1. Das Abenteuer, das „ich“ heißt
Auch wenn die Zeiten des blinden Eiferns längst Vergangenheit sind und ich heute kopfschüttelnd auf die Person zurückblicke, die ich damals war, so habe ich mir doch trotz aller Einsamkeit, trotz aller Absonderlichkeit, die mir mein Verhalten einbrachte, einen gewissen Stolz bewahrt. Einen Stolz auf die Erkenntnisse, die ich damals gewann, die ich bedingungslos auf mein Leben übertrug, ja zelebrierte, denen ich mein Leben weihte, und die mich schließlich brachen. Sie brachen mich, aber sie konnten nie den innersten Kern meiner Persönlichkeit brechen, da sie aus dieser Persönlichkeit geboren waren. Sie waren nichts ohne mich. Ich gebar sie, und sie mußten zum Vatermörder werden, aber jeder ermordete Vater lebt in seinen Kindern fort, sogar (und gerade dann!) wenn die Kinder selbst die Mörder sind. Heute sitze ich da, arm, alt, und erfülle das Bild des „Gescheiterten“, das die Leute in ihren Köpfen haben. Wer mich sieht, ahnt nichts von den Welten, die ich in mir trage; wer mir ins Gesicht blickt, sieht einen Schatten und wird vermuten, daß ich einer von vielen bin. Er denkt, ich sei ein Beliebiger, glaubt vielleicht, ich sei einer jener schwachen Geister, die ihr ganzes trauriges Leben in der Enge der eigenen Kleingeistigkeit verbringen, sich ein Leben lang nur auf dem Rückzug befinden. Und diesen Irrglauben könnte ich nicht einmal jemandem übel nehmen, denn es gibt so viele von ihnen, zu viele ... Sie hätten Lichter sein können, aber sie wurden zu Schatten! Sie, diese Erleider und Jammerer, diese Verschanzer und Fallensteller, diese Flüsterer und Rauner, Keifer und Zeterer, diese Augenverschließer und Hände-in-Unschuld-Wascher! Diese Träger einer Zaunmentalität, die sich ein Leben lang belügen, die ab der Pubertät, wenn sie zum ersten Mal auf schmerzlichste Art und Weise erkennen müssen, daß sie scheitern (in erster Linie sexuell), vor dem Antlitz der Wahrheit fliehen und sich dumpf und betäubt durchs Leben treiben lassen, sich einnisten und vermummen, schweigen und warten, siechen und dämmern, bis der Tag ihrer Erlösung kommt, da sie von ihrem täglichen Kreuzweg des Scheiterns befreit werden. Glück für sie, daß ihr hartes Äußeres irgendwann so dick und gefühllos geworden ist, daß sie ihr Scheitern nicht mehr wahrnehmen!
Bin ich berechtigt, diese Worte zu schreiben, dieses Urteil zu fällen? Oder vergesse ich dabei, daß es Schatten überhaupt nur geben kann, wenn auch Licht existiert? Ist vielleicht nicht jeder, der Licht in sich trägt, automatisch Schuld am Schattendasein anderer? Wie steht es um mich selbst – glaubt man, daß ich ein Schatten bin? Hatte ich einst ein Licht in mir, und nun ist es erloschen? Flackert es noch? Ahnt man, wenn man mich ansieht, vielleicht wenigstens, wer ich war? Bin ich gezeichnet von den schweren inneren Kämpfen meines Lebens, ist mein Blick vernarbt? Ist in meinen Augen eine Regung von Wachheit zu erkennen; ist meine Art, jemanden anzusehen, die eines Wissenden? – Nein, ich bin kein Schatten. Ich fühle Licht in mir. Ich fühle es umso stärker, je älter und schwächer es wird. Nur kein Schatten! Ich liebe die Dunkelheit, aber ich habe Angst vor Schatten!
