Aufräumtag
Schon seit einer Weile lehnte Christian am Dachfenster und betrachtete die Gegend durch das Fernrohr. Auf der rechten Seite sah er ein kleines Haus. Eine schwarze Katze lag auf der Treppe und sonnte sich. Da wohnt bestimmt Hille, überlegte Christian laut. Er schwenkte das Rohr auf die andere Seite und beobachtete die grasenden Pferde auf der Weide. Hielt er sein Fernrohr gerade aus, überblickte er damit Großvaters Hühnerhof. Noch einmal schwenkte er sein Fernrohr auf Hilles Haus, zur Katze. Jetzt erkannte er Henning, der die Stufe zur Tür hinauf ging und dabei der Katze einen Tritt versetzte. Das musste er gleich seiner Freundin erzählen. Sorgfältig verstaute er das Fernrohr im Wäscheschrank.
Als er zu Birgits Haus kam, fegte Frau Schulze die Treppe. Ohne von ihrer Arbeit aufzuschauen rief sie: „Birgit räumt heute ihr Zimmer auf!“
„Wann kommt sie wieder raus?" fragte Christian. Frau Schulze antwortete: „Ganz klar, wenn sie fertig ist." Sie schloss die Tür zu und ließ Christian draußen stehen.
Zunächst vermisste er seine Freundin nicht. Der Schmied kam zum Großvater und verpasste den Pferden neue Hufeisen. Das schwarze Pferd Tam mit seinen seidig glänzenden Haaren gefiel Christian am besten. Erst tänzelte es nervös hin und her, bis der Großvater sanft auf seinen Hals klopfte und ruhig mit dem Tier sprach. Als Tam fertig beschlagen war, schenkte der Schmied Christian das alte Hufeisen. Der Großvater führte das Tier zur Pferdekoppel, nahm ihm die Leine ab, und Tam sprang mit großen Sprüngen auf die Weide.
„Das ist der schönste Rappen, den ich je gesehen habe“, sagte Christian.
"Ja“, bestätigte der Großvater, „es ist ein gutes Pferd, fleißig und treu. Hättest du auch gern ein Pferd?“
„Nein“, sagte Christian rasch, „eine Katze wäre mir lieber, Pferde sind so groß!" Einen Augenblick lang überlegte er, ob er dem Großvater von Hennings Tritt gegen die Katze erzählen sollte. Er würde erst Birgit fragen.
Als der Schmied die Arbeit beendet hatte und der Großvater sein Mittagsschläfchen hielt, schlenderte Christian noch einmal zu Birgit. Er wartete vor der Haustür, doch sie kam nicht aus dem Haus, sie zeigte sich nicht einmal am Fenster. Vielleicht hatte sie sich versteckt und wollte, dass er sie suche. Er lief durch den Garten hinter das Haus und prallte beinahe mit Frau Schulze zusammen. Ihre Stimme klang wie Donnergrollen, als sie sagte: "Birgit ist noch nicht fertig!“
„Kann ich ihr helfen?" fragte Christian.
Frau Schulze schüttelte den Kopf. „Nein, davon halte ich nichts. Geh nach Hause!“ Sie klopfte die Fußmatte aus und verschwand wieder im Haus.
Christian ließ sich Zeit mit dem Nachhause gehen. Er schloss gerade das Gartentor, als Frau Schulze wieder auftauchte. Sie holte ihr Fahrrad aus dem Schuppen und radelte davon. Christian stürmte zur Haustür und noch ehe er klingelte, öffnete Birgit. Sie zog ihn ins Haus, bis in ihr Zimmer. Er holte hörbar Luft und schnaubte wie ein junges Pferd. Spielsachen, Bücher und Kleider lagen haufenweise auf dem Boden.
„Das ist ja eine schöne Bescherung!“ staunte er, „kein Wunder, dass du aufräumen musst!“
„Buh", machte Birgit und blies dabei eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Weißt du, ich hatte beinahe alles ordentlich weggeräumt. Aber der Mama gefiel das nicht, und sie hat mit einer Hand alles aus dem Schrank und den Regalen gefegt!"
