Die Affäre Calas

Die Affäre Calas

Die verstorbene Charlotte hat Sandrine zu ihrer Alleinerbin bestimmt. Sandrine wusste, dass ihre Tante sehr vermögend war. Sie muss nun ihren Beruf als Anwältin nicht mehr unbedingt ausüben. So bleibt sie nach der Beerdingung erst einmal in Südfrankreich, um alle Angelegenheiten in Ruhe zu regeln. Henri, einem Freund aus Kindertagen, dem es im Moment nicht allzu gut geht, erlaubt sie, ins Dachgeschoss des Hauses der Tante einzuziehen.
Zum Erbe gehört auch ein Brief Charlottes. Die alte Dame vertraut Sandrine hier nachträglich ein Familiengeheimnis an. Sie weist den Weg zu einer eisernen Kassette, die eingemauert in einer Kellerwand des Landhauses versteckt liegt. So erfährt Sandrine von der Affäre Calas und dass sie selbst ein Abkömmling dieser Familie ist – ihre Urgroßmutter stammte aus der berühmten Toulouser Familie. Die Tante wünscht, dass die Dokumente, die Sandrine vorfinden wird von ihr als Anwälin begutachtet und veröffentlicht werden.

Henri hilft den Schatz zu heben und Sandrine erfährt, was hinter der Affäre Calas steckt. Sie liest vom mysteriösen Tod des ältesten Sohnes der Familie, der 1761 geschah. Der Vater wurde ohne Beweise zum Mörder erklärt und hingerichtet. Die Briefe, Abschriften Voltaires, also keine Originale der Zeugen, erzählen von dem undurchsichtigen Fall, der immer noch Rätsel aufgibt.
Sandrine will ihn zusammen mit ihrem Jugendfreund Henri, in den sie sich verliebt, aufklären. Sie will wissen, ob der Vater den Sohn tatsächlich ermordet hat, ob es eventuell Selbstmord war, wie Voltaire vermutet, oder ob die Weißen Büßer, eine ominöse Bruderschaft, etwas mit dem Tod des jungen Mannes zu tun haben, vor denen die Tante bis zu ihrem Tod Angst hatte. Dass der Versuch der Aufklärung des Falles einige Menschen und auch Sandrine selbst geradewegs ins Verderben führen wird, ahnt die junge Anwältin nicht.

Die Autorin hat sich in ihrem Buch einem historischen Kriminalfall angenommen und lässt ihn noch einmal aufleben. Ihre Version der Geschichte (was Fiktion ist und was geschichtlichen Tatsachen entspricht, kann man dem Nachwort entnehmen) ist äußert spannend. Man liest das Buch mit wachsender Begeisterung.

Sandrine, eine junge Anwältin nimmt den Auftrag ihrer Tante an und beginnt, zusammen mit ihrem Jugendfreund Henri, nachzuforschen. Was sie zunächst als interessanten Zeitvertreib sieht, wird bald zu einem gefährlichen Spiel mit unbekannten Drahtziehern, die vor nichts zurückschrecken, um die Wahrheit zu vertuschen. Sandrine tatstet sich trotzdem immer weiter vor, versucht die Geschehnisse um den Mord zu rekonstruieren. Als Henri spurlos verschwindet, arbeitet sie mit einer Freundin weiter und später noch mit einem Vertrauten Henris.

Man braucht ein gutes Vorstellungsvermögen, um ihren Theorien folgen zu können. Wie nahe die drei der Wahrheit kommen, erfährt man aber erst zum Schluss. Bis dahin kann man kaum erahnen, in welche Richtung die Geschichte laufen wird.
Die Autorin kündigt das nahende Unheil immer wieder an, hält den Leser dadurch neugierig und hilft damit auch durch schwierige Stellen des Buches.

Sandrine ist eine interessante Persönlichkeit. Sie bleibt dran an dem Fall, auch als sie gesundheitliche Probleme bekommt und ihre Nerven nicht mehr mitspielen wollen. Sie wird dennoch nicht zur Heldin stilisiert und bleibt dadurch stets glaubwürdig.
Nicht zuletzt lebt das Buch von der Stimmung, die die Autorin geschaffen hat. Die Geschichte ist mysteriös und bleibt es bis zum Schluss.

