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Schlagwort: Philosophie

Pascal Mercier: Das Gewicht der Worte

Pascal Mercier: Das Gewicht der Worte

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Inkarnation eines Lebens im Bereich von Philosophie und Dichtung

Im folgenden Roman geht es um die Liebe zur Literatur und um Sprachen im weitesten Sinne.

Die Geschichte von Simon Leyland beginnt, als er gerade nach London zurückgekehrt ist, wo er das Haus eines Onkels geerbt hat. Wer Bücher liebt wird alsbald im Helden des Romans einen leidenschaftlich Literaturbesessenen finden. Er hat bereits einen Teil seines Lebens hinter sich, als er nach einer neuen Lebensstruktur sucht.
Als Junge hatte er die Schule verlassen und ist aus seinem Elternhaus in Oxford geflohen. In London verdingt er sich zum Ärger seines Vaters, eines angesehenen Wissenschaftlers, als Nachtportier in einem mittelklassigen Hotel. Sein Ziel sind „Wörter“.

Früh ist er dem Reiz von „Sprache“ verfallen. Hier scheint er seinem Schöpfer Pascal Mercier sehr ähnlich zu sein. Leyland will alle Sprachen lernen, die rund ums Mittelmer gesprochen werden. Neben seinem Job bemüht er sich erfolgreich, diesem Ziel nahezukommen. Es gelingt, und nach ersten Übungen verdient er sich seinen Unterhalt als Übersetzer.

Im weiteren Verlauf der Geschichte führt ihn sein Weg nach Triest, wo seine Frau Livia einen Verlag geerbt hat.

Durch eine Fehldiagnose war er vorübergehend ganz aus der Bahn geworfen worden. Sie hatte ihn mit seinem Lebensende konfrontiert.

Pascal Mercier lässt in seine Geschichte Wahrheiten und philosophische Erkenntnisse einfließen, die den Lebenslauf des Helden der Geschichte beleuchten.

Es gibt eine Handlung, und es gibt viele Personen, die in Leylands Leben eine Rolle spielen. Seine verstorbene Frau, seine erwachsenen und liebevoll ihm zugewandten Kinder,
Schriftsteller und Verleger, eine jede Figur hat ihren Platz in diesem Roman.
Personen geraten in Beziehung zu einander, sie verändern sich, und man befindet sich zuletzt auch im Roman fast am Ende des Lebens von Leyland. Er sucht den Weg zu einer eigenen Erzählung, um Schriftsteller zu werden.
Für den Leser wird es schwieriger, Fiktion und Wirklichkeit, den Roman im Roman, auseinander zu halten. Leyland erkennt, dass sich die Gedanken seiner Romanfigur, des pensionierten Lehrers Fontaine, mit seinen eigenen Gedanken vermischen: „Ich mache keine neuen Erfahrungen mehr mit mir“ lässt Leyland ihn sprechen oder „Meine Seele ist meines Lebens überdrüssig“.

Eines verbindet alle Personen in diesem Roman: Sprache, Wörter und die Faszination der Literatur in allen Formen.
Weisheiten und Reflexionen bieten vielfältige Angebote, sich selber mit philosophischen Fragen des Seins zu beschäftigen.

Pascal Mercier, pensionierter Philosophieprofessor der FU in Berlin, hat bereits mit seinem Roman „Nachtzug nach Lissabon“ und unter seinem richtigen Namen Peter Bieri „Eine Art zu leben“ Furore gemacht.

Sein neues Buch ist ebenso faszinierend wie einfühlsam geschrieben. Leyland steht für die hoch sensible Reflexion einer langen Lebensbetrachtung.
Pascal Mercier zeigt sich erneut als außergewöhnlicher Erzähler, den die Leidenschaft für Sprache, Wörter, Dichtung und Philosophie tief durchdrungen haben.

Pascal Mercier
Das Gewicht der Worte
576 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, 2. Auflage, Januar 2020
ISBN-10: 3446265694
ISBN-13: 978-3446265691
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J.M. Coetzee und Arabella Kurtz: Eine gute Geschichte

J.M. Coetzee und Arabella Kurtz: Eine gute Geschichte

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In einem partnerschaftlich-schriftlichen Dialog tauschen sich der Schriftsteller J.M. Coetzee und die Psychoanalytikerin Arabella Kurtz aus über das Leben und die Geschichten von Menschen oder die von Autoren erdachten Erzählungen.

