche, den Aufwand beim Originell-Sein und beim Fall-Bauen und um die Figuren, die so blass und klischeehaft bleiben.

Gibt es noch was Gutes zu sagen? Wer Leipzig liebt und gut kennt, freut sich vielleicht, vertraute Namen zu lesen. Wer mag, kann die oben erwähnte „Schweinerei“ durchaus auch als Friedensmahnung verstehen (obwohl das leicht angreifbar wäre) und die erkennbaren Absichten im Buch honorieren. Und darüber hinaus? Vielleicht: Schlecht ist das Buch nicht wirklich. Ich war nur sehr enttäuscht.

Uwe Schimunek
Katzmann und die Dämonen des Krieges
Katzmanns zweiter Fall
203 Seiten, broschiert
Jaron-Verlag
ISBN-10: 3897739011
ISBN-13: 978-3-89773-9017
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Edmund Hartsch: Maffay – Auf dem Weg zu mir

Edmund Hartsch: Maffay – Auf dem Weg zu mir

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Echter Lesespaß: „Maffay – auf dem Weg zu mir“

Nein, das Buch ist entgegen der meisten Presse-Aussagen keine Autobiografie. Es ist eine Biografie, ein echtes Edmund-Hartsch-Buch. In seinem knackig-spitzen Stil geschrieben – das allein wär schon Empfehlung genug. Ohne Drumherumgerede skizziert Journalist Edmund Hartsch, laut Wikipedia „Pressebetreuer in der Musikbranche“, nicht nur die Stationen des Peter Maffay, sondern auch das musikalisch-tagespolitische Umfeld, durch das hindurch Maffay seinen Weg zu sich suchte. Vieles erscheint dabei für das Thema des Buches irrelevant, sei es, weil es das wirklich war, weil Maffay die Relevanz nicht bewusst war oder weil er sie während der Gespräche mit dem Autor nicht dar- oder nahelegte. Interessant ist es trotzdem, weil es das Phänomen Maffay aus dem luftleeren Raum einer bloßen Faktensammlung holt und in die Wirklichkeit einsortiert.

Dass man zum Genuss des Inhalts wenn schon nicht Maffay-Fans sein, so doch wenigstens mit „Peter was am Hut“ haben sollte, liegt nahe. Tatsächlich bleibt bei aller Detailiertheit und vieler kraftstrotzender Auf-den-Punkt-Aussagen ein Beobachter-Abstand erhalten, der es Nicht-Fans vielleicht erschwert, Zugang zu dem Menschen Maffay zu bekommen. Dass dies zu dessen Charakter des offenen, sich aber nicht entblößenden Menschen passt, kann man als Geniestreich Hartschs auffassen, ist aber wohl eher Zufall.

Vielleicht ist dieser Abstand und dieses Tempo, dieses nicht in Gefühlsduselei-gedrängt-Werden, aber auch ein Vorteil für Nicht-Maffay-Fans. Denn egal, ob man zur Masse der Peter-Treuen gehört oder nicht: Das Buch liest sich wie locker-fröhliche Unterhaltung, wie ein witzig-bissiger Abriss über 40 Jahre Populärmusik Deutschlands. Vor allem wer Spaß am Wort hat, wird bestens bedient – Musikszenekenntnisse können da ruhig rudimentär sein.

Und als sei das alles nicht genug, besticht das Buch durch ein ungewöhnliches, dekoratives und doch höchst lesefreundliches Layout. Es balanciert mit traumwandlerischer Sicherheit jenseits der buchtypischen „Bleiwüsten mit Bild“ und diesseits der überdekorierten „Schmuck-Stücke“. Jede Seite ist grafisch konsequent durchgestaltet, Spaltenstrukturen werden aufgebrochen, Illustration und Text fließen zuweilen ineinander, Details erfrischen den Blick ohne abzulenken.

Nur das Schlusswort, das ist irgendwie daneben gegangen. Hartsch schreibt es durchweg in der Vergangenheit. Vielleicht sollte das den frisch-witzigen Ton mit einem Maffays Leistungen angemessenen Pathos überziehen, tatsächlich jedoch klingt das Schlusskapitel wie ein Nachruf. Aber wie heißt es so schön? Totgesagte leben länger.

