pol shebbel
Mitglied
(Und ein wilder Ritt auf Eseln - in bisher unbekannte Landschaften.)
"Hä? was'n für'n Kriech?" fragte ein baumlanger Kerl. Er trug eine ärmellose Lederweste mit einer dreckigen Tunika darunter, einen Filzhut, einen breiten Gürtel, in dem zwei Messer steckten, und plumpe Lederstiefel. Zwei breite Lederbänder kreuzten sich auf seiner Brust; eines gehörte zu der Armbrust auf seinem Rücken, das andere einem Schwertgehänge.
"Der Krieg zwischen Asîmchômsaia und dem Metallbund", antwortete Andai mit nur leicht zitternder Stimme. Letzteres war bemerkenswert, weil der andere ihn gepackt hielt und beim Sprechen andauernd schüttelte. Paril und Temon hatten es etwas besser: sie konnten liegen - nur dass ihnen je zwei Kerle rechts und links auf den Armen hockten. Ein weiteres Dutzend wild angezogene Männer stand um sie herum und glotzte dämlich.
"Wegen der Trockenheit", erklärte Andai geduldig. "Die einen sagten, die Trockenheit sei eine Strafe für das Fördern von Metall, und beide versuchten, die Macht der anderen kaputtzumachen. Jetzt haben sie Heere aufgestellt und kämpfen gegeneinander. Und ich sagte doch, die Armee von Asîmchômsaia ist hinter uns her!"
"Grosse Heere? So'n Quatsch. Und du Milchgesicht willst 'n wichtiger Offizier sein?!" Der Räuber grölte. "Da lachen ja die Hühner! Du willst dich doch bloss aufblasen, dass wir Angst kriegen, dich abzumurksen!"
"Ob Er oder die Armee von Asîmchômsaia uns abmurkst, kommt für uns aufs selbe hinaus", argumentierte Andai. "Aber wenn Er uns jetzt abmurkst, geht ihm vielleicht eine fette Beute flöten..."
Die anderen Räuber horchten auf. "Fette Beute" gehörte offensichtlich zu ihrem Wortschatz. "Was'n für 'ne fette Beute?" polterte der Anführer, sich unbeeindruckt stellend.
"Na, unsere Verfolger sind mächtig scharf darauf, uns zu kriegen. Wenn Er es geschickt macht, kann Er sich für uns ein Lösegeld bezahlen lassen... Und übrigens, ein noch höheres Lösegeld kann Er kriegen, wenn Er einen Mann fängt, der etwas südlich von hier zu fliehen versucht. Der ist noch wichtiger als wir, weil er ein Abtrünniger von ihnen ist..."
"Rrr!" schnitt ihm der Räuber unwirsch das Wort ab. Seine Stirn produzierte erstaunliche Falten, während er versuchte, nachzudenken. Es schien ihm nicht so recht zu gelingen, denn er knurrte ärgerlich und stellte Andai mit einer groben Bewegung auf den Boden zurück. "Traurige Zeiten sind das!" grunzte er. "Nur noch quasselnde Quatschköpfe erwischt man. Wo sind die anständigen Metallkarawanen hin? Traurige Zeiten, meint ihr nicht?" Die anderen Kerle brummten und nickten heftig mit den Köpfen.
"Eben, das ist genau deshalb!" fiel Andai eifrig ein. "Asîmchômsaia hat den Metallhandel fast zum Erliegen gebracht, drum bekam der Metallbund Schwierigkeiten, und..."
"Schnauze!!" brüllte der Räuberhauptmann. "Wenn ich denke, wird nicht geredet!" Diese Zurechtweisung fand Paril unfair, denn er hatte nicht das Gefühl, dass Andai dieses Gesetz verletzt hatte.
Der Räuber winkte zwei anderen zu. "Äh, machenwa erst mal Pakete aus ihnen." Die Anweisungen wurden ausgeführt, indem sich die entsprechenden Herren von Temons und Parils inzwischen völlig gefühllosen Armen erhoben, worauf allen dreien grob die Hände auf dem Rücken gedreht und dort gefesselt wurden. Währenddessen berieten sich die Banditen. Paril konnte kaum ein Wort verstehen; sie sprachen zwar laut, aber nachlässig und undeutlich, und ausserdem benutzten sie fast nur Vulgärausdrücke, die Paril zum grossen Teil gar nicht kannte.