Es geht um die Wahrheit und die subjektiven Sichtweisen in der Betrachtung der Erinnerung von Vergangenheit und Gegenwart.

In einem diffizilen Unterfangen entsteht auf diese Weise ein psychologisch-philosophischer Gedankenaustausch.

Schon in dem berühmten japanischen Film „Rashomon“ aus dem Jahr 1950 konnte man erfahren, wie dem Phänomen eines „philosophischen Diskurses über die Existenz der objektiven Realität“ (Wikipedia) nachgegangen wurde.

Ähnlich wie in dem Film geht es um die Wahrheit, die der subjektiven Sichtweise des Einzelnen entspricht. Ein Autor kann sich Geschichten ausdenken, die den Erfahrungen aus dem Leben entnommen zu sein scheinen. Doch er ist frei, zwischen Fiktion und Lebenserfahrung zu pendeln. In der Psychoanalyse aber geht es um die subjektive Wahrheit eines Klienten. Wie erinnert er seine Kindheit und Jugend? Und wie verändern sich Erinnerungen mit den Jahren? Was und wen macht einen Menschen zu dem, der er heute ist?

In dem schriftlichen Austausch der beiden Autoren werden Erkenntnisse aus theoretischer und praktischer Erfahrung angesprochen. Der Leser fühlt sich unwillkürlich einbezogen in die Gedanken des Erinnerns. Wie weit lassen sich die hier gewonnenen gedanklichen Anregungen mit den eigenen Erfahrungen in Verbindung bringen?

Selbstverständlich ist das Buch keine Anleitung zu einer Selbstanalyse. Doch weisen die philosophischen Exkurse den Weg, sich mit dem eigenen Erinnern zu befassen. Dabei wird man nach längerer Betrachtung zu der Einschätzung kommen, dass jeder Mensch je nach Herkunft, Umgebung und sozialen Bedingungen zu einem Denken und Handeln kommt, das seiner eigenen absoluten Wahrheit über Ursache und Wirkung entspricht. Je länger man sich mit den angesprochenen Themen befasst, desto umfangreicher wird die Einsicht über subjektive Erfahrungen, die unser politisches, kulturelles und soziales Leben mitbestimmen.

In der Psychoanalyse geht es u.a. auch um das Verdrängte und Vergessene. Diese ins Bewusstsein zu holen, macht einen Teil der Arbeit mit Klienten aus.

In einem Exkurs kann man etwas über die Kinderanalytikerin Melanie Klein und ihre Theorie der Entwicklung von Subjet-Objektbeziehungen erfahren.

Beide Dialogpartner bewegt die Frage, wie weit kollektives Denken zu gutem oder bösen Verhalten beiträgt. In einer Vielzahl von Beispielen werden diese Fragen reflektiert.

Insgesamt ist das Werk eine Auseinandersetzung mit dem Denken und Handeln, das unter welchen Bedingungen wie und wo zu beobachten ist.

In seinen theoretischen und praktischen Dimensionen gibt der Dialog Anregung zum Nachdenken und Reflektieren unterschiedlicher Werte und Verhaltensweisen je nach dem, in welcher Kultur oder in welchem gesellschaftlichem Umfeld wir uns bewegen.

Ein jeder von uns wird geprägt durch Vergangenheit und Gegenwart. Insofern könnte man die Diskussion ohne Ende fortführen.

J.M. Coetzee
Arabella Kurtz
Eine gute Geschichte
256 Seiten, gebunden
S. FISCHER, Oktober 2016
ISBN-10: 3100025482
ISBN-13: 978-3100025487
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Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungslosigkeit

Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungslosigkeit

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Betrachtungen mit philosophischem Hintergrund.

Milan Kundera hat uns 15 Jahre auf seinen neuen Roman warten lassen. Der letzte erschien im Jahr 2000 unter dem Titel “Die Unwissenheit.“ Am bekanntesten ist der Roman von der „…unerträglichen Leichtigkeit des Seins“. Wie die Titel seiner Werke schon erkennen lassen, sind seine Erzählungen durchdrungen von tiefenpsychologischen und philosophischen Fragen über das Wesen des Menschen und seiner Abgründe.