Edmund Hartsch
Maffay – Auf dem Weg zu mir
Bertelsmann, 2009
ISBN 978-3-570-01029-7

Uwe Schimunek: 13 kleine Thriller

Uwe Schimunek: 13 kleine Thriller

Dass es ist schottischen Schlössern nicht ganz geheuer ist, weiß jeder. Aber in Leipzig? Uwe Schimuneks Geschichten scheinen das selbst nicht zu glauben und erzählen unaufgeregt, ja geradezu trocken von ganz alltäglichen Dingen. Wenn man einen Lindwurm für alltäglich hält zumindest. Oder wenn man den – im wahrsten Sinne des Wortes – Ausverkauf Deutschlands als eine mögliche Zukunft empfindet. In seinem Büchlein voller kurzer und ganz kurzer Texte konfrontiert Uwe Schimunek seinen Leser mit absurden, bösen, mysteriösen und skandalösen Ereignissen, ohne sich in den für diese Genre typischen Ausschweifungen zu ergehen. Die Reduzierung geht so weit, dass der Leipziger Autor viel Bild durch die bloße Nennung von Orts-, Straßen- und anderen Namen zu erzeugen sucht, was dann doch nicht so recht aufgeht: Der Leser hat meist nur diesen Namen lang Zeit, in seinem Kopfkino-Archiv die passenden Szenen rauszusuchen – falls sie ihm überhaupt zur Verfügung stehen. Ich hatte schnell aufgehört, diese Stöberarbeit zu leisten, und begann sofort, mich an Stellen, wo die gesamte Kulisse mit dieser Technik errichtet wurde, zu langweilen.

Die Konzentration auf das Nötigste hinsichtlich Bild, Ton und Plot verleiht den Texten zweifellos ein Tempo, das Ideen-Konsumenten wir mir sehr entgegen kommt und den Geschichten einen so „normalen“ Klang verleiht, dass man sich unwillkürlich umsieht, ob einem nicht auch gleich „sowas“ passiert. Zugleich lässt es die Texte aber auch ineinanderfließen – spielen ja alle „hier“, selbst wenn sie in der Zukunft spielen – so dass sich bei mir spätestens im hinteren Drittel des Buches eine Art Gefühlslageweile einstellte: Die Ideen erreichen zwar den Kopf, aber wegen der fehlenden „Stimmung“ kaum das „Erlebniszentrum“. Und da sie sowohl innerhalb der Texte als auch in der Kette der Einzelgeschichten recht rasch „abgefeuert“ werden, haben sie auch keine rechte Chance, dauerhaft im Kopf hängen zu bleiben.

Und trotzdem: Jeder Text für sich ist eine kleine Perle und bezieht seinen Schaudereffekt aus eben jedem Klang nach Alltag, der – auch in Kombination mit lakonischem Humor – den Eindruck hinterlässt, dass es gleich nebenan genau so passiert sein könnte. Ganz schnell, ganz unaufgeregt. Man würde es glatt übersehen, wenn man nicht zufällig in diese Richtung blickte …

Uwe Schimunek
13 kleine Thriller
Erschienen März 2009 im fhl-verlag
Paperback, 138 Seiten
Preis 9,95 Euro
ISBN 978-3-942025-11-9

The Prestige – Die Meister der Magie

The Prestige – Die Meister der Magie

Gedruckt worden zu sein ist kein Qualitätsnachweis für Texte. „The Prestige – Die Meister der Magie“ ist ein Beispiel dafür. Der Roman von Christopher Priest erhielt zwar allenthalben gute Leserkritiken, aber da haben sich die Rezensenten wohl vom Clou der Geschichte beeindrucken lassen. Ich will nicht verraten, worin der besteht. Wer den Film „The Prestige“ kennt, hat die wesentlichsten Schlüssel schon in der Hand, obwohl der Film nicht nur keine 1:1-Umsetzung des Buches darstellt, sondern vieles drastisch vereinfacht und sogar gravierend umstrickt.

Was ist gut an dem Buch? Sicher nicht die deutsche Übersetzung, die wirkt, als habe sie schnell erfolgen müssen, weil Heyne das Buch halbwegs pünktlich zum Film auf den Markt bringen wollte. Vielleicht sind auch einfach nur Lektorat und Korrektorat angesichts des Termindrucks auf der Strecke geblieben. Gelegentlich als gute Idee bezeichnet, aber in Wirklichkeit auch nicht hervorhebenswert die Struktur des Buches: Es besteht aus einer Art Rahmenhandlung und zwei umfangreichen „Tagebüchern“ der Meistermagier Alfred Borden und Rupert Angier, die mehr oder weniger schlicht aneinandergereiht sind. In den Tagebüchern wird die Fehde begründet, die Bordens und Angiers Schicksal aneinanderbindet. Die Fehde wird beschrieben, es werden die Biografien skizziert und vor allen Dingen werden die ungeheuerlichen Geheimnisse der beiden Magier enthüllt. Der Film macht hier konsequenterweise Schluss, das Buch dagegen spinnt – nein: zerrt noch ein paar Fäden in die Gegenwart, also in die Rahmenhandlung hinüber, und ringt sich verkrampft zwei, drei weitere Rätsel ab, die mehr oder weniger gelöst werden, was mich als Leser allerdings herzlich wenig berührte, weil mich die Figuren, um die es dabei ging, nicht berührten.

