Der Magier wird wiederkehren aus der anderen Welt.
Seine Macht wird die Finsternis erhellen.
(Buch der Prophezeiung)
Als Wedekind Braun an diesem Abend das Haus seines Freundes Alfred Quandt verließ, war er bester Laune. Dies hatte mehrere Gründe: Zum einen hatten die beiden Freunde während des allwöchentlichen Schachabends eine Flasche guten Rotweins genossen, zum anderen war es Wedekind gelungen, seinen Freund gleich zweimal zu besiegen – was, wie er unumwunden zugeben musste, nicht allzu häufig vorkam.
Wedekind setzte sich also beschwingt in seinen alten Volvo und machte sich auf den Heimweg. Es war ein typischer, nebliger Novemberabend. In der vorigen Nacht war der erste Schnee gefallen und heute hatte sich Nebel über die Landschaft gelegt, den Wedekind den ganzen Tag über missmutig durch die Fenster seines Antiquariats betrachtet hatte und der zum Abend hin dichter geworden war.
Die Scheinwerfer des Volvo durchdrangen die Wand aus grauer Watte nur mühsam, als Wedekind den kleinen Ort, in dem Alfred Quandt wohnte, verließ und auf die Landstraße in Richtung seines Heimatortes fuhr. Im Radio lief Swingmusik und der Antiquar summte leise mit. Sehr schnell konnte er nicht fahren, aber das störte ihn nicht weiter. Er hatte es nicht eilig.
In Gedanken spielte Wedekind noch einmal die letzte Partie durch und genoss in seiner Erinnerung erneut den Fehler, den Alfred mit seinem Turm gemacht hatte. Ein Fehler – auch das hätte er auf Befragen unumwunden zugegeben –, der seinem Freund sonst nicht unterlief. Wedekind war es recht gewesen und nach weiteren acht Zügen war Alfred matt.
Wedekind grinste bei der Erinnerung, strich sich das langsam schütter werdende braune Haar zurück und summte „Sentimental Journey“ mit. Der Nebel war jetzt so dicht, dass er den Volvo auf vierzig Stundenkilometer abbremsen musste.
Nach einer Weile registrierte er verblüfft, dass der Untergrund immer holpriger wurde. So schlecht war doch die Straße hier nicht! Er zwang sich in die Gegenwart zurück und erkannte, dass er sich offenbar nicht mehr auf der wohlbekannten Landstraße befand, sondern allem Anschein nach auf einem Feldweg.
„Scheiße“, murmelte Wedekind und stoppte den Wagen. „Ich muss irgendwo falsch abgebogen sein.“ Derartige Selbstgespräche führte er häufig.
Wedekind kurbelte das Fenster herunter und steckte den Kopf nach draußen. Der Nebel hatte den Wagen vollkommen eingeschlossen. Nach keiner Seite konnte er weiter als zehn Meter sehen. Eine Wendemöglichkeit gab es hier offensichtlich nicht, aber in dem Nebel konnte er nur wenig erkennen.
„Ich fahre am besten erstmal weiter“, murmelte er und setzte den Wagen wieder in Bewegung. Bei einem Wendemanöver bestand die Gefahr, im aufgeweichten Boden stecken zu bleiben. Vielleicht würde er ja irgendwann wieder auf eine Straße treffen, die er kannte, oder auf eine befestigte Stelle, wo er den Wagen wenden konnte. Er verfluchte seine Unachtsamkeit.
Er konnte jetzt nur noch im Schritttempo fahren. Der Weg wurde immer schlechter und der Nebel war jetzt fast greifbar, schien auch alle Geräusche zu verschlucken. Wedekind hatte zu schwitzen begonnen. Das Fahren erforderte seine gesamte Konzentration.
Trotzdem übersah er das Loch! Der Wagen ruckte plötzlich nach unten, setzte mit dem Unterboden hart auf und ... steckte fest! Wedekind erschrak bis ins Mark. Der Schweiß lief in Bächen seinen Rücken hinunter.
„Das kann doch alles nicht wahr sein!“ Seine Stimme hatte inzwischen einen hysterischen Unterton.
Einen Moment saß er nur da, unfähig, sich zu bewegen. Dann legte er den Rückwärtsgang ein und ließ vorsichtig die Kupplung kommen.
„Komm schon, komm schon!“, beschwor er das Fahrzeug.
Der Volvo ruckte leicht nach hinten und Wedekind gab etwas Gas. Beinahe sofort hörte er, wie die Räder durchdrehten. Rasch trat er die Kupplung. Er versuchte es vorwärts. Mit dem gleichen Resultat!
