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Kategorie: Belletristik

Olivia Ford: Der späte Ruhm der Mrs. Quinn

Olivia Ford: Der späte Ruhm der Mrs. Quinn

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Jennifer Quinn ist 77 Jahre alt. Sie lebt mit ihrem Mann Bernhard, den sie über alles liebt, in einem schönen Haus mit Garten in einem ruhigen Dorf. Den Ruhestand kann sie jedoch nicht so recht genießen. Soll es das gewesen sein? Der 60. Hochzeitstag steht bevor und auch für diesen Tag wird sie wieder backen. Sie hat viele Familienrezepte zur Hand und backt regelmäßig. Ihre Kreationen sind bei Familie und Freunden beliebt.

Mrs. Quinn mag die bekannte Backshow im Fernsehen. Gerne würde sie hier auch einmal vor der Kamera stehen und zeigen, wie gut sie backen kann. Sie bewirbt sich jedoch heimlich, bringt es nicht übers Herz, Bernhard darüber zu informieren. Vielleicht wird es ja auch nichts. Dieses Geheimnis ist nur ein kleines. Doch gibt es noch ein anderes, das sie allerdings schon viele Jahrzehnte hat. Etwas geschah, bevor sie Bernhard kennenlernte. Vielleicht wird es Zeit, was ihr so sehr auf der Seele lastet, mit ihm zu teilen. Doch wie wird er es aufnehmen?

Der Roman beschäftigt sich auf bewegende Art und Weise mit dem Älterwerden. Mrs. Jennifer Quinn ist eine liebenswerte alte Dame. Ihre Sammlung an Familienrezepten hat eine ganz besondere Bedeutung für sie, wie aus einem zweiten Erzählstrang zu erfahren ist. Gegenwart und Vergangenheit werden im Buch parallel dargestellt und offenbaren die Gewissensbisse, von denen Jennifer noch im Alter geplagt wird, als lägen die Geschehnisse nicht lange Zeit zurück. Und so schwingt zwischen den Zeilen immer eine gewisse Traurigkeit mit.

Das Hauptaugenmerk liegt auf der Backshow, denn mit der Bewerbung möchte Jennifer sich einen großen Traum erfüllen. Wie viele verschiedenen Kuchensorten es doch gibt! Es geht von einem Rezept zum nächsten und alle sind mit Erinnerungen an Geschehnisse oder lieben Personen verbunden. Leider entstehen gerade hier einige Längen im Buch, denn die Show nimmt sehr viel Raum ein. Auch andere Bewerber zeigen ihr Können. Die Konkurrenz ist nicht zu unterschätzen. Es entwickeln sich aber auch Freundschaften, die Jennifer guttun und ihr helfen, zu entscheiden, wie sie ihren weiteren Lebensweg gestalten und mit ihrem Geheimnis umgehen möchte.

Olivia Ford
Der späte Ruhm der Mrs. Quinn
Aus dem Englischen von Sonja Rebernik-Heidegger
400 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, Oktober 2023
ISBN-10: ‎3423283823
ISBN-13: 978-3423283823
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Tim Parks: Hotel Milano

Tim Parks: Hotel Milano

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Dieses Buch zeigt die schrecklichen Folgen einer tödlichen Epidemie, die im März 2020 die Welt erschütterte und sie verändern sollte.

Frank erhält unerwartet zu dieser Zeit Nachricht vom Tod seines einstigen Rivalen und Freundes Dan Sandow. Sie waren beide erfolgreiche Journalisten.
Man bittet ihn dringend, an der Beerdigung teilzunehmen, die in Mailand stattfinden soll, wo Dan an der Seite seiner Freundin Vittoria beigesetzt werden wollte.
Amerikanische Freunde werden es nicht bis nach Mailand schaffen in so kurzer Zeit.

Frank ist schon alt und lebt ein zurückgezogenes Leben in London. Die Reise bietet eine willkommene Abwechslung.
Er ist aufgewühlt. Wird er Connie, seine Exfrau, die auch Dans Geliebte war, dort wiedersehen?
Er ist in seinen Gedanken immer wieder bei ihr, mit der er schon lange nicht mehr zusammenlebt.
Ben, Franks Sohn, warnt seinen Vater eindringlich vor der Reise. Eine schreckliche Epidemie kündigt sich gerade an.

