Vor dem Gasthaus umringten viele Menschen den Großvater. Christian zwängte sich zu ihm durch. Großvater begrüßte die Leute und hieß sie in seinem Hause willkommen. Er freute sich mit ihnen, dass niemand bei dem Unfall verletzt wurde. „Ich werde dafür sorgen, dass sie ihren Schrecken bald vergessen“, sagte Großvater.
Die Leute verteilten sich nun in den Gasträumen und plötzlich zupfte Birgit Christian am Ärmel. „Komm, hilf doch mal“, bat sie und zog ihn mit sich. Auf dem Platz zwischen Gasthaus und Nebengebäude klappten Henning und Gröver Jan lange Holztische und Bänke auf. Birgit drückte Christian einen Lappen in die Hand. Noch bevor sie alle Tische und Bänke abgewischt hatten, waren die ersten zwei Tische schon besetzt. „Das ist ja aufregend, soviel Leute!“ flüsterte Birgit und stieß gleich drauf einen Schrei aus: „Da ist ja meine Mama!“ Aber Frau Schulze winkte den Kindern nur zu. Sie trug eine weiße Servierschürze und notierte sich was die Gäste an den Holztischen trinken wollten. Nachdem Christian und Birgit die letzte Bank gesäubert hatten, gingen sie ins Haus. Ein Stimmengewirr überflutete sie, und die Tür zum Nebenzimmer stand offen.
„Wau“, entfuhr es Birgit, „so gerammelt voll habe ich die Bunde noch nie gesehen!“ Sie schlängelte sich an den Leuten vorbei hinter die Theke und Christian folgte ihr. Großvater stand am Zapfhahn und füllte Bier in Krüge und Gläser. Henning, Gröver Jan, Frau Schulze und die beiden Serviererinnen verteilten die Getränke. Als Christian von der Durchreiche aus in die Küche schaute, entdeckte er dort auch Hille und ihre Mutter. Er hatte keine Zeit mehr sich darüber zu wundern, denn nun durfte er mit Birgit und Frau Kruse die Kaffeegedecke richten. Er verteilte Schälchen mit Zucker und Milchportionen auf unzähligen kleinen Tabletts, Birgit stellte das Geschirr dazu und Frau Kruse schenkte unermüdlich Kaffee ein.
Nach einer Weile streckte Hille den Kopf aus der Durchreiche. „Na, Heinzelmännchen, könnt ihr mir mal helfen?“ Frau Kruse nickte den Kindern zu: „Wir sind hier beinahe fertig!“ Die Kinder liefen in die Küche. Hille führte sie zu einem Topf mit Eiern. „Bitte sauber abpellen“, bat sie und hastete weiter.
„So viel Eier“, stöhnte Christian. „Ja, ne ganze Menge“, stimmte Birgit zu, „das letzte Mal, als Mama und Hille aushalfen, gab es eine Hochzeitsfeier. Fünfzig Gäste waren da, aber heute sind es viel mehr. Komm, wir pellen um die Wette, wer zuerst drei Eier geschafft hat, ist Sieger.“
So sehr sich Christian auch anstrengte, Birgit gewann sieben Mal. „Du bist sehr flink“, sagte er und freute sich, als diese Arbeit vorbei war.
Hille bedankte sich, drückte ihnen ein Stück Streuselkuchen und eine Limo in die Hand und sagte: „Verkrümelt euch an der frischen Luft!“ Sie verließen die Küche durch die Hintertür, bahnten sich einen Weg an Koffer, Taschen und Rucksäcken vorbei zum Ausgang. Dort stießen sie beinahe mit Birgits Mutter zusammen. Sie runzelte einen Augenblick lang die Stirn und sagte: „Tut mir leid, Kinder, draußen ist kein Platz mehr frei, setzt euch auf die Treppe!“ Birgit holte für sich und Christian noch einmal Kuchen bei Hille. Als sie den letzten Bissen im Mund hatte, kam Gröver Jan mit vielen Leuten aus der Gaststube. „Draußen ist kein Platz mehr“, rief Birgit ihnen zu. Gröver Jan schüttelte lächelnd den Kopf. „Wir möchten uns nur ein wenig die Beine vertreten und machen einen Spaziergang durch die Heide. Wollt ihr mit?“ Birgit sagte entschieden: „Nein, Hille braucht mich wieder“, und Christian blieb bei Birgit.
