pol shebbel
Mitglied
(Und ein Hoch auf Shebbels "Scheisse auf dem Meeresgrund".)
Es war fast hoffnungslos.
Sie kamen viel zu langsam voran, da die Mehrheit von ihnen in einem Zustand war, in dem Fortbewegung nur noch mit einem Wunder möglich zu sein schien. Besonders der ältere Workash Kal wurde mehr und mehr zum Problem; er schien zeitweise am Rande der Bewusstlosigkeit zu sein, und Uemonni, der Bursche mit dem Vollbart, verbrauchte beim Tragen seine letzten Kraftreserven; Hilfe von Paril wollte Uemonni jedoch partout nicht annehmen. Von Verfolgern war aber erstaunlicherweise nach wie vor nichts zu bemerken.
"Es scheint", vermutete Andai nach etwas Spähen, "dass sie für die Nacht die Verfolgung gestoppt haben. Vielleicht, weil die Flokaigrabs nur bei Tage etwas taugen?"
"Vielleicht sprichst du etwas leiser", zischte Paril, "solange wir nichts genaues wissen... Da entlang." Er zeigte in eine Richtung, wo eine Rishwa Lai-Blüte schimmerte. "Vielleicht verfolgen sie unsere Spur mit Bush Eengil; die sind nachtaktiv. Spätestens dort werden sie aber die Orientierung verlieren."
Die anderen zögerten. "Die Rauschblume?" fragte das verbrannte Gesicht. "Aber dann werden wir auch verwirrt und finden den Weg nicht mehr..."
"Quatsch", brummte Paril. Er griff in seine Gürteltasche und förderte ein paar Stinkholz-Zweige zutage. "Falls er gleich umfällt, so wird das auf jeden Fall helfen. Gleichzeitig verwirrt es Flokaigrabs..." Er brach einen Zweig entzwei und hielt ihn dem anderen hin.
"Bäh!!" schrie Shidai, der Messerheld. "Was is'n das für'n Gestank?"
Paril fuhr wütend herum. "Wirst du wohl die Fresse halten!" zischte er. "Ruhe. Und weiter!" Er verteilte noch mehr Stinkholz, dann ging es weiter.
Bald mischte sich der zum Brechen süsse Duft der Rishwa Lai in den Stinkholz-Gestank. Die Bedenken des verbrannten Gesichts erwiesen sich als teilweise berechtigt; auf die erschöpften Körper wirkte die Droge mehr als ihnen lieb war, und obwohl sie sich so schnell wie möglich entfernten, begannen ihre Füsse zu stolpern, und ihre Sinne drohten sich zu verwirren - der Wald schien zeitweise zu einem ungeordneten Meer von Geraschel und tanzenden Irrlichtern zu werden.
Die Lichter. Es gab viele Lichter im Wald - zu viele.
Paril blieb abrupt stehen.
"Laternen", sagte das verbrannte Gesicht, das neben ihm stand. "Ja", murmelte Paril, halb zu sich selbst. "Sie haben scheinbar dasselbe gedacht wie wir. Alle Achtung, so viel Denkvermögen hätte ich den Offizieren gar nicht zugetraut."
"Er hat uns in ihre Arme geführt!!" rumpelte Uemonni der Schwarzbart wieder los. "Er hat gewusst, dass sie hier stehen und wird uns jetzt abliefern! Ich habs doch gleich gesagt..."
Paril sah ihn betont kalt an. "Ich habe gar nichts gewusst, du Pfeife. Und wenn du willst, kannst du gerne ohne mich weitergehen..."
"Lasst den Scheiss!" drängte Shnoiw. "Überlegt euch lieber, was wir jetzt tun sollen!"
Paril starrte in Richtung Laternen. "Wir müssen da durch. Und wir können es auch, wenn wir schnell sind. Die haben nämlich nicht genug Krieger, um die ganze Gegend abzusperren. Unsere beste Chance ist, den Ring zu durchbrechen, bevor Verstärkung eintrifft." Wie bei den Shas Gil, fiel ihm plötzlich ein. "Los, gehn wir, keine Zeit verlieren!" Erst recht nicht mit Diskutieren! Paril setzte sich, ohne irgend eine Antwort abzuwarten, sofort in Bewegung - und den anderen blieb am Ende nichts übrig als ihm zu folgen.