Im Hotel Milano in Mailand findet sich Frank wieder. Das komfortable Leben eines Gentlemans auf Reisen gefällt ihm. Die vielen Annehmlichkeiten genießt er sehr. Er registriert nicht, dass eine tödliche Epidemie das Leben bald lahmlegen wird.

Langsam entsteht ein Stimmungsbild, das Einblicke in die unaufhaltsame Veränderung des Lebens bietet. Frank knüpft Kontakte zu den anderen Gästen und hört deren Lebensgeschichten.

Man erfährt von ungewöhnlichen Schicksalen. Unentdeckte Flüchtlinge haben sich versteckt. Frank wird zum unfreiwilligen Helfer. Er scheint nicht zu begreifen, welche Gefahren auf ihn und jeden anderen zukommen. Strenge Ausgangsregeln und Hygienemaßnahmen bestimmen das weitere Leben.

Er lebt wie ein Traumtänzer im Angesicht des Untergangs und denkt an seine baldige Abreise.
Wird er überhaupt je wieder nach Hause können?

Der Autor fängt eine Atmosphäre ein, in der in aufwühlender Weise Einschränkungen und Maßregeln das tägliche Leben bestimmen. Die ersten Anzeichen der sich steigernden Verbote vermitteln eine fast archaische Zeitenwende, in der nichts mehr ist wie gewohnt.

Tim Parks hat die unvergleichliche Fähigkeit, Menschen in ihrem Zusammenspiel zu beobachten und zu charakterisieren. Er kann Abgründe beschreiben und spürt Schicksalen nach. Es gibt unerwartete Nähe und Hilfsbereitschaft, die genauso schnell wieder vergehen. In Franks Gedanken entstehen Fantasien, die bald von der Wirklichkeit eingeholt werden. Die Zustände bleiben skizziert und der Leser hat Spielraum, sich ein eigenes Bild über die jeweiligen Begebenheiten zu machen.

Obwohl die Lage düster ist, wirkt die Erzählung nicht bedrückend. Das Stimmungsbild vermittelt eine gewisse Distanz, die uns zum Zuschauer macht. Doch auch der Leser wird sich erinnern, wie tragisch sich die Welt seither verändert hat!

Tim Parks ist ein hoch sangesehener Schriftsteller. Er lebt in Mailand. Seine Werke sind mit unzähligen Preisen ausgezeichnet.

Tim Parks
Hotel Milano
Kunstmann, September 2023
240 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3956145631
ISBN-13: 978-3956145636
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Tibor Rode: Der Wald – er tötet leise

Tibor Rode: Der Wald – er tötet leise

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Hunderte Menschen weltweit erhalten Päckchen, die Tüten mit fremdartig aussehenden Pflanzensamen enthalten. Es gibt keinen Absender und kein Begleitschreiben. Und obwohl niemand weiß, was genau das für Samen sind, werden sie von vielen Empfängern eingepflanzt. Es ist schon erstaunlich, wie schnell die Pflanzen wachsen und andere verdrängen. Bald steht fest, die Höllenpflanze lässt sich nicht stoppen, womit sie auch bekämpft wird. Im Gegenteil nutzt sie diese Bemühungen, um sich noch stärker auszubreiten. Die Assassina incognita ist ein gefährliches Gewächs und gibt Botanikern Rätsel auf. Wo immer sie auftaucht, verursacht sie allergische Reaktion. Auch ist es keine gute Idee, sie mit bloßen Händen zu berühren.

Marcus Holland, Botaniker, Pflanzenneurologe und Autor, wird gebeten, sich an der Forschungsarbeit zu beteiligen. Doch auch er kann die Pflanze nicht einordnen, erkennt aber schnell ihre Gefährlichkeit und auch, dass man sie nicht so leicht wird ausrotten können. Die invasive Pflanze ist perfekt angepasst und hat das Zeug dazu, die Menschheit auszurotten. Wer steckt dahinter und warum? Der Versender der Samen muss es wissen, das ist Holland klar. So begibt er sich auf Spurensuche und nimmt sogar eine China-Reise auf sich.