In seinem neuen Roman begegnen wir vier Freunden unterschiedlichen Alters, die sinnierend ihrem Alltag nachgehen.

Der eine und andere spaziert durch den Jardin du Luxembourg in Paris; Charles, einer der Haupterzähler, amüsiert mit Anekdoten aus dem Leben Stalins; Alain denkt über die Beziehungen zum weiblichen Geschlecht nach, Caliban, der Schauspieler, schlüpft gerne in fremde Rollen. Ramon schließlich, der Älteste von allen, sieht dem Treiben seiner Freunde zu. Ihre Gespräche zielen immer auf Fragen nach dem tieferen Sinn des Lebens, sind zuweilen schwierig meist jedoch leicht und humorig in ihrer Diktion. Wie tief ihre Gedanken bei ernstem Hintergrund verweilen, besagen Aussagen wie diese, die Charles aus einem Buch von Chruschtschow zitiert:

“Die Zeit rennt. Dank ihr sind wir zunächst Lebende, was bedeutet: Angeklagte und Verurteilte. Dann sterben wir und bleiben noch ein paar Jahre bei denen, die uns gekannt haben, aber sehr bald folgt eine andere Veränderung: Die Toten werden alte Tote, niemand erinnert sich mehr an sie, und sie verschwinden im Nichts; nur einige, sehr, sehr wenige, hinterlassen ihren Namen in den Gedächtnissen, verwandeln sich jedoch, ohne jeden authentischen Zeugen, jede echte Erinnerungen, in Marionetten….“

Um Alains Geburt gibt es ein Geheimnis. Die imaginären Gespräche mit seiner Mutter, die ihn gleich nach seiner Geburt verlassen hat, führen zu der Erkenntnis, dass Geborenwerden und Sterben nicht unserem Willen unterworfen sind. Auch die Individualität des Menschen unterliegt eigenen Gesetzen; ist sie vielleicht nur eine Illusion?

Die vorgetragenen Thesen spiegeln zahlreiche Fragen, mit denen sich unsere Helden beschäftigen.

Ein wenig schaut die Sinnlosigkeit aus allen Ecken, und doch hört man dieses: wir leben! Als Tenor der Gespräche.

Selten habe ich ein so hintergründiges, tiefschürfendes und gelegentlich verrücktes Buch gelesen wie dieses.

Kundera bezieht sich in seinen Betrachtungen über das Leben auf Philosophen wie Schopenhauer, Hegel und Kant.

Die Handlung besteht aus Episoden. Zeit und Orte wechseln. Man erfährt aber genug, um von jedem einzelnen der Protagonisten einen Eindruck zu gewinnen. In den Gesprächen geht es immer wieder um die Frage unserer menschlichen Bedeutung für heute und immer. Als Fazit kann man konstatieren: wir haben keine!

Zuletzt ist es die Comédie Humaine im Sinne Balzacs, die dieser Roman zeigt: wir alle sind Spieler in dem großen Lebensspiel, in dem jedem seine besondere Rolle zugedacht ist.

Für anspruchsvolle Leser ist die Lektüre ein Gewinn!

Milan Kundera
Das Fest der Bedeutungslosigkeit
144 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, Februar 2015
ISBN-10: 3446247637
ISBN-13: 978-3446247635
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Peter Bieri: Eine Art zu leben

Peter Bieri: Eine Art zu leben

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Abhandlung über das Denken, Fühlen und Handeln im Kontext zur Würde des Menschen.

In Peter Bieris philosophischer Abhandlung geht es um die Würde des Menschen. Sie spielt in vielfachen Zusammenhängen eine gewichtige Rolle in unserem zwischenmenschlichen Leben. Der Autor will uns in seinem ausgezeichneten Werk die unterschiedlichen Zusammenhänge, in denen uns die Würde des Menschen beschäftigt, zugänglich machen.