Paril versuchte, an den Stimmen vorbei in den Wald zu horchen. Bald würden die Verfolger da sein... Panik schnürte ihm die Kehle zu. So viel Glück hatten sie gehabt, und jetzt ging der ganze Vorsprung wieder kaputt... Aber er konnte nichts machen - wirklich rein überhaupt nichts. Diese Erkenntnis hatte fast wieder etwas Beruhigendes; als sich die Banditen ihnen erneut zuwandten und sie barsch zum Aufstehen aufforderten, war ihm alles ziemlich gleichgültig geworden.
"Abgemurkst" wurden sie vorerst nicht, sondern ein Stück durch den Wald geführt. Paril hatte keine grosse Lust, sich grob antreiben zu lassen, und benahm sich mindestens so erschöpft wie er wirklich war. Wenn sie ihn schon als Geisel benutzen wollten, sollten sie sehen, dass er am Leben blieb!
Nach kurzer Zeit sah Paril in der Ferne eine Bewegung durch die Zweige. Taflaberiwôm Zôtgil! Eine respektable Herde übermannshoher Riesenvögel, die gefährlichen Schnäbel mit Lederröhren zugebunden. Die Mehrzahl der Räuber bestieg je eines der Tiere und ritt sofort mit Karacho durch peitschende Zweige davon. Die drei Gefangenen wurden etwas weiter getrieben zu ein paar hellgrauen, aussergewöhnlich grossen Eseln. Sie trugen grosse Tragkörbe auf beiden Seiten - aber diesmal gab es zum Leidwesen des Anführers kein "anständiges Diebesgut" aufzuladen. Die Gefangenen mussten aufsteigen, wobei sich Paril Mühe gab, besonders stark zu taumeln. Seine Anstrengungen zahlten sich schliesslich aus; als er oben sass, hielt ihm der Räuber zu seiner Überraschung einen Wasserschlauch hin. Begierig ergriff er ihn und führte ihn zum Mund - ohne den Inhalt nachzuprüfen. Als er die Wahrheit erkannte, war es schon zu spät; auch ein sofort eingeleiteter heftiger Hustenanfall konnte nicht mehr verhindern, dass sich ein Schwall von dem Zeug brennend und ätzend in sein Inneres frass. Es handelte sich um ganz besonders starken, ganz besonders scheusslichen Feigenschnaps!
Der Räuber grinste und entblösste dabei eine gigantische Zahnlücke. "Das ist gut, wa!" gluckste er. "Selbstgebrannt!" Paril keuchte, verdrehte die nassen Augen und blieb die Antwort schuldig.
Wenn das Gebräu ihn hätte wacher machen sollen, so verfehlte es seine Wirkung; stattdessen machte es Paril noch müder und liess ihn hin- und herschwanken, als sich die Esel in Bewegung setzten. Das Tempo kam ihm für Esel halsbrecherisch vor, aber vielleicht war sein Zustand daran schuld. Die Banditen, die auf ihren Vögeln nebenher ritten, schenkten ihm keine Beachtung mehr, solange er nur auf dem Esel blieb; und dafür sorgte der Räuber mit dem Schnaps, der hinter ihm auf demselben Esel sass. Mit der Zeit geriet Paril in einen halb bewusstlosen Dämmerzustand; in welche Richtung sie ritten, wusste er nicht, noch, wie lange Zeit sie unterwegs waren. Der vorherrschende Sinneseindruck - neben der brütenden Hitze - war das Geruckel, in das sich ab und zu ein paar seltsame bunte Traumbilder mischten. Der Hochmeister von Asîmchômsaia, der von den Baumpriestern von Onnikir aus einem Tempelbezirk geworfen wurde; der Hochmeister sah aus wie Andai. Der heilige Bezirk von Asîmchômsaia rund um den Pyramidalbaum mit den zwei Eichen, der in unglaublich kurzer Zeit von Unkräutern und wilden Sträuchern aller Art überwuchert wurde und sich in eine chaotische Wildnis verwandelte. Die brennende Dorfmauer von Onnikir, wo Paril einem Waldfrevler mit einem Knüppel auf den Kopf schlug; dieser schwankte und fiel in die Flammen. Als er wieder aufstand, hatte er Temons Gesicht... An dieser Stelle machte Paril eine heftige Bewegung, und nur der kräftige Griff des Räubers hinter ihm hinderte ihn daran, vom Esel zu fallen. Erschreckt riss er die Augen auf - und fiel fast zum zweitenmal vom Esel.