Christian stieß Birgit an: „Da pfeift jemand wie mein Papa!“ „Das ist Hille“, sage Birgit. Wieder gingen sie zur hinteren Küchentür. Christian deutete auf das Schild und las: „Kein Eingang!“ „Aber das gilt für uns nicht. Heute gehören wir zum Personal. Außerdem gehe ich sowieso am liebsten durch solche Türen!“ erklärte Birgit. Sie stieß die Tür mit Schwung auf und hüpfte zu Hille. „Was gibt es denn?“ „Bitte abräumen“, sagte Hille knapp. Birgit zog Christian zum Kaffeegeschirr. Er seufzte leise. Er verstand nicht, weshalb Birgit mit so viel Freude und Eifer die übriggebliebenen Zuckerstückchen und Milchportionen einsammelte. „Wollen wir nicht verstecken spielen?“ schlug er vor. Aber Birgit schüttelte energisch den Kopf und begann die kleinen Tabletts abzuwischen. Christian schnappte sich ein Zuckerstückchen, steckte es in den Mund und meinte: „Deine Mama ist sicher sehr stolz auf dich, wenn du so viel schaffst!“
Birgit warf ihren Kopf zurück, dass der Pferdeschwanz wild tanzte. „Frag sie doch mal!“ sagte sie. Christian schlüpfte in die Gaststube und wartete vor der Theke auf Frau Schulze. Als sie ein Tablett mit leeren Biergläsern in die Durchreiche stellte bemerkte sie verwundert: „Wo ist denn Birgit? Ihr beiden steckt doch sonst immer zusammen.“ Christian legte den Kopf schief und antwortete: „Sie ist fleißig, sehr fleißig sogar, sie hilft in der Küche!“ Frau Schulze seufzte leise, „Schade, dass ich von diesem Fleiß Zuhause nicht viel spüre“, sagte sie und lud neue Getränke auf das Tablett.
„Na, was hat sie gesagt?“ wollte Birgit wissen. Nachdem Christian ihr Frau Schulzes Antwortet mitgeteilt hatte, zuckte Birgit die Achseln und sagte: „Stimmt, ich arbeite nicht gern mit meiner Mama. Es ist sehr schwer, ihr etwas recht zu machen, stets findet sie was zum Meckern!“ „Was denn zum Beispiel?“ fragte Christian.