Die Tagebücher machen den Hauptteil des Romanes aus. Zum Glück, denn sie sind flüssig lesbar, so dass man durch diese langen Passagen recht gut „durchkommt“. Diese Geschichten spielen um 1900 und sind in einem betulichen, ausufernden, fast palavernden Stil verfasst, der nach dieser Zeit klingen soll. Ein Kniff, der durchaus Witz hat, besteht darin, dass Borden und Angier die Fehde jeweils aus ihrer Sicht beschreiben, so dass das der Schwarze Peter irgendwie dazwischen in der Luft hängt, weil beide – es ist schließlich in Tagebuchform geschrieben – den Eindruck erwecken, an ihnen hätte es nicht gelegen, dass der Konflikt so eskalierte. Aber da ist auch schon ein Haken: Diese zwei Seiten-Idee verpufft etwas durch den großen „räumlichen“ Abstand. Als ich im zweiten, im Angier-Buch von einer Begebenheit las, musst ich nicht selten vorblättern, um zu finden, zu welcher Borden-Episode sie gehört. Da aber oft genug Borden von Dingen erzählt, die Angier nicht erwähnt, und umgekehrt, entpuppte sich das rasch als nicht nur ärgerlich, sondern sehr ärgerlich. Also ließ ich es, mit dem Ergebnis, dass diese Dinge den Charakter beliebigen Füllmaterials annahmen. Wie übrigens vieles andere auch – angefangen von Ortsbeschreibungen und Reiserouten über Trick-Erklärungen und den größten Teil des Tesla-Passage bis hin zu den zahlreichen Randfiguren, die blutleer auftauchen und ebenso blutleer wieder in den Kulissen versinken. Trotzdem sind die Tagebücher noch der mit Abstand beste Teil des Romanes, da hier zumindest ansatzweise so etwas wie Charakterzeichnung geschieht und sich eine (abgesehen von den bewussten Irreführungen) nachvollziehbare Handlung ergibt.

Die mit einer Ausnahme im Heute spielende, dreigeteilte Rahmenhandlung dagegen ist indiskutabel schlecht. Sie beginnt damit, dass Journalist Andrew Westley zum Caldow-Haus in England fährt, weil in den dortigen Räumen einer Sekte ein Typ auftauchte, der zeitgleich erwiesenermaßen in Amerika im Gefängnis saß. Der Tipp kam von der in einem Seitenflügel des Hauses lebenden Katherine Angier, auf die Westley auch rasch trifft. In Ermangelung eines echten Plots lässt Priest die beiden sich unterhalten, bzw. behauptet, sie täten es, und lässt das Ganze dann in einer kruden „Rettungsaktion“ gipfeln, deren Ziel mir nicht ganz klar wird und über deren Ausgang ich mich auch nach nochmaligem Lesen im Unklaren gelassen sehe. Schon der Anfang dieser Rahmenhandlung strotzt vor Ungereimtheiten und zu vielen Stilblüten, als dass ich es mit „Kann passieren“ übergehen könnte. Die Erzählperspektiven wechseln ziemlich willkürlich, gerade so, als hätte der Autor die für ihn gerade am leichtesten zu handhabende Variante benutzt. Es gibt logische Unstimmigkeiten von der Stilblüte bis zum Plot-Fehler. So beschreibt Westley zum Beispiel das Gefühl einer innigen mentalen Verbindung zu seinem offiziell nicht existenten Zwillingsbruder und erklärt, er könne es nicht in Worte fassen, um kurz darauf eben das zu tun: Er fasst die Empfindung in Worte. Oder: Zu seiner Abneigung gegen den Namen Borden – er ist ein geborener Borden – gibt es zwar eine Erklärung, aber die macht die Gefühle in dieser Vehemenz nicht mal ansatzweise glaubwürdig, zumal diese innerhalb weniger Zeilen sich von purem Desinteresse zu ziemlicher Gereiztheit steigern.