„Unglaublich“, murmelte Christian, „das würde mir meine Oma nie antun.“
Birgit grinste ihn an. "Du hast es gut, weißt du, an solchen Tagen wünsche ich mir ganz heimlich, dass Hille meine Mutter wäre. Das darfst du aber niemandem verraten! Ehrenwort!“ Christian hielt drei Finger in die Luft und versprach: "Ehrenwort! Ich helfe dir, kann die Bücher einsortieren!"
Birgit zeigte ihm das Bücherregal und begann Kleider einzuräumen. Danach ordnete sie die Wäscheschublade und Christian stapelte Spiele in ein Fach. Die Kinder arbeiteten schweigend, bis Birgit rief: "Au, weia, da kommt Mama!" und schon schloss Frau Schulze die Haustür auf. Ungesehen konnte er nun nicht mehr das Haus verlassen, es sei denn, wenn er aus dem Fenster kletterte.
„Es ist nicht sehr hoch, da kannst du gut raus“, flüsterte Birgit. Leise öffnete sie das Fenster und schlug entsetzt die Hände vors Gesicht. Sie murmelte: "Versteck dich, Kris, sonst ist alles aus!"
"Ist Krischan bei dir?" schallte es bis zu Christians Versteck. Krischan, so nannte ihn nur sein Großvater, und noch einmal mochte er sich nicht vor ihm verstecken. Er sprang neben Birgit ans Fenster und winkte. „Hier bin ich!“ Der Großvater winkte zurück, drehte sich aber plötzlich um. Hille hatte nach ihm gerufen und nun lief sie auf ihn zu. Sie sprach kurz mit dem Großvater und sie kamen dann gemeinsam zum Fenster. Hille schaute Birgit an, zog die Augenbrauen hoch, und während sie eine kleine Kopfbewegung zu Christian machte, fragte sie knapp: "Was ist?"
Birgit flüsterte: „Die Mama darf nicht wissen, dass Kris da ist!"
"Hast du mal wieder Hausarrest oder was?“ fragte Hille leise. Birgit lächelte flüchtig: „Viel schlimmer, heute ist großer Aufräumtag!“
„Das muss auch sein“, meinte Hille, aber deine Mutter hat sicher nichts dagegen, wenn dein neuer Freund dir dabei hilft!“
„Hat sie wohl“, antwortete Birgit und Christian nickte bestätigend. Hille „schüttelte den Kopf, schnaubte vernehmlich durch die Nase und sagte dann: „Ich rede mit deiner Mutter!" Und während Hille zu Birgits Mutter ging, sagte der Großvater: „Krischan, du kommst um sechs zum Abendbrot nach Hause." Das versprach Christian. Der Großvater rückte seine Mütze zurecht, winkte den Kindern noch einmal zu und ging zum Gasthaus zurück. Birgit saß nun auf dem Boden und räumte ihre Schultasche ein. „Wenn das nur gut geht!" sagte sie immer wieder. Christian wusste, dass sie damit ihre Mutter und Hille meinte, aber er sagte kein Wort.
Birgit sprang auf und lauschte an der Tür. "Ich höre nichts, absolut nichts, aber sicher zanken sich wieder wegen mir“, sagte Birgit und setzte sich neben Christian. Sie erzählte ihm, dass ihre Mutter öfters mit Hille stritt. Beim letzten Krach hatte die Mutter gemeint, sie hätte eben nur ein Kind und sie müsste dafür sorgen, dass ihre Tochter ein anständiger und ordentlicher Mensch würde. Aber Hille fand, die Mutter sorge sich zu sehr um Birgit, das sei nicht gut. Die Mutter solle sich eine Katze zulegen, die könne sie nach Herzenslust umsorgen und betütteln. Wenn es der Katze zu viel würde, verzöge sie sich von selbst.