„Wenn ich mein Bett mache, meint sie, das Laken muss straffer sitzen, oder wenn ich in Mathe eine 3 Schreibe findet sie, es hätte auch eine 2 sein können!“
„Das würde mir auch sehr stinken“, gab Christian zu, „hast du denn schon einmal drüber mit deiner Mama geredet?“ Birgit pfefferte den Lappen auf den Tisch, stemmte die Arme in die Hüften und fauchte: „Glaubst du denn, Erwachsene hören auf ihre Kinder?“ „Manchmal schon“, antwortete Christian, „ich erzähl dir mal meine Geschichte, aber du musst mit der Putzerei hier aufhören!“
Gröver Jan spazierte noch immer mit einigen Gästen durch die Heide. Birgit und Christian fanden eine ruhige Sitzecke in der Gaststube. „Fang schon an“, befahl Birgit. „Du darfst mich aber mit meiner Geschichte niemals ärgern, auch nicht, wenn wir uns streiten!“ verlangte Christian. „Ehrenwort“, sagte Birgit und Christian begann: „Einmal habe ich mich bei meiner Oma beklagt, weil Tante Lioba immer und überall „Männle“, zu mir gesagt hat. „Männle lass das sein, oder „Männle, komm her.“ Sie nannte mich nie Gris. Sogar in der Stadt rief sie: „Tag, Männle!“ Ich kann dieses Wort nicht hören, ich hasse es!“ stieß Christian hervor. Birgit schüttelte verwundert den Kopf. So hitzig hatte sie ihren Freund noch nie erlebt. „Und“, fragte sie, „hat die Tante damit aufgehört?“
„Ja. Die Oma hat gesagt, ich soll mit Tante Lioba darüber reden und wenn sie es nicht einsieht, könnte ich sie auch mal altes Tantchen nennen. Dann würde sie mich schon verstehen. Seither ruft sie mich Gris oder Kind, denn sie will nicht Tantchen genannt werden und schon gar nicht altes Tantchen!“ „Prima, prima”, rief Birgit aus. Doch dann verfinsterte sich ihr Gesicht wieder und sie fragte: „Was soll ich meiner Mama sagen, dass sie mich versteht?“ Christian biss sich auf die Lippen. Die Oma wüsste sicher sofort einen Rat. Er überlegte eine Weile und meinte dann: „Auf jeden Fall musst du deiner Mama erklären, wie sehr dich ihr Maulen nervt!“
Birgit stöhnte leise und sagte: „Das habe ich schon oft. Die Mama sagt, sie will mich nicht ärgern. Sie will mir helfen, dass ich tüchtig werde!“
„Ach so“, sage Christian gedehnt. „Trotzdem braucht sie nicht immer zu meckern. Du könntest das bei ihr doch auch einmal machen!“ Birgit hob abwehrend die Hände. „Nein, das geht nicht, was soll ich denn sagen?“
„Ich weiß was, halt mir meinen Platz frei“, sagte Christian grinsend und huschte in die Küche.
Er sprach mit Hille über das Problem und sie sagte:
„Birgits Mutter ist sehr fleißig und hilfsbereit. Was sie anpackt, macht sie richtig gut. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber leider vergisst sie oft, dass Birgit noch ein Kind ist, die nicht nur tüchtig, sondern fröhlich, ausgelassen, übermütig und manchmal auch schmutzig und unordentlich sein will. Es schadet sicher nicht, wenn du Frau Schulze einmal kritisierst. Aber übertreibe bitte nicht, sie hat heute noch viele Biergläser zu schleppen.“
Hille beugte sich zu Christian und flüsterte ihm zu, was er Frau Schulze sagen könnte. Sie zwinkerten sich wie zwei Verschwörer zu und trennten sich mit einem Handschlag.
Christian stellte sich vor die Theke und gab Birgit mit Handzeichen zu verstehen, dass sie auf ihrem Platz bleiben sollte. Doch das hielt Birgit nicht aus. Sie lief zu Christian und flüsterte: „Was hast du vor?“ Christian legte nur den Finger auf die Lippen, denn schon stand Frau Schulze bei ihnen. „Was gibt es denn?“ wollte sie wissen und Christian erkundigte sich, ob sie eine Cola trinken durften. Aber Frau Schulze sagte: „Ich gebe euch eine Limo, die schmeckt genauso gut!“ „Du sagst nichts“, befahl Christian der Freundin. Frau Schulze schenkte den Kindern ein Glas Limo ein. Christians Herz klopfte rasend, er klammerte sich an der Theke fest und sagte: „Das Glas könnte voller sein!“
Frau Schulze beugte sich zu ihm und fragte: „Was nuschelst du da?“ Christian sah ihr starr ins Gesicht und wiederholte den Satz. Sie zog die Augenbrauen zusammen, schüttelte verwundert den Kopf und meinte: „Bei dir piepst es wohl! Sonst noch Wünsche?“ Christian nickte. „Ich hätte gern vom Streuselkuchen!“ „In Ordnung“, sagte sie und schnitt den Kuchen vom Blech. Sie gab den beiden ein Stück in die Hand. Birgit bedankte sich und Christian meinte: „Der Kuchen könnte großer sein!“ „Hast du heute einen Sonnenstich abgekriegt?“ fragte Frau Schulze besorgt. Bevor Christian antworten konnte, zog ihn Birgit in die Ecke zurück. „Das genügt, meinst du, die Mama hat was gemerkt? Meinst du, sie meckert nun nicht mehr so viel?“ fragte sie leise. Christian kratzte sich am Kopf. „Bestimmt wird sie wieder maulen, dann kannst du sie daran erinnern, dass sie mich gefragt hat, ob es bei mir piepst und ob ich einen Sonnenstich hätte!“ Birgit fand, Christian sei sehr mutig. Er aber winkte ab und meinte, dass Birgit dafür viel tüchtiger sei.