Der Autor hat ein spannendes Szenario entwickelt, das Gänsehaut verursacht. Die Covid-Pandemie wird nicht ausgeklammert, vielmehr wird ein Stück weit darauf aufgebaut. Parallelen sind erkennbar. Aber auch andere Themen, die uns derzeit beschäftigen, fließen ein.

Erzählt wird in schnellen Szenenwechseln. Das sorgt für Spannung. Für die Entwicklung der Handlung werden viele Aspekte herangezogen, die vielleicht auf den ersten Blick unrealistisch erscheinen, jedoch auf recherchierten Fakten beruhen. So wird zum Beispiel die rasante Entwicklung der KI mit einbezogen, die in diesem Roman eine zentrale Rolle hat. Fiktives kommt hinzu und beleuchtet, was vielleicht irgendwann möglich sein könnte.

Aber auch in die Vergangenheit geht es. So zu Johann Wolfgang Goethe, der auch Naturforscher war und sich für die Urpflanze interessierte. Die Archäobiologin Waverly Park verfolgt entsprechende Spuren schon seit längerer Zeit. Hier gibt es interessante Rückblicke. Die verschiedenen Perspektiven werden schließlich zusammengeführt und der Ökothriller zu einem interessanten Ende gebracht.

Das Buch ist gut geschrieben, vielschichtig, abwechslungsreich und thematisch unglaublich spannend.

Rezension von Heike Rau

Tibor Rode
Der Wald – er tötet leise
464 Seiten, broschiert
Droemer, 1. September 2023
ISBN-10: 3426284006
ISBN-13: 978-3426284001
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Richard Ford: Valentinstag

Richard Ford: Valentinstag

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Richard Ford nimmt uns noch einmal mit zu seinem Helden Frank Bascompe, mit dem wir schon so lange Jahre in zahlreichen Büchern die amerikanische Gesellschaft kennenglernt haben.
Jetzt ist er 74 Jahre alt. Er wollte ein zurückgezogenes Dasein fristen, hat er doch lange genug gearbeitet.

Nun aber ist sein zweiter Sohn Paul schwer krank. Er ist 47 Jahre alt und wird nicht mehr lange leben.
So machen sich die zwei zu einer Fahrt im Wohnwagen durch Amerika auf den Weg. Von Minnesota bis zum Mount Rushmore soll die Reise gehen.
Sie waren sich nie sehr nah. Jetzt fordert sie das Schicksal heraus, denn der Tod ist nicht mehr fern.

Wie immer sind es die Details der kleinen Leute, die das amerikanische Kleinstadtidyll prägen.
Frank erinnert sich seiner Ehe und prüft auf dieser Reise ein letztes Mal seine männliche Anziehungskraft.
Paul, sein Sohn, ist bizarr in seinen Gesten, seinem Auftreten und in seinem Verhalten. Er hat ALS, eine Nervenkrankheit, die nach und nach alle Organe mit Lähmungen befällt. Ihn erwartet ein trauriges Ende. Frank ist sich dessen sehr bewusst.
Es entsteht ein Roadmovie, bewegend und den Alltag spiegelnd auf einer langen Reise.

Kein wirklicher Handlungsstrang ist erkennbar. Man fährt durchs Land und lässt die Landschaft auf sich wirken. Die Reiserfahrungen sind nicht aufregend. Ein Hotel hier, ein Motel dort; eine Autopanne und das Fortkommen auf andere Weise. Menschen, die den beiden begegnen, einmal hilfreich, dann wieder reizvoll anziehend: Fantasien über Sex und die Liebe. Und immer wieder Ärzte, wenn es Paul schlecht geht.

Vater und Sohn kommen sich näher. Paul ist witzig, zuweilen sarkastisch, manchmal auch einfach albern. Der Vater lässt sein Leben vor seinem inneren Auge vorüberziehen. Die missglückte Ehe, den Tod seines ersten Sohnes: es gab Ereignisse, die ihn in der Erinnerung melancholisch stimmen. Die Gegenwart mit den Unbilden der Reise fordern seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit.
Mit wachem Blick umkreist er sein Leben und das seines Sohnes. Wie wird das Ende sein?