Arm bin ich, alt, vielleicht gescheitert, aber nicht vollständig zerstört. Etwas ist noch in mir, und wenn es nur der schwache Stolz darüber ist, etwas entdeckt zu haben. Dieser Rest an Würde, den ich mir durch die Jahrzehnte gerettet habe – zu wissen, daß ich gefunden habe – hält mich noch am Leben. Ich schreibe dies alles, um diesem letzten Rest an Würde Ausdruck zu verleihen und ihn zu bewahren. Für wen, weiß ich nicht. Was ich hier schreibe, erwartet keine Reaktionen, sondern ist selbst Reaktion auf die Welt. Ein kleines Erzählen großer Träume und banaler Alltäglichkeiten. Ein paar Augenblicke des Nachsinnens über Dinge, die im Leben nicht immer vordergründig sind, aber einst groß und wunderbar über meinem Horizont aufgingen. Vielleicht nur ein kleiner Ruf, der ungehört im großen Strom des Lebens untergehen wird. Soll er. Es wäre nicht zu bedauern, da eben jener Strom der Ursprung dieses Rufes ist – somit wäre der Kreis geschlossen. Vielleicht ein gescheiterter Versuch, mehr zu sein als nur Dieses und Jenes, aber zumindest ein aufrichtig unternommener Versuch. Und wenn ich jetzt einen Moment innehalte, aus dem Fenster schaue, hinaus in die trübe Welt, und wenn ich meinen Blick durch die Jahre schweifen lasse und all das, was mich und mein Menschsein definiert hat, in Gedanken an mir vorbeiziehen lasse – dann darf ich lächeln. Und dieses Lächeln gibt mir die wundervoll tröstliche Gewißheit, daß das, was ich tue, richtig ist. Ich wage jenes Abenteuer, das „ich“ heißt. Ich treibe im Fluß der Zeit, fliege im Sturm des Lebens, lasse mich anwehen vom Hauch der Ewigkeit. Ich werde eintauchen in den wüsten und öden Menschen, darinnen ist weder Name noch Wort ...
Auch wenn die Zeiten des blinden Eiferns längst Vergangenheit sind und ich heute kopfschüttelnd auf die Person zurückblicke, die ich damals war, so habe ich mir doch trotz aller Einsamkeit, trotz aller Absonderlichkeit, die mir mein Verhalten einbrachte, einen gewissen Stolz bewahrt. Einen Stolz auf die Erkenntnisse, die ich damals gewann, die ich bedingungslos auf mein Leben übertrug, ja zelebrierte, denen ich mein Leben weihte, und die mich schließlich brachen. Sie brachen mich, aber sie konnten nie den innersten Kern meiner Persönlichkeit brechen, da sie aus dieser Persönlichkeit geboren waren. Sie waren nichts ohne mich. Ich gebar sie, und sie mußten zum Vatermörder werden, aber jeder ermordete Vater lebt in seinen Kindern fort, sogar (und gerade dann!) wenn die Kinder selbst die Mörder sind. Heute sitze ich da, arm, alt, und erfülle das Bild des „Gescheiterten“, das die Leute in ihren Köpfen haben. Wer mich sieht, ahnt nichts von den Welten, die ich in mir trage; wer mir ins Gesicht blickt, sieht einen Schatten und wird vermuten, daß ich einer von vielen bin. Er denkt, ich sei ein Beliebiger, glaubt vielleicht, ich sei einer jener schwachen Geister, die ihr ganzes trauriges Leben in der Enge der eigenen Kleingeistigkeit verbringen, sich ein Leben lang nur auf dem Rückzug befinden. Und diesen Irrglauben könnte ich nicht einmal jemandem übel nehmen, denn es gibt so viele von ihnen, zu viele ... Sie hätten Lichter sein können, aber sie wurden zu Schatten! Sie, diese Erleider und Jammerer, diese Verschanzer und Fallensteller, diese Flüsterer und Rauner, Keifer und Zeterer, diese Augenverschließer und Hände-in-Unschuld-Wascher! Diese Träger einer Zaunmentalität, die sich ein Leben lang belügen, die ab der Pubertät, wenn sie zum ersten Mal auf schmerzlichste Art und Weise erkennen müssen, daß sie scheitern (in erster Linie sexuell), vor dem Antlitz der Wahrheit fliehen und sich dumpf und betäubt durchs Leben treiben lassen, sich einnisten und vermummen, schweigen und warten, siechen und dämmern, bis der Tag ihrer Erlösung kommt, da sie von ihrem täglichen Kreuzweg des Scheiterns befreit werden. Glück für sie, daß ihr hartes Äußeres irgendwann so dick und gefühllos geworden ist, daß sie ihr Scheitern nicht mehr wahrnehmen!