Birgit stieß Christian leicht an und sagte: „Jedes Mal, wenn Hille mit ihr gesprochen hat, ist Mama einige Tage nicht so streng mit mir!" Blitzschnell sprangen die Kinder auf, sie hörten Stimmen im Flur. Sie legten ein Ohr an die Tür und lauschten angestrengt. Hille sagte: "Silke, du bist meine Freundin, ich muss dir das sagen, denn auch Birgit ist meine Freundin."
„Misch dich nicht ein“, schrillte Frau Schulzes Stimme, „ich kann eben nicht aus meiner Haut.“
Was Hille darauf antwortete, hörten sie nicht mehr. So sehr sie auch lauschten, es blieb alles still.
„Hille ist wirklich mutig, sie ist die Beste“, sagte Birgit und räumte weiter auf. Bald darauf streckte Frau Schulze den Kopf zur Tür herein. „Macht mal eine Pause, ich habe frischen Butterkuchen für euch!" Als sie dann alle in der Küche auf der Eckbank saßen, erzählte Christian von dem Fernrohr, das der Großvater ihm geschenkt hatte. Birgits Mutter konnte sich noch sehr gut daran erinnern. Sie und Hille waren oft bei Christians Mutter im Dachstübchen gewesen und hatten damit die Sterne am Nachthimmel betrachtet. Christians Mutter hatte die meisten Sterne gekannt. Manche Sterne, die nahe beieinander standen, zeigten ein Bild. Das liebste Sternbild von Birgits Mutter war der kleine Wagen und der Drache, Hille hielt gern Ausschau nach dem Polarstern und der Leier. Birgit fragte ihre Mutter, ob sie sich das Fernrohr einmal anschauen durfte. Frau Schulze hatte nichts dagegen, doch Birgit sollte gleich wieder nach Hause kommen. Wenn sie heute mit ihrer Arbeit fertig würde, könnte sie morgen den ganzen Tag wieder spielen. Birgit umarmte die Mutter, dann stürmte sie hinter Christian her.
Birgit schaute sich im Christians Zimmer um. „Da also schläfst du“, bemerkte sie. Sie zog ihre Schuhe aus und stellte sich auf die Truhe. Christian reichte ihr das Fernrohr und vorsichtig äugte Birgit damit aus dem Dachfenster. „Toll“, murmelte sie, „aber Sterne sind keine am Himmel, es ist noch viel zu hell!" Sie setzte sich neben Christian aufs Bett und erkundigte sich, welche Schätze denn noch in der Truhe verborgen wären. Zu gerne hätte sie den Truhendeckel geöffnet. Aber das wollte Christian nicht. Er versprach Birgit, sofort zu melden, wenn der Großvater ihm wieder etwas aus der Schatzkiste geholte hatte.
„Bleib du hier, wir sehen uns morgen wieder. Bis dahin ist mein Zimmer aufgeräumt“, sagte Birgit und hüpfte nach Hause.
Jetzt fiel Christian ein, dass er Birgit die Sache mit Henning nicht erzählt hatte. Er beschloss nun, bei nächster Gelegenheit mit Henning darüber zu reden. Nun suchte er seinen Großvater und fand ihn im Stall bei den Pferden.
"Ist gut, dass du kommst, Krischan!" Er setzte sich auf einen Strohballen und winkte Christian zu sich. Er sagte: "Gib mir immer Bescheid, wenn du den Hof verlässt. Ich mag dich nicht suchen. Verstehst du das?“ „Ich werde daran denken“, versprach Christian, „die Oma will auch immer wissen, wo ich stecke!"