Wie alle Romane über den Helden Bascombe zeigt auch dieser Roman, wie viel Richard Ford vom Leben und den Menschen versteht. Sein Held ist von reger Beobachtungsgabe und durchaus dem Leben zugewandt. Vor allem aber beginnen Vater und Sohn einander zu verstehen. Es entbehrt nicht einer gewissen Rührung, wenn Frank seinem Sohn bei den Intimverrichtungen helfen muss. Mit einer gewollt burschikosen Weise gehen sie diese Dinge an.

Spürt man am Ende nicht eine gewisse Zärtlichkeit?
Die ganze Reise ist ein „Miteinander-leben-lernen“.

Niemand versteht die amerikanische Gesellschaft und ihre Lebensweise besser als Richard Ford, der diese Kenntnis hier wieder einmal unter Beweis stellt. Gelegentliche Längen können den Gesamteindruck nicht schmälern, dass es sich hier um ein abgerundetes Meisterwerk handelt.

Richard Ford
Valentinstag
Hanser Berlin, August 2023
384 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3446277323
ISBN-13: 978-3446277328
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Ferdinand von Schirach: Regen

Ferdinand von Schirach: Regen

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In seiner unvergleichlich trockenen Erzählweise berichtet von Schirach in seinem neuen Buch über Alltägliches.
Der Erzähler ist Schöffe wider Willen. Er wehrt sich gegen dieses Amt, muss es aber antreten.
Nun purzeln ihm die drolligsten Gedanken und Einfälle aus der Feder.

Es beginnt ein Monolog über tägliche Dinge, wie sie einem geübten Beobachter ins Auge fallen.
Vorgänge im Gericht und Amtshandlungen werden mit der größtmöglichen Präzision dargestellt.
Die Genauigkeit der Sprache ist fast ein Markenzeichen des Schriftstellers von Schirach.
Auch die Aufgaben von Autoren werden hinterfragt. Was tun sie überhaupt? Was macht Sinn?

Mit Tempo geht es weiter: in die Karibik, die Menschen und das Meer. Die Resultate seiner Beobachtungen sind zuweilen von grotesker Komik, so dass man laut lachen muss.
Bei weitem aber sind das keine dummen Überlegungen: im Gegenteil, man kommt erst darauf, mit was für einem Unsinn sich Menschen beschäftigen. Was z.B. ist „ein gutes Buch“?
Ja wirklich, man beginnt die eigenen Ideen zu hinterfragen!

Ambivalenz ist ein weiteres Stichwort; am schönsten aber ist die Geschichte von den 80%!
Von Schirach rechnet einmal vor, wieviel Mist uns täglich beschäftigt: es sind 80% aller Tätigkeiten. Ob Bücher, Filme, tägliche Erledigungen etc.
Auf Reisen in die Karibik: Zitat:“ in den sogenannten schönsten Wochen des Jahres liegen die Leute schwitzend auf Fischkot herum, baden in Kloaken, lesen schlechte Bücher und bekommen von der Sonne Hautkrebs“. S. 39

Auch die griechische Götterwelt ist von Schirach nicht fremd, und er weiß sie passend in das Panoptikum menschlicher Schwächen und Fehler einzufügen.
Hier tritt ein Autor bescheiden und unaufdringlich auf. Er hat ein immenses Wissen, das in den einzelnen Episoden zum Vorschein kommt. Und immer wieder die kurzen, fast spartanischen Sätze. Nur kein Wort zu viel!

Die Erzählung ist eine rundum hervorragend gelungene Persiflage auf das Leben insgesamt. Ein leicht melancholischer Einschlag liegt wie ein Schatten über den Schilderungen.

In einem anschließenden Interview äußerst sich von Schirach zu zahlreichen eigenen Lebenseinstellungen, auch zu seinem Privatleben. Er bleibt offen und setzt zugleich Grenzen, wenn es ihm zu privat wird.

Ein schmales Bändchen nur, aber hinreißend geschrieben, kurz, bündig und prägnant.
Wer sich einen amüsanten Nachmittag gestalten will, gespickt mit Lebenserfahrung und Weisheit, der gönne sich dieses schöne knapp 108 Seiten lange Werk. Es ist ein Lesegenuss und sicher von Schirachs persönlichstes Büchlein.