Rezension von Heike Rau

Helene Luise Köppel
Die Affäre Calas
Aufbau Taschenbuch Verlag
400 Seiten, broschiert
ISBN: 978-3746623702
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Der letzte Weynfeldt

Der letzte Weynfeldt

Der letzte Weynfeldt: das ist Adrian, Sohn einer wohlbetuchten Familie, einziger und spät geborener Sohn seiner Eltern.

Er ist Kunstmäzen, Experte und Auktionator.
Schon Mitte fünfzig, bewegt er sich in zwei Freundeskreisen. Der eine setzt sich aus den älteren Freunden seiner Eltern zusammen, der andere aus jüngeren Künstlern, Architekten, Dichtern und solchen, die sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlagen.
Er führt ein Leben im Wohlstand und hilft gerne und diskret seinen Freunden mit finanziellen Mitteln aus, wenn diese sich einmal in einem Engpass befinden.
Klaus Baier befindet sich in einer Notlage, als er Weynfeldt ein Bild anbietet. Schon auf dem Cover des Buches findet man die Abbildung von: „La femme nue devant une salamandre“ des Schweizer Malers Felix Vallotton. Das Bild wird hoch gehandelt, und Baier verspricht sich viel von dem Verkauf.

Mit diesem Bild hat es eine besondere Bewandtnis, die im Verlauf der Geschichte zu aufregenden Verwicklungen führt.

In einer seiner nicht üblichen Handlungen hat Weynfeldt Lorena, die er in einer Bar traf, mit zu sich nach Hause genommen. Zu seiner Überraschung will sie sich am Morgen danach das Leben nehmen. Mit einigem Glück gelingt es ihm, sie davon abzubringen.

Neben dem geheimnisvollen Verkauf des Bildes ist es Lorena, die das Geschehen mit ihren ungewöhnlichen Auftritten bestimmt. Sie treibt ein Versteckspiel mit ihm, lässt ihn zappeln und fängt ihn mit ihren Spielchen ein, ihn, der nach einer betrauerten ersten Liebe sich mit dem Alleinsein schon eingerichtet hatte!

Suter baut seine Geschichte gemächlich auf. Mit der Beschreibung der Atmosphäre im Umfeld von Weynfeldt, seiner herrschaftlichen Wohnung, in der er residiert, seinem Tagesablauf, den Begegnungen mit Freunden und Mitarbeitern entsteht das freundliche Bild einer Stadt in er Schweiz mit ihren Bewohnern. Hinter der Fassade der guten Bürgerlichkeit und Weynfeldts argloser Wohlanständigkeit umgeben ihn subtile Machenschaften, von denen er nichts ahnt.

Sehr lange wissen wir nicht: handelt es sich hier um einen Liebesroman oder erwartet uns ein spannender Krimi?
Unermüdlich spinnt Suter die Geschichte fort. Mit der Ruhe des geübten Erzählers, der durch ausgefeilte Sätze und wortreiche Charakteristiken ein Bild der Menschen mit ihren Gewohnheiten zeichnet, steckt er den Rahmen für die Handlung ab. Das Thema Kunst, Kunstauktion und Handel bietet Gewähr für kultivierte und anspruchsvolle Unterhaltung.

Suter ist der Meister der subtilen Geschichten, die er langsam aufbaut, um sie zuletzt zu unerwarteten Höhen der Spannung und zu ebenso unerwarteten Lösungen hin zu treiben.

Mit diesem Roman ist ihm wieder ein Glanzstück gelungen!

Rezension von Claudine Borries

Martin Suter
Der letzte Weynfeldt
Spannende und kultivierte Unterhaltung
ISBN:3257066309
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Lerche

Lerche

Deszö Kosztolányi Lerche Manesse Bibliothek
ISBN 3717521446

In diesem kleinen Büchlein des 1936 bereits verstorbenen Autors Kosztolányi erwacht eine längst versunkene Welt in Ungarn z.Zt. der k.u.k – Monarchie für uns zu neuem Leben.

Fernab von den großen Städten mit ihrer Pracht erleben wir eine kleine Provinzstadt, in dem das Ehepaar Vajkay ihrem Alltag nachgeht.
In einer unspektakulären Handlung wird ihr Haus, die Inneneinrichtung, ihre Wohnung und ihr Leben mit ihrer ältlichen Tochter Lerche beschrieben.
Schon lange waren sie auf das Gut eines Vetters nur unweit ihres Städtchens eingeladen. Sie wollten die Einladung nie annehmen. Nun fährt statt ihrer die Tochter Lerche für eine Woche aufs Land.

