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Schlagwort: Krankheit

Stephen Grosz: Die Frau, die nicht lieben wollte

Stephen Grosz: Die Frau, die nicht lieben wollte

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Seelische Wunden, Verletzungen und ihre Folgen.

Der englische Psychoanalytiker Stephen Grosz hat in loser Folge über Fälle berichtet, die ihm in seiner Praxis begegnet sind.

Natürlich wird in den Geschichten über das wahre Leben berichtet!

Und natürlich sind Menschen neugierig und möchten mehr über das erfahren, was nicht offen nach außen dringt, sehr Privates also und gelegentlich natürlich auch sehr Intimes.

Grosz’ Geschichten gehen dem Unbewussten im menschlichen Leben auf den Grund. Psychoanalytiker lernen in langen Sitzungen, hinter die Fassade des nach außen getragenen Verhaltens zu schauen. Das macht sie in der Fantasie ihrer Klienten zu allmächtig Wisssenden, denen gelegentlich fast eine magische Wirkung zugeschrieben wird.

Doch wir alle wissen, dass es Dinge gibt, die man nicht jedem zugänglich machen möchte, oder über deren Ursprung man sich gar nicht im Klaren ist. Kleine Lügen etwa oder versteckte Lüste und Genüsse, aber auch Handlungsweisen und Erfahrungen im Alltag, die uns quälen oder bedrängen, gehören dazu. In seinen Berichten deckt der Psychoanalytiker Grosz auf, in welchen Verkleidungen Ängste, Sehnsüchte und ungewöhnliche Verhaltensweisen daherkommen können. Die Psychoanalyse ermöglicht im besten Fall das Aufdecken unbewusster Gefühle und macht sie verstehbar. Anhand zahlreicher kurzer Fallbeispiele aus der Praxis von Stephen Grosz bekommt man Einblicke in das verdrängte Geschehen, das allzu häufig zu Leid und Unglück bei den Betroffenen und zu seelischer Not führt.

Da geht es z.B. um Wiederholungshandlungen mit ungewissem Hintergrund und um verleugnete Erkenntnisse über die Liebe zwischen Eltern und Kindern. Auch ungewöhnliche sexuelle Verhaltensweisen können einem tieferen Verstehen zugänglich gemacht werden. Das Verdrängte soll einen schützen vor allzu traurigen Erinnerungen. Wenn es aber zu lebenslangem Leid in Form von Traumata führt, die den seelisch Erkrankten bedrängen und geradezu foltern können, ist die Hilfe zum Verstehen angesagt. Zwangshandlungen und Vermeidungsstrategien können einem das Leben sehr schwer machen!

Mit seinen Fallbeispielen deutet uns Stephen Grosz die Vielfalt menschlicher Tragödien im Seelenleben seiner Klienten. Seine Geschichten lesen sich schnell, sie sind informativ, und sie befriedigen die Neugierde nach innerseelischem Befinden und ihren Folgen bei sich und anderen.

Stephen Grosz
Die Frau, die nicht lieben wollte
240 Seiten, gebunden
S. FISCHER, 2. Auflage, August 2013
ISBN-10: 3100287150
ISBN-13: 978-3100287151
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Kathleen MacMahon: Liebe im Zeichen des Nordlichts

Kathleen MacMahon: Liebe im Zeichen des Nordlichts

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Nachdem Bruno seine Job bei Lehman Brothers verloren hat, beschließt er, sich auf familiäre Spurensuche zu begeben. Er hat alle Zeit der Welt und reist nach Irland. Er gedenkt ohnehin nur nach Amerika zurückzukehren, falls Obama die Wahl gewinnt. Er beginnt einen Stammbaum zu erstellen. Dass auch Addie zu seiner Familie gehört, weiß er anfangs nicht. Und dass sie eine Cousine zweiten Grades ist, halten beide dann auch für unerheblich, was ihre aufkeimende Liebe betrifft. Auch sie hat viel Zeit. Die Aufträge, die sie als Architektin sonst hat, bleiben in letzter Zeit aus. Während er hinter die Geheimnisse der Familiengeschichte zu kommen versucht und immer tiefer gräbt, will sie lieber vergessen. Sie kann ihren Erinnerungen nichts Positives abgewinnen, während er das Zusammengehörigkeitsgefühl zu seinen Ahnen sucht. Dennoch kommen sich beide näher, die Liebe wird tiefer. Selbst Addie, die weder an die große Liebe glaubt und es außerdem kaum für möglich hält, einmal glücklich zu sein, vertraut Bruno immer mehr. Ihre Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft wächst. Dass die Zeit begrenzt ist, dass es beinahe zu spät ist für die Liebe, ahnen beide nicht.