Zu Beginn steht der Gedanke, dass die Würde des Menschen seine Selbständigkeit als Subjekt und seine Fähigkeit ist, über sein Leben selbst zu bestimmen. „Seine Würde zu achten, heißt, diese Fähigkeit zu achten.“ S. 346 „Sterben ist das Geschehen, in dessen Verlauf die Selbständigkeit eines Menschen verloren geht.“

Peter Bieri führt uns durch das ganze alltägliche Leben mit seinen Zumutungen und Glücksmomenten bis zum Ende des Lebens mit den Verlusten an selbständigem Handeln und möglicherweise Denken.

Wo beginnt und endet unsere Selbständigkeit? Wie erleben wir uns als Zuschauer, Opfer oder in unserem Selbst im Angesicht von Würde oder Unmenschlichkeit?

Anhand zahlreicher Beispiele aus der täglichen Beobachtung, aus Literatur, bekannten Theaterstücken oder Filmen gelingt es Peter Bieri, uns die Abhängigkeiten, Zufälle, die schicksalhaften Verstrickungen oder auch Identitäten zu erläutern, mit denen wir es in unserem oder im Leben unserer Nächsten tun haben.

In seiner Einführung spricht der Autor über sein Vorhaben und gibt zu bedenken, „ … wie vieles an den Rändern der Gedanken unklar und unsicher bleibt.“ Wie angenehm und sympathisch, dass hier einer sich nicht als Allwissenden präsentiert!

P. Bieri nimmt uns mit auf eine Gedankenreise, in der wir vieles an eigenem Erleben wiedererkennen und Klarheit über Gefühle und Irritationen erhalten, die unser Leben begleiten.

Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung, das Gefühl als ein „Selbst“ wahrgenommen zu werden und nicht als eine „Sache“, spielen eine ebenso große Rolle wie die Diskurse über Distanz und Nähe.

Alles zusammengenommen handelt es sich hier um Tiefendimensionen, die eine deutliche Nähe zwischen Philosophie und Psychologie offenbar werden lassen.

Würde, Selbstachtung, moralische Integrität, Wahrhaftigkeit, Achtung vor Intimität und nicht zuletzt Anerkennung der Endlichkeit, die den Schluss der Abhandlung bildet, sind die Merkmale eines rundum gelungenen Abrisses über das, was unser Leben ausmacht.

Wie in der Einführung ebenfalls bemerkt werden hier bekannte und erfahrene Ereignisse und Wahrnehmungen in Worte gefasst und in Zusammenhänge gebracht, die uns alltägliche Dinge klarer sehen und verstehen lassen.

Peter Bieri verfasste bereits unter dem Pseudonym Pascale Mercier seinen ebenfalls philosophisch gefärbten Roman „Nachtzug nach Lissabon“. Er lehrte an verschiedenen Universitäten, zuletzt an der Freien Universität in Berlin Philosophie.

Peter Bieri
Eine Art zu leben
384 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, 3. Auflage, August 2013
ISBN-10: 3446243496
ISBN-13: 978-3446243491
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David Foster Wallace: Der bleiche König

David Foster Wallace: Der bleiche König

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Wahrheiten und Reflexionen weit über den Alltag hinaus.

David Foster Wallace hat sich 2008 das Leben genommen. Er litt an unheilbaren Depressionen. Drei Jahre nach seinem Tod erschien in USA erstmalig sein nachgelassener Roman “Der Bleiche König“. Nun, weitere zwei Jahre später, ist der Roman auf Deutsch in der Übersetzung von Ulrich Blumenbach im Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienen.

Sich mit diesem Roman zu befassen, bedeutet eine gewaltige Herausforderung.
Alleine die Seitenzahl könnte abschrecken: 640 eng beschriebene Seiten, klein gedruckt und zuweilen über viele Seiten ohne Absatz, Rede oder Gegenrede.
Wäre DFW nicht zu Lebzeiten ein Kultautor gewesen, könnte man sich leicht dem Text verweigern.

Fangen wir jedoch mit dem Nachtrag des Herausgebers an.
Die Witwe von DFW, Karen Green, bat Michael Pietsch, den Nachlass zu sichten.
Hier fanden sich eine Vielzahl von Zetteln, Romanfragmenten und Notizen aller Art. Aus einem Konglomerat dieser Aufzeichnungen gelang es dem Herausgeber Michael Pietsch, einen Roman zu konzipieren, wie ihn DFW möglicherweise geplant hatte.