Und Katherine Angier? Da wird es noch schlimmer: Es wird zwar behauptet, dass sie leidet, aber dies erscheint eher eine allgemeine Weinerlichkeit als durch die beschriebene traumatische Erfahrung hervorgerufen zu sein. Kate bleibt selbst dort, wo Westley sie als „Sexobjekt“ ins Visier nimmt (ohne dass das irgendwann zu irgendwas führen würde, wie so viele, ach was: die meisten Ansätze der Rahmenhandlung) und auch Westleys Aussehen und Charakter bleiben weitgehend im Dunkeln. Sie spielen auch keine Rolle, denn in Wirklichkeit geht es weder um ihn noch um Kate oder gar um ihre Beziehung zueinander, sondern nur um eine Menge zusätzlicher Fäden, die von der Tagebuch-Zeit ins Heute führen und so tun, als würde der Roman die Auswirkung der alten Fehde auf die Nachfahren der Duellanten beleuchten.

Statt dessen wird dieses Netz nur durch eine Vielzahl von Hinweisen angedeutet, sozusagen entworfen. Statt, wie ein gutes Buch es bieten würde, dieses Netz zum Hintergrund einer spannenden Handlung mit interessanten Figuren zu machen, konzentriert sich der Autor darauf, sein sorgsam ertüfteltes Gewebe zu verschlüsseln. Wie es genau aussieht, das muss sich der Leser dann selbst zusammenpuzzeln, und dies wiederum steht (auch durch die Lücken, die man nur mit Vermutungen füllen kann) im krassen Gegensatz zu den ausufernden Tagebüchern. Ich gebe zu, es ist ein so komplexes, so verwirrendes Gebilde, dass es eine riesige Herausforderung an jeden Autor darstellt. Ich kenne die Schwierigkeiten solcher Strukturen, die man kaum anders als durch solche Hinweise beschreiben kann, wenn man sie nicht in Exposee-Form – also nicht-erzählend – aufdröseln will. Dass Priest allerdings schon an der simplen Charakterisierung der Figuren und an ihrer Glaubwürdigkeit gescheitert ist, ist damit nicht zu erklären.

Was also ist gut an dem Buch? Die Idee. Die flüssige Erzählweise der Tagebücher. Und? Nichts und. Wem das reicht, dem sei das Buch empfohlen. Wem das nicht reicht, der kann nach der Lektüre wenigstens mitreden.

Christopher Priest: „The Prestige – Meister der Magie“
Deutsch von Michael Morgental
Heyne-Verlag (Januar 2007)

Christopher Priest
The Prestige – Die Meister der Magie
Grandioses Duell zweier Magier – ein literarischer Fehlschlag
ISBN:3453522117
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PolyPlay

PolyPlay

3. April 2000: Oberleutnant Kramer wird zu einem Tatort gerufen – ein 16-Jähriger liegt mit zertrümmertem Schädel vor einem Computerspielautomaten in einem Jugendclub. Die Stasi lädt Kramer ein und in Gegenwart von Markus Wolf erzählt man ihm was von politischen Dimensionen… Tja, so hätte es kommen können, wenn Ende der 80er Jahre die BRD tief in einer Wirtschaftskrise versackt und an einem Miltärputsch zerbrochen wäre, während im Osten der Müller-Lohmann-Prozess für sagenhaft günstige Energie und damit rasanten Aufschwung gesorgt hätte…

Beginnen wir die Betrachtung des Textes mit dem Schlechten: Klammern gehören nicht in einen erzählenden Text (vor allem nicht so gehäuft); ich glaube nicht, dass in der DDR und in Berlin jemals Leichen rumgelegen sind (sondern rumgelegen haben); ich erinnere mich nicht, dass es in der DDR Schulbuben gab (nur Schuljungs); die Ineinandersteck-Puppen heißen Matrjoschkas und nicht Babuschkas; und warum Kramer sich als Kind die Trickserie mit dem Kleinen Maulwurf im Westfernsehen anschauen musste, obwohl es auch im Osten lief, entzieht sich meiner Vorstellungskraft.

Damit wäre dieser Punkt abgehakt und ich kann mit dem Lob weitermachen. Und zwar mit viel davon. Da wäre zum einen ein ganz und gar glaubwürdiger Parallelwelt-Entwurf. Bar jeder Sentimentalität – bei einem westdeutschen Autor nicht verwunderlich – und bar jeder „Osten = schlecht / Westen = gut“-Propaganda – bei einem Westdeutschen eher ungewohnt. Ich habe selten… Nein: Ich habe noch nie eine so realistische Kurzanalyse der Vorwendesituation in der DDR gelesen, wie in diesem Buch.