Er hatte an diesem Tag noch oft Gelegenheit, über ihre Geschicklichkeit zu staunen. Als die Salatteller für das Abendessen gerichtet wurden, durften die Kinder wieder helfen. Christian quetschte die gekochten Eier durch den Eierschneider. Birgit verzierte den Salat mir Eischeiben, Tomaten und Petersilie. Nach dem Essen gab es für die beiden noch einmal viel zu tun. Sie räumten die Brotkörbchen aus, ganze Scheiben legten sie in einen Korb. „Daraus macht Frau Kruse Paniermehl“, erklärte Birgit. Für den Koch sammelten sie die übrig gebliebene Butter in einem Topf. Knochen warfen sie in den Müll. Alles andere landete in einem großen Eimer. Den bekommt Hille für ihre Schweine“, sagte Birgit. Und Hille war es, die sie bald darauf aus der Küche schickte. Ihr habt genug geplackt, für euch ist Feierabend!“ sagte sie.
Großvater saß bei den Gästen und zog an seiner Pfeife. Als die Kinder zu ihm kamen, rückte er ein Stück zur Seite. Christian hörte den Erwachsenen zu. Sie lobten den Großvater für seine gemütliche Wirtschaft, für das gute Essen, für die Gastlichkeit, für den freundlichen Empfang, für alles. Christian spürte eine Wärme in sich, die nichts mit dem Sommerwetter zu tun hatte. Er fand es wunderbar, dass diese vielen Menschen zu seinem Großvater gekommen waren.
Es war schon dunkel, als zwei Ersatzbusse in den Hof rollten. Poltern und lärmend verabschiedeten sich die Gäste. Birgit und ihre Mutter eilten nach Hause und Ruhe kehrte wieder ein. Obwohl Christian sehr müde war, wollte er auf den gewohnten Rundgang nicht verzichten. Am Himmel fand Christian den Polarstern und die Wega. Dann deutete er auf die schmale Sichel des Mondes und sagte: „Du weißt doch, dass ich nun bald fort muss!“ Großvater drückte leicht seine Hand. „Deine Geschichten werde ich vermissen und du wirst mir sehr fehlen!“
„Du mir auch“, seufzte Christian.