Der Nebel drang jetzt durch das offene Fenster in den Wagen ein ... drang in den Wagen ein?!?! Konnte Nebel in den Wagen eindringen? Das hatte er noch nie gehört geschweige denn erlebt!
„Das gibt’s doch nicht!“, stammelte er und wischte sich die Schweiß nassen Hände an seiner Jeans ab.
Aber es war definitiv so! Wedekind kurbelte fast panikartig das Fenster nach oben. Der eingedrungene Nebel blieb, schien sich auszubreiten. Er wich unwillkürlich in Richtung des Beifahrersitzes zurück, stieß schmerzhaft mit der Kehrseite gegen den Hebel der Handbremse.
Ein merkwürdiger Duft nach exotischen Blumen breitete sich im Innern des alten Volvo aus. Wedekind begann an seinem Verstand zu zweifeln. Erst der seltsame Nebel, dann der Blumenduft – und der Nebel „vermehrte“ sich weiter, kam immer näher! Der Duft wurde in gleichem Maße stärker, schwülstig süßer Blumenduft, fast betäubend.
Er bemerkte, dass er müde wurde.
„Das muss der verdammte Rotwein sein“, versuchte er sich zu beruhigen. Aber er wusste es besser, wusste, dass es nicht der Rotwein war! Er saß jetzt auf dem Beifahrersitz, konnte nicht weiter zurück weichen. Die Müdigkeit ließ seine Augenlider schwer werden. Selbst das Grauen, das ihn überkam, konnte die Müdigkeit nicht verdrängen.
„Ich darf doch jetzt nicht einschlafen“, stammelte Wedekind mit Panik in der Stimme. „Wie kann ich ausgerechnet jetzt einschlafen?“
Der Nebel erreichte ihn, kroch an seinem Körper herauf wie ein Lebewesen. Der Duft war übermächtig, benebelte seinen Geist. Träge durchdrangen zähflüssige Gedanken viel zu enge Hirnwindungen. Er sah das Wageninnere nur noch undeutlich. Überall war der Nebel, der jetzt auch zu seinem Gesicht vordrang, sich über ihn legte wie ein nach Blumen duftendes Leichentuch. Die Lider waren tonnenschwer. Wedekind versuchte, sie noch einmal zu heben, dem Schlaf zu wehren – aber vergeblich.
Wedekind Braun schlief ein.
Seine Macht wird die Finsternis erhellen.
(Buch der Prophezeiung)
Als Wedekind Braun an diesem Abend das Haus seines Freundes Alfred Quandt verließ, war er bester Laune. Dies hatte mehrere Gründe: Zum einen hatten die beiden Freunde während des allwöchentlichen Schachabends eine Flasche guten Rotweins genossen, zum anderen war es Wedekind gelungen, seinen Freund gleich zweimal zu besiegen – was, wie er unumwunden zugeben musste, nicht allzu häufig vorkam.
Wedekind setzte sich also beschwingt in seinen alten Volvo und machte sich auf den Heimweg. Es war ein typischer, nebliger Novemberabend. In der vorigen Nacht war der erste Schnee gefallen und heute hatte sich Nebel über die Landschaft gelegt, den Wedekind den ganzen Tag über missmutig durch die Fenster seines Antiquariats betrachtet hatte und der zum Abend hin dichter geworden war.
Die Scheinwerfer des Volvo durchdrangen die Wand aus grauer Watte nur mühsam, als Wedekind den kleinen Ort, in dem Alfred Quandt wohnte, verließ und auf die Landstraße in Richtung seines Heimatortes fuhr. Im Radio lief Swingmusik und der Antiquar summte leise mit. Sehr schnell konnte er nicht fahren, aber das störte ihn nicht weiter. Er hatte es nicht eilig.
In Gedanken spielte Wedekind noch einmal die letzte Partie durch und genoss in seiner Erinnerung erneut den Fehler, den Alfred mit seinem Turm gemacht hatte. Ein Fehler – auch das hätte er auf Befragen unumwunden zugegeben –, der seinem Freund sonst nicht unterlief. Wedekind war es recht gewesen und nach weiteren acht Zügen war Alfred matt.
Wedekind grinste bei der Erinnerung, strich sich das langsam schütter werdende braune Haar zurück und summte „Sentimental Journey“ mit. Der Nebel war jetzt so dicht, dass er den Volvo auf vierzig Stundenkilometer abbremsen musste.
Nach einer Weile registrierte er verblüfft, dass der Untergrund immer holpriger wurde. So schlecht war doch die Straße hier nicht! Er zwang sich in die Gegenwart zurück und erkannte, dass er sich offenbar nicht mehr auf der wohlbekannten Landstraße befand, sondern allem Anschein nach auf einem Feldweg.