Der Großvater lächelte zufrieden und Hand in Hand gingen sie in die Gaststube zurück. Sonst herrschte hier reges Treiben und eine Flut von Stimmen und Gelächter tobten durch den Raum. Doch heute war die Wirtschaft für alle Gäste geschlossen, es war Ruhetag. Frau Kruse hatte schon den Tisch für sie gedeckt. Christian erzählte seinem Großvater von dem Aufräumnachmittag bei Birgit und fragte dann: „War meine Mutter auch so furchtbar ordentlich?" Beinahe hätte sich der Großvater an seinem Wurstbrot verschluckt. Er hustete kräftig und Christian schlug ihm auf den Rücken. Ganz langsam trank der alte Mann sein Glas leer, wischte sich mit der Hand über den Mund und sagte: „Deine Mutter war sehr ordentlich, aber nicht furchtbar.“
Nach dem Abendessen gingen sie zu den Hühnern, die aufgeregt im Hof umher liefen und jede freie Minute ausnutzten, ehe sie für die Nacht eingesperrt wurden. Der Großvater öffnete das Tor zum Hühnerhaus. Sie trieben die Hühner hinein, die sich schreiend und gaggernd auf den Sitzstangen einen Platz suchten. Als es für Christian Zeit wurde ins Bett zu gehen, kam der Großvater, wie jeden Abend, in sein Zimmer. Christian stand, mit dem Fernrohr in der Hand auf der Truhe und fragte: "Hast du gewusst, dass meine Mutter alle Sterne kannte?"
Der Großvater nickte zustimmend. Seine Stimme klang rau als er sagte: „Diese Sterne, die so hell leuchten, sind unendlich weit entfernt von uns. Aber deine Mutter ist noch viel weiter weg!“ Christian sagte: „Das stimmt nicht, Großvater, meine Oma hat gesagt, wenn man an einen Menschen denkt, der nicht mehr lebt, dann ist der ganz nahe. Im Herzen drin.“
Der Großvater nahm das Fernrohr in die eine Hand und gab Christian die andere. Dann hüpfte der Junge von der Truhe ins Bett und der Großvater setzte sich zu ihm. „Was sagt denn deine Großmutter noch?" erkundigte er sich.
„Neulich hat sie gesagt, ich sähe meiner Mutter immer ähnlicher. Und als ich einmal drei Stück Gugelhupf gemampft habe, sagte sie, den hätte meine Mutter auch gern gegessen!“
Nun lachte der Großvater leise auf. „Was ist denn ein Gugelhupf?" fragte er.
Soweit Christian zurück denken konnte, gab es jeden Sonntag bei seiner Oma einen Gugelhupf. Unglaublich, dass der Großvater den nicht kannte. „Das ist ein Kuchen, ein dicker Kuchen“, erklärte Christian. Dann fiel ihm noch etwas ein: „Meine Tante Lioba sagt, der Gugelhupf sei wie ein süßes Weißbrot mit Rosinen und obendrauf Nüssen.“
„Hört sich gut an“, sagte der Großvater und holte wieder den kleinen Schlüssel aus dem Nachttisch. Er öffnete die Truhe und brachte Christian ein Fotoalbum. Bis spät in der Nacht schauten sie sich die Bilder an, die fotografiert wurden, als Christians Mutter noch ein Kind war. Das letzte Bild, das er an diesem Abend anschaute, zeigte seine Mutter auf dem großen Planwagen. Sie hielt die Zügel in den Händen.
„Ich möchte auch mal damit fahren“, murmelte Christian. Sein Großvater aber klappte das Album zu und sagte: „Wenn es günstig ist, nehme ich dich mit. Magst du mir noch eine Geschichte erzählen?"
„Ja, vom Sterntaler.“ Er machte eine kleine Pause und begann: „Es war einmal ein armes kleines Mädchen. Dem waren Vater und Mutter gestorben“, flüsterte Christian und schloss die Augen. Dann riss er sie noch einmal auf und meinte: „Das war wirklich ein ganz armes Kind, es hatte nicht einmal einen Großvater." Dann fielen ihm endgültig die Augen zu. Der Großvater knipste das Lämpchen aus und ging leise aus der Kammer.