„Möchtest du im nächsten Sommer wieder kommen?“ „Oh, ja“, sagte Christian. „Und du? Besuchst du mich mal in Freiburg?“ „Ja, wenn im Dezember die Wirtschaft geschlossen ist!“ Christian klatschte begeistert in die Hände und drehte sich ein paar Mal im Kreis. Wenn der Großvater ihn nicht festgehalten hätte, wäre er noch umgekippt. Schade, dass er Birgit diese Neuigkeit nicht sofort berichten konnte. Er gähnte laut und stieg in seine Dachkammer hinauf. Als der Großvater zu Christian kam, lag dieser angezogen auf dem Bett und schlief fest. Er wachte auch nicht auf, als ihm der Großvater die Strümpfe auszog und ihn zudeckte. Er hörte auch nicht, wie der Großvater murmelte: „Krischan, du wirst mir sehr, sehr fehlen!“
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Die Leute verteilten sich nun in den Gasträumen und plötzlich zupfte Birgit Christian am Ärmel. „Komm, hilf doch mal“, bat sie und zog ihn mit sich. Auf dem Platz zwischen Gasthaus und Nebengebäude klappten Henning und Gröver Jan lange Holztische und Bänke auf. Birgit drückte Christian einen Lappen in die Hand. Noch bevor sie alle Tische und Bänke abgewischt hatten, waren die ersten zwei Tische schon besetzt. „Das ist ja aufregend, soviel Leute!“ flüsterte Birgit und stieß gleich drauf einen Schrei aus: „Da ist ja meine Mama!“ Aber Frau Schulze winkte den Kindern nur zu. Sie trug eine weiße Servierschürze und notierte sich was die Gäste an den Holztischen trinken wollten. Nachdem Christian und Birgit die letzte Bank gesäubert hatten, gingen sie ins Haus. Ein Stimmengewirr überflutete sie, und die Tür zum Nebenzimmer stand offen.
„Wau“, entfuhr es Birgit, „so gerammelt voll habe ich die Bunde noch nie gesehen!“ Sie schlängelte sich an den Leuten vorbei hinter die Theke und Christian folgte ihr. Großvater stand am Zapfhahn und füllte Bier in Krüge und Gläser. Henning, Gröver Jan, Frau Schulze und die beiden Serviererinnen verteilten die Getränke. Als Christian von der Durchreiche aus in die Küche schaute, entdeckte er dort auch Hille und ihre Mutter. Er hatte keine Zeit mehr sich darüber zu wundern, denn nun durfte er mit Birgit und Frau Kruse die Kaffeegedecke richten. Er verteilte Schälchen mit Zucker und Milchportionen auf unzähligen kleinen Tabletts, Birgit stellte das Geschirr dazu und Frau Kruse schenkte unermüdlich Kaffee ein.
Nach einer Weile streckte Hille den Kopf aus der Durchreiche. „Na, Heinzelmännchen, könnt ihr mir mal helfen?“ Frau Kruse nickte den Kindern zu: „Wir sind hier beinahe fertig!“ Die Kinder liefen in die Küche. Hille führte sie zu einem Topf mit Eiern. „Bitte sauber abpellen“, bat sie und hastete weiter.
„So viel Eier“, stöhnte Christian. „Ja, ne ganze Menge“, stimmte Birgit zu, „das letzte Mal, als Mama und Hille aushalfen, gab es eine Hochzeitsfeier. Fünfzig Gäste waren da, aber heute sind es viel mehr. Komm, wir pellen um die Wette, wer zuerst drei Eier geschafft hat, ist Sieger.“
So sehr sich Christian auch anstrengte, Birgit gewann sieben Mal. „Du bist sehr flink“, sagte er und freute sich, als diese Arbeit vorbei war.
Hille bedankte sich, drückte ihnen ein Stück Streuselkuchen und eine Limo in die Hand und sagte: „Verkrümelt euch an der frischen Luft!“ Sie verließen die Küche durch die Hintertür, bahnten sich einen Weg an Koffer, Taschen und Rucksäcken vorbei zum Ausgang. Dort stießen sie beinahe mit Birgits Mutter zusammen. Sie runzelte einen Augenblick lang die Stirn und sagte: „Tut mir leid, Kinder, draußen ist kein Platz mehr frei, setzt euch auf die Treppe!“ Birgit holte für sich und Christian noch einmal Kuchen bei Hille. Als sie den letzten Bissen im Mund hatte, kam Gröver Jan mit vielen Leuten aus der Gaststube. „Draußen ist kein Platz mehr“, rief Birgit ihnen zu. Gröver Jan schüttelte lächelnd den Kopf. „Wir möchten uns nur ein wenig die Beine vertreten und machen einen Spaziergang durch die Heide. Wollt ihr mit?“ Birgit sagte entschieden: „Nein, Hille braucht mich wieder“, und Christian blieb bei Birgit.