Es ist eine traurige Liebesgeschichte. Was anfangs Glück verspricht, wird bald zum Drama. Die Autorin spart sich allerdings jeden klischeehaften Herzschmerz. Was sie erzählt, wirkt authentisch. Wahre Gefühle kommen hier zum Tragen. Wobei vielleicht zu viele Probleme in die Geschichte gepackt worden sind. Was sonst ein ganzes Leben füllt, soll in wenigen Wochen aufgearbeitet werden und das ist nun mal unmöglich. Dennoch berührt diese Liebesgeschichte und geht zu Herzen wie kaum eine andere. Zeit bleibt immer ein abstrakter Begriff. Man hat nie genug davon. Vielleicht will uns das die Autorin anschaulich vor Augen halten. Aber es ist schade, dass sie Geschichte so tragisch enden muss.

Rezension von Heike Rau

Kathleen MacMahon
Liebe im Zeichen des Nordlichts
Aus dem Englischen von Karin Dufner
400 Seiten, gebunden
Knaur Verlag
ISBN-10: 3426652854
ISBN-13: 978-3426652855
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Thomas C. Boyle: San Miguel

Thomas C. Boyle: San Miguel

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Der amerikanische Bestsellerautor T. C. Boyle hat sich mit diesem Roman der Geschichte zweier Familien angenommen, die auf der kleinen Pazifikinsel San Miguel vor der kalifornischen Küste lebten. Aufmerksam geworden auf diese Geschichte ist er während seiner Recherchen zu dem vorhergehenden Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“. Mit den beiden nacherzählten Familiengeschichten, die in unterschiedlichen Epochen spielen, die erste im 19. Jahrhundert und die zweite 50 Jahre später im 20. Jahrhundert, nimmt sich Boyle dem Phänomen des immer weiter nach Westen strebenden Pioniers an. Wir finden den über 400 Seiten starken Roman in drei Teile untergliedert vor. Die ersten beiden Teile, die um 1880 spielen, sind der Familie Waters gewidmet. Der dritte Teil rückt dann in die Zeit ab 1930 vor, ragt bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein und erzählt die Geschichte der Familie Lester. Die kleine Kanalinsel, auf die die beiden Familien ziehen, ist geprägt von kargem Land. Kaum Vegetation ist lediglich Schafzucht in diesem minimalistischen Lebensraum möglich. Der Autor stellt zu Recht die Frage, was bewegte diese Menschen, auf diese Insel zu ziehen. Während Marantha Waters und ihre Tochter Edith nur dem Ruf von Maranthas Ehemann folgen und das Gefühl haben, auf der Insel wie in einem Gefängnis zu leben, geht Elise Lester mit ihrem Mann aus freien Stücken auf die Insel und lebt sehr gerne auf dieser Insel.

Beide Familien haben tatsächlich existiert und es liegen Dokumente über deren Leben auf der Insel vor. Das besondere Verdienst Boyles ist es, die real existierenden Familien in eine fiktive Handlung eingebettet zu haben, um sie plastischer vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen zu lassen. Erst durch die Handlungen und Dialoge, wie sie nur in einem fiktiven Roman, zudem von einem wortgewandten Schriftsteller wie T. C. Boyle und seinem präzise und ebenso wortgewandten Übersetzer Dirk van Gunsteren machen die Verhältnisse und das Leben auf dieser Insel spürbar. Auch die Herausarbeitung von Figuren, wie sie vom Schriftsteller bezeichnet werden, sind nur in einer fiktiven Geschichte möglich. Dies macht die Charakterstudien der beiden Familien äußerst lesenswert.

Wer mit dem Roman jedoch ein spannendes Abenteuer wie „Drop City“ oder „Amerika“ erwartet, der wird enttäuscht werden. Harte Auseinandersetzungen und Konflikte zwischen zwei Menschengruppen stehen nicht im Vordergrund. Wohl aber eben solch harte Konflikte zwischen den Bewohnern dieser Insel und den Naturgewalten. Diese brechen herein in Form von Stürmen, in Form des Zweiten Weltkrieges, in Form von Krankheiten. Mit San Miguel kann man sich einlassen auf einen eine historische Fiktion. Es besticht durch die vom Autor gewohnten präzisen Charakterstudien und detailreichen Beschreibungen der Landschaft, die Heimat des Inselfuchses ist, der nur auf dieser und fünf anderen kleinen Kanalinsel lebt.