Schon seit einer Weile lehnte Christian am Dachfenster und betrachtete die Gegend durch das Fernrohr. Auf der rechten Seite sah er ein kleines Haus. Eine schwarze Katze lag auf der Treppe und sonnte sich. Da wohnt bestimmt Hille, überlegte Christian laut. Er schwenkte das Rohr auf die andere Seite und beobachtete die grasenden Pferde auf der Weide. Hielt er sein Fernrohr gerade aus, überblickte er damit Großvaters Hühnerhof. Noch einmal schwenkte er sein Fernrohr auf Hilles Haus, zur Katze. Jetzt erkannte er Henning, der die Stufe zur Tür hinauf ging und dabei der Katze einen Tritt versetzte. Das musste er gleich seiner Freundin erzählen. Sorgfältig verstaute er das Fernrohr im Wäscheschrank.
Als er zu Birgits Haus kam, fegte Frau Schulze die Treppe. Ohne von ihrer Arbeit aufzuschauen rief sie: „Birgit räumt heute ihr Zimmer auf!“
„Wann kommt sie wieder raus?" fragte Christian. Frau Schulze antwortete: „Ganz klar, wenn sie fertig ist." Sie schloss die Tür zu und ließ Christian draußen stehen.
Zunächst vermisste er seine Freundin nicht. Der Schmied kam zum Großvater und verpasste den Pferden neue Hufeisen. Das schwarze Pferd Tam mit seinen seidig glänzenden Haaren gefiel Christian am besten. Erst tänzelte es nervös hin und her, bis der Großvater sanft auf seinen Hals klopfte und ruhig mit dem Tier sprach. Als Tam fertig beschlagen war, schenkte der Schmied Christian das alte Hufeisen. Der Großvater führte das Tier zur Pferdekoppel, nahm ihm die Leine ab, und Tam sprang mit großen Sprüngen auf die Weide.
„Das ist der schönste Rappen, den ich je gesehen habe“, sagte Christian.
"Ja“, bestätigte der Großvater, „es ist ein gutes Pferd, fleißig und treu. Hättest du auch gern ein Pferd?“
„Nein“, sagte Christian rasch, „eine Katze wäre mir lieber, Pferde sind so groß!" Einen Augenblick lang überlegte er, ob er dem Großvater von Hennings Tritt gegen die Katze erzählen sollte. Er würde erst Birgit fragen.
Als der Schmied die Arbeit beendet hatte und der Großvater sein Mittagsschläfchen hielt, schlenderte Christian noch einmal zu Birgit. Er wartete vor der Haustür, doch sie kam nicht aus dem Haus, sie zeigte sich nicht einmal am Fenster. Vielleicht hatte sie sich versteckt und wollte, dass er sie suche. Er lief durch den Garten hinter das Haus und prallte beinahe mit Frau Schulze zusammen. Ihre Stimme klang wie Donnergrollen, als sie sagte: "Birgit ist noch nicht fertig!“
„Kann ich ihr helfen?" fragte Christian.
Frau Schulze schüttelte den Kopf. „Nein, davon halte ich nichts. Geh nach Hause!“ Sie klopfte die Fußmatte aus und verschwand wieder im Haus.
Christian ließ sich Zeit mit dem Nachhause gehen. Er schloss gerade das Gartentor, als Frau Schulze wieder auftauchte. Sie holte ihr Fahrrad aus dem Schuppen und radelte davon. Christian stürmte zur Haustür und noch ehe er klingelte, öffnete Birgit. Sie zog ihn ins Haus, bis in ihr Zimmer. Er holte hörbar Luft und schnaubte wie ein junges Pferd. Spielsachen, Bücher und Kleider lagen haufenweise auf dem Boden.
„Das ist ja eine schöne Bescherung!“ staunte er, „kein Wunder, dass du aufräumen musst!“
„Buh", machte Birgit und blies dabei eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Weißt du, ich hatte beinahe alles ordentlich weggeräumt. Aber der Mama gefiel das nicht, und sie hat mit einer Hand alles aus dem Schrank und den Regalen gefegt!"