Worum geht es?
Im Jahr 1985 finden sich in einem IRS Regionalprüfzentrum in Peoria, Illinois, die Hauptfiguren in einem Stück, bei dem es um den Kampf im öden Alltag einer Steuerbehörde geht.
Hier finden Gespräche statt über Sinn und Unsinn unserer Welt und über die Regeln, unter denen wir zu leben haben, und die sich der homo sapiens selber gegeben hat.

Ob man mitten in einem Kapitel oder auf einer x- beliebigen Seite zu lesen beginnt: überall finden sich Fragmente von Gesprächen, Gedanken, Reflexionen und Taten der Protagonisten. Philosophisch hintersinnig erörtern sie das Wesen unseres Seins und Handelns. Z.B.: “Ich finde übrigens, dass sich Bewusstwerdung vom Nachdenken unterscheidet.“ S. 216

In langen, tiefsinnigen Ideenfolgen überdenken unser Held und seine Gegenspieler ihr Handeln, Denken und Tun unter dem Aspekt „Nachdenken oder Bewusstwerdung“ S. 218. Dabei fließen autobiographische Fragmente und gegenwärtige Erlebnisse in die Berichte ein, die der Veranschaulichung der oben genannten Fragen dienen.

Alles in allem ist dieser Roman fulminant in seiner Wucht, differenziert in seinen Betrachtungen, doch schwer verdaulich für den Leser leichterer Literatur. Wer schon Essays oder Romane von DFW gelesen hat, weiß, wie sein Gedankenfluss funktioniert und wird seine helle Freude haben an der Feinheit und Freiheit, die er in seinem Denken immer wieder beschwört.

Da man den Roman nicht als Ganzes lesen muss und sich eher  einzelne Passagen zu Gemüte führen kann, bleibt das Werk herausragend in seiner Wirkung und in seinem Anspruch. Philosophisches und literarisches Gedankengut ergänzen sich glänzend!

David Foster Wallace
Der bleiche König
640 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, November 2013
ISBN-10: 3462045563
ISBN-13: 978-3462045567
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Christian Buder: Die Eistoten

Christian Buder: Die Eistoten

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Alice Pokel ist elf Jahre alt, als sie zusammen mit ihrem Freund Tom Hahnemann im Wald am See die Leiche eines erfrorenen Mädchens findet. Statt die Polizei zu rufen, überzeugt sie Tom davon, abzuwarten. Denn Alice will selbst den Mörder finden. Die Sache soll nicht wieder als Unfall abgehandelt werden, so wie es bei ihrer Mutter war, die vor vier Jahren in der Nähe des Wohnhauses in einer eiskalten Nacht erfroren ist.

Tom recherchiert und stößt auf die Eistoten. Ein Journalist hat sich mit den merkwürdigen Todesfällen beschäftigt. Jährlich, immer kurz vor Weihnachten, stirbt ein junges Mädchen durch Erfrierung.

Der Schreck ist groß, als das erfrorene Mädchen aus dem Wald dann vor der Kirche gefunden wird. Die Polizei, und zu der gehört auch Alices Vater, geht wieder von einem von Unfall aus. Niemand hört Alice zu, die längst Zusammenhänge erkannt hat. Sie gilt durch den Tod ihrer Mutter als traumatisiert und ihr Vater erwägt, sie in eine psychiatrische Klinik zu bringen.

Viel Zeit bleibt also nicht, den Mörder zu finden. Und tatsächlich kommen die Kinder ihm auf die Spur. Er beichtet seine Taten in der Kirche. Die flüsternde Stimme jemanden zuzuordnen, ist allerdings nicht einfach.

Alice ist ein hoch intelligentes Mädchen und ihrem Alter voraus. Orientierung gibt ihr der 1954 verstorbene Philosoph Ludwig Wittgenstein. Das heißt aber nicht, dass Alice in einer Fantasiewelt lebt, auch wenn die Erwachsenen das glauben und sie für psychologisch behandlungsbedürftig halten.