In derselben Qualität erschuf Hammerschmitt auch seine Figuren: Nicht stereotyp und dennoch deutlich durch ihre jeweilige Rolle und Position geprägt. Lebendig eben.

Die Handlung läuft von Episode zu Episode: Nichts passt zusammen und immer, wenn Kramer einem Beweis nahe ist, der seine vagen Ahnung eventueller Zusammenhänge stützen soll, wird ihm dieser Beweis entrissen. Dafür werden ihm andere Beweise vor die Füße gelegt, die neue Zusammenhänge andeuten, und wenn er sich denen auf der Spur wähnt – schwupp, ist auch dieser Beweis futsch.

Erzählt wird das Ganze in einer kraftvollen, farbigen aber schnörkellosen, orginellen Sprache. Es wirkt fast wie ein hochangereicherter Extrakt. Aufs Wesentliche konzentriert, nichts daran ist langatmig oder langweilig. Ich habe – selbst als ich am Ende doch etwas unbefriedigt die Lösung des Ganzen zur Kenntnis nahm – bis zur letzten Zeile unangestrengt aber aufmerksam gelesen.

Apropos Lösung: Die ist dergestalt, dass die oben erwähnten DDR-Irrtümer vielleicht gar keine des Autors sind… Wie das sein kann? Selber lesen!

Marcus Hammerschmitt
PolyPlay
erschien 2002 in der Reihe
Social Fantasies des
Argument Verlag • Hamburg • Berlin

Marcus Hammerschmitt
PolyPlay
Ein Kriminalfall in der vereinigten DDR im Jahr 2000… und eine unglaublich dichte Sprache.
ISBN:3886199746
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Das Zeitpuzzle

Das Zeitpuzzle

Ich tue mich schwer mit diesem Buch. Denn eigentlich mag ich Geschichten, am liebsten Geschichten über Menschen. Und beides ist das Zeitpuzzle nicht. Andererseits mag ich die Eröffnung von Möglichkeiten, Gedanken über „die Dinge dahinter“. Und dies bietet das Zeitpuzzle. Reichlich. So reichlich, dass es schon wieder schwierig wird, alles als Teil eines gemeinsamen Bildes zu akzeptieren. Wahrscheinlich ist es auch nicht wirklich so gemeint, warum sonst sollte der Autor es noch im selben Buch wieder in Frage stellen.

Aber fangen wir von vorn an: Es geht um einen scheinbar unsterblichen Grafen. Besser gesagt darum, dass der Held des Buches diesem Grafen in regelmäßigen Abständen immer wieder begegnet – und zwar nicht unbedingt in kalendarisch exakter Abfolge. Nein, eigentlich geht es darum, dass der Graf dem Helden ziemlich krude Geschichten über uralte Verschwörungen, atlantische Klon-Technologie, Bergkristall als Speichermedium für Bewusstsein, Zahlenmagie und dergleichen Dinge mehr erzählt. Oder es geht vielmehr darum, ob das nur gesponnen ist oder ob die augenscheinlichen Beweise echt sind. Oder wenigstens ein paar davon. Und wenn ja, welche. Was in diesem Mix aus Traum, Behauptungen und Erfahrungen real ist. Was also darf der Leser als feststehend annehmen? Den Grafen. Den Helden. Die Begegnungen der zwei. Oder vielleicht doch nur die bunte Literaturliste am Ende des Buches, die von Stephen Hawking und Werner Heisenberg über Angela & Karl-Heinz Steinmüller bis zu „Faust 1“ und „Die Macht der Zahl“ von Dudley und Underwood reicht – quer durch alle Gebiete, die irgendwie nichts miteinader zu tun haben. Oder doch miteinander zu tun haben?

Apropos Faust: Im Zeitpuzzle geht es schon ein wenig zu wie bei Faust 2: Dem Helden – und mit ihm dem Leser – werden Bilder vor die Augen gehalten, die er nicht nur nicht sehen will, sondern die ihn eigentlich auch nicht interessieren. Die ihn aber irgendwie dann doch interessieren, denn was so hartnäckig gezeigt wird, an dem muss doch was dran sein. Oder doch nicht. Oder wie oder was…

Der Versuch, auf 134 Seiten einen Blick hinter die Kulissen der Weltgeschichte zu werfen, den Kern von uralten Mythen zu finden und nebenbei – nebenbei? – ein paar methaphysischen Ideen den Status unentdeckten Wissens zu verleihen, ist sicher gewagt. Noch gewagter finde ich, es als Sammelsurium zu lassen, es eben nicht in eine stimmige Geschichte zu fügen. Es als Häufung von Puzzlesteinen vor dem Leser auszukippen und ihm zu überlassen, was er sich daraus für ein Bild macht. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt…

Wer Geschichten mag, für den ist das Buch nichts. Wer Antworten sucht, für den ist das Buch auch nichts. Aber wer gern fragt und den glasklaren Dingen unserer Welt ohnehin nicht so recht traut, für den ist das Zeitpuzzle ein wahres Schatzkästchen. Und deshalb empfehle ich es. Trotzdem.