Ferdinand von Schirach
Regen
Luchterhand Literaturverlag, August 2023
112 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3630877389
ISBN-13: 978-3630877389
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René Freund: Wilde Jagd

René Freund: Wilde Jagd

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Professor Quintus Erlach hat es nicht leicht. Seine Frau hat ihn verlassen und er wohnt nun im Haus seiner verstorbenen Eltern in Stein am Gebirge. Die Tochter mag auch nicht mehr mit ihm reden und auf ihren Hund Machtnix darf er nur aufpassen, weil es nicht anders geht.

Bei einem Spaziergang begegnet er der aus der Slowakei stammenden Evelina, die als Pflegerin für Herwig Zillner arbeitet. Die Pflegerin davor ist spurlos verschwunden. Die junge Frau will herausfinden, was Angelika passiert ist. Es gelingt ihr, Quintus neugierig zu machen, sodass dieser beschließt, ihr zu helfen.

Evelinas hellseherische Fähigkeiten verstören den Professor. Doch lassen sie sich nicht so leicht abtun, denn diese Visionen, so unklar sie scheinen mögen, beinhalten immer ein Detail, das zutrifft. Einmal sensibilisiert, dass ein Verbrechen geschehen sein könnte, fallen Quintus im Dorf Personen auf, die Kontakt zu Angelika gehabt haben könnten und ihm verdächtig erscheinen.

Der Professor sieht sich bald veranlasst, den Dorfpolizisten mit einzubeziehen. Doch Bernhard Ebner macht sich eher unbeliebt, meint er doch, Quintus habe ein paar Bier zu viel gehabt, was gut sein kann. Er weiß, dass er Gedächtnislücken hat, wenn er zu tief ins Glas geschaut hat. Dennoch müssten die Fakten für sich sprechen, auch wenn sie sich im Nachhinein nicht beweisen lassen. Sein Wort sollte doch zählen.

Es sind hier insbesondere zwei Personen, die die Handlung voranbringen. Wobei es schon einigermaßen verwunderlich ist, dass der Professor sich von Evelina in diese Sache hineinziehen und sich quasi vor die Kutsche spannen lässt. Er taugt kein bisschen zum Ermittler. Und so entstehen immer wieder witzige, aber auch absurde Szenen.

Entscheidend ist jedoch, welche Details die beiden ausgraben. Da ist Mut gefragt, aber den hat Quintus auch nicht. Im Philosophieren ist er jedoch gut, was ihn aber auch nicht wirklich weiterbringt, besonders unter Alkoholeinfluss nicht.

Zum Ende hin nimmt die Handlung schließlich eine unerwartete Richtung und wird doch noch zu einem echten Krimi. Wobei man gut und gerne sicher auch noch andere Genre aufzählen könnte, in die das Buch passt. Ich fand es sehr unterhaltsam!

Rezension von Heike Rau

René Freund
Wilde Jagd
288 Seiten, broschiert
Paul Zsolnay Verlag, Juli 2023
ISBN-10: 3552073671
ISBN-13: 978-3552073678
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Martin Suter: Melody

Martin Suter: Melody

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Dieses Buch über einen wohlhabenden Schweizer Bürger mit ausgewiesener Reputation liest sich auf weite Strecken wie ein Gourmetkochbuch!

Dr. Peter Stotz ist Politiker, hoher Militär und Geschäftsmann mit weitreichenden Verbindungen.
Er ist 80 Jahre alt und sucht einen Mitarbeiter für sein umfangreiches Archiv.
Ihm gefällt ein Jurastudent, der sich auf einen Jahresvertrag bei freier Kost und Logis und hohem Honorar an ihn bindet. Tom Elmer ist der Auserwählte.

Es geht vornehm zu bei dem alten Herrn. Vor allem aber wird nach alter Sitte und Gebrauch zu jeder passenden Gelegenheit Alkohol dem Anlass gemäß kredenzt. Die Küche bietet allerhand exquisite Mahlzeiten, so dass es sich gut leben lässt in dieser Umgebung.
Sherry, Armagnac, Cognac und die teuersten Weine machen stets die Runde. Ganz diskret ließ der Hausarzt durchblicken, dass der gute Peter ein verkappter Alkoholiker sei. Kein Wunder bei seinem Lebensstil!