Obwohl das Leben auf dieser Insel einem Abenteuer gleicht, ist der Roman kein Abenteuerbuch und man muss sich auf den Inhalt einlassen. Nichtsdestotrotz ist es hervorragend geschrieben und hat meine volle Punktzahl verdient. Ich freue mich auf ein Treffen mit dem Autor, wenn er in den nächsten Wochen durch Deutschland lesetourt.

Boyle, Thomas Coraghessan
San Miguel
Hanser, München
ISBN 9783446243231

© Detlef Knut, Düsseldorf 2013
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Matthew Quick: Silver Linings

Matthew Quick: Silver Linings

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Wohin die Liebe führt…

Dieser Debütroman des jungen Schriftstellers Matthew Quick sprengt alle Erwartungen!

Pat, ein 34 jähriger Mann, wird auf Drängen seiner Mutter aus einer psychiatrischen Anstalt entlassen. Weshalb er dort fest gesessen hat, wird sich erst allmählich zeigen. Zu Hause angekommen spürt man sogleich, dass sein Vater ein fanatischer Anhänger des Baskettballspiels ist. Besonders hängt er an der Gruppe der Eagles. Für seinen Sohn und die Familie hat er wenig übrig.

Pat lebt unter ständiger Medikation und muss sich zu Hause weiterhin einer Psychotherapie unterziehen. Seine Erinnerungen an die vergangenen vier Jahre sind ausgelöscht. In seinen Gedanken ist er ganz bei seiner Frau Nikki, mit der er sich unbedingt wieder vereinigen will. Er spricht von einer „Auszeit“, die er einhalten muss, doch er weiß noch nicht, wie lange diese währen wird. Die Psychiatrie ist “der schlimme Ort“, wohin er nie mehr zurück will. Durch ständiges hartes Training gelingt es ihm, sein Übergewicht zu reduzieren. Aufsteigende Wutanfälle bekämpft er mit ausdauerndem Laufsport. Er will gut sein und nicht mehr immer „recht haben“! Alle seine  Aktivitäten zeugen von einer fast manischen Anstrengung, auf die einstige Spur seines alten Lebens zurück zu finden.

Matthew Quick baut seinen Roman in hervorragender Weise auf. Man ahnt mehr als zu wissen: auf der Vergangenheit von Pat und seinem Aufenthalt in der Psychiatrie lastet ein dunkles Geheimnis. Von Gelegenheit zu Gelegenheit ergeben sich Zeichen, die Matthew als Außenseiter zeigen. Seine Mutter schützt ihn, wo sie kann. Schließlich begegnet ihm Tiffany, die Schwägerin eines Freundes. Sie ist aufdringlich und lästig. Matthew denkt ja nur an Nikki, an der er unverbrüchlich hängt. Der Autor steigert die Spannung, indem er immer neue geheimnisvolle Begebenheiten einfügt. Ihm gelingt die Schilderung eines Milieus von Langeweile und Überdruss in einer öden Mittelschichtfamilie. Darüber hinaus bietet er einen Eindruck von den Gefährdungen in der Großstadt Philadelphia, wohin es den Helden auf der Suche nach seiner Frau verschlagen hat.

Pat liest anerkannte Werke der Weltliteratur in der Hoffnung, seiner abwesenden Frau damit zu imponieren, doch nichts gibt ihm sein inneres Gleichgewicht zurück. Zeigt er nicht die Anzeichen einer manischen Depression? Und wo ist der Silberstreifen am Horizont mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft?

Die Lösung des Rätsels bleibt dem Ende vorbehalten. Spannend und anspruchsvoll bleibt die Geschichte bis zuletzt.

Die Lektüre schwankt zwischen Psychothriller und Gesellschaftsroman und ist hoch gelobt und mit Preisen ausgezeichnet 2013 erfolgreich verfilmt worden.