Kai Beisswenger
Das Zeitpuzzle
Was der Graf erzählt, klingt absurd. Aber immerhin scheint er tatsächlich unterblich zu sein…
ISBN:3935982240
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Quest

Quest

Nach eigener Aussage hat Andreas Eschbach zu „Quest“ unfreundliche, zum Teil bösartige eMails bekomen. Andererseits liegt das von ihm als Stückchen für SF-Liebhaber gedachte Werk inzwischen in der siebenten Auflage vor, hat also die SF-Leser-Szene offfenbar längst verlassen.
Nun mögen diese beiden Dinge die äußersten Extreme der Reaktionsskala sein – wundern kann ich mich über darüber nicht.

Ich habe das Buch mit Vergnügen gelesen und blieb am Ende unbefriedigt. Ich habe mich an den ausufernden Beschreibungen bizarrer Welten ergötzt und das Gefühl gehabt, die Handlung leide darunter. Ich habe die Lebendigkeit der Dialoge bewundert und gelegentlich den Überblick verloren, wer da gerade was sagt. Ich habe die Kraft der „Da ist ein extrem charismatischer alleinherrschender Captain“-Konstruktion genossen und mich gefragt, ob dieser Captain Eftalan Quest tatsächlich so präsent ist, wie Eschbach behauptet. Ich habe die (meisten) Figuren spüren können und war doch (bis auf wenige Ausnahmen) keiner von ihnen je nah. Ich wusste, dass es so enden musste, und war enttäuscht, dass die Handlung einfach so – ohne einen „Knall“ – in dieses Ende hineinplätscherte.

Worum geht es? Es geht um Eftalan Quest, der – schwer erkrankt – Gott sucht. Auf dem Planeten des Ursprung soll dieser zu finden sein und Quest bricht jede denkbare Regel, jedes Gesetz, nur um dorthin zu gelangen.

Aber das ist nicht das, was ich gelesen habe. Ich sah Schlaglichter auf eine jedem Fantasy-Epos Ehre machende Welt. Manches hob sich deutlich ab – der Tempel, in dem alles Wissen lagert zum Beispiel. Manches gab sich undurchsichtig – die politischen Verhältnisse jenes Universums blieben mir verschlossen, waren vage angedeutet und erfüllten offenbar nur den Zweck, Quests Entschlossenheit zu illustrieren, der die – angeblich – machtvollen Strukturen unterläuft, um zu seinem Ziel zu gelangen.

Vor allem aber sah ich Menschen. Und das in Eschbach‘scher Plastizität und Glaubwürdigkeit. Zum Teil und streckenweise zumindest. Quest beispielsweise bleibt bis zum und bis auf den Schluss uninteressant, obwohl er der Auslöser des Geschehens ist. Seine Geliebte ist wunderbar zart und stark, vernünftig und ihrem Gefühl ausgeliefert gezeichnet – unglaublich nah an dem, was ich für einen hochinteressanten Charakter halte. Dass sie im Interesse des – irgendwann hoffentlich folgenden – literarischen Fortgangs sterben musste, war (mir) klar. Aber ich hätte ihr ein doch etwas spektakuläreres Ende als einen simplen Leiter-Absturz „gegönnt“. Andererseits: Die allermeisten Leben enden unspektakulär…

Smeeth, der ominöse schwarze Mann, der immer mehr weiß, als irgendwer sonst, entwickelt sich schon bald nach seinem Auftauchen zum eigentlichen „Helden“ – doch er tritt dem Leser mit der selben Unberührbarkeit entgegen wie den Roman-Figuren. Seine in Jahrhunderten erworbenen Erfahrungen heben ihn über die anderen, geben ihm die – begründete (? – interessantes Thema!) – Egozentrik eines Gottes. Er weiß alles und kann alles, denn es gibt nichts, was er nicht schon mal gesehen oder erlebt hätte. Irgendwann wird es – so hoffe ich – eine Geschichte geben, die auch Smeeth menschlich zeigt…

Und dann ist da noch Bailan, der Junge, der erstmals in die Welt hinausstolptert und doch schon weiser ist, als viele andere an Bord. Und die Tiganerin, in die er sich verliebt und der – wenigistens ihr! – ein Happy End hätte gegönnt werden können.

