10. Florians Geschichte

molly

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„David wird pitschnass werden bei diesem Regen“, vermutete Nele. Nach einer halben Stunde kam er freudestrahlend mit einem großen schwarzen Regenschirm und frischen Kleidern zurück. Michaels nasse Sachen hatte er in eine Tüte gepackt und die drückte er Michaels Mutter in die Hand.
Dabei sagte er: „Mein Vater stirbt nicht, er ist viel zu jung, das hat die Oma gesagt!"
Florian erkundigte sich, ob der Mann im anderen Auto alt war. Die Mutter seufzte und meinte, dass sie am nächsten Tag etwas von dem Unfall in der Zeitung lesen könnten. Sicher würde auch über den Toten berichtet werden.

Nun erlebten die Kinder eine Überraschung. Florian, der sonst nur das Nötigste sprach, erzählte eine Geschichte. Leise begann er: „Bevor Sabinchen zur Welt kam, hatten wir noch ein anderes Baby, Lena hieß es. Aber eines Nachts hat es einfach aufgehört zu atmen und ist gestorben. Unser Baby war fast zwei Monate alt, das ist doch sehr jung, oder?"
„Was willst du damit sagen?“ stieß David drohend aus, „eurem Baby hat das Sterben sicher nicht wehgetan, es hat ja seinen Papa kaum gekannt!"
„ Ja, schon, aber meine Eltern haben geweint “, erwiderte Florian.

„Du willst mir Angst machen, ich glaube, du magst mich nicht“, fauchte David. Doch Florian schüttelte nur den Kopf.
Nun setzte sich die Mutter neben David auf den Boden und legte den Arm um seine Schultern.
Sie sagte: „Der Tod kommt zu jedem Menschen, wenn seine Zeit auf der Erde vorbei ist. Er fragt nicht nach dem Alter. Doch niemand weiß genau, wann das sein wird. Dein Papa lebt, er ist sehr schwer verletzt. Doch er atmet und sein Herz schlägt und deshalb darfst du daran denken, dass er wieder nach Hause kommt. Ich sage dir noch einmal das wichtigste, das deine Mama gesagt hat, sie wissen nicht, ob dein Papa wieder gesund wird, aber die Ärzte tun alles dafür.“

David hatte aufmerksam zugehört und sagte: „Ich bin sicher, dass mein Papa noch lange Zeit bei mir bleibt. Wie sollte ich denn ohne ihn leben? Er beschützt mich und hilft mir, wenn ich etwas angestellt habe. Mit ihm habe ich den größten Spaß und ohne ihn hätte ich niemand, der sich über mich freut!"

David begann zu weinen, er schniefte und schnüffelte. Die Mutter gab ihm ein Taschentuch, in das er sogleich sein ganzes Gesicht hüllte. Leise schluchzend sagte er noch einmal: „Niemand, der sich über mich freut!"
Alle saßen am Boden, keiner rührte sich oder hätte etwas sagen können. Michaels Hals war so komisch, als hätte er ein Osterei verschlungen, wie zugeschnürt.
Neles Augen brannten und Florian schluckte heftig und schaute auf den Boden.
Als David sich beruhigt hatte, sagte Michaels Mutter: „ Deine Mama, Deine Großeltern und ich vertrauen den Ärzten, auch wenn sie nichts versprechen können. Wir denken mit dir an deinen Papa, dass alles wieder gut wird.“

Die Abendglocken hatten noch nicht geläutet, doch draußen war es schon dunkel und Florian lief nach Hause. Dann rief Davids Großmutter an, er sollte schleunigst heim kommen.
„Ich darf aber hier bleiben, bis Mama wieder kommt!" brüllte er ins Telefon. Die Kinder sahen ihm an, dass er nicht bleiben durfte.
„Ich muss heim, sonst holt sie mich“, sagte David.
Das war kein guter Tag für ihn gewesen.

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Von Davids Spuren erzählt die nächste Geschichte
 



 
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