„Scheiße“, murmelte Wedekind und stoppte den Wagen. „Ich muss irgendwo falsch abgebogen sein.“ Derartige Selbstgespräche führte er häufig.
Wedekind kurbelte das Fenster herunter und steckte den Kopf nach draußen. Der Nebel hatte den Wagen vollkommen eingeschlossen. Nach keiner Seite konnte er weiter als zehn Meter sehen. Eine Wendemöglichkeit gab es hier offensichtlich nicht, aber in dem Nebel konnte er nur wenig erkennen.
„Ich fahre am besten erstmal weiter“, murmelte er und setzte den Wagen wieder in Bewegung. Bei einem Wendemanöver bestand die Gefahr, im aufgeweichten Boden stecken zu bleiben. Vielleicht würde er ja irgendwann wieder auf eine Straße treffen, die er kannte, oder auf eine befestigte Stelle, wo er den Wagen wenden konnte. Er verfluchte seine Unachtsamkeit.
Er konnte jetzt nur noch im Schritttempo fahren. Der Weg wurde immer schlechter und der Nebel war jetzt fast greifbar, schien auch alle Geräusche zu verschlucken. Wedekind hatte zu schwitzen begonnen. Das Fahren erforderte seine gesamte Konzentration.
Trotzdem übersah er das Loch! Der Wagen ruckte plötzlich nach unten, setzte mit dem Unterboden hart auf und ... steckte fest! Wedekind erschrak bis ins Mark. Der Schweiß lief in Bächen seinen Rücken hinunter.
„Das kann doch alles nicht wahr sein!“ Seine Stimme hatte inzwischen einen hysterischen Unterton.
Einen Moment saß er nur da, unfähig, sich zu bewegen. Dann legte er den Rückwärtsgang ein und ließ vorsichtig die Kupplung kommen.
„Komm schon, komm schon!“, beschwor er das Fahrzeug.
Der Volvo ruckte leicht nach hinten und Wedekind gab etwas Gas. Beinahe sofort hörte er, wie die Räder durchdrehten. Rasch trat er die Kupplung. Er versuchte es vorwärts. Mit dem gleichen Resultat!
Der Nebel drang jetzt durch das offene Fenster in den Wagen ein ... drang in den Wagen ein?!?! Konnte Nebel in den Wagen eindringen? Das hatte er noch nie gehört geschweige denn erlebt!
„Das gibt’s doch nicht!“, stammelte er und wischte sich die Schweiß nassen Hände an seiner Jeans ab.
Aber es war definitiv so! Wedekind kurbelte fast panikartig das Fenster nach oben. Der eingedrungene Nebel blieb, schien sich auszubreiten. Er wich unwillkürlich in Richtung des Beifahrersitzes zurück, stieß schmerzhaft mit der Kehrseite gegen den Hebel der Handbremse.
Ein merkwürdiger Duft nach exotischen Blumen breitete sich im Innern des alten Volvo aus. Wedekind begann an seinem Verstand zu zweifeln. Erst der seltsame Nebel, dann der Blumenduft – und der Nebel „vermehrte“ sich weiter, kam immer näher! Der Duft wurde in gleichem Maße stärker, schwülstig süßer Blumenduft, fast betäubend.
Er bemerkte, dass er müde wurde.
„Das muss der verdammte Rotwein sein“, versuchte er sich zu beruhigen. Aber er wusste es besser, wusste, dass es nicht der Rotwein war! Er saß jetzt auf dem Beifahrersitz, konnte nicht weiter zurück weichen. Die Müdigkeit ließ seine Augenlider schwer werden. Selbst das Grauen, das ihn überkam, konnte die Müdigkeit nicht verdrängen.
„Ich darf doch jetzt nicht einschlafen“, stammelte Wedekind mit Panik in der Stimme. „Wie kann ich ausgerechnet jetzt einschlafen?“
Der Nebel erreichte ihn, kroch an seinem Körper herauf wie ein Lebewesen. Der Duft war übermächtig, benebelte seinen Geist. Träge durchdrangen zähflüssige Gedanken viel zu enge Hirnwindungen. Er sah das Wageninnere nur noch undeutlich. Überall war der Nebel, der jetzt auch zu seinem Gesicht vordrang, sich über ihn legte wie ein nach Blumen duftendes Leichentuch. Die Lider waren tonnenschwer. Wedekind versuchte, sie noch einmal zu heben, dem Schlaf zu wehren – aber vergeblich.
Wedekind Braun schlief ein.