Im Hause hängen vielfach gezeichnet Porträts einer schönen Frau. Welche Rolle spielt diese ferne Schönheit in dem ganzen Stück?
Tom erfährt durch das Archiv die Lebensgeschichte von Stotz. Ergänzt wird diese durch die täglichen Erzählungen. Mahlzeiten und abendliche Gespräche bieten jede Möglichkeit, alles über Peter Stotz zu erfahren. Eine Frau mit Namen Melody, verkörpert in den zahlreichen Porträts an den Wänden, spielte eine zentrale Rolle in seinem Leben.
Sie war die Auserwählte von Peter Stotz, verschwand jedoch wenige Tage vor der Hochzeit und blieb für immer unauffindbar.
Bei der Suche nach ihr scheute der Patron keine Kosten für ferne Reisen, um sie zu finden

Im Hause gibt es einen Butler, eine Köchin und eine Sekretärin.
Sie alle kommen zu Wort und aus ihren Erzählungen und Handlungen verdichtet sich das Bild, das Tom von dem alten Herrn erhält.
Auch Tom wird in dem Werk seinen Part bekommen. Ohne Liebe geht es nicht!

So viel sei hier gesagt: im zweiten Teil beginnt eine Art Krimi um das Erscheinen und Verschwinden von Melody.
Ganz geheimnisvoll steuern wir auf ein Ende ihrer Geschichte zu, das uns staunen lässt und einen hohen Überraschungseffekt bietet.

Martin Suter erzählt in einem behaglichen Stil. Beschreibungen von Personen, Lebenssituationen und Ereignissen verbreiten Ruhe und lassen uns an dieser außerordentlichen Lebensgeschichte teilhaben.
Man wundert sich darüber, wie der Autor immer neue, interessante Sujets erfindet, um seine Leser zu unterhalten!
Insgesamt haben wir es mit einer absolut anregenden und angenehmen Lektüre zu tun, die uns aus unserem Alltag herausholt und abwechslungsreiche Unterhaltung auf einem hohem Niveau bietet.

Martin Suter
Melody
Diogenes, 3. Auflage März 2023
336 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3257072341
ISBN-13: 978-3257072341
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Eleonore Holmgren: Vielleicht der schönste Sommer

Eleonore Holmgren: Vielleicht der schönste Sommer

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Adam hat sich ordentlich Ärger eingehandelt. Der 20-Jährige weiß nicht mehr weiter. Seine Mutter hat ihn rausgeschmissen und sein bester Freund Abbe weist ihn ab. In seiner Not steigt er in ein verlassen aussehendes Haus ein. Ein richtiger Einbruch ist es für ihn nicht, denn er nutzt ein angelehntes Fenster. Am nächsten Morgen trifft auf Britta. Die 86-Jährige liebt es, auf Lindö zu sein und möchte hier in diesem wundervollen Landhaus noch einmal einen Sommer verbringen, auch wenn ihre Tochter strikt dagegen ist.

Britta bombardiert den jungen Mann mit misstrauischen Fragen. Er ist verwundert über ihren Mut und ihre Direktheit und bald nervöser als sie. Es fällt ihm schwer, über seine Situation zu sprechen. Am liebsten würde er wieder verschwinden, doch wohin? Und so nimmt er den angebotenen Kaffee an und sie teilen sich Dosen-Ravioli. Adam erzählt schließlich von Samir, den krummen Geschäften und seinen Schulden und erfährt von Britta, dass sie eigentlich nicht hier sein dürfte, weil ihre Tochter sie nicht allein im Haus wissen möchte. Immerhin steht ihr Freundin Iris zu Seite, die in der Nachbarschaft ebenfalls ein Sommerhaus hat.

Von der ersten Seite an hat mich das Buch gefangen genommen, was zunächst am Schreibstil lag. Aber auch inhaltlich überzeugt es. Eleonore Holmgren bringt Jung und Alt zusammen und lässt eine tiefe Freundschaft entstehen, trotz kleiner Streitereien und Reibungen. Britta und Adam wollen und müssen miteinander klarkommen. Britta fordert viel von dem jungen Mann. Er muss im Garten arbeiten, tut dies zunächst widerwillig und irgendwann mit großer Freude. Britta gesteht schließlich ein, dass ihr Leben auch nicht gerade geradlinig verlief, sondern eher kompliziert war, und sie ebenfalls Fehler gemacht hat.