Der Wald war verschwunden! Statt unter einem viellagigen, tausendfach feingefiederten Blätterdach ritten sie unter einem wahnsinnig hohen und schmerzhaft hell gleissenden Himmel dahin. Ringsum wuchsen gelbes, trockenes Gras, halbhohe Palmwedel, Kakteen und Sträucher nicht auf Pyramidalstämmen, sondern direkt aus dem Boden. Man konnte beängstigend weit sehen, bis zum Horizont. Und dort, am Horizont...
Und dort waren sie.
Weit entfernt und doch scheinbar so nah. Gross. Mächtig. Unbeweglich. Hoch aufragend wie eine gigantische Mauer, eine Mauer um die ganze Welt. Eine lange Kette von Gipfeln, sich mächtig auftürmend in phantastischen Formen; in sie hineingefressen tiefe Täler und Schluchten wie die Verästelungen von nach unten wachsenden Bäumen. Jede einzelne Kante klar erkennbar, hell beschienen von der Nachmittagssonne, leuchtend in Farben von Gelblichgrau über Ocker bis Rostrot...
Die Metallberge!
Nach einer unbestimmten Zeit erhob sich draussen wieder Lärm, man hörte deutlich die Stimme des Räuberhauptmanns heraus. Wieviel Zeit vergangen war, wusste Paril nicht zu sagen; der Sonne nach waren es höchstens 1 bis 2 Stunden. Die Türe wurde aufgerissen, und eine barsche Räuberstimme befahl ihnen aufzustehen. Paril beschloss, bewusstlos zu spielen, und rührte sich nicht vom Fleck - was ihm aber schlecht bekam, denn nun wurde plötzlich mit bisher nicht gekannter Brutalität an seinen Beinen gerissen, so dass er unwillkürlich aufschrie - vor Schmerz und vor Schreck, weil er auf einmal halb ausserhalb an der Hütte eine Mannslänge über dem Boden hing, und im nächsten Moment hatte er auch schon das Gleichgewicht verloren und konnte gerade noch rechtzeitig die Arme herumreissen, bevor er auf dem harten Boden aufschlug.
Die Räuber waren schlechter Laune.
Als Paril sich aufrappelte, sah er, dass eine grosse Anzahl der Strauchdiebe mit ihren Eseln und Donnervögeln versammelt war; einer von ihnen hatte einen gefesselten Mann vor sich auf dem Esel. Und noch ein Schreck durchfuhr Paril: der Gefangene war der angebliche Hochmeister! Von den anderen - Shnoiw, Shidai und dem schwarzbärtigen Uemonni - war nichts zu sehen.
Aber Paril fand keine Zeit, sich über sie Fragen zu stellen; der Anführer der Räuber baute sich breitbeinig vor ihnen auf und begann sofort zu fluchen. "So, ihr viermal verdammten Scheissfliegenköpfe, lang genug geärgert habt ihr uns jetzt. Schleimige Würmer! Riesenregenwürmer! War ja schön blöd, auf dein Gequatsche zu hörn" - er glotzte Andai an - "von wegen fetter Beute und so. Ha! Fette Beute? Lösegeld? Quasselnde Quatschköpfe, die einen wie die andern. Nur noch quasselnde Quatschköpfe!" Er stiess Andai seine Faust ins Gesicht. "Wegen dir, Kletteraffe, sind sie jetzt hinter uns her, und wir müssen aus unserm Lieblingsversteck türmen! Die Köpfe abhaun sollte man euch allesamt - die quasselnden Quatschköpfe abhaun! Aber da wird bloss mein Schwert dreckig. Die Mühe nicht wert! Scheiss drauf. Schnauze! Los, aufsitzen!" Das letzte Wort galt seinen Kollegen.