Christian stieß Birgit an: „Da pfeift jemand wie mein Papa!“ „Das ist Hille“, sage Birgit. Wieder gingen sie zur hinteren Küchentür. Christian deutete auf das Schild und las: „Kein Eingang!“ „Aber das gilt für uns nicht. Heute gehören wir zum Personal. Außerdem gehe ich sowieso am liebsten durch solche Türen!“ erklärte Birgit. Sie stieß die Tür mit Schwung auf und hüpfte zu Hille. „Was gibt es denn?“ „Bitte abräumen“, sagte Hille knapp. Birgit zog Christian zum Kaffeegeschirr. Er seufzte leise. Er verstand nicht, weshalb Birgit mit so viel Freude und Eifer die übriggebliebenen Zuckerstückchen und Milchportionen einsammelte. „Wollen wir nicht verstecken spielen?“ schlug er vor. Aber Birgit schüttelte energisch den Kopf und begann die kleinen Tabletts abzuwischen. Christian schnappte sich ein Zuckerstückchen, steckte es in den Mund und meinte: „Deine Mama ist sicher sehr stolz auf dich, wenn du so viel schaffst!“
Birgit warf ihren Kopf zurück, dass der Pferdeschwanz wild tanzte. „Frag sie doch mal!“ sagte sie. Christian schlüpfte in die Gaststube und wartete vor der Theke auf Frau Schulze. Als sie ein Tablett mit leeren Biergläsern in die Durchreiche stellte bemerkte sie verwundert: „Wo ist denn Birgit? Ihr beiden steckt doch sonst immer zusammen.“ Christian legte den Kopf schief und antwortete: „Sie ist fleißig, sehr fleißig sogar, sie hilft in der Küche!“ Frau Schulze seufzte leise, „Schade, dass ich von diesem Fleiß Zuhause nicht viel spüre“, sagte sie und lud neue Getränke auf das Tablett.
„Na, was hat sie gesagt?“ wollte Birgit wissen. Nachdem Christian ihr Frau Schulzes Antwortet mitgeteilt hatte, zuckte Birgit die Achseln und sagte: „Stimmt, ich arbeite nicht gern mit meiner Mama. Es ist sehr schwer, ihr etwas recht zu machen, stets findet sie was zum Meckern!“ „Was denn zum Beispiel?“ fragte Christian.
„Wenn ich mein Bett mache, meint sie, das Laken muss straffer sitzen, oder wenn ich in Mathe eine 3 Schreibe findet sie, es hätte auch eine 2 sein können!“
„Das würde mir auch sehr stinken“, gab Christian zu, „hast du denn schon einmal drüber mit deiner Mama geredet?“ Birgit pfefferte den Lappen auf den Tisch, stemmte die Arme in die Hüften und fauchte: „Glaubst du denn, Erwachsene hören auf ihre Kinder?“ „Manchmal schon“, antwortete Christian, „ich erzähl dir mal meine Geschichte, aber du musst mit der Putzerei hier aufhören!“
Gröver Jan spazierte noch immer mit einigen Gästen durch die Heide. Birgit und Christian fanden eine ruhige Sitzecke in der Gaststube. „Fang schon an“, befahl Birgit. „Du darfst mich aber mit meiner Geschichte niemals ärgern, auch nicht, wenn wir uns streiten!“ verlangte Christian. „Ehrenwort“, sagte Birgit und Christian begann: „Einmal habe ich mich bei meiner Oma beklagt, weil Tante Lioba immer und überall „Männle“, zu mir gesagt hat. „Männle lass das sein, oder „Männle, komm her.“ Sie nannte mich nie Gris. Sogar in der Stadt rief sie: „Tag, Männle!“ Ich kann dieses Wort nicht hören, ich hasse es!“ stieß Christian hervor. Birgit schüttelte verwundert den Kopf. So hitzig hatte sie ihren Freund noch nie erlebt. „Und“, fragte sie, „hat die Tante damit aufgehört?“
