1.+ 2. Dezember

1.Dezember

Sabrina hatte schlechte Laune. Ihre Mutter war der Ansicht, dass sie zu viele Süßigkeiten äße und deshalb hatte sie dieses Jahr nur einen ganz gewöhnlichen Adventskalender bekommen. Das musste man sich einmal vorstellen!
Vierundzwanzig Türchen mit vierundzwanzig garantiert, stinklangweiligen Bildern dahinter! Ihre Freundinnen würden sie auslachen. Am besten sprach sie erst gar nicht über die Existenz dieses Adventskalenders.
Dabei hatte sie ihre Mutter wirklich oft genug darauf hingewiesen, dass sie den tollen Pferdekalender wollte, der im Schreibwarenladen um die Ecke schon seit Oktober das Schaufenster zierte. Sie seufzte und tat sich dabei furchtbar leid. Nein, dachte sie trotzig, sie würde die Türchen überhaupt nicht öffnen.
»Sabrina!« Die Stimme ihrer Mutter drang leise zu ihr vor, und dem Klang nach zu urteilen, rief sie nicht zum ersten Mal.
»Was ist denn, Mama?«, fragte sie zurück.
»Hast du mal auf die Uhr geschaut? Es ist halb acht! Hast du heute später Schule?«
Mist! Sabrina erschrak. Blitzschnell schlüpfte sie in ihre Jeans, zog den Pullover über und raste mit der Schultasche die Treppe hinunter.
»Du brichst dir noch einmal den Hals«, tadelte die Mutter. Sabrina verdrehte die Augen. Sie konnte ihr es aber auch nie recht machen. Wenn sie trödelte, wurde sie geschimpft und wenn sie sich beeilte, auch. Typisch Erwachsene!
Sie schnappte sich ihren Anorak und die Handschuhe, stopfte eilig noch die Brotzeit in die Schultasche und warf die Türe hinter sich zu.
»Und vergiss nicht...«, hörte sie ihre Mutter gerade noch ansetzen, aber da fiel die Türe schon ins Schloss.
».. die Mütze aufzuziehen«, vervollständigte Sabrina in Gedanken den angefangenen Satz und verzog das Gesicht. Die Sprüche kannte sie zu Genüge.

Als sie von der Schule wieder heimkam, begegnete sie einem Schornsteinfeger.
»Einen wunderschönen Tag wünsche ich dem Fräulein Sabrina.«
Nanu! Sabrina wunderte sich. Woher wusste der denn, wie sie hieß? Naja, jedenfalls hatte er keine Ahnung. Wunderschöner Tag! Sie seufzte laut. Ihre Mutter würde nicht begeistert sein, wenn sie ihr die Fünf in Geschichte zeigte. Also, von wegen wunderschöner Tag!


2.Dezember

Als Sabrina, wie so oft, viel zu spät aus dem Bett sprang, fiel ihr Blick auf den Adventskalender. Sollte sie vielleicht doch? Nein, sie würde die Türchen zulassen. So ein Babykram! Sie stellte ihn auf den Schreibtisch zurück, zog sich hastig an und rannte, wieder einmal viel zu schnell, die Treppe hinunter.

Der Vormittag in der Schule verlief wie immer. Gott sei Dank war morgen Samstag und sie konnte ausschlafen.
Nachmittags ging sie zu ihrer Freundin Hanna. Auf dem Weg dorthin traf sie die alte Frau Kroll. Sie wohnte ein paar Häuser weiter. Frau Kroll war ziemlich klein, hatte grüne Augen, ganz weiße Haare, die sie stets zu einem Knoten hochsteckte und sie lächelte einen meistens an. Außerdem trug sie ausschließlich Röcke und dazu eine Bluse, kurzärmelig im Sommer und langärmelig im Winter.
»Guten Tag, Frau Kroll!«, sagte Sabrina höflich. Ihre Mutter wollte, dass sie alle Nachbarn grüßte, auch die unangenehmen. Sie hatte leicht reden, sie wurde ja auch nicht geschimpft. Manche Leute fanden immer etwas zu meckern. Aber bei der alten Frau Kroll machte es ihr nichts aus. Sie schimpfte auch die Kinder nicht.
»Grüß Gott Sabrina!«, erwiderte Frau Kroll freundlich, »Na, freust du dich, dass Wochenende ist?« Sabrina nickte. »Das Wetter soll ja nicht so toll werden. Gerade richtig, um mal wieder in alten Sachen zu wühlen oder in der Vergangenheit zu stöbern!«
Sabrina verstand zwar nicht wovon die alte Dame redete, aber sie lächelte zustimmend, verabschiedete sich und besuchte endlich ihre Freundin.

Abends lag sie im Bett und betrachtete wieder den Adventskalender. Und wenn sie nur einmal probeweise ein Türchen öffnete? Nein, sie hatte sich doch vorgenommen, den Kalender zu ignorieren. Außerdem, sie gähnte, war sie jetzt sowieso zu müde. Sie knipste die Nachttischlampe aus und schlief sofort ein.
 



 
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