Matthew Quick
Silver Linings
352 Seiten, gebunden
Kindler, März 2013
ISBN-10: 3463400812
ISBN-13: 978-3463400815
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Allen Frances: Normal

Allen Frances: Normal

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Krank oder normal? Das ist hier die Frage!

Allen Frances ist Psychiater. Er hat nach seiner Pensionierung eine kritische Analyse über sein Fach, die Psychiatrie, vorgenommen.

Jahrelang hat er an der Liste „Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen“, kurz DSM, mit gearbeitet, in der psychiatrische Krankheiten als Abweichung von der Norm benannt werden.
Über die Jahre und Jahrhunderte haben sich demnach psychiatrische Krankheiten gewandelt und vermehrt.

Frances zeigt auf, wie Normalitäten zu Krankheiten mutierten. Die vermeintlich „Kranken“ brauchten immer mehr Medikamente, die den Umsatz der Pharmafirmen steigerten. In der Summe wurden Gesunde krank und Kranke medikamentensüchtig.
Zahlreiche mental und emotional auffällige Verhaltensweisen gab es aber schon immer; doch nach und nach wurden die Betroffenen mit psychiatrischen Krankheitsdiagnosen versehen.

Lange Teile der Abhandlung im Buch gelten einer Abrechnung mit der Zunft der Psychiater. Allen Frances bezieht die Erfahrungen aus seiner Arbeit in die Kritik mit ein. Das macht ihn sympathisch.
Seine Ausführungen sind umfassend und präzise. Nicht immer sind sie griffig und leicht zu verstehen.

Vielleicht spiegelt sich in dieser mangelnden „Griffigkeit“ das ganze Dilemma der psychiatrischen Kunst: die Grenzen zu Verhaltensauffälligkeiten sind fließend, und einleuchtende Diagnosen sind nicht mit labortechnischen oder Bild gebenden Verfahren alleine zu gewinnen.

So gilt auch für die „Demenz“ die Frage, ob nicht einfach eine altersgemäße Vergesslichkeit zu beklagen ist.

Der Autor bedauert in besonderer Weise Diagnosen bei Kindern wie „Autismus, Aufmerksamkeitsdefizit/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS)“ etc.
Auffälligkeiten dieser Art gab es nach  Auffassung des Autors schon immer.

In seiner langen Abhandlung geht er auf die Anfänge transzendenter Welterklärung und Sinnsuche ein. Von den Schamanen über die griechische Götterwelt, die Dämonen und viele andere verlief die Suche der Menschheit nach Erklärungen für das, was nicht handfest zu verstehen war. Insofern liefert Allen Frances fast einen geschichtlichen Abriss der Entstehung und Behandlung seelischer Krankheiten. Breit angelegt und gut strukturiert darf man sich selber ein Bild machen über die Behandlungsformen bei bestimmten Auffälligkeiten mit ihren Diagnosen, die über Jahrhunderte hinweg ihren Weg bis ins Heute fanden. Frances appelliert an alle Betroffenen, seelische Krankheiten nicht zu leicht als Krankheiten zu begreifen. Trauer, Melancholie, Unruhe und Stimmungsschwankungen gehören zu unserem Leben und sind nicht immer mit dem Stigma einer bestimmten Pathologie zu belegen.

Doch unbestritten bleiben die Möglichkeiten, sich wie einst bei der Beichte Hilfe im Gespräch zu suchen. Sind doch Reflexionen über unerklärliche seelische Zustände oftmals durch die Außensicht besser zu verstehen, als das der einzelne im stillen Kämmerlein für sich alleine schaffen könnte.

Kenntnisreich und selbstkritisch warnt Allen Frances vor zu leichtfertigen Diagnosen.

Die Lektüre gibt zu denken und wird sicher eine interessierte Leserschaft finden.

Allen Frances
Normal
430 Seiten, gebunden
Dumont Buchverlag, April 2013
ISBN-10: 3832197001
ISBN-13: 978-3832197001
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Mely Kiyak: Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an

Mely Kiyak: Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an

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Lebensende oder neues Glück?

„Man stirbt.
Man steht morgens auf, macht seine Arbeit und stirbt.
Man träumt und stirbt.
Man gießt Blumen, geht einkaufen, schüttelt Decken aus und stirbt.“

Mit diesem immer wiederkehrenden Refrain beginnt Mely Kiyak ihren Roman über die tödliche Krankheit ihres Vaters.