„Ja. Die Oma hat gesagt, ich soll mit Tante Lioba darüber reden und wenn sie es nicht einsieht, könnte ich sie auch mal altes Tantchen nennen. Dann würde sie mich schon verstehen. Seither ruft sie mich Gris oder Kind, denn sie will nicht Tantchen genannt werden und schon gar nicht altes Tantchen!“ „Prima, prima”, rief Birgit aus. Doch dann verfinsterte sich ihr Gesicht wieder und sie fragte: „Was soll ich meiner Mama sagen, dass sie mich versteht?“ Christian biss sich auf die Lippen. Die Oma wüsste sicher sofort einen Rat. Er überlegte eine Weile und meinte dann: „Auf jeden Fall musst du deiner Mama erklären, wie sehr dich ihr Maulen nervt!“
Birgit stöhnte leise und sagte: „Das habe ich schon oft. Die Mama sagt, sie will mich nicht ärgern. Sie will mir helfen, dass ich tüchtig werde!“
„Ach so“, sage Christian gedehnt. „Trotzdem braucht sie nicht immer zu meckern. Du könntest das bei ihr doch auch einmal machen!“ Birgit hob abwehrend die Hände. „Nein, das geht nicht, was soll ich denn sagen?“
„Ich weiß was, halt mir meinen Platz frei“, sagte Christian grinsend und huschte in die Küche.
Er sprach mit Hille über das Problem und sie sagte:
„Birgits Mutter ist sehr fleißig und hilfsbereit. Was sie anpackt, macht sie richtig gut. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber leider vergisst sie oft, dass Birgit noch ein Kind ist, die nicht nur tüchtig, sondern fröhlich, ausgelassen, übermütig und manchmal auch schmutzig und unordentlich sein will. Es schadet sicher nicht, wenn du Frau Schulze einmal kritisierst. Aber übertreibe bitte nicht, sie hat heute noch viele Biergläser zu schleppen.“
Hille beugte sich zu Christian und flüsterte ihm zu, was er Frau Schulze sagen könnte. Sie zwinkerten sich wie zwei Verschwörer zu und trennten sich mit einem Handschlag.
Christian stellte sich vor die Theke und gab Birgit mit Handzeichen zu verstehen, dass sie auf ihrem Platz bleiben sollte. Doch das hielt Birgit nicht aus. Sie lief zu Christian und flüsterte: „Was hast du vor?“ Christian legte nur den Finger auf die Lippen, denn schon stand Frau Schulze bei ihnen. „Was gibt es denn?“ wollte sie wissen und Christian erkundigte sich, ob sie eine Cola trinken durften. Aber Frau Schulze sagte: „Ich gebe euch eine Limo, die schmeckt genauso gut!“ „Du sagst nichts“, befahl Christian der Freundin. Frau Schulze schenkte den Kindern ein Glas Limo ein. Christians Herz klopfte rasend, er klammerte sich an der Theke fest und sagte: „Das Glas könnte voller sein!“
Frau Schulze beugte sich zu ihm und fragte: „Was nuschelst du da?“ Christian sah ihr starr ins Gesicht und wiederholte den Satz. Sie zog die Augenbrauen zusammen, schüttelte verwundert den Kopf und meinte: „Bei dir piepst es wohl! Sonst noch Wünsche?“ Christian nickte. „Ich hätte gern vom Streuselkuchen!“ „In Ordnung“, sagte sie und schnitt den Kuchen vom Blech. Sie gab den beiden ein Stück in die Hand. Birgit bedankte sich und Christian meinte: „Der Kuchen könnte großer sein!“ „Hast du heute einen Sonnenstich abgekriegt?“ fragte Frau Schulze besorgt. Bevor Christian antworten konnte, zog ihn Birgit in die Ecke zurück. „Das genügt, meinst du, die Mama hat was gemerkt? Meinst du, sie meckert nun nicht mehr so viel?“ fragte sie leise. Christian kratzte sich am Kopf. „Bestimmt wird sie wieder maulen, dann kannst du sie daran erinnern, dass sie mich gefragt hat, ob es bei mir piepst und ob ich einen Sonnenstich hätte!“ Birgit fand, Christian sei sehr mutig. Er aber winkte ab und meinte, dass Birgit dafür viel tüchtiger sei.