Es wurde nichts mehr gesprochen; ihre Aufmerksamkeit galt mehr denn je der Vermeidung von Geräuschen - und der scharfen Spitzen der Aloe-Blätter. Die Laternen rückten näher, die Szene wurde deutlicher. Wie Paril gedacht hatte, waren ziemlich grosse Abschnitte unbewacht; mit wenig mehr als hundert unerfahrenen Kriegern war in so kurzer Zeit gar nicht mehr möglich. Bereits leuchteten die nächsten Laternen in sicherer Entfernung zu beiden Seiten, und vor ihnen lag verheissungsvolles Dunkel. Paril duckte sich, um unter einem Lianenvorhang durchzuschlüpfen - da erstarrte er.
Von links näherte sich Geraschel und ein schwankendes Licht.
Sie verhielten sich regungslos und warteten.
Das Licht näherte sich, blieb stehen. Ein paar gedämpfte Worte wurden gewechselt, wieder ein leises Prasseln und Rascheln, dann wieder Stille. Das Licht blieb.
Nach einer Weile begann sich Paril wieder langsam vorzuschieben. Er suchte Deckung hinter einem Pyramidalstamm und spähte gegen das Licht.
Der Anblick brachte ihn fast zum Lachen.
Der neue Krieger, der da Wache stand, war Shebbel. Er sah unglücklich aus und spähte ängstlich hinter seinem Schild hervor.
Am liebsten wäre Paril zu ihm hingelaufen und hätte ihm auf die Schulter gehauen. Aber das durfte leider nicht sein... Er gab den Ausbrechern hinter ihm ein Zeichen und begann, vorsichtig weiterzuschleichen, zwischen den grazilen Silhouetten von Kicherbüschen hindurch. Die anderen folgten; einer nach dem andern liess die Laterne hinter sich. Die Linie der hochmeisterlichen Krieger war beinahe passiert, nur der Schwarzbart mit dem weisshaarigen Workash Kal fehlte noch.
Da stolperte der Workash Kal plötzlich. Kraftlos wie er war, konnte er das Gleichgewicht nicht halten und begann, von der Schulter seines Trägers abzurutschen. Dieser reagierte sofort und fing ihn auf; aber er konnte nicht verhindern, dass sie einen Moment lang schwankten und gegen einen Kicherbusch stiessen.
Sofort erhob sich, von den in Vibration versetzten Blättern erzeugt, ein vielstimmiges raschelndes Gekicher. Paril erstarrte entsetzt. Das mussten sie gehört haben! Jetzt war alles vorbei... Paril kniff die Augen zu und wartete auf das Ende, zwei, drei Sekunden lang. Als alles still blieb, machte er vorsichtig die Augen wieder auf und drehte ganz langsam den Kopf in Richtung Laterne.
Shebbel stand stocksteif, die Hand um den Schwertgriff gekrampft, die Augen weit aufgerissen vor Angst. Er machte keine Anstalten, Alarm zu schlagen.
Gelobt sei Shebbels "Scheisse auf dem Meeresgrund"! Paril und die Ausbrecher schlichen weiter, bis die Laternen weit hinter ihnen lagen.
Na ja, da war das eine gewesen... Aber er hatte bis jetzt kein Wort mit den zwei älteren Männern gewechselt; um die Wahrheit zu sagen, er hatte den Kontakt mit ihnen bewusst vermieden. Folglich wusste er jetzt genau so wenig wie zuvor, ob etwa einer von ihnen der frühere Hochmeister Assing war. Aber im jetzigen Zeitpunkt war er beinahe bereit, es sich egal sein zu lassen... Gleichgültig hörte er zu, wie die anderen in seiner Nähe in gedämpftem Ton debattierten.
Es ging um etwas Naheliegendes: sich Wasser und Nahrung zu verschaffen. Gerade liess sich Shidai hören. "Hey, es heisst doch, die Bäume da speichern Wasser in den Stämmen. Wir brauchen also bloss einen umzuhauen, und schon haben wir alle zu trinken!"
Als Paril das hörte, begann sich das Blut in seinen Adern wieder schneller zu bewegen. Mochte Asîmchômsaia ihn zum Ketzer erklärt haben - er würde trotzdem keinen weiteren Waldfrevel mehr zulassen! Er stemmte sich hoch und lehnte sich vor. "He, hör mal zu, Junge", liess er sich in Shidais Richtung vernehmen, "meinst du nicht, du hättest genug Bäume geschändet?"
Shidai wich etwas zurück. "Aber was sollen wir machen?" begehrte er auf. "Sind dir Bäume wichtiger als Menschenleben?"