Am Ende findet Quest seinen Gott. Ob er „echt“ ist, lässt Eschbach ohne jeden Hinweis offen. Die Menschen, deren Weg sich bei dieser Queste berührten, durchdrangen und verwoben, gehen weiter. Selbst die Toten bleiben als Erinnerung Teil des Lebens in jenem Universum…

„Quest“ ist eine klassische Space-Opera. „Quest“ ist ein Buch über Menschen. „Quest“ ist ein Schlaglicht darauf, wie das Leben eben so ist. „Quest“ ist phantastisch, ist grundsatz-philosopisch und individuell-lebensanschauend, ist bizarr und ganz und gar normal. Und vor allem ist es – egal, ob man Erwartungen gern oder ungern unerfüllt bleiben sieht – in erwartungsgemäß brillanter Sprache geschrieben.

Am 21. 9. 2002 konnte Andreas Eschbach in Leipzig den Kurd Lasswitz Preis der Kategorie „Bester deutschsprachiger Science-Fiction-Roman mit Erstausgabe von 2001“ entgegennehmen.

Andreas Eschbach
Quest
SF für Fantasy-Freunde und Leser, die Menschen treffen möchten. Ein Buch, das erwartungesgemäß Erwartungen nicht erfüllt. Ein Blick auf Leben.
ISBN:ISBN:3453187733
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Nexen

Nexen

Eine gänzlich neue Idee zum Thema, wieso die Saurier ausstarben, wozu wir Menschen da sind und wieso die Inquisition so Unrecht nicht hatte, präsentiert Bodo Kroll in seinem Buch „Nexen“. Um die Geschichte in Gang zu bringen, schickt er mal eben ein Kristallpilz-Bewusstsein in einen Menschenkörper. Dessen Seele soll während der Mission eigentlich nur „zwischengelagert“ werden, aber etwas geht schief.
Es geht überhaupt eine Menge schief in diesem Buch: Die Nexen – eine sich aggressiv vermehrende Spezies – vergessen, wo sie ihre Larven abgelegt haben, der Galaktische Jäger – der das Universum von den Nexen befreien will – stürzt ab, das Kristallpilz-Bewusstsein stirbt, der Menschenkörper stirbt, das Jäger-Bewusstsein stirbt, jede Menge namenlos bleibender Menschen sterben. Pläne gelingen nur augenscheinlich und dann wendet sich doch alles irgendwie zum Guten und gleich darauf wieder zum Unguten. Retter müssen grettet werden und versagen beim Retten der zu Rettenden…

Was hier so aufregend und hektisch klingt, wird dann jedoch in einem seltsam unspannenden Stil dargeboten. Nahezu die gesamte erste Hälfte des Buches braucht Kroll beispielsweise dazu, die Figuren zu platzieren.
Ab dann aber überstürzen sich die Ereignisse. Doch sie tun es auf eine sehr unsinnliche Weise: Kroll sagt, zählt auf, wiederholt hunderte Male längst Geklärtes. Vor allem aber stellt er Behauptungen auf, die der Leser mangels textlichem Beweis oder Gegenbeweis hinnehmen muss.

Zum Beispiel: Beim Abschluss einer Art Übereinkunft zwischen dem Ich-erzählenden Menschen, der inzwischen im Jäger-Körper steckt, und den Nexen, sagt sich der Mensch/Jäger, er habe schon oft erlebt, dass man den Nexen nicht trauen kann. Zum ersten: Wer den bisher als extrem egoistisch bezeichneten Nexen traut, muss blöd sein – ihnen nicht zu trauen ist also kein Zeichen von Cleverness sondern von durchschnittlicher geistiger Gesundheit. Zum zweiten: An keiner Stelle im Buch – vor dieser Feststellung – ist je die Rede davon, dass die Nexen den Jäger (bei einem Vertrag) übers Ohr gehauen hätten. Vom Menschen ganz zu schweigen – der kannte die Viecher vorher noch nicht mal!

Von solchen offensichtlichen Erzähl-Fehler einmal abgesehen: Die Figuren bleiben seltsam blass. Ihnen werden zwar Gefühle nachgesagt, doch die werden nicht sichtbar. Action ist der Daseinszweck der Figuren und darauf sind sie letztlich auch reduziert. Das Entsetzen, den Tod des eigenen Körpers oder den von Freund gewordenen Wesen zu sehen, beispielsweise wird in zwei, drei Zeilen abgetan. Selbst der Untergang der Menschheit wird zwar Katastrophe genannt, doch als solche einfach nicht fühlbar.