Er hatte an diesem Tag noch oft Gelegenheit, über ihre Geschicklichkeit zu staunen. Als die Salatteller für das Abendessen gerichtet wurden, durften die Kinder wieder helfen. Christian quetschte die gekochten Eier durch den Eierschneider. Birgit verzierte den Salat mir Eischeiben, Tomaten und Petersilie. Nach dem Essen gab es für die beiden noch einmal viel zu tun. Sie räumten die Brotkörbchen aus, ganze Scheiben legten sie in einen Korb. „Daraus macht Frau Kruse Paniermehl“, erklärte Birgit. Für den Koch sammelten sie die übrig gebliebene Butter in einem Topf. Knochen warfen sie in den Müll. Alles andere landete in einem großen Eimer. Den bekommt Hille für ihre Schweine“, sagte Birgit. Und Hille war es, die sie bald darauf aus der Küche schickte. Ihr habt genug geplackt, für euch ist Feierabend!“ sagte sie.
Großvater saß bei den Gästen und zog an seiner Pfeife. Als die Kinder zu ihm kamen, rückte er ein Stück zur Seite. Christian hörte den Erwachsenen zu. Sie lobten den Großvater für seine gemütliche Wirtschaft, für das gute Essen, für die Gastlichkeit, für den freundlichen Empfang, für alles. Christian spürte eine Wärme in sich, die nichts mit dem Sommerwetter zu tun hatte. Er fand es wunderbar, dass diese vielen Menschen zu seinem Großvater gekommen waren.
Es war schon dunkel, als zwei Ersatzbusse in den Hof rollten. Poltern und lärmend verabschiedeten sich die Gäste. Birgit und ihre Mutter eilten nach Hause und Ruhe kehrte wieder ein. Obwohl Christian sehr müde war, wollte er auf den gewohnten Rundgang nicht verzichten. Am Himmel fand Christian den Polarstern und die Wega. Dann deutete er auf die schmale Sichel des Mondes und sagte: „Du weißt doch, dass ich nun bald fort muss!“ Großvater drückte leicht seine Hand. „Deine Geschichten werde ich vermissen und du wirst mir sehr fehlen!“
„Du mir auch“, seufzte Christian.
„Möchtest du im nächsten Sommer wieder kommen?“ „Oh, ja“, sagte Christian. „Und du? Besuchst du mich mal in Freiburg?“ „Ja, wenn im Dezember die Wirtschaft geschlossen ist!“ Christian klatschte begeistert in die Hände und drehte sich ein paar Mal im Kreis. Wenn der Großvater ihn nicht festgehalten hätte, wäre er noch umgekippt. Schade, dass er Birgit diese Neuigkeit nicht sofort berichten konnte. Er gähnte laut und stieg in seine Dachkammer hinauf. Als der Großvater zu Christian kam, lag dieser angezogen auf dem Bett und schlief fest. Er wachte auch nicht auf, als ihm der Großvater die Strümpfe auszog und ihn zudeckte. Er hörte auch nicht, wie der Großvater murmelte: „Krischan, du wirst mir sehr, sehr fehlen!“
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