Die Geschichte lebt von sehr gut dargestellten Charakteren, einem alten, aber charmantem Haus ohne jeglichen Komfort, einem wunderschönen Garten und der bezaubernden Natur der Schäreninsel Lindö. Die Annäherung zwischen Britta und Adam verläuft holprig, weil die beiden so gegensätzlich sind. Da sind die eigensinnige alte Dame, die fest glaubt, ihren letzten Sommer vor sich zu haben, und der einsam wirkende junge Mann, der es verpasst hat, erwachsen zu werden und nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll. Die Autorin verteilt die Aufmerksamkeit gleichmäßig auf beide Seiten und bringt die unterschiedlichen Generationen in einer perfekten Mischung aus lustigen, traurigen und nachdenkenswerten Szenen zusammen. Es ist viel Empathie zu spüren. Der Roman ist unterhaltsam und herzerwärmend.

Rezension von Heike Rau

Eleonore Holmgren
Vielleicht der schönste Sommer
Deutsch von Annika Ernst
336 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, Juni 2023
ISBN-10: 342328336X
ISBN-13: 978-3423283366
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Kent Haruf: Das Band, das uns hält

Kent Haruf: Das Band, das uns hält

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Aufgebrochen in den Westen der USA nach Colorado, damals um 1900 noch ein raues und unbesiedeltes Land, finden die junge Ada und John Goodnough nur schwer zueinander.
Er ist ein notorischer Eigenbrötler mit raubeinigen Manieren und wenig Herz. Seine Frau Ada ist zart und empfindsam. Sie ist dem groben Leben auf dem erst noch urbar zu machenden Land kaum gewachsen.

Mit dieser Einführung beginnt ein Roman, in dem es an Härte aber auch Liebe unter den Menschen nicht mangelt.
Die Geschichte schildert ein Geschwisterpaar, das durch äußere Umstände eng aneinander gebunden bleibt, so dass beide kein Lebensglück finden können.
Langsam aufgebaut und mit immer neuen Erzählsträngen versehen, öffnet uns der Autor den Blick auf ein Leben, das von äußerster Kargheit und entbehrungsreichen Jahren gezeichnet ist.

Ada stirbt schon mit 42 Jahren und hinterlässt ihre jungen Kinder einem Vater, der mit harter Hand durchgreift. Mürrisch und herrisch lässt er seine Kinder auf dem Feld und bei der Viehzucht kräftig zupacken.
Edith und Lyman sind die Kinder dieser Ehe, die kein Glück für alle brachte.

Erwachsen geworden wird Edith, eine hübsche junge Frau, von einem Nachbarn umworben, der sie gerne heiraten will. Der brutale und selbstsüchtige Vater weiß das zu verhindern. Edith kann sich seinem Anspruch, weiterhin für ihn und den Bruder Lyman zu sorgen, nicht entziehen.
Lymann sucht eines Tages das Weite und lässt sich erst 20 Jahre später wieder blicken.

Die Spannung steigt mit Fortgang der Geschichte. Man bekommt einen unmittelbaren Eindruck vom Leben auf dem Land, von Dürre, Schnee und Kälte. John Roscoe, der Nachbar, sieht mit argwöhnischen Augen, wie Ediths Leben unter der Härte der Lebensbedingungen langsam vergeht.

Die Erzählung vermittelt einen starken Eindruck vom Leben der Farmer, ihrer spartanischen Lebensweise, den wenigen Freuden, und den unfreundlichen Umgangsformen eines cholerischen und harten Wüterichs, den Roy Goudnough verkörpert.

Edith ist die eigentlich Leidtragende, weil sie dem wütenden Vater ausgeliefert bleibt. John Roscoe, deren Nachbar, heiratet und sie bekommen Sohn Sanders, der die ganze Zeit Erzähler dieser Geschichte bleibt.

In dem Roman passieren noch weitere unwahrscheinliche Geschichten. Ein rundes Bild einer fast archaischen Welt tut sich auf. Die Jahre gehen ins Land, und die Zeiten ändern sich.
Unverdrossen bleibt Edith ihrem Bruder Lyman verbunden, der bis zum bitteren Ende ihr Leben belastet.
Auch so kann Leben sein: Plackerei, Mühe und nie zugelassene Träume von einer besseren Lebensgestaltung.