Als Leser erhält man Einblick in ihre Denkweise und kann diese viel besser nachvollziehen, als es ihr Umfeld im Buch könnte. Das ist vom Autor sehr interessant gemacht. Alice, auch wenn sie besserwisserisch und altklug erscheint, ist intelligent und stellt Zusammenhänge blitzschnell her. Sie ist genau in ihrem Denken und im Analysieren der Vorkommnisse. Das macht sie zu einer sehr interessanten Persönlichkeit.

Da sie aber, außer von ihrem Freund Tom, keine Hilfe erhält bei der Aufklärung der Morde, die von den Erwachsenen als Unfälle wahrgenommen werden, spitzt sich die Lage immer mehr zu. Dem Mörder entgeht nämlich keineswegs, dass ihm die Kinder auf der Spur sind.

Es ist ein ungewöhnliches Buch. Es begeistert durch seine Vielschichtigkeit und die interessante Hauptfigur. Zudem ist es wirklich gut geschrieben.

Rezension von Heike Rau

Christian Buder
Die Eistoten
384 Seiten, broschiert
Aufbau Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3746629950
ISBN-13: 978-3746629957
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Àlex Rovira und Francesc Miralles: Einsteins Versprechen

Àlex Rovira und Francesc Miralles: Einsteins Versprechen

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Lieber Leser, Sie sehen mich weinen. Warum? Ich habe soeben das Buch „Einsteins Versprechen“ zu Ende gelesen und habe – und das ist keine literarische Übertreibung – Tränen in den Augen. Vor Wut. Da habe ich mich einige Nachmittage lang durch das langweiligste spannende Buch gekämpft, das mir je untergekommen ist, und stehe nun vor der banalsten falsch-wahren Weisheit, die je verkündet wurde. Verwirrt Sie das? Ja? Mich auch.

Also was ist passiert? Ich habe ein Buch gelesen, das damit anfängt, dass ein spanischer Wissenschaftsjournalist namens Javier aus der Not heraus öffentlich spontan vermutet, Albert Einstein habe in seinen letzten Jahren offenbar etwas ganz Großes entdeckt, das so „potent“ ist, dass er es der damals noch nicht reifen Menschheit noch nicht offenbaren wollte. Kurz darauf sieht sich Javier in eine mysteriöse Suche nach dieser Erkenntnis hineingezogen. Diese Suche basiert auf der Idee, dass Einstein seiner unehelichen und von ihm lange ignorierten Tochter diese Erkenntnis zugespielt hat, sie ihr sozusagen „vererbte“. Jene Lieserl habe dann, so die Idee, dieses Erbe ihrer Tochter vermacht. Man müsse also jene Einstein-Enkelin finden, lautet die Arbeitsthese der Suchenden.

Wobei „Suche“ ein fast schon euphemistischer Ausdruck ist, zumindest was Ich-Erzähler Javier angeht. Der Journalist wirkt eher wie ein im Wind aus Zeichen, Andeutungen und Hinweisen getriebenes halbtotes Blatt. Sarah, mit der er gemeinsam unterwegs ist, scheint da schon gezielter vorzugehen, obwohl auch das eher eine Vermutung als eine im Buch erkennbare Tatsache ist. Die anderen Suchenden überleben übrigens das Buchende nicht, nach und nach werden sie von diesem oder jenem eliminiert. Einer der „Mörder“ ist eine junge Frau, die – wie auch immer sie das schafft – offenbar besser als alle anderen sichtbaren und (anfangs) unsichtbaren Figuren weiß, was gerade vorgeht.

Das für mich unverständlicher Weise mit einem Literaturpreis geehrte Buch (laut Klappentext: der hochdotierte „Premio de Novela Ciudad de Torrevieja“) wird in einer Sprache erzählt, die extrem leicht lesbar weil extrem simpel gehalten ist. Spaß am Text lag eindeutig nicht in der Intension der Autoren. Àlex Rovira und Francesc Miralles setzen statt dessen auf einen der neumodischen Verschwörungs-und-Quest-Plots. Nicht, dass ihnen das gut gelingen würde, die Figuren nähern sich zwar faktisch und lokal ihrem Ziel, der Einstein-Erbin, das eigentliche Geheimnis bleibt aber trotz diverser Annäherungsversuche so fern wie am Anfang. In dieser Sache passiert nichts – bis zu jenem unsäglichen Finale, das mich so erbost und verzweifeln lässt.

Wenn ich sage, es passiert nichts, dann bezieht sich das auch auf die Figuren. Sie sind das, was ich als Lektor meinen Kunden gegenüber als Marionetten bezeichne. Dass Javier offenbar nicht den geringsten Nerv dafür hat, in seinen Mitmenschen Emotionen und Stimmungen zu erkennen und seine Beschreibungen sich auf rein Plakatives beschränken, mag ja noch entschuldbar sein, aber er selbst ist innerlich – vorsichtig ausgedrückt – auch eher tot als lebendig. Ihn wandelt immer mal ein wenig Trauer an, wenn er an seine zerbrochene Ehe zurückdenkt, und er versucht dem Zuhörer weis zu machen, er habe sich in Sarah verliebt. So wie das erste pure Behauptung bleibt, kann man auch das zweite zwar zur Kenntnis nehmen, aber sehen, nachfühlen kann man es nicht. Dass auf Javiers Empfindungen bei Mord und Totschlag und sogar bei den (angeblich) spektakulären Enthüllungen am Ende der Begriff „blass“ noch eine maßlose Übertreibung ist, passt da prima ins Bild.

Und genau das macht das Buch langweilig. Zwar erlaubt der kunstlose Schreibstil, dass man der Frage „Was hat Genie Einstein wohl herausgefunden?“ ohne Anstrengung hinterlaufen kann, aber auf dieser Rennstrecke gibt es nichts zu entdecken. Die Figuren sind uninteressant, der Ablauf der Suche nicht aufregend, weil sich nie akute Spannung aufbaut. Statt mit Spannungsbögen arbeiten die Autoren mit Sätzen wie „Hätte ich geahnt, auf was für einem Spielfeld ich mich bewegte, hätte ich niemals auf ,Senden‘ geklickt.“ oder „Hätte ich jedoch den Namen Sarah Brunet rechtzeitig überprüft, wäre alles, was in Kürze geschehen sollte, vollkommen anders verlaufen.“ Das ist Spannungsbildung für Möchtegern-Schriftsteller. Magisch, wie der Klappentext auf dem Buch behauptet, ist da gar nichts.

Bevor ich zum Hauptdesaster dieses Werkes komme, will ich mal einen kleinen Ausflug in die Abteilung „Gut am Buch“ machen. Groß ist die allerdings ohnehin nicht. Die anspruchslose Sprache in den vielen superkurzen Kapiteln zum Beispiel zählt in dem Sinne dazu, dass sie das Lesen nicht zusätzlich erschwert, und wer noch nicht viel über Einsteins Leben wusste, kann es anhand der biografischen Einschübe ein wenig kennenlernen.

Als günstig erwies sich auch, dass man über Physik generell und die Einstein’sche im Besonderen gar nichts wissen muss, um dem Buch folgen zu können. Denn auch wenn ständig so getan wird, als habe das zu lüftende Geheimnis eine vergleichbare Bedeutung wie die zur Atombombe geführt habende Gleichung E = mc2: Die „Enthüllung“ ist eher simpelste Kindergarten-Philosophie. Dazu hätte weder Einstein bemüht, noch ein mit Toten gepflasterter Weg beschritten werden müssen. Dafür ist weder die Weltreise der Figuren nötig gewesen noch das am Ende dahingesagte Existieren von zwei rivalisierenden Organisationen (die ganz bestimmt als Methaper für dies und jenes gemeint sind, wie so manch anderes in dem Buch). Denn – bitte halten Sie sich fest! – die letzte große Erkenntnis Einsteins ist nicht der Grundstein für eine Superbombe oder die Lösung aller Energieprobleme der Menschheit, keine Erkenntnis darüber, dass wir alle nicht real sind, dass wir allein sind im All oder auch nicht allein sind. Nein, es viel ungeheuerlicher. Einsteins letzte Erkenntnis ist die von der Über-Kraft, die alle anderen Kräfte in sich vereint und damit die von den Wissenschaftlern seit jeher gesuchte Einheitliche Theorie des Universums möglich macht. Es ist – Trara! – die Liebe.

Tja. Was soll man da noch sagen …

Àlex Rovira und Francesc Miralles
Einsteins Versprechen
384 Seiten, gebunden
List
ISBN-10: 3471350519
ISBN-13: 978-3471350515
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Eine kurze Geschichte der Unendlichkeit

Eine kurze Geschichte der Unendlichkeit

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Fragen nach der Unendlichkeit und unseres Seins …

Wer kennt nicht das Faszinosum, das mit den Fragen nach der Unendlichkeit verbunden ist? Stellen doch schon kleine Kinder Fragen danach, wie hoch der Himmel ist und wie weit die Sterne sind, und ob man nach ihnen greifen könne.

Hier aber geht es um eine Definition der Grenzen und der Unendlichkeit. Anhand zahlreicher Zitate aus der Philosophiegeschichte versucht Paolo Zellini eine Antwort zu geben, die naturgemäß nicht möglich ist, denn bis heute kann kein Wissenschaftler diese Fragen endgültig beantworten. Ist doch mit der Vertreibung aus dem Paradies auch die Endlichkeit verloren gegangen, als damit das Böse, die Moral und die Ethik Einzug in die Welt hielten.

Die Frage nach der Unendlichkeit hat mit der Zeit, dem Kosmos, mit Mythologie und Materie zu tun, die von Philosophen, Mathematikern und Physikern detailreich und berechenbar erforscht werden.

„In seinem Philebos vertritt Platon die Auffassung, wonach die Gegenüberstellung von Endlichem und Unendlichem ein ureigenes, niemals endendes oder schwindendes Kennzeichen unserer Denk- und Redeweise sei. Jedes Ding, so sagt er, trage von Geburt an die Grenze und das Unbegrenzte oder, um gleichwertige Ausdrücke zu gebrauchen, das Eine und das Vielfältige in sich.“ Besser lässt sich in knapper Form nicht  ausdrücken, dass jedes Ding zwei Seiten hat, und dass wir weder die eine noch die andere in unserer Vorstellung realisieren können.

Anfang und Ende sind für unseren Geist nicht fassbar. Dennoch hat es über die Jahrhunderte Forscher aller beschriebenen Fachrichtungen gegeben, die mit nimmer enden wollender Energie den Ursprüngen und dem Ende unseres Seins nachforschen. Seine Vertreter findet man in der Antike, bei den alten Griechen und fortlaufend über die Jahrhunderte bei christlichen und nichtchristlichen Dichtern und Denkern bis in die heutige Zeit.

Ein Kapitel widmet sich dem Unendlichen bei Thomas von Aquin, ein anderes Descartes und ein weiteres Leibniz. Selbst Musils „Mann ohne Eigenschaften“ wird im Kapitel „Die Identität Ununterscheidbarer: Die Klassen“ zu Erklärungen herangezogen. Theodor W. Adorno und Max Horkheimer haben mit ihrer Dialektik der Aufklärung ebenfalls einen Beitrag zur Widersprüchlichkeit in der Welt aufgezeigt.

Mit den abschließenden Worten  des Mathematikers John von Neumann begreift man die Bedeutung der Mathematik bei der Erforschung des Unendlichen: “Ich spüre, dass einer der wichtigsten Beiträge der Mathematik zu unserem Denken in der Tatsache liegt, dass diese eine gewaltige Flexibilität bei der Bildung von Begriffen gezeigt hat, einen Grad an Flexibilität, an den eine nichtmathematische Methodik nur sehr schwer heranreicht.“

Unzählige Belege für Überlegungen, Berechnungen und formulierte Vorstellungen über Grenzen und die Unendlichkeit hat Paolo Zellini hier zusammengestellt. Das Buch genügt höchsten Ansprüchen bedarf aber ausreichender mathematischer, physikalischer und philosophischer Vorkenntnisse, um den gedanklichen Ausführungen folgen zu können. Wer diese besitzt, erhält eine gute Übersicht zur Geschichte der Unendlichkeit.

Paolo Zellini
Eine kurze Geschichte der Unendlichkeit
250 Seiten, gebunden
C.H. Beck, Januar 2010
ISBN-10: 3406590926
ISBN-13: 978-3406590924