„Unglaublich“, murmelte Christian, „das würde mir meine Oma nie antun.“
Birgit grinste ihn an. "Du hast es gut, weißt du, an solchen Tagen wünsche ich mir ganz heimlich, dass Hille meine Mutter wäre. Das darfst du aber niemandem verraten! Ehrenwort!“ Christian hielt drei Finger in die Luft und versprach: "Ehrenwort! Ich helfe dir, kann die Bücher einsortieren!"
Birgit zeigte ihm das Bücherregal und begann Kleider einzuräumen. Danach ordnete sie die Wäscheschublade und Christian stapelte Spiele in ein Fach. Die Kinder arbeiteten schweigend, bis Birgit rief: "Au, weia, da kommt Mama!" und schon schloss Frau Schulze die Haustür auf. Ungesehen konnte er nun nicht mehr das Haus verlassen, es sei denn, wenn er aus dem Fenster kletterte.
„Es ist nicht sehr hoch, da kannst du gut raus“, flüsterte Birgit. Leise öffnete sie das Fenster und schlug entsetzt die Hände vors Gesicht. Sie murmelte: "Versteck dich, Kris, sonst ist alles aus!"
"Ist Krischan bei dir?" schallte es bis zu Christians Versteck. Krischan, so nannte ihn nur sein Großvater, und noch einmal mochte er sich nicht vor ihm verstecken. Er sprang neben Birgit ans Fenster und winkte. „Hier bin ich!“ Der Großvater winkte zurück, drehte sich aber plötzlich um. Hille hatte nach ihm gerufen und nun lief sie auf ihn zu. Sie sprach kurz mit dem Großvater und sie kamen dann gemeinsam zum Fenster. Hille schaute Birgit an, zog die Augenbrauen hoch, und während sie eine kleine Kopfbewegung zu Christian machte, fragte sie knapp: "Was ist?"
Birgit flüsterte: „Die Mama darf nicht wissen, dass Kris da ist!"
"Hast du mal wieder Hausarrest oder was?“ fragte Hille leise. Birgit lächelte flüchtig: „Viel schlimmer, heute ist großer Aufräumtag!“
„Das muss auch sein“, meinte Hille, aber deine Mutter hat sicher nichts dagegen, wenn dein neuer Freund dir dabei hilft!“
„Hat sie wohl“, antwortete Birgit und Christian nickte bestätigend. Hille „schüttelte den Kopf, schnaubte vernehmlich durch die Nase und sagte dann: „Ich rede mit deiner Mutter!" Und während Hille zu Birgits Mutter ging, sagte der Großvater: „Krischan, du kommst um sechs zum Abendbrot nach Hause." Das versprach Christian. Der Großvater rückte seine Mütze zurecht, winkte den Kindern noch einmal zu und ging zum Gasthaus zurück. Birgit saß nun auf dem Boden und räumte ihre Schultasche ein. „Wenn das nur gut geht!" sagte sie immer wieder. Christian wusste, dass sie damit ihre Mutter und Hille meinte, aber er sagte kein Wort.
Birgit sprang auf und lauschte an der Tür. "Ich höre nichts, absolut nichts, aber sicher zanken sich wieder wegen mir“, sagte Birgit und setzte sich neben Christian. Sie erzählte ihm, dass ihre Mutter öfters mit Hille stritt. Beim letzten Krach hatte die Mutter gemeint, sie hätte eben nur ein Kind und sie müsste dafür sorgen, dass ihre Tochter ein anständiger und ordentlicher Mensch würde. Aber Hille fand, die Mutter sorge sich zu sehr um Birgit, das sei nicht gut. Die Mutter solle sich eine Katze zulegen, die könne sie nach Herzenslust umsorgen und betütteln. Wenn es der Katze zu viel würde, verzöge sie sich von selbst.