Das gesamte Buch ist durchzogen vom Eindruck der Nicht-Kontrolle. Pläne und Gegenpläne und Zufälle mischen sich zu einem Strudel von Ereignissen, in dem die Figruen hin und her geworfen werden. Selbst dem Autor entgleitet die Kontrolle offenbar etwas: Der Gute (Mensch/Jäger) gewinnt bei jedem Schachzug, den wir als Leser beobachten können. Da es aber am Ende schlimm ausgehen muss, kriegt der Leser schnell gesagt, dass im Hintergrund – also unsichtbar – die Bösen sich nicht an die Spielregeln hielten und Peng! war der Gute nicht mehr der Spielmacher sondern plötzlich nur eine Spielfigur im Plan der Bösen. Und weil das Ende dann offenbar doch nicht endgültig sein sollte, greift Kroll zum Kunstkniff „Parallel-Realitäten“ und siehe da: Es ist wieder alles offen! Da hat sich nun der Leser durch die ganze bizarre Handlung gekämpft und dann wird durch diesen Streich die Handlung – und damit auch unsere Mühe, ihr zu folgen – für (nahezu) nichtig erklärt: All dies ist/war gar nicht relevant für uns – in unserer Realität kann alles ganz ganz anders kommen…

Der gesamte Text wirkt wie der – wenn auch schon recht fortgeschrittene – Entwurf eines Romanes, wie der Hintergrund für etwas, was interessant sein könnte. Dass es in diesem Buch zudem an Rechtschreibmängeln, unfertig korrigierten Sätzen, absurden Absätzen und dergleichen verlegerisch und satztechnisch inakzeptablen Fehlern nur so wimmelt, komplettiert das Bild von Unfertigkeit.

Wer Action und SF-Ideen mag und über Form- und Erzählfehler hinwegsehen kann, für den ist „Nexen“ brauchbares Ideenfutter – immerhin war „Nexen“ für den diesjährigen Kurt-Laßwitz-Preis nominiert. Wer Vergnügen am Lesen sucht, sollte aber doch zu den Gewinnern des Preises greifen…

Bodo Kroll
Nexen
Faszinierende Idee zur Herkunft der Menschen. Interessanter Plot. Flacher Text.
ISBN:3897742047
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Die Haarteppichknüpfer

Die Haarteppichknüpfer

Obwohl schon 1995 erschienen – und 1996 prompt mit dem Literaturpreis des Science Fiction-Clubs Deutschland bedacht – ist dieser Erstling des inzwischen bekannten Autors noch immer großartig…

Eine ganze Kultur widmet sich der Aufgabe, Teppiche aus Menschenhaar zu fertigen. Ein Leben ist gerade lang genug, einen Teppich zu knüpfen, ein Sohn gerade genug, die Tradition fortzuführen. Viele Töchter dagegen sind erwünscht – als Haarlieferantinnen. Karawanen ziehen über den Planeten, die fertigen Haarteppiche aufzukaufen. Die Lebenswerke werden dann in Raumschiffe verfrachtet und fortgebracht. Zum Kaiser. Tausende Haarteppiche, Millionen seit Beginn dieser Kultur. Und alle sind sie für den fernen Palast bestimmt.

Sind sie das?

Das Buch beantwortet die Frage und die Antwort ist so entsetzlich, dass sie sich dem Leser einbrennt.

Doch bis er sie bekommt, erfährt er in Erzählungen von Haarteppichknüpfern und Haarteppichhändlern, von Räubern und Raumfahrern, von einem Archiv fast magischen Alters und von einem Palast, dessen Scheiben im Lauf von Äonen schon längst zu Boden geflossen sind.

Es sind meisterhaft erzählte Geschichte, und selbst wenn „nichts passiert“ eilt man gierig durch die Zeilen, gierig nach noch mehr Worten und Bildern wie diesen, und am Ende…

…am Ende schließt sich ein Kreis, der mit den Haarteppichen begonnen hat, und der dennoch von etwas ganz anderem handelt. Von Menschen.

Obwohl schon 1995 erschienen – und inzwischen in drei Fremdsprachen übersetzt – sind die „Haarteppichknüpfer“ von Andreas Eschbach noch immer und immer wieder empfehlenswert.

Andreas Eschbach
Die Haarteppichknüpfer
Zu recht prämiert: SF im Fantasy-Ton mit so realistischen Menschen, dass es tief erschüttert.
ISBN:3453133188
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