Der Aufbruch der Tochter ist in allen Details aufgezeichnet.
Der Tisch im Wohnzimmer, auf dem sich die Sonnenstrahlen abzeichnen, die Couch, auf der noch Bänder zum Verschnüren liegen, der prall gefüllte Koffer und ein Korb mit allerhand Habseligkeiten stehen zur Abfahrt bereit.
Mit großem Aufwand begleiten die beiden alten Leutchen ihre Tochter zum Zug, der schon dampfend auf dem Gleis wartet.
Sie haben Tränen in den Augen beim Abschied und sind zum ersten Male seit langer Zeit alleine.
Zunächst etwas ratlos nehmen sie ihr Leben mit alten Bekannten in dem kleinen Städtchen wieder auf.

In feiner Manier und detailgenau werden die Gefühle der Alten zu Protokoll genommen. Man liest mit Entzücken über die Ruhe, die über der Stadt liegt. Das eintönige Leben läuft immer nach dem gleichen Maß ab. Zwischen den Zeilen spürt man die Ambivalenz gegenüber einer Tochter, die recht hässlich ist, und deren ältliche Gewohnheiten zum täglichen Allerlei gehören, und die man sogleich nach ihrer Abreise vermisst. Ein wenig aber darf man auch spüren, dass der Vater zwischen Zuneigung und stark verleugneter Abneigung schwankt. In einem Augenblick der Schwäche, er hatte ein wenig zu viel getrunken, rutscht ihm seine Abneigung, ja fast Hass, auch verbal heraus,–zum Entsetzen von Mutter!

In einer höchst einduckvollen und den damaligen Geflogenheiten gemäßen Sprache wird die Geschichte fort gesponnen.
Da steht ein Gasthausbesuch an, wo sich die Honoratioren treffen, und eine Theateraufführung steht ins Haus.

Die altmodische und differenzierte Sprachweise löst unweigerlich Bewunderung aus. Die k.u.k Monarchie ersteht mit ihrem Glanz und ihren konventionellen und höflichen Formen, ja so liebenswürdig und zuvorkommend charmanten Tönen des Umgangs miteinander. Man ist hingerissen von der filigranen Ausstattung der Beschreibungen. An jedem Wort und jedem Satz hat man seine Freude. Wie fast toten Gegenständen Leben eingehaucht wird, und ein langweiliges Provinzleben vor unseren Augen belebt wird; wie das Leben so ganz abseits vom Glanz der großen Welt auch im Kleinen seine Lebhaftigkeit und Reize enthüllt, das zeigt Meisterschaft.

Viele berühmte Dichter und Denker wurden Mitte des 19. Jahrhunderts geboren. Zu ihnen gehörten Musil, Broch, Th. Mann, Kafka, Einstein u.a. Aus Ungarn stammten Dichter, die uns heute fremd sind. So manches Kleinod mag darunter noch zu finden sein. Kosztolányi wird in einem Nachwort von Péter Esterházy als einer der besten Dichter jener ungarischen Zeit um die Jahrhundertwende benannt.

Das kleine, wunderschön aufgemachte Büchlein ist eine Kostbarkeit für Menschen mit bibliophilen Neigungen! Ich möchte es sehr empfehlen!

Rezension von Claudine BorriesBestellen

Nicht so schlimm

Nicht so schlimm

Er ist fremdgegangen, jedenfalls fast, will seine Frau verlassen. Doch ganz schnell ändert er seine Meinung wieder. Dennoch ist die Ehekrise perfekt. Sie schlägt ihn fast tot, er erträgt es aus dem Schuldgefühl heraus, glaubt, es verdient zu haben. Sie verprügelt ihn, bis sie denkt, mit ihm quitt zu sein. Dann verarztet sie ihn.

Aber es wird nicht wieder gut. Jetzt betrügt sie ihn, nicht nur fast. Es ist ihre Rache. Er schafft es nicht, sie zu verlassen. Will seine Ruhe haben, ein trautes Familienleben mit Frau und Kindern.

Und doch lässt er sich wieder auf eine andere Frau ein. Nicht er selbst beginnt den Flirt, sondern sie, die andere, die ihm ihre Telefonnummer durch einen Kellner hat geben lassen. Sie könnte seine nächste große Liebe werden. Doch seine Ehefrau wird zur Furie.