Man spürt, wie tief berührt sie ist, als der Vater unerwartet an Lungenkrebs erkrankt. Jeden Tag ist sie bei ihm im Krankenhaus und erlebt die Atmosphäre aus Krankheit und Unausweichlichkeit. Ihr Vater weint, und sie kann es nicht aushalten. Kann man denn nichts tun?

Sie kann ihren Vater motivieren, in die Vergangenheit einzutauchen und Geschichten über die Familie zu erzählen. Da gibt es Tanten, Onkels, Großväter und eine Vielzahl von Anverwandten. Das Landleben und lange geübte Gewohnheiten bestimmen das Leben der weitläufigen Verwandtschaft und Freunde. Die großen Sippen mit ihren zahlreichen Mitgliedern leben in Frieden oder im Krieg mit einander. Man wird mit gerissen in einen Strom von Trauer, Abschiedsgedanken und Erinnerungen. Die Türkei mit ihren großen Familienclans und die Gegenwart in einem sauberen, seelenlosen und nach westlichem Standard ausgerüsteten Krankenhaus bieten die Bühne, auf dem sich das Leben von Tochter und Vater zuletzt abspielt.

Mely Kiyak ist eine erfolgreiche Journalistin, die vorübergehend ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen kann. Ihre Sorge um den kranken Vater scheint alles zu überwuchern. Er schwebt lange Zeit zwischen Leben und Tod. Nur die Geschichten, die er erzählt, lenken aus dem grauen Krankenhausalltag ab.

In diesen Geschichten spielt seine Herkunft aus Anatolien die bestimmende Rolle. Hier herrschen tradierte Lebensmuster, ein einfaches Leben ohne Komfort und ländliche Schlichtheit. Zum Westen der Türkei hin herrscht eine eher säkulare Welt, in der es gut besuchte Schulen und Universitäten gibt. Allerdings entwickeln Kinder aus benachteiligten analphabetisch geprägten Elternhäusern, die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, häufig ebenfalls ein aufgeklärtes und bildungsnahes Bürgertum.

Mely Kiyak ist eine liebevolle Tochter, die zwischen West und Ost zu vermitteln versucht. Sie hängt mit vollem Herzen an dem Mann, der hier als hilfloses Opfer der Medizin seinem Ende entgegen sieht. Er versteht vieles nicht und versucht sich dem abstrakten und wenig menschenfreundlichen Medizinbetrieb entgegen zu stemmen liebevoll betreut von Verwandten und Freunden.

Mely Kiyak schreibt emphatisch und mit Herzenswärme, wie sie die Zustände des Vaters miterlebt. Er wollte doch so gerne sein Rentnerdasein mit einer neuen Liebe genießen! Ob es ihm gelingen wird?

Das Buch geht zu Herzen. Es zeigt die innige Verbindung zwischen einem Vater und seiner Tochter. Die Autorin setzt ihm, den sie hoch achtet und liebt, ein lebendiges und lebhaftes Andenken. Sie bedenkt dabei sehr wohl, wie schwer es ist, sich aus alten Traditionen zu lösen und neue Formen zu finden. Stellvertretend für zahlreiche Mitbürger mit gleicher Vorgeschichte spricht sie von der Hoffnung und von dem Trost, mit dem die Heimkehrer ihr Lebensende zu Hause verbringen möchten. Nicht zuletzt erfährt man in einer der Erzählungen, wie auch der Vater die Tochter als kleines Kind dem Tod entreißt. Der Kreis hat sich geschlossen!

Mely Kiyak beweist sich als ausgezeichnete  Schriftstellerin, die reflektiert und sehr bewusst über sich und ihre Landsleute zu berichten weiß.

Mely Kiyak
Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an
256 Seiten, gebunden
S. FISCHER, Mai 2013)
ISBN-10: 3100382129
ISBN-13: 978-3100382122
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Joachim Meyerhoff: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war

Joachim Meyerhoff: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war

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Glückliche Kindheit trotz Widrigkeiten aller Art.