Und wieder wurden die Gefangenen auf Esel gepackt, und wieder wurde geritten - durch das so unheimlich offene Land, unter einem unerträglich weiss gleissenden Himmel. Das Weiss sah aus wie Wolken, registrierte Paril plötzlich. Auch die Gipfel der Berge vor ihnen schienen in Wolken zu schweben - in teils dicken, grauen Gebilden. Paril hatte keine sehr umfassenden Kenntnisse über Wetterkunde in verschiedenen Klimazonen; die Erfahrungen seines bisherigen Lebens sagten ihm, dass es im Sommer nie regnete. Die Verarbeitung der aktuellen Sinneseindrücke - einmal fingen auch seine Ohren etwas auf, was wie ein Donnern klang - wollte ihm deshalb durchaus nicht gelingen, was seine schon beim Anblick der offenen Landschaft aufgekeimte Panik erst recht anschwellen liess.
Die Landschaft veränderte sich schneller. Bäume gab es bald gar keine mehr; hingegen sah man immer häufiger Ansammlungen von fremdartigen Pflanzen: hohe, dünne, dicht an dicht stehende Stengel wie vergrösserte Grashalme, deren Blüten ("Blüte" war jedenfalls die einzige Interpretation, die Paril sich denken konnte) solide zylindrische braune Gebilde waren, etwas ähnlich dem Gerät, mit dem Paril sein Pfeifenrohr zu putzen pflegte. Ein seltsamer fauliger Geruch hing in der Luft. Die Berge ragten nah und steil vor ihnen in den Himmel; Paril schien es, als würden sie jeden Augenblick auf ihn herabstürzen.
Schliesslich hielten sie an. Die dünnen Stengel standen mannshoch an beiden Seiten. "Hier is' gut", hörte Paril die Stimme des Räuberhauptmanns. "Hier könn'se suchen, bisse schwarz sind..." Er brüllte dann ein paar Anweisungen, die Paril nicht verstand. Dann bewegten sie sich wieder ein paar Schritte, die Esel verteilten sich. Was hatten sie vor?! Es war die Unwissenheit, die die Angst so grauenhaft machte...
Paril wurde von zwei Räubern vom Esel herabgezerrt. Sie behandelten ihn wie ein Stück Holz; der eine packte ihn bei den Schultern, der andere bei den Füssen. Wollten sie ihn irgendwo hinwerfen? Waren die seltsamen Pflanzen fleischfressend? Oder giftig? Dienten sie als Versteck für wilde Tiere? Eine Flut schrecklicher Möglichkeiten jagte ihm durch den Kopf; automatisch begann er sich zu winden und mit den Füssen auszuschlagen, was ihm aber überhaupt nichts half. Sie schwenkten ihn schwungholend ein paar Mal hin und her - und dann flog er durch die Luft. Sein Atem stockte, seine Gedanken auch...
"Hä? was'n für'n Kriech?" fragte ein baumlanger Kerl. Er trug eine ärmellose Lederweste mit einer dreckigen Tunika darunter, einen Filzhut, einen breiten Gürtel, in dem zwei Messer steckten, und plumpe Lederstiefel. Zwei breite Lederbänder kreuzten sich auf seiner Brust; eines gehörte zu der Armbrust auf seinem Rücken, das andere einem Schwertgehänge.
"Der Krieg zwischen Asîmchômsaia und dem Metallbund", antwortete Andai mit nur leicht zitternder Stimme. Letzteres war bemerkenswert, weil der andere ihn gepackt hielt und beim Sprechen andauernd schüttelte. Paril und Temon hatten es etwas besser: sie konnten liegen - nur dass ihnen je zwei Kerle rechts und links auf den Armen hockten. Ein weiteres Dutzend wild angezogene Männer stand um sie herum und glotzte dämlich.