Der Autor schafft eine ungeahnte Nähe, lässt seinen Icherzähler den Leser direkt ansprechen, als wäre er sein bester Freund. Er vertraut ihm seine intimsten Gedanken an. Sein ganzes Herz schüttet der Protagonist aus, erzählt vom Ende seiner Ehe. Schonungslos und ohne einmal zwischendurch Luft zu holen. Das Buch hat Tiefgang, fast kommt es einer Beichte gleich.

Die Geschichte erschüttert. Erzählt sie doch vom Ende der Beziehung zweier Menschen, die eigentlich für immer zusammenbleiben wollten. Wenn die Liebe geht, kommt der Schmerz. Der Prozess des Auseinandergehens ist geprägt von Eifersucht. So nah zum Zeuge dieser Entwicklung zu werden, ist nicht leicht zu verkraften. Aber der Autor nimmt dem Leser nicht jede Hoffnung, sonder nur seine Illusionen.

Rezension von Heike Rau

Nicolas Fargues
Nicht so schlimm
Deutsch von Frank Wegner
187 Seiten, gebunden
Rowohlt Verlag
ISBN: 978-3498021177
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Mark Beaman: Handbuch der Vogelbestimmung – Europa und Westpaläarktis

Mark Beaman: Handbuch der Vogelbestimmung – Europa und Westpaläarktis

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Vögel zu beobachten ist ein sehr beliebtes Hobby. Die Vögel, die ans Futterhäuschen kommen, lernt man sicher sehr schnell kennen. So wird das Interesse geweckt, auch die weniger bekannten Vogelarten kennen zu lernen. Aber um umfangreiche Feldforschungen betreiben zu können, ist ein sehr breitgefächertes Wissen erforderlich. Ein gutes Nachlagewerk ist unerlässlich.
„Handbuch der Vogelbestimmung“ ist solch ein Werk. Beschrieben werden alle Vogelarten (über 850), die in Europa, bzw. in den Grenzen der westlichen Paläarktis beobachtet worden sind. Auch seltene Ausnahmegäste und eingebürgerte Arten werden beschrieben.

Es gibt einen ausführlichen, etwa 25 Seiten langen Einführungstext. Hier wird die Kunst der Vogelbestimmung erklärt. Es wird erörtert, was bei der Vogelbestimmung beachtet werden muss und was von besonderer Bedeutung ist. Damit ist das Buch für Anfänger, erfahrene Beobachter und Ornithologen gleichermaßen geeignet.

Zur Verfügung gestellt wird ausgesprochen viel Bildmaterial. Die Zeichnungen sind äußerst detailliert. Präsentiert werden diese in Bildtafeln, so dass man gut Vergleiche ziehen kann. Andererseits kann man so nicht den Text mit dem Bild direkt vergleichen, sondern muss hin und her blättern. Die Verbreitung der Arten kann man dem Kartenmaterial entnehmen. Die Porträts der Vögel erfolgen in Texten, die stichpunktartig gehalten und dennoch sehr umfangreich sind. Die Formulierungen sind gut gewählt und äußerst treffend. Die Autoren helfen dem Vorstellungsvermögen sehr gut auf die Sprünge. Wer sich mit den verwendeten Fachbegriffen nicht gut auskennt, findet Erklärungen im Buch. Es gibt auch ein Glossar. Selbstverständlich verfügt das Buch über ein Register der lateinischen und der deutschen Vogelnamen.

Fazit: Das Buch ist ein sehr umfangreiches Nachschlagewerk, dass durch seine Einzigartigkeit fasziniert.

Rezension von Heike Rau

Mark Beaman / Steve Madge
Handbuch der Vogelbestimmung – Europa und Westpaläarktis
Aus dem Englischen von Detlef Singer
2. korrigierte Auflage
869 Seiten, 8000 Farbzeichnungen, 641 Verbreitungskarten
Verlag Eugen Ulmer Stuttgart
ISBN 978-3-8001-5494-4
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Die kommende Welt

Die kommende Welt

Im Jahr 2001 kam auf einer Singleparty zu Ehren von Marc Chagalls Bildern im Jüdischen Museum in New York ein kleines Bild < Über Witebsk > abhanden.

Marc Chagall hatte 1919 in der jüdischen Kinderkolonie Malachowka gearbeitet. Die Kinder waren während der russischen Revolution bei Pogromen an Juden zu Waisen geworden. Viele seiner Bilder sind dort entstanden, so auch das entwendete Gemälde in New York. Chagall lebte in seinen späteren Jahren in New York und überlebte viele seiner Künstlerkollegen, mit denen er in Malachowka zusammen gearbeitet hatte.