"Natürlich sind sie das!" Das war schon wieder Uemonni. "Wichtiger als Galbladi auf jeden Fall, das weiss man ja. Lass ihn doch - wenn er an Durst krepieren will, ist das sein Problem..."
Paril stemmte sich schlecht gelaunt in die Höhe. "Du gehst mir auf die Nerven, Scheissfliegenkopf. Ich habe wirklich keine Lust, mir Mühe zu machen - aber dein nächster Frevel könnte dein letzter sein!"
Mit finsterer Miene schickte auch Uemonni sich an, aufzustehen - da schob sich Andai zwischen sie. "Hört auf! Wir brauchen Wasser, das kann niemand bestreiten. Und Diskussionen sind wirklich unnötig - weil es nämlich gar nicht verboten ist, den Wasservorrat eines Baumes zu benutzen. Das tun doch die Baumbesitzer auch, oder?"
Paril durchbohrte ihn mit Blicken. "Ach. Ausgerechnet Er redet mir von Pyramidalbäumen? Vielleicht überlässt Er das besser den Leuten, die davon mehr Ahnung haben!"
Andai schüttelte ungeduldig den Kopf. "Ich meine nicht, wir sollen einen Baum umhauen. Und es mag ja sein, dass ich davon weniger Ahnung habe als er, aber zufällig weiss ich, dass es in eurem heiligen Buch ein Ritual gibt, das genau dazu dient: auf fromme Weise einem Baum Wasser abzuzapfen! Ausserdem kann man es vorsichtig machen, so dass der Baum keinen Schaden nimmt..."
Paril starrte ihn erstaunt an. Für einen Ketzer wusste der aber seltsam genau Bescheid!
"Für das Ritual", fuhr Andai unbeirrt fort, "gibt es zwei Varianten. Da hier ein ziemlicher Notfall vorliegt, ist die einfachere angemessen. Man muss dazu einen bestimmten heiligen Spruch herunterleiern. Ich persönlich halte nicht mehr viel davon - er nenne mich also meinetwegen Ketzer - aber wenn ihm das wichtig ist, können wir es machen..."
"Was heisst da wir?!" unterbrach ihn Paril, seine Verblüffung schroff überspielend. "Von euch Scheissfliegenköpfen rührt mir keiner einen Baum an! Ich weiss, wie es geht. Gut, gut, ich werde es machen für euch."
Paril schloss die Augen und suchte sich die Einzelheiten des Wechax Wchabe-Rituals in Erinnerung zu rufen. Seine Glieder fühlten sich einmal mehr bleischwer an - und es ärgerte ihn masslos, dem Rundgesichtigen recht geben zu müssen, dass dieser das vereinfachte Verfahren empfahl...
Beim Herumschlurfen auf der Suche nach einem geeigneten Pyramidalbaum stach sich Paril an mehreren Aloes und erschreckte ein paar Mimosenbäume, bevor er sich entschied. Perrkzôtrôm-Blumen waren keine zu finden; also würde er das Loch in die Rinde mit dem Messer meisseln müssen.
"Verehrter Baum, Beschützer allen Lebens,
Du Kind von Ssai, du Quell der Fruchtbarkeit,
Ein Teil des Ganzen sind wir, du und ich..."
Ein paarmal stockte Paril, denn es war doch eine Weile her, dass er ins Grüne Buch geschaut hatte. Seltsame Gefühle stiegen in ihm auf, vage Erinnerungen an längst vergangene Zeiten...
Wenig später begann der Pflanzensaft zu fliessen, und die ersten von ihnen konnten, während Paril den nächsten Baum bearbeitete, einen kleinen Teil ihres quälenden Durstes löschen.
Eigentlich hatten sie so schnell wie möglich wieder aufbrechen wollen; doch es zeigte sich, dass der weissharige Workash Kal nicht mehr aufstehen konnte. Er selbst versuchte sie zu überreden, ohne ihn weiterzufliehen; aber da sie fühlten, dass es ihnen im Grunde nicht viel anders ging, blieben sie vorerst, wo sie waren. Und bald befanden sich alle inklusive der, der eigentlich wachen musste, in einem Zustand, welcher demjenigen, dem sie zu entrinnen versuchten, schon sehr ähnlich war.
Es war fast hoffnungslos.