Joachim Meyerhoff hat ein Erinnerungsbuch der ganz besonderen Art geschrieben.
Er ist als Sohn des Anstaltsdirektors eines Landeskrankenhauses für Kinder –und Jugendpsychiatrie in Schleswig aufgewachsen.
Das Krankenhaus war Mitte der siebziger Jahre noch neu und wurde vom damaligen Schleswig – Holsteinischen Ministerpräsidenten Stoltenberg besucht. Alleine die Schilderung dieses Besuchs ist eine zum Lachen komische Geschichte.
Der muntere Icherzähler, zu Beginn ein kleiner Junge, weiß die schönsten und sehr anrührenden Geschichten von den Kranken, von seinem Vater, den zwei Brüdern und sich selbst zu erzählen. Die Mutter gilt als Medium ausgleichender Gerechtigkeit und Güte und spielt eine ebenso große Rolle wie der freundliche Vater, der an seinem eigenen Gewicht und seinen Gesundheitsbemühungen im buchstäblichen Sinne schwer zu tragen hat.

Die ganze Geschichte wird in einem drolligen Tonfall mit vielen skurrilen Einzelheiten erzählt.
Bubenstreiche, Querelen unter den drei Brüdern und der liebenswerte Hund der Familie bieten in ihrem lockeren Umgangston Anlass, sich wirklich zu amüsieren. Auch die selbstironischen Betrachtungen sind allemal ein Schmunzeln wert. Die beiden älteren Jungs sind immer schon ein Stück voraus und lassen den Kleinen zuweilen frustriert zurück. Letzterer allerdings neigt zu unwahrscheinlichen Wutausbrüchen, wenn etwas nicht nach seinem Kopf geht.

Vier Jugendlich Anstaltsbewohner dürfen zum Geburtstag des Vaters erscheinen. Das enttäuscht die Mutter sehr, die überhaupt reichlich zurückstecken muss hinter den Wünschen ihres Mannes. Sie hätte doch so gerne einmal „richtigen“ Besuch! Aber man macht das Beste draus, spielt, amüsiert sich und neckt einander.

Eine nette Familie ist da notgedrungen Mitbewohner in der psychiatrischen Anstalt. Der Vater ist ganz offensichtlich ein guter Anstaltsdirektors und zu Hause auch ein liebevoller Vater. Dass er es mit der Treue zu seiner Frau nicht so ganz genau nimmt, spielt erst im Verlauf der Geschichte eine ernsthafte Bedrohung für das glückliche Familienleben.
Über weite Teile ist die Geschichte locker und leicht erzählt und immer eine Spur humorvoll verbrämt. Erst zuletzt wechseln die fröhlichen Zeiten, und heftige Familienereignisse führen zur Auflösung einer in Ansätzen glücklichen Kindheit und Jugend.

Während der längere erste Teil des Romans durchaus als Jugendbuch durchgehen könnte, wird es im zweiten und ernsten Teil schicksalhaft bis traurig. Es folgen Einbrüche in den Familienalltag, die nicht zu erwarten waren. Sie haben tragische Folgen und zeigen, wie das Leben mit zunehmendem Alter und mit den Wechselfällen des Lebens seine Unbeschwertheit und die heitere Zuversicht verliert. Joachim Meyerhoff kann die Fröhlichkeit und den Ernst in einer unnachahmlich natürlichen Weise zum Klingen bringen. Sehr deutlich, Anteil nehmend und betroffen beschreibt er den Tod seines Vaters. Der in weitem Bogen ausholende Lebenskreis erschließt sich einem witzig, fröhlich, traurig, melancholisch und liebevoll zugleich.

„Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war!“
Damit ist treffend beschrieben, wie es wohl so manchem in der Rückerinnerung vorkommen mag: denn oft täuscht die Erinnerung und blendet aus, was schon viel früher hätte spürbar sein können!

Joachim Meyerhoff ist Schauspieler und wurde mit zahlreichen Preisen bedacht.

Joachim Meyerhoff
Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
Alle Toten fliegen hoch
Tei II
352 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, Februar 2013
ISBN-10: 3462045164
ISBN-13: 978-3462045161

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Sabine Bories: Wo ist eigentlich Batman, wenn man ihn mal braucht?

Sabine Bories: Wo ist eigentlich Batman, wenn man ihn mal braucht?

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Krankheit mit schwersten Folgen.

Was ist eigentlich eine Rheumatoide Arthritis?
Wer es nicht weiß, wird sich hier orientieren können.

Es handelt sich um eine schmerzhafte Autoimmunkrankheit. Wie das Wort „immun“ schon suggeriert, richten sich die Krankheitserreger gegen das eigene Immunsystem und zerbröseln die Knochen. Wie man sich vorstellen kann, tut das sehr weh!