Bin ich berechtigt, diese Worte zu schreiben, dieses Urteil zu fällen? Oder vergesse ich dabei, daß es Schatten überhaupt nur geben kann, wenn auch Licht existiert? Ist vielleicht nicht jeder, der Licht in sich trägt, automatisch Schuld am Schattendasein anderer? Wie steht es um mich selbst – glaubt man, daß ich ein Schatten bin? Hatte ich einst ein Licht in mir, und nun ist es erloschen? Flackert es noch? Ahnt man, wenn man mich ansieht, vielleicht wenigstens, wer ich war? Bin ich gezeichnet von den schweren inneren Kämpfen meines Lebens, ist mein Blick vernarbt? Ist in meinen Augen eine Regung von Wachheit zu erkennen; ist meine Art, jemanden anzusehen, die eines Wissenden? – Nein, ich bin kein Schatten. Ich fühle Licht in mir. Ich fühle es umso stärker, je älter und schwächer es wird. Nur kein Schatten! Ich liebe die Dunkelheit, aber ich habe Angst vor Schatten!
Arm bin ich, alt, vielleicht gescheitert, aber nicht vollständig zerstört. Etwas ist noch in mir, und wenn es nur der schwache Stolz darüber ist, etwas entdeckt zu haben. Dieser Rest an Würde, den ich mir durch die Jahrzehnte gerettet habe – zu wissen, daß ich gefunden habe – hält mich noch am Leben. Ich schreibe dies alles, um diesem letzten Rest an Würde Ausdruck zu verleihen und ihn zu bewahren. Für wen, weiß ich nicht. Was ich hier schreibe, erwartet keine Reaktionen, sondern ist selbst Reaktion auf die Welt. Ein kleines Erzählen großer Träume und banaler Alltäglichkeiten. Ein paar Augenblicke des Nachsinnens über Dinge, die im Leben nicht immer vordergründig sind, aber einst groß und wunderbar über meinem Horizont aufgingen. Vielleicht nur ein kleiner Ruf, der ungehört im großen Strom des Lebens untergehen wird. Soll er. Es wäre nicht zu bedauern, da eben jener Strom der Ursprung dieses Rufes ist – somit wäre der Kreis geschlossen. Vielleicht ein gescheiterter Versuch, mehr zu sein als nur Dieses und Jenes, aber zumindest ein aufrichtig unternommener Versuch. Und wenn ich jetzt einen Moment innehalte, aus dem Fenster schaue, hinaus in die trübe Welt, und wenn ich meinen Blick durch die Jahre schweifen lasse und all das, was mich und mein Menschsein definiert hat, in Gedanken an mir vorbeiziehen lasse – dann darf ich lächeln. Und dieses Lächeln gibt mir die wundervoll tröstliche Gewißheit, daß das, was ich tue, richtig ist. Ich wage jenes Abenteuer, das „ich“ heißt. Ich treibe im Fluß der Zeit, fliege im Sturm des Lebens, lasse mich anwehen vom Hauch der Ewigkeit. Ich werde eintauchen in den wüsten und öden Menschen, darinnen ist weder Name noch Wort ...