Sie kamen viel zu langsam voran, da die Mehrheit von ihnen in einem Zustand war, in dem Fortbewegung nur noch mit einem Wunder möglich zu sein schien. Besonders der ältere Workash Kal wurde mehr und mehr zum Problem; er schien zeitweise am Rande der Bewusstlosigkeit zu sein, und Uemonni, der Bursche mit dem Vollbart, verbrauchte beim Tragen seine letzten Kraftreserven; Hilfe von Paril wollte Uemonni jedoch partout nicht annehmen. Von Verfolgern war aber erstaunlicherweise nach wie vor nichts zu bemerken.
"Es scheint", vermutete Andai nach etwas Spähen, "dass sie für die Nacht die Verfolgung gestoppt haben. Vielleicht, weil die Flokaigrabs nur bei Tage etwas taugen?"
"Vielleicht sprichst du etwas leiser", zischte Paril, "solange wir nichts genaues wissen... Da entlang." Er zeigte in eine Richtung, wo eine Rishwa Lai-Blüte schimmerte. "Vielleicht verfolgen sie unsere Spur mit Bush Eengil; die sind nachtaktiv. Spätestens dort werden sie aber die Orientierung verlieren."
Die anderen zögerten. "Die Rauschblume?" fragte das verbrannte Gesicht. "Aber dann werden wir auch verwirrt und finden den Weg nicht mehr..."
"Quatsch", brummte Paril. Er griff in seine Gürteltasche und förderte ein paar Stinkholz-Zweige zutage. "Falls er gleich umfällt, so wird das auf jeden Fall helfen. Gleichzeitig verwirrt es Flokaigrabs..." Er brach einen Zweig entzwei und hielt ihn dem anderen hin.
"Bäh!!" schrie Shidai, der Messerheld. "Was is'n das für'n Gestank?"
Paril fuhr wütend herum. "Wirst du wohl die Fresse halten!" zischte er. "Ruhe. Und weiter!" Er verteilte noch mehr Stinkholz, dann ging es weiter.
Bald mischte sich der zum Brechen süsse Duft der Rishwa Lai in den Stinkholz-Gestank. Die Bedenken des verbrannten Gesichts erwiesen sich als teilweise berechtigt; auf die erschöpften Körper wirkte die Droge mehr als ihnen lieb war, und obwohl sie sich so schnell wie möglich entfernten, begannen ihre Füsse zu stolpern, und ihre Sinne drohten sich zu verwirren - der Wald schien zeitweise zu einem ungeordneten Meer von Geraschel und tanzenden Irrlichtern zu werden.
Die Lichter. Es gab viele Lichter im Wald - zu viele.
Paril blieb abrupt stehen.
"Laternen", sagte das verbrannte Gesicht, das neben ihm stand. "Ja", murmelte Paril, halb zu sich selbst. "Sie haben scheinbar dasselbe gedacht wie wir. Alle Achtung, so viel Denkvermögen hätte ich den Offizieren gar nicht zugetraut."
"Er hat uns in ihre Arme geführt!!" rumpelte Uemonni der Schwarzbart wieder los. "Er hat gewusst, dass sie hier stehen und wird uns jetzt abliefern! Ich habs doch gleich gesagt..."
Paril sah ihn betont kalt an. "Ich habe gar nichts gewusst, du Pfeife. Und wenn du willst, kannst du gerne ohne mich weitergehen..."
"Lasst den Scheiss!" drängte Shnoiw. "Überlegt euch lieber, was wir jetzt tun sollen!"
Paril starrte in Richtung Laternen. "Wir müssen da durch. Und wir können es auch, wenn wir schnell sind. Die haben nämlich nicht genug Krieger, um die ganze Gegend abzusperren. Unsere beste Chance ist, den Ring zu durchbrechen, bevor Verstärkung eintrifft." Wie bei den Shas Gil, fiel ihm plötzlich ein. "Los, gehn wir, keine Zeit verlieren!" Erst recht nicht mit Diskutieren! Paril setzte sich, ohne irgend eine Antwort abzuwarten, sofort in Bewegung - und den anderen blieb am Ende nichts übrig als ihm zu folgen.
Es wurde nichts mehr gesprochen; ihre Aufmerksamkeit galt mehr denn je der Vermeidung von Geräuschen - und der scharfen Spitzen der Aloe-Blätter. Die Laternen rückten näher, die Szene wurde deutlicher. Wie Paril gedacht hatte, waren ziemlich grosse Abschnitte unbewacht; mit wenig mehr als hundert unerfahrenen Kriegern war in so kurzer Zeit gar nicht mehr möglich. Bereits leuchteten die nächsten Laternen in sicherer Entfernung zu beiden Seiten, und vor ihnen lag verheissungsvolles Dunkel. Paril duckte sich, um unter einem Lianenvorhang durchzuschlüpfen - da erstarrte er.