Sabine B. hat in ihrer Not angefangen, ein iPod-Tagebuch zu schreiben. Das war eine äußerst originelle Idee, denn hier kann sie in Malereien ihr Leiden vergegenständlichen. Mit einem Malprogramm kann man ja auf dem iPod die schönsten Bilder hervorzaubern.

Mit dem traurig- grämlichen Gesichtsausdruck eines Mädchens auf der ersten Seite zeigt uns Sabine Bories nach der kurzen schriftlichen Einführung, wie es ihr so geht. In der Folge zeichnet sie viele Situationen und Stimmungen in Bildern.

Dass es sich um eine Krankengeschichte handelt, ist die eine Seite der Bilderzählung. Eine andere aber spricht über Freundinnen, Ehemann und Feiern, die man zusammen plant und genießt. Blumensträuße kommen an das Krankenbett, und Schwestern und Ärzte werden auf eine sinnhafte und sehr eindringliche Art und Weise karikiert. Gedanken an weitere Operationen spielen eine ebenso große Rolle wie die Befindlichkeiten nach misslungenen Eingriffen.

Die Bilder gewinnen in großen Strichen, jeweils zart oder gröber, Form und Farbe. Sehr klein geschriebene Texte erläutern gelegentlich das eine oder andere Geschehen. Ein Schmerzenstagebuch ist es sicher! Wer aber ein solches Tagebuch schreibt, der kann nicht ganz ohne Humor sein! Genau dieser kommt in der Geschichte nicht zu kurz. Mit Selbstironie und Beobachtungen der Umwelt gelingt der Autorin trotz der schweren Schmerzen eine skurrile, amüsante und auch geistreiche Geschichte, die Herz und Seele berührt.

Der Kranken geht die Puste nicht aus, um in unendlichen Fortsetzungen ihre (Kranken-)und Lebensgeschichte zu erzählen. Heiter, froh, duldsam und gelegentlich zornig ist sie immer bereit, ihr Schicksal zu ertragen und nicht aufzugeben. Man kann ihr gratulieren: zu ihrem Mut, ihrer Tatkraft, ihrem Humor und der beispielhaften Ironie, mit der sie auch den tristesten Erfahrungen, die sie mit ihrer Krankheit machen muss, noch trotzt. Und wo ist Batman, der Held der Rache und Gerechtigkeit?

Sabine Bories zeichnet sich selbst als diese Comicfigur von Bob Kane aus dem Jahr 1939.

Sabine Bories
Wo ist eigentlich Batman, wenn man ihn mal braucht?
176 Seiten, gebunden
Atrium-Verlag, Oktober 2012
ISBN-10: 3855350388
ISBN-13: 978-3855350384
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Brian Deleeuw: Der Andere

Brian Deleeuw: Der Andere

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Um es gleich vorweg zu sagen: Der Klappentext ist das spannendste an dem ganzen Buch. Und er hielt immerhin bis Seite 100 bei mir. Dann ging es nicht mehr, was bei mir schon etwas heißen will. Doch worum geht es in dem Roman?

Der sechsjährige Luke erfindet sich im Geiste einen Freund. Die Scheidung seiner Eltern und die Depressionen seiner Mutter sind nicht ganz unschuldig an der Entstehung dieses Freundes Daniel. Der Leser erfährt das Wachsen einer gespaltenen Persönlichkeit. Als Luke ist er ein braver Junge, wie ihn die Eltern lieben. Als Daniel hingegen wird er zum Fiesling. Das soll laut Klappentext schrecklich sein. Im Roman stachelt Daniel Luke etwa an, seinen Hund zu töten. Aber dieses wirklich Böse geschieht erst jenseits von 75 Seiten. Bis dahin herrschten jede Menge Verwirrung und immer wieder die Fragen: Was soll hier geschehen? Worauf soll der Roman hinauslaufen? Welches Ziel hat der „gute“ Luke? Will er seinen Insider wieder loswerden? Will er ihn pflegen?