Angeregt durch den Diebstahl hat Dara Horn eine Familiensaga erfunden, die uns zurück nach Russland und in die Jetztzeit nach New York führt.

Die Familie Ziskind bildet den Plot.
Sie wird ähnlich wie die Bilder von Chagall, die Träumen gleichen, in verschiedenen Schattierungen und an unterschiedlichen Orten beschrieben.

Boris Kulback war 1920 mit 11 Jahren in dem Kinderheim Malachowka für jüdische Waisenkinder gelandet und bekam von seinem Zeichenlehrer Chagall ein Bild geschenkt. Seine Tochter Raisa wird es behalten und in ihre Familie mitnehmen.
Als Ben das Bild 2001 in New York in der Ausstellung wieder entdeckte, nahm er es ohne Skrupel an sich. Es gehörte seiner Familie. Was er nicht wusste: seine Mutter hatte es nach dem Tod des Vaters aus Geldnot verkauft.
Unschwer lässt sich erraten, dass seine Mutter die Tochter von Boris Kulback ist.

Die Kuratorin des Museums, Erica Frank, kommt bald dahinter, dass Ben hinter den Diebstahl steckt.

Ben lebt in New York, ist geschieden, war ursprünglich ein Wunderkind und schlägt sich nun tapfer als Erfinder von Quizfragen durch. Seine Zwillingsschwester Sara wird ein Kind bekommen von Leonid, ihrem geschäftstüchtigen Ehemann. Die Mutter von Sara und Ben war Illustratorin und hat bekannte Geschichten jüdischer Autoren für ihre Kinderbücher nacherzählt. Sie ist kürzlich verstorben.
Eines ihrer Bücher heißt < Die kommende Welt >. Ben versteht eines Tages, dass die Geschichten nicht auf das Jenseits gerichtet sind, sondern dass die kommende Welt die Zukunft ist, die man mit den eigenen Entscheidungen in diesem Leben schafft.

Die Autorin wechselt die Zeitebenen, so dass ein wechselvolles Familiengemälde entsteht.
Durch das jüdische Leben in Russland und das jüdische Leben in New York entstehen Parallelwelten. Verbunden bleiben sie durch die Familiengeschichte der Ziskinds.

Atmosphärisch eindringlich und mit Humor werden die Eigenheiten der Einwanderer russisch-jüdischer Abstammung vorgestellt. Archaische Familiengebote bestimmen auch in der neuen Welt das Leben jüdischer Familien. Bens Vater musste im Vietnamkrieg kämpfen, um unabhängig vom Vater sein Studium zu beenden, denn die Ehe mit Raisa war dem Vater nicht genehm.

Die phantasievolle Ausschmückung der Familiengeschichte ist bestrickend. Einmal befindet man sich im Russland der Verfolgungen, unter denen schon früh die Bürger jüdischer Herkunft zu leiden hatten. Dann wieder ist man in der apokalyptischen Gegenwart der Welt des Terrorismus in New York.
In einer skurrilen, traumähnlichen Weise wird der zukünftige Erdenbürger Daniel, das Kind, das Sara erwartet, über die kommende Welt aufgeklärt. Die Sprache erinnert in ihrer Ausschmückung an die schwebenden, erdenfernen Bilder von Chagall. Man wird sehr lebhaft in diese Traumwelt hineinversetzt.

Die Geschichten der einzelnen Protagonisten sind in vielfältiger Weise miteinander verwoben.

Ein Gesamteindruck bildet sich erst nach und nach heraus. Lebensgeschichten und Familiengeschichten folgen eigenen Gesetzen, im Leben wie im Roman.
Die Autorin kennt sich gut aus mit dem jüdischen Glauben. Für Juden ist die kommende Welt die Verheißung auf das gelobte Land.

Das jüdische Viertel in New York gewinnt Leben durch die Tradition und die rituellen Feste. Das Yiddische wird vermischt mit dem Russisch der Herkunftsländer gesprochen.
Der Plot wird immer verwickelter und spannender. Ein weit gespannter Bogen führt vom Gestern bis in die Gegenwart.

Träumerisch, teilweise beängstigend, unwirklich und real: die Mischung lässt das Werk zu einem opulent ausgeschmückten und reich verzierten Bild werden, das den Gemälden von Chagall im Wort nacheifert.

Die Vermischung des realistischen Ausgangspunkts der Geschichte hin zu einem spannenden und ausschweifenden Familienbild, witzig, komisch und von jüdischem Humor getragen, bietet ein ungewöhnliches Szenario.