Von links näherte sich Geraschel und ein schwankendes Licht.
Sie verhielten sich regungslos und warteten.
Das Licht näherte sich, blieb stehen. Ein paar gedämpfte Worte wurden gewechselt, wieder ein leises Prasseln und Rascheln, dann wieder Stille. Das Licht blieb.
Nach einer Weile begann sich Paril wieder langsam vorzuschieben. Er suchte Deckung hinter einem Pyramidalstamm und spähte gegen das Licht.
Der Anblick brachte ihn fast zum Lachen.
Der neue Krieger, der da Wache stand, war Shebbel. Er sah unglücklich aus und spähte ängstlich hinter seinem Schild hervor.
Am liebsten wäre Paril zu ihm hingelaufen und hätte ihm auf die Schulter gehauen. Aber das durfte leider nicht sein... Er gab den Ausbrechern hinter ihm ein Zeichen und begann, vorsichtig weiterzuschleichen, zwischen den grazilen Silhouetten von Kicherbüschen hindurch. Die anderen folgten; einer nach dem andern liess die Laterne hinter sich. Die Linie der hochmeisterlichen Krieger war beinahe passiert, nur der Schwarzbart mit dem weisshaarigen Workash Kal fehlte noch.
Da stolperte der Workash Kal plötzlich. Kraftlos wie er war, konnte er das Gleichgewicht nicht halten und begann, von der Schulter seines Trägers abzurutschen. Dieser reagierte sofort und fing ihn auf; aber er konnte nicht verhindern, dass sie einen Moment lang schwankten und gegen einen Kicherbusch stiessen.
Sofort erhob sich, von den in Vibration versetzten Blättern erzeugt, ein vielstimmiges raschelndes Gekicher. Paril erstarrte entsetzt. Das mussten sie gehört haben! Jetzt war alles vorbei... Paril kniff die Augen zu und wartete auf das Ende, zwei, drei Sekunden lang. Als alles still blieb, machte er vorsichtig die Augen wieder auf und drehte ganz langsam den Kopf in Richtung Laterne.
Shebbel stand stocksteif, die Hand um den Schwertgriff gekrampft, die Augen weit aufgerissen vor Angst. Er machte keine Anstalten, Alarm zu schlagen.
Gelobt sei Shebbels "Scheisse auf dem Meeresgrund"! Paril und die Ausbrecher schlichen weiter, bis die Laternen weit hinter ihnen lagen.
***
Eine kurze Rast im übelriechenden Schutz eines Stinkholzbaumes. Eigentlich konnte man sich kein Anhalten leisten, weil die Verfolgung ohne Zweifel bald wiederaufgenommen werden würde; aber sie konnten einfach nicht mehr weiter. Auch Paril, wiewohl vergleichsweise frisch, konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich auf einen Pyramidalstamm fallen zu lassen; und sobald er lag, fragte er sich einmal mehr, was für einen Grund es geben sollte, wieder aufzustehen. Warum gab er sich hier mit diesen Ketzern ab und nahm solche Strapazen auf sich? Die Chancen standen auch jetzt noch zehn zu eins gegen sie; sollte er nicht besser für einen guten Tod sorgen?Na ja, da war das eine gewesen... Aber er hatte bis jetzt kein Wort mit den zwei älteren Männern gewechselt; um die Wahrheit zu sagen, er hatte den Kontakt mit ihnen bewusst vermieden. Folglich wusste er jetzt genau so wenig wie zuvor, ob etwa einer von ihnen der frühere Hochmeister Assing war. Aber im jetzigen Zeitpunkt war er beinahe bereit, es sich egal sein zu lassen... Gleichgültig hörte er zu, wie die anderen in seiner Nähe in gedämpftem Ton debattierten.
Es ging um etwas Naheliegendes: sich Wasser und Nahrung zu verschaffen. Gerade liess sich Shidai hören. "Hey, es heisst doch, die Bäume da speichern Wasser in den Stämmen. Wir brauchen also bloss einen umzuhauen, und schon haben wir alle zu trinken!"
Als Paril das hörte, begann sich das Blut in seinen Adern wieder schneller zu bewegen. Mochte Asîmchômsaia ihn zum Ketzer erklärt haben - er würde trotzdem keinen weiteren Waldfrevel mehr zulassen! Er stemmte sich hoch und lehnte sich vor. "He, hör mal zu, Junge", liess er sich in Shidais Richtung vernehmen, "meinst du nicht, du hättest genug Bäume geschändet?"