"Wegen der Trockenheit", erklärte Andai geduldig. "Die einen sagten, die Trockenheit sei eine Strafe für das Fördern von Metall, und beide versuchten, die Macht der anderen kaputtzumachen. Jetzt haben sie Heere aufgestellt und kämpfen gegeneinander. Und ich sagte doch, die Armee von Asîmchômsaia ist hinter uns her!"
"Grosse Heere? So'n Quatsch. Und du Milchgesicht willst 'n wichtiger Offizier sein?!" Der Räuber grölte. "Da lachen ja die Hühner! Du willst dich doch bloss aufblasen, dass wir Angst kriegen, dich abzumurksen!"
"Ob Er oder die Armee von Asîmchômsaia uns abmurkst, kommt für uns aufs selbe hinaus", argumentierte Andai. "Aber wenn Er uns jetzt abmurkst, geht ihm vielleicht eine fette Beute flöten..."
Die anderen Räuber horchten auf. "Fette Beute" gehörte offensichtlich zu ihrem Wortschatz. "Was'n für 'ne fette Beute?" polterte der Anführer, sich unbeeindruckt stellend.
"Na, unsere Verfolger sind mächtig scharf darauf, uns zu kriegen. Wenn Er es geschickt macht, kann Er sich für uns ein Lösegeld bezahlen lassen... Und übrigens, ein noch höheres Lösegeld kann Er kriegen, wenn Er einen Mann fängt, der etwas südlich von hier zu fliehen versucht. Der ist noch wichtiger als wir, weil er ein Abtrünniger von ihnen ist..."
"Rrr!" schnitt ihm der Räuber unwirsch das Wort ab. Seine Stirn produzierte erstaunliche Falten, während er versuchte, nachzudenken. Es schien ihm nicht so recht zu gelingen, denn er knurrte ärgerlich und stellte Andai mit einer groben Bewegung auf den Boden zurück. "Traurige Zeiten sind das!" grunzte er. "Nur noch quasselnde Quatschköpfe erwischt man. Wo sind die anständigen Metallkarawanen hin? Traurige Zeiten, meint ihr nicht?" Die anderen Kerle brummten und nickten heftig mit den Köpfen.
"Eben, das ist genau deshalb!" fiel Andai eifrig ein. "Asîmchômsaia hat den Metallhandel fast zum Erliegen gebracht, drum bekam der Metallbund Schwierigkeiten, und..."
"Schnauze!!" brüllte der Räuberhauptmann. "Wenn ich denke, wird nicht geredet!" Diese Zurechtweisung fand Paril unfair, denn er hatte nicht das Gefühl, dass Andai dieses Gesetz verletzt hatte.
Der Räuber winkte zwei anderen zu. "Äh, machenwa erst mal Pakete aus ihnen." Die Anweisungen wurden ausgeführt, indem sich die entsprechenden Herren von Temons und Parils inzwischen völlig gefühllosen Armen erhoben, worauf allen dreien grob die Hände auf dem Rücken gedreht und dort gefesselt wurden. Währenddessen berieten sich die Banditen. Paril konnte kaum ein Wort verstehen; sie sprachen zwar laut, aber nachlässig und undeutlich, und ausserdem benutzten sie fast nur Vulgärausdrücke, die Paril zum grossen Teil gar nicht kannte.
Paril versuchte, an den Stimmen vorbei in den Wald zu horchen. Bald würden die Verfolger da sein... Panik schnürte ihm die Kehle zu. So viel Glück hatten sie gehabt, und jetzt ging der ganze Vorsprung wieder kaputt... Aber er konnte nichts machen - wirklich rein überhaupt nichts. Diese Erkenntnis hatte fast wieder etwas Beruhigendes; als sich die Banditen ihnen erneut zuwandten und sie barsch zum Aufstehen aufforderten, war ihm alles ziemlich gleichgültig geworden.