In einem Nachwort berichtet die Autorin von den jüdischen Schriftstellern, die ermordet wurden. Sie hatten sich in der Kolonie Malachowka mit Chagall zusammengefunden. In Anlehnung an ihre Erzählungen hat Dara Horn einige ihrer Geschichten im Roman ausgestaltet.
Dara Horn hat in Harvard hebräische und jiddische Literatur studiert und lebt heute in New York.

Dara Horn
Die kommende Welt
Jüdische Familiensaga zwischen Traum und Wirklichkeit
ISBN:3833305290
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Markus Grill: Kranke Geschäfte

Markus Grill: Kranke Geschäfte

Gesundheit ist ein wertvolles Gut. Unbestritten wird viel Geld dafür ausgegeben. Neben den Krankenkassenbeiträgen und den zusätzlichen Leistungen und Gebühren, stehen auch hohe Kosten für Medikamente an. Das Vertrauen in die Ärzteschaft, die Pharmaindustrie und in das Gesundheitswesen allgemein ist gesunken.

Der Titel des Buches verspricht Aufklärung. Es ist als Informationsquelle für Patienten gedacht und sicherlich auch interessant zu lesen. Der Autor hat für sein Buch viele Quellen genutzt und präsentiert nun die daraus gewonnenen Daten in zusammengefasster Form. Auch wenn das Zahlenmaterial oft etwas angestaubt wirkt und nicht immer durch Aktualität glänzt, die Pharmaindustrie kommt dabei nicht gut weg. Das war zu erwarten. Panikmache kann man dem Autor aber nicht unterstellen, viel mehr geht es darum, die Missstände aufzudecken. Das ist spannend, aber sicher ist auch in anderen Branchen ähnliches Vorgehen üblich. Nicht selten wird Gewinn um jeden Preis gemacht. Wie die Marketingstrategien der Pharmaindustrie aussehen, erfährt der Leser bis ins Detail und auch in welche Rolle er als Patient dabei gedrängt wird.

Was vom Buch bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Aber die Verdienste der Pharmaindustrie werden in diesem Buch nicht erwähnt. Es wirkt darum sehr einseitig geschrieben. So ist der Nutzen, der für den Patienten durch das Lesen entsteht, eher gering. Aber das Buch bietet interessante Einblicke und vermittelt Wissen um die Vorgänge im Gesundheitswesen, sehr genau recherchiert, nachprüfbar durch Quellenangaben und gut lesbar aufbereitet.

Rezension von Heike Rau

Markus Grill
Kranke Geschäfte
Wie die Pharmaindustrie uns manipuliert
224 Seiten, Klappenbroschur
Rowohlt Verlag
ISBN: 978-3498025090
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Golden

Golden

Lissys Familie zieht in einen anderen Bundesstaat, um ein neues Leben zu beginnen. Alles soll von nun an ganz normal werden. Für Lissy bedeutet das, Schluss mit der Farbsicht. Alle weiblichen Mitglieder der Familie verfügen über eine übersinnliche Gabe, auch wenn sich bei Schwester Lexie noch keine gezeigt hat. Aber nicht zuletzt sind diese Fähigkeiten Schuld daran, dass die Familie umziehen muss. Es geht zurück in die Heimat von Lizzys Mutter. Hier leben noch andere Verwandte.

Lissy lernt Violetta, Lilah und Tracy kennen und erfährt, dass es an ihrer zukünftigen Schule, der Emory High eine Rangordnung, bestehend aus den Goldenen und dem traurigen Rest, gibt. Lilah ist die Anführerin der Goldenen und hat dementsprechend großen Einfluss. Lissy will sich dem nicht unterordnen, sie schließt sich Andra an, die nicht zu den Goldenen gehört und handelt sich damit Ärger ein. Sie wird weitgehend geschnitten und als Außenseiterin behandelt. Ihre Gabe, die Aura von Menschen zu sehen, lässt sich natürlich nicht unterdrücken. Als sie der schmutzigen Aura ihres Mathelehrers gewahr wird, haut es Lizzy um. Ihn umgibt die Farbe des Nichts. Lizzy weiß, was das heißt. Der Mathelehrer ist ein sehr gefährlicher Mensch. Er könnte sogar ein Mörder sein.