Shidai wich etwas zurück. "Aber was sollen wir machen?" begehrte er auf. "Sind dir Bäume wichtiger als Menschenleben?"
"Natürlich sind sie das!" Das war schon wieder Uemonni. "Wichtiger als Galbladi auf jeden Fall, das weiss man ja. Lass ihn doch - wenn er an Durst krepieren will, ist das sein Problem..."
Paril stemmte sich schlecht gelaunt in die Höhe. "Du gehst mir auf die Nerven, Scheissfliegenkopf. Ich habe wirklich keine Lust, mir Mühe zu machen - aber dein nächster Frevel könnte dein letzter sein!"
Mit finsterer Miene schickte auch Uemonni sich an, aufzustehen - da schob sich Andai zwischen sie. "Hört auf! Wir brauchen Wasser, das kann niemand bestreiten. Und Diskussionen sind wirklich unnötig - weil es nämlich gar nicht verboten ist, den Wasservorrat eines Baumes zu benutzen. Das tun doch die Baumbesitzer auch, oder?"
Paril durchbohrte ihn mit Blicken. "Ach. Ausgerechnet Er redet mir von Pyramidalbäumen? Vielleicht überlässt Er das besser den Leuten, die davon mehr Ahnung haben!"
Andai schüttelte ungeduldig den Kopf. "Ich meine nicht, wir sollen einen Baum umhauen. Und es mag ja sein, dass ich davon weniger Ahnung habe als er, aber zufällig weiss ich, dass es in eurem heiligen Buch ein Ritual gibt, das genau dazu dient: auf fromme Weise einem Baum Wasser abzuzapfen! Ausserdem kann man es vorsichtig machen, so dass der Baum keinen Schaden nimmt..."
Paril starrte ihn erstaunt an. Für einen Ketzer wusste der aber seltsam genau Bescheid!
"Für das Ritual", fuhr Andai unbeirrt fort, "gibt es zwei Varianten. Da hier ein ziemlicher Notfall vorliegt, ist die einfachere angemessen. Man muss dazu einen bestimmten heiligen Spruch herunterleiern. Ich persönlich halte nicht mehr viel davon - er nenne mich also meinetwegen Ketzer - aber wenn ihm das wichtig ist, können wir es machen..."
"Was heisst da wir?!" unterbrach ihn Paril, seine Verblüffung schroff überspielend. "Von euch Scheissfliegenköpfen rührt mir keiner einen Baum an! Ich weiss, wie es geht. Gut, gut, ich werde es machen für euch."
Paril schloss die Augen und suchte sich die Einzelheiten des Wechax Wchabe-Rituals in Erinnerung zu rufen. Seine Glieder fühlten sich einmal mehr bleischwer an - und es ärgerte ihn masslos, dem Rundgesichtigen recht geben zu müssen, dass dieser das vereinfachte Verfahren empfahl...
Beim Herumschlurfen auf der Suche nach einem geeigneten Pyramidalbaum stach sich Paril an mehreren Aloes und erschreckte ein paar Mimosenbäume, bevor er sich entschied. Perrkzôtrôm-Blumen waren keine zu finden; also würde er das Loch in die Rinde mit dem Messer meisseln müssen.
"Verehrter Baum, Beschützer allen Lebens,
Du Kind von Ssai, du Quell der Fruchtbarkeit,
Ein Teil des Ganzen sind wir, du und ich..."
Ein paarmal stockte Paril, denn es war doch eine Weile her, dass er ins Grüne Buch geschaut hatte. Seltsame Gefühle stiegen in ihm auf, vage Erinnerungen an längst vergangene Zeiten...
Wenig später begann der Pflanzensaft zu fliessen, und die ersten von ihnen konnten, während Paril den nächsten Baum bearbeitete, einen kleinen Teil ihres quälenden Durstes löschen.
Eigentlich hatten sie so schnell wie möglich wieder aufbrechen wollen; doch es zeigte sich, dass der weissharige Workash Kal nicht mehr aufstehen konnte. Er selbst versuchte sie zu überreden, ohne ihn weiterzufliehen; aber da sie fühlten, dass es ihnen im Grunde nicht viel anders ging, blieben sie vorerst, wo sie waren. Und bald befanden sich alle inklusive der, der eigentlich wachen musste, in einem Zustand, welcher demjenigen, dem sie zu entrinnen versuchten, schon sehr ähnlich war.