"Abgemurkst" wurden sie vorerst nicht, sondern ein Stück durch den Wald geführt. Paril hatte keine grosse Lust, sich grob antreiben zu lassen, und benahm sich mindestens so erschöpft wie er wirklich war. Wenn sie ihn schon als Geisel benutzen wollten, sollten sie sehen, dass er am Leben blieb!
Nach kurzer Zeit sah Paril in der Ferne eine Bewegung durch die Zweige. Taflaberiwôm Zôtgil! Eine respektable Herde übermannshoher Riesenvögel, die gefährlichen Schnäbel mit Lederröhren zugebunden. Die Mehrzahl der Räuber bestieg je eines der Tiere und ritt sofort mit Karacho durch peitschende Zweige davon. Die drei Gefangenen wurden etwas weiter getrieben zu ein paar hellgrauen, aussergewöhnlich grossen Eseln. Sie trugen grosse Tragkörbe auf beiden Seiten - aber diesmal gab es zum Leidwesen des Anführers kein "anständiges Diebesgut" aufzuladen. Die Gefangenen mussten aufsteigen, wobei sich Paril Mühe gab, besonders stark zu taumeln. Seine Anstrengungen zahlten sich schliesslich aus; als er oben sass, hielt ihm der Räuber zu seiner Überraschung einen Wasserschlauch hin. Begierig ergriff er ihn und führte ihn zum Mund - ohne den Inhalt nachzuprüfen. Als er die Wahrheit erkannte, war es schon zu spät; auch ein sofort eingeleiteter heftiger Hustenanfall konnte nicht mehr verhindern, dass sich ein Schwall von dem Zeug brennend und ätzend in sein Inneres frass. Es handelte sich um ganz besonders starken, ganz besonders scheusslichen Feigenschnaps!
Der Räuber grinste und entblösste dabei eine gigantische Zahnlücke. "Das ist gut, wa!" gluckste er. "Selbstgebrannt!" Paril keuchte, verdrehte die nassen Augen und blieb die Antwort schuldig.
Wenn das Gebräu ihn hätte wacher machen sollen, so verfehlte es seine Wirkung; stattdessen machte es Paril noch müder und liess ihn hin- und herschwanken, als sich die Esel in Bewegung setzten. Das Tempo kam ihm für Esel halsbrecherisch vor, aber vielleicht war sein Zustand daran schuld. Die Banditen, die auf ihren Vögeln nebenher ritten, schenkten ihm keine Beachtung mehr, solange er nur auf dem Esel blieb; und dafür sorgte der Räuber mit dem Schnaps, der hinter ihm auf demselben Esel sass. Mit der Zeit geriet Paril in einen halb bewusstlosen Dämmerzustand; in welche Richtung sie ritten, wusste er nicht, noch, wie lange Zeit sie unterwegs waren. Der vorherrschende Sinneseindruck - neben der brütenden Hitze - war das Geruckel, in das sich ab und zu ein paar seltsame bunte Traumbilder mischten. Der Hochmeister von Asîmchômsaia, der von den Baumpriestern von Onnikir aus einem Tempelbezirk geworfen wurde; der Hochmeister sah aus wie Andai. Der heilige Bezirk von Asîmchômsaia rund um den Pyramidalbaum mit den zwei Eichen, der in unglaublich kurzer Zeit von Unkräutern und wilden Sträuchern aller Art überwuchert wurde und sich in eine chaotische Wildnis verwandelte. Die brennende Dorfmauer von Onnikir, wo Paril einem Waldfrevler mit einem Knüppel auf den Kopf schlug; dieser schwankte und fiel in die Flammen. Als er wieder aufstand, hatte er Temons Gesicht... An dieser Stelle machte Paril eine heftige Bewegung, und nur der kräftige Griff des Räubers hinter ihm hinderte ihn daran, vom Esel zu fallen. Erschreckt riss er die Augen auf - und fiel fast zum zweitenmal vom Esel.