Lizzy vertraut sich ihrer Familie an. Doch niemand schenkt ihr Glauben. Alle sind der Meinung, dass der Lehrer ein wunderbarer Mensch ist. Lizzy muss etwas tun. Sie schließt sich mit ihrer Schwester, die ihr seltsamerweise glaubt und den wenigen Freunden, die sie gefunden hat, zusammen, um hinter das Geheimnis des Mathelehrers zu kommen.

„Golden“ ist ein spannender Mystery-Thriller für Jugendliche. Die Geschichte beginnt recht harmlos. Lissy muss sich in die neue Umgebung eingewöhnen und kämpft mit den üblichen Problemen. Dank ihrer Gabe, kann sie Menschen aber besser einschätzen und ist damit klar im Vorteil. Diese Übersinnlichkeit nimmt man ihr ab, auch wenn die Autorin übertreibt, als sie Lizzy ihren Körper verlassen lässt.

Das Buch entwickelt sich nach dem ruhigen ersten Drittel schnell zum Thriller. Es fehlt der Geschichte hin und wieder an Tempo, dennoch bleibt die Spannung erhalten. Schließlich findet eine Wende statt, die man so nicht erwartet.
Da die Autorin auf Schockeffekte verzichtet, stellt sich kein Gänsehautgefühl ein. Sicher wäre aus dieser Story mehr herauszuholen gewesen. Andererseits kann man diesen Krimi lesen, ohne Herzrasen befürchten zu müssen. Das Buch ist damit auch für nicht ganz so nervenstarke Leser geeignet.

Rezension von Heike Rau

Jennifer Lynn Barnes
Golden
Deutsch von Ulrike Nolte
256 Seiten, gebunden
Bloomsbury Kinder- und Jugendbücher
ISBN: 978-3827051523
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Karlmann

Karlmann

Ein Tennismatch als Parabel auf das Leben: Sieg oder Niederlage!
So beginnt M. Kleeberg seinen Roman über Karlmann Charly Renn, einen Normalbürger.
Es ist Charlys Hochzeitstag, an dem Boris Becker Wimbledonsieger wurde, und er sieht sich ebenfalls als Sieger: seine Frau schöne Christina, die er am Morgen geheiratet hat, wartet mit dem Fest auf ihn. Er sitzt ein letztes Mal mit seinen Freunden zusammen, bevor sein neues Leben beginnt.

Detailliert wird die Szene um den Hochzeitsabend und das Mahl zu Protokoll gegeben. Die Kleider und die Menschen erfahren ausgiebige Würdigungen. Assoziativ beleben die Gedanken von Karlmann das Bild.
Die Familie von Christina, seiner Braut, wurde von seiner Familie als nicht ganz standesgemäß angesehen. Ihr Vater ist Tischler, während Charly aus einer angesehenen Juweliersfamilie kommt. Die Begegnung der beiden Familien verläuft entsprechend aneinander vorbei.
Die alten Freunde und Freundinnen sind natürlich mit von der Party.
Dem Leser ist nicht ganz geheuer, wie es denn nun um Charlys Zukunftsplanungen bestellt ist. Entgegen aller festlichen Feiern wirkt sein Blick unterkühlt analysierend und gar nicht so froh.

Interessant ist die Sichtweise des Helden dieser Geschichte: alles Pompöse ist ihm peinlich, von der < Beiläufigkeit >, die er bevorzugt, ist die Rede.
Er ist der Prototyp des Bürgers der Wende zum 21. Jahrhundert. Da ist Understatement gefragt. Protzen, Angeben, alles Künstliche und Aufgesetzte wird ironisiert.

Reflektierend durchschreitet er sein Leben.

Geschäftsführer eines Autohauses, das seinem Vater gehört, in der Ehe nicht wirklich zu Hause, bleibt er ein Skeptiker und Zweifler, der alles durchschaut und doch in den Fängen des Alltags hängen bleibt.
In langen Gedankenfetzen, Selbstgesprächen und immer wieder eingeblendeten kritischen Anmerkungen bei entsprechenden Anlässen ziehen die ersten drei Jahre von Charlys Zusammenleben mit Christina vorüber.
Am Ende sieht es trübe aus: in seinem Leben und in seiner Ehe.