Birgit stieß Christian leicht an und sagte: „Jedes Mal, wenn Hille mit ihr gesprochen hat, ist Mama einige Tage nicht so streng mit mir!" Blitzschnell sprangen die Kinder auf, sie hörten Stimmen im Flur. Sie legten ein Ohr an die Tür und lauschten angestrengt. Hille sagte: "Silke, du bist meine Freundin, ich muss dir das sagen, denn auch Birgit ist meine Freundin."
„Misch dich nicht ein“, schrillte Frau Schulzes Stimme, „ich kann eben nicht aus meiner Haut.“
Was Hille darauf antwortete, hörten sie nicht mehr. So sehr sie auch lauschten, es blieb alles still.
„Hille ist wirklich mutig, sie ist die Beste“, sagte Birgit und räumte weiter auf. Bald darauf streckte Frau Schulze den Kopf zur Tür herein. „Macht mal eine Pause, ich habe frischen Butterkuchen für euch!" Als sie dann alle in der Küche auf der Eckbank saßen, erzählte Christian von dem Fernrohr, das der Großvater ihm geschenkt hatte. Birgits Mutter konnte sich noch sehr gut daran erinnern. Sie und Hille waren oft bei Christians Mutter im Dachstübchen gewesen und hatten damit die Sterne am Nachthimmel betrachtet. Christians Mutter hatte die meisten Sterne gekannt. Manche Sterne, die nahe beieinander standen, zeigten ein Bild. Das liebste Sternbild von Birgits Mutter war der kleine Wagen und der Drache, Hille hielt gern Ausschau nach dem Polarstern und der Leier. Birgit fragte ihre Mutter, ob sie sich das Fernrohr einmal anschauen durfte. Frau Schulze hatte nichts dagegen, doch Birgit sollte gleich wieder nach Hause kommen. Wenn sie heute mit ihrer Arbeit fertig würde, könnte sie morgen den ganzen Tag wieder spielen. Birgit umarmte die Mutter, dann stürmte sie hinter Christian her.
Birgit schaute sich im Christians Zimmer um. „Da also schläfst du“, bemerkte sie. Sie zog ihre Schuhe aus und stellte sich auf die Truhe. Christian reichte ihr das Fernrohr und vorsichtig äugte Birgit damit aus dem Dachfenster. „Toll“, murmelte sie, „aber Sterne sind keine am Himmel, es ist noch viel zu hell!" Sie setzte sich neben Christian aufs Bett und erkundigte sich, welche Schätze denn noch in der Truhe verborgen wären. Zu gerne hätte sie den Truhendeckel geöffnet. Aber das wollte Christian nicht. Er versprach Birgit, sofort zu melden, wenn der Großvater ihm wieder etwas aus der Schatzkiste geholte hatte.
„Bleib du hier, wir sehen uns morgen wieder. Bis dahin ist mein Zimmer aufgeräumt“, sagte Birgit und hüpfte nach Hause.
Jetzt fiel Christian ein, dass er Birgit die Sache mit Henning nicht erzählt hatte. Er beschloss nun, bei nächster Gelegenheit mit Henning darüber zu reden. Nun suchte er seinen Großvater und fand ihn im Stall bei den Pferden.
"Ist gut, dass du kommst, Krischan!" Er setzte sich auf einen Strohballen und winkte Christian zu sich. Er sagte: "Gib mir immer Bescheid, wenn du den Hof verlässt. Ich mag dich nicht suchen. Verstehst du das?“ „Ich werde daran denken“, versprach Christian, „die Oma will auch immer wissen, wo ich stecke!"