Der Erzähler, den der Autor gewählt hat, ist ein Wagnis, ein Experiment. Es hat nicht funktioniert. Die Geschichte wird aus der Sicht der gespaltenen Person Daniel erzählt. Es wirkt eigenartig, wenn Daniel von Luke erzählt, den er dabei beobachtet, wie er etwas macht. Schließlich steckt Daniel in demselben Körper wie Luke. Das klingt dann etwa so: „Ich stieß mit dem Fuß unverhofft gegen das Sofa. Das tat sehr weh. Als Luke auf mich zukam, sah ich, dass er einen geschwollenen, dunkelroten Zeh hatte.“ Das ist sehr ermüdend. Außerdem passiert während alledem nicht viel, sodass auch die Handlung keine Spannung hergibt. Auf Seite 92 beginnt der zweite Teil des Buches, zwölf Jahre später, den ich in der Hoffnung zu lesen begann, dass es jetzt spannend würde. Aber meine Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Schade.

Thriller ist etwas anderes.

Deleeuw, Brian
Der Andere
Übersetzt von Ulrike Clewing
352 Seiten, broschiert
Knaur, München
ISBN-10: 3426503875
ISBN-13: 978-3426503874

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012
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John Green: Das Schicksal ist ein mieser Verräter

John Green: Das Schicksal ist ein mieser Verräter

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Das Leben, die Liebe und der Tod.

Diese Geschichte ist traurig. Doch wie sie erzählt wird ist bezaubernd, einfühlsam, echt und ehrlich.
Worum geht es?
Zwei Jugendliche begegnen sich in einer Selbsthilfegruppe für Krebskranke.

Hazel ist sechzehn Jahre alt und unheilbar an Krebs erkrankt. Sie will nicht in diese Gruppe, denn innerlich ist sie voller Rebellion und Auflehnung gegen ihr Schicksal. Als sie Augustus dort trifft, der sie anstarrt, ist es sehr bald um sie geschehen. Sie verliebt sich in diesen hübschen und aufmerksamen Jungen, der nur noch ein Bein hat. Das andere musste als Folge eines Knochenkrebses amputiert werden. Wer nun glaubt, er habe es mit einer gefühlsduseligen und rührseligen Geschichte zu tun, der irrt gewaltig!

Augustus ist ein Rebell wie Hazel und ironisch dazu. Auf der Ebene sachlicher und häufig zur Komik neigender Aussagen nähern sich die beiden in ihrer frühen Pubertät befindlichen Jugendlichen einander an. Sie können Mitleid und  Beileidsbekundungen nicht ausstehen. Eher wird übertrieben und gewitzelt, ohne je oberflächlich zu sein.

Die Dialoge zeugen von umwerfender Aufrichtigkeit, sarkastischem Hinnehmen und Wahrheitsliebe. Zugleich erlebt man eine Liebesgeschichte von rührender Hingabe und Anhänglichkeit im gemeinsamen Erleben von existenzieller Not und der Gewissheit der Begrenztheit des eigenen Lebens.

Selten wohl hat man in dieser Weise über Jugendliche mit Krebserkrankungen gelesen. Die Geschichte ist frei erfunden und zeigt doch eine außerordentliche Fähigkeit, sich in die Gefühlswelt der Kranken einzufühlen. Eltern und Kinder sind jeweils schwer getroffen. Die Peinlichkeiten und Frustrationen der begleitenden Umstände zu bewältigen, ohne zu verzagen, werden in dieser Geschichte überdeutlich dargestellt.

Ein ungewöhnliches Abenteuer verbindet zuletzt die beiden so schwer Kranken. Liebevoll, drastisch, traurig und zugleich froh genießen Hazel und Augustus ihre Liebe, und keiner weiß, wie lange sie auf Erden währen wird.

Auf dem Umweg über das Interesse an einem gemeinsam gelesenen Buch gelingt dem Autor John Green die feinfühlige Geschichte dieser Annäherung zweier schwer erkrankter junger Menschen. Mit unvergleichlichem Humor und Verständnis erzählt John Green seine Geschichte von Liebe und Tod, von Trauer und abenteuerlichem „Vorerleben“, wenn das Leben so früh enden muss.

Das als Jugendbuch deklarierte Kunstwerk wird jedoch besonders Erwachsene anrühren, so wie Jugendlich es nur bei dem nötigen Ernst für die Endlichkeit unseres Erdendaseins verstehen werden.

Der Autor John Green wird im Klappentext zu Recht mit Philip Roth und John Updike verglichen. Er lebt in Indianapolis/USA.

John Green
Das Schicksal ist ein mieser Verräter
288 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, 2. Auflage, Juli 2012
ISBN-10: 3446240098
ISBN-13: 978-3446240094
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