Kent Haruf berichtet hautnah und intensiv. Man bleibt zunehmend fasziniert vom Fortgang der Geschichte und ihrem Ende. Haruf ist ein herausragender Erzähler, von dem es schon zahlreiche Bücher über den fiktiven Ort Holt in Colorado gibt.

Kent Haruf
Das Band, das uns hält
320 Seiten, gebunden
Diogenes, Mai 2023
ISBN-10: 3257072295
ISBN-13: 978-3257072297
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Daniel Glattauer: Die spürst du nicht

Daniel Glattauer: Die spürst du nicht

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Sophie Luise, die 14-jährige Tochter von Elisa und Oskar Strobl-Marinek, besteht darauf, dass ihre Schulfreundin Aayana, sie ist ein Flüchtlingskind aus Somalia, mit in den Urlaub in der Toskana kommt. Damit es eine entspannte Auszeit wird, legt sich ihre Mutter ins Zeug, diese Bedingung erfüllen zu können. Das befreundete Paar Engelbert und Melanie Binder und ihr 9-jähriger Sohn Benjamin sind mit von der Partie. Auch Sophie Luises jünger Schwester Lotte, ebenfalls 9 Jahre alt, kommt natürlich mit.

Zunächst werden die Erwachsenen vorgestellt. Der Autor streicht ihren erfolgreichen beruflichen Werdegang und ihre Charakterzüge heraus, sodass man sich ein Bild von ihren Stärken und Schwächen machen kann. Dass auch Aayana anwesend ist, stört die Binders nicht. Wie Engelbert so treffend formuliert: „… die spürst du gar nicht.“ (Seite 15). Und auch wie es dazu kam, dass das Flüchtlingskind mitkommen durfte, wird erzählt, denn es war ein großes Problem, seine Eltern davon zu überzeugen. Nicht nur wegen der Sprachbarriere. Es hätte ein schöner Urlaub werden können, doch kommt es anders. Es geschieht ein Unglück, mit dem nun alle zu kämpfen haben.

Jeder geht auf seine Weise damit um und versucht auf die äußeren Einflüsse so gut es geht, zu reagieren. Besonders Elisa gerät ins Blickfeld, da sie eine bekannte Politikerin ist. Sie strickt sich eine Geschichte zurecht, die erträglich ist und sie in einem besseren Licht dastehen lässt. Melanie Binder plagen Gewissensbisse. Die Männer versuchen zu relativieren. Sophie Luise wird vergessen. In der Schule wird sie ausgegrenzt. Also zieht sie sich zurück mit ihren Sorgen und Nöten, findet Trost im Internet, wo sie einen Jungen kennenlernt, der ihr unerwartet Verständnis entgegenbringt. Doch wie geht es der Familie von Aayana, die nach einer traumatischen Flucht jetzt den Verlust ihrer Tochter verkraften muss?

Auch wenn das Buch mit einem ironischen Unterton geschrieben ist, dürfte es niemanden kaltlassen. Schließlich greift der Autor hier ein Thema auf, das die Gesellschaft beschäftigt und Meinungen auseinandergehen lässt.
Der Erzählstil ist tiefgreifend, trotz oder gerade wegen dieses Untertons. Schaute man eben noch mit einem gewissen Abstand auf eine unterhaltsame Handlung und die mitspielenden Personen, ist man plötzlich mitten drin.

Die Geschichte liest sich wie ein Drehbuch. Der Autor führt Regie, wechselt dabei immer wieder Drehorte und Blickwinkel. Dialoge sind die bestimmenden Elemente, aber auch Pressetexte. Kommentare aus den sozialen Medien sind eingebunden, die das vielfältige und teils unsachliche Meinungsbild wiedergeben, das wir wohl alle kennen. Dazu kommen die Ausführungen der Anwälte, denn tatsächlich geht die Sache vor Gericht. Und hier wird alles noch einmal aufgerollt.

Rezensionen von Heike Rau

Daniel Glattauer
Die spürst du nicht
304 Seiten, gebunden
Paul Zsolnay Verlag, März 2023
ISBN-10: 3552073337
ISBN-13: 978-3552073333
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