Der Großvater lächelte zufrieden und Hand in Hand gingen sie in die Gaststube zurück. Sonst herrschte hier reges Treiben und eine Flut von Stimmen und Gelächter tobten durch den Raum. Doch heute war die Wirtschaft für alle Gäste geschlossen, es war Ruhetag. Frau Kruse hatte schon den Tisch für sie gedeckt. Christian erzählte seinem Großvater von dem Aufräumnachmittag bei Birgit und fragte dann: „War meine Mutter auch so furchtbar ordentlich?" Beinahe hätte sich der Großvater an seinem Wurstbrot verschluckt. Er hustete kräftig und Christian schlug ihm auf den Rücken. Ganz langsam trank der alte Mann sein Glas leer, wischte sich mit der Hand über den Mund und sagte: „Deine Mutter war sehr ordentlich, aber nicht furchtbar.“
Nach dem Abendessen gingen sie zu den Hühnern, die aufgeregt im Hof umher liefen und jede freie Minute ausnutzten, ehe sie für die Nacht eingesperrt wurden. Der Großvater öffnete das Tor zum Hühnerhaus. Sie trieben die Hühner hinein, die sich schreiend und gaggernd auf den Sitzstangen einen Platz suchten. Als es für Christian Zeit wurde ins Bett zu gehen, kam der Großvater, wie jeden Abend, in sein Zimmer. Christian stand, mit dem Fernrohr in der Hand auf der Truhe und fragte: "Hast du gewusst, dass meine Mutter alle Sterne kannte?"
Der Großvater nickte zustimmend. Seine Stimme klang rau als er sagte: „Diese Sterne, die so hell leuchten, sind unendlich weit entfernt von uns. Aber deine Mutter ist noch viel weiter weg!“ Christian sagte: „Das stimmt nicht, Großvater, meine Oma hat gesagt, wenn man an einen Menschen denkt, der nicht mehr lebt, dann ist der ganz nahe. Im Herzen drin.“
Der Großvater nahm das Fernrohr in die eine Hand und gab Christian die andere. Dann hüpfte der Junge von der Truhe ins Bett und der Großvater setzte sich zu ihm. „Was sagt denn deine Großmutter noch?" erkundigte er sich.
„Neulich hat sie gesagt, ich sähe meiner Mutter immer ähnlicher. Und als ich einmal drei Stück Gugelhupf gemampft habe, sagte sie, den hätte meine Mutter auch gern gegessen!“
Nun lachte der Großvater leise auf. „Was ist denn ein Gugelhupf?" fragte er.
Soweit Christian zurück denken konnte, gab es jeden Sonntag bei seiner Oma einen Gugelhupf. Unglaublich, dass der Großvater den nicht kannte. „Das ist ein Kuchen, ein dicker Kuchen“, erklärte Christian. Dann fiel ihm noch etwas ein: „Meine Tante Lioba sagt, der Gugelhupf sei wie ein süßes Weißbrot mit Rosinen und obendrauf Nüssen.“
„Hört sich gut an“, sagte der Großvater und holte wieder den kleinen Schlüssel aus dem Nachttisch. Er öffnete die Truhe und brachte Christian ein Fotoalbum. Bis spät in der Nacht schauten sie sich die Bilder an, die fotografiert wurden, als Christians Mutter noch ein Kind war. Das letzte Bild, das er an diesem Abend anschaute, zeigte seine Mutter auf dem großen Planwagen. Sie hielt die Zügel in den Händen.
„Ich möchte auch mal damit fahren“, murmelte Christian. Sein Großvater aber klappte das Album zu und sagte: „Wenn es günstig ist, nehme ich dich mit. Magst du mir noch eine Geschichte erzählen?"
„Ja, vom Sterntaler.“ Er machte eine kleine Pause und begann: „Es war einmal ein armes kleines Mädchen. Dem waren Vater und Mutter gestorben“, flüsterte Christian und schloss die Augen. Dann riss er sie noch einmal auf und meinte: „Das war wirklich ein ganz armes Kind, es hatte nicht einmal einen Großvater." Dann fielen ihm endgültig die Augen zu. Der Großvater knipste das Lämpchen aus und ging leise aus der Kammer.