Der Wald war verschwunden! Statt unter einem viellagigen, tausendfach feingefiederten Blätterdach ritten sie unter einem wahnsinnig hohen und schmerzhaft hell gleissenden Himmel dahin. Ringsum wuchsen gelbes, trockenes Gras, halbhohe Palmwedel, Kakteen und Sträucher nicht auf Pyramidalstämmen, sondern direkt aus dem Boden. Man konnte beängstigend weit sehen, bis zum Horizont. Und dort, am Horizont...
Und dort waren sie.
Weit entfernt und doch scheinbar so nah. Gross. Mächtig. Unbeweglich. Hoch aufragend wie eine gigantische Mauer, eine Mauer um die ganze Welt. Eine lange Kette von Gipfeln, sich mächtig auftürmend in phantastischen Formen; in sie hineingefressen tiefe Täler und Schluchten wie die Verästelungen von nach unten wachsenden Bäumen. Jede einzelne Kante klar erkennbar, hell beschienen von der Nachmittagssonne, leuchtend in Farben von Gelblichgrau über Ocker bis Rostrot...
Die Metallberge!
***
Hitze! Brütende Hitze! Eine schwüle, wabernde Hitze, die Paril lähmte und niederdrückte, als ob ein Gewitter bevorstünde - nur, dass zu dieser Jahreszeit kein erlösendes Gewitter zu erwarten war. Es waren natürlich Parils Zustand und sein quälender Durst - ausser dem Schnaps hatte er nichts zu trinken bekommen - die ihn die Hitze noch schlimmer empfinden liessen. Und - nicht zu vergessen - das Fehlen des schützenden Blätterdachs der Pyramidalbäume, welches bewirkte, dass die erbarmungslose Sonne direkt zum Fenster hereinbrannte. Hiervon wurde allerdings vor allem Temon gequält, auf dessen zerfurchter Stirn die Schweisstropfen nur so perlten, während Paril, der zwischen Andai und der anderen Seite der Hütte eingezwängt lag, einigermassen im Schatten war. Es war eine enge Baumhütte von der Art, wie es sie auch im Pyramidalwald gab; allerdings nicht in einen Pyramidalbaum, sondern in die weit ausladenden Äste einer Pinie gebaut. Als sie angekommen waren, hatte Paril noch ein paar andere solcher Gebäude bemerkt; vielleicht war dies eine Art Stützpunkt der Räuber. Von den Räubern selbst war im Augenblick nichts zu hören, aber es mussten wohl ein paar draussen auf Wache stehen. Es gab auch keinerlei Hinweise darauf, ob die hochmeisterliche Armee schon in der Nähe war oder ob etwa die Räuber mit ihnen verhandelten. Paril seinerseits, wie die beiden anderen gefesselt und geknebelt, konnte einmal mehr rein gar nichts unternehmen; vielleicht deswegen streifte ihn kaum ein Gedanke in diese Richtung. In den kurzen Augenblicken wacheren Bewusstseins kreisten seine Gedanken vor allem um den angeblichen Hochmeister: die Frage, ob er es wirklich war, die Angst um sein Schicksal (nicht nur aus Menschenliebe, sondern auch, weil Parils Lebensfrage davon abhing), der Ärger auf Andai, welcher den Banditen von ihm erzählt hatte. Dazwischen schoben sich lange Perioden von wirren Alpträumen - und immer wieder die Hitze. Die Hitze und der Durst...Nach einer unbestimmten Zeit erhob sich draussen wieder Lärm, man hörte deutlich die Stimme des Räuberhauptmanns heraus. Wieviel Zeit vergangen war, wusste Paril nicht zu sagen; der Sonne nach waren es höchstens 1 bis 2 Stunden. Die Türe wurde aufgerissen, und eine barsche Räuberstimme befahl ihnen aufzustehen. Paril beschloss, bewusstlos zu spielen, und rührte sich nicht vom Fleck - was ihm aber schlecht bekam, denn nun wurde plötzlich mit bisher nicht gekannter Brutalität an seinen Beinen gerissen, so dass er unwillkürlich aufschrie - vor Schmerz und vor Schreck, weil er auf einmal halb ausserhalb