Das Buch spiegelt eine Zeit, in der viele Fragen an das Leben unbeantwortet bleiben werden. In der Gesellschaft ist Erfolgsstreben angesagt. Abhängigkeiten in der Familie schränken Charlys eigene Entwicklung bedrohlich ein.
Eine ohnmächtige innere Leere macht sich breit.
Christina aber schwingt sich zu eigenem beruflichem Fortkommen auf.
Kleeberg bietet eine Analyse des Gegenwartsmenschen. Die Bedrückungen des Alltäglichen und der Mangel an Eigeninitiative lassen Charly in die Welt vor seiner Eheschließung zurückfallen.
Sein Weitblick und sein Einsehen sind zu beschränkt, um zu bemerken, dass Perspektiven fehlen, und Christina dieses Leben nicht weiter mittragen will.

Charakteristisch für die Reflexionen bleibt das Nachdenken über den Tag und das, was kommen mag. Kleeberg hat mit seinem Roman den Nerv der Zeit getroffen!
Der ist Übersetzer von Prousts Werken. Seine Prosa ist nicht ganz unbeeinflusst von der reflektierenden Bewusstseinsliteratur des großen französischen Schriftstellers!

Michael Kleeberg
Karlmann
Normalbürger unserer Zeit
ISBN:3421054592
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Lola Löwenherz

Lola Löwenherz

Lola ist seit einer Woche die stolze Besitzerin eines Kätzchens. Leider ist Schneewittchen keine Schmusekatze. Immer versteckt sie sich. Heraus kommt sie nur zum Fressen oder wenn sie sich unbeobachtet fühlt. Lola ist sehr traurig darüber, dass das Kätzchen sich nicht streicheln lässt.
In der Schule sieht es auch nicht so gut aus. In Mathe schreibt Lola wieder eine sechs. Außerdem steht der Schulwechsel kurz bevor. Wenigstens wird sie die neue Schule gemeinsam mit ihrer Freundin Flo besuchen können.
Lina hat ganz andere Sorgen, ihr Opa ist schwer krank. Da braucht sie jetzt Lolas Trost.
Annalisa hat zu ihrem Geburtstag, zu dem Lola nicht eingeladen war, ein Katzenbaby geschenkt bekommen. Nun muss Lola sich anhören, wie lieb das Kätzchen ist. Ihres lässt sich dagegen nicht mal mit „Katzenknusperspaß“ locken. Omas Buch „Geheimtipps für Kätzchenbesitzer“ hilft auch nicht weiter.
Als ein Zirkus im Viertel Halt macht, lernt Lola eine kleine Ziege kennen. Sie erfährt, das diese sich nicht dressieren lässt und deswegen immer angebunden auf der Wiese steht.
Aber nun muss erst einmal die neue Schule kennen gelernt werden. Es ist Tag der offenen Tür. Die Schule gefällt Lola. Überhaupt wendet sich alles zum Besseren. Alex ruft endlich an. Lola hat schon ewig auf seinen Anruf gewartet.
Dann läuft das scheue Kätzchen weg und sucht sich einfach ein neues Zuhause. Was soll Lola da nur machen?

Lola ist ein ganz normales Mädchen. Jedes Kind kann sich sicher gut mit ihr identifizieren. Sie hat ihre Sorgen und Nöte wie jeder andere. Die Geschichte ist dem Leben entnommen und sehr realistisch. Beschrieben wird also Lolas Alltag zu Hause und in der Schule. Dabei geht es manchmal sehr turbulent zu, manches stimmt aber auch nachdenklich. Man lacht mit Lola, wenn ihr Lustiges passiert und man fühlt mit ihr, wenn sie traurig ist.
Lola ist ein liebenswertes Mädchen mit sehr viel Fantasie, man kann nur staunen, was sie sich in ihren Träumen so alles ausdenkt. Dennoch steht sie mit beiden Beinen fest im Leben, setzt sich ein für die Dinge, an die sie glaubt. Auch dass sie ein großes Herz für Tiere hat, beweist sie in diesem Band.

Der Schreibstil der Autorin gefällt gut. Die Geschichte lässt sich gut verfolgen. Die große Schrift erleichtert das Lesen. Es gibt sogar einige schwarz-weiße Illustrationen. Gut ist es, wenn man die vorangegangenen Bände kennt. Die Autorin bezieht sich immer wieder darauf. Das Buch ist weitgehend in sich abgeschlossen und doch ist das Ende offen, so dass man sich sicher auf ein weiteres Buch mit Lola freuen darf.

Rezension von Heike Rau

Isabel Abedi
Lola Löwenherz
Band 5
Illustrationen von Dagmar Henze
283 Seiten, gebunden
ab 8 Jahren
Loewe Verlag
ISBN: 978-3785556740
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