Wilder Mann

Wilder Mann

« Anywhere out of the world »
Jürgen Cleffmann: Wilder Mann. Erzählungen
Allitera, 2006

Leise und ohne Werbetrommel erschien vor einigen Tagen ein Erzählband. Sein Autor ist Jürgen Cleffmann und es scheint, als möchte er nicht als sondern mit „Wilder Mann“ ins Rampenlicht treten. Eine Metapher, die auf das berufliche Umfeld des Autors hinweist. Hat er sich die Kunst der kleinen Form, der Kurzgeschichte zur Aufgabe gemacht, weil sie an Szenen aus einem Theaterstück erinnert? Oder war es innerer Zwang, der den Inhalten die Form vorschrieb?

Wie auch immer, eines wird schnell klar. Dosierung ist unumgänglich, denn der Leser stößt bald an Grenzen der Belastbarkeit. Da sitzt er vielleicht in seiner Reihenhausidylle und möchte zur Entspannung einen Cleffmann lesen. Trügerische Idylle. Der Bissen bleibt im Hals stecken und der Leser schließt das Buch. Aber nur für den Moment.

Denn es geht in den Kleinstudien nicht um das Vordergründige, zum Beispiel U-Bahnfahren in Sturzgeburt, Geburtstag in Die Umarmung, oder Müllabfuhr in Glück und Glas. Es ist offensichtlich auch nicht Absicht des Autors, den Leser zu hoffieren, ihn sich in den Stories einrichten zu lassen. Die Handlungsstränge in manchen Episoden geben den zerrissenen Zustand der Figuren wieder. Alles Sinnsuchende, die umherirren, vernichten, wegwerfen, klären oder von vorne anfangen. Das Hamsterrad quietscht und entmutigt.

Auch den Leser. Irgendwann stellt er sich die Frage: Warum weiterlesen? Gibt es einen Hoffnungsschimmer? Entlässt Cleffmann vielleicht den Hamster aus seinem Rad? Leider nicht. Nur an wenigen Stellen werfen Tagträume einen gnädigen Schleier über die alltägliche Trostlosigkeit. Deshalb auch die Notwendigkeit der Dosierung. Und genau darin liegt der Impetus, das Buch am nächsten Tag wieder aufzuschlagen, weiter zu suchen nach dem einen Sonnenstrahl, der das Elend durchbricht.

Und er findet ihn. In einem Schmetterling. Eine Frau weint: „Weint sie? Kotzt sie? Hat sie eine Fehlgeburt?“ Das Absurde scheint auf. Aber die Frau ist zartfühlend, mit schlanken Fingern? So eine weint und kotzt doch nicht. Nein, sie hält einen Schmetterling. Aufatmen, wenigstens für einen Augenblick. Schmerzhaft und wehmütig in Jäger, Sammler, Fallensteller.

In einer Sprache, die mit minimalen Mitteln auskommt, gelingt es Jürgen Cleffmann, seine Ohnmacht begreifbar zu machen und sich von den Gespenstern zu befreien, die ihn jagen. Er muss sie loswerden, um atmen zu können. Dass dafür der Leser in Atemnot gerät, spricht für diesen Autor, den die SZ eine Entdeckung nennt und sich fragt, warum man von ihm bisher so wenig gelesen hat. Baudelaire mag einem einfallen, der in einem seiner Petits Poèmes en Prose sein Herz befragte, wo es leben möchte, wenn es frei wäre, sich einen Ort zu wünschen. Und das Herz antwortete nach langem Schweigen: Anywhere out of the world.

Rezension von Dorothea Gilde

Über den Autor:
Jürgen Cleffmann, 1956 in Hamburg geboren, lebt in München, arbeitet am Theater. Er schreibt Theaterstücke, Erzählungen und Hörspiele. Veröffentlichungen (Auswahl): »Das Bunt« (Hörspiel BR, 2000), »Irgendwo hört der Spaß aber doch auf« (Prosa, 1999), »Nie wieder spielen« (Hörspiel, BR/ORF, 1997).

Jürgen Cleffmann
Wilder Mann
Jürgen Cleffmann: Wilder Mann. Erzählungen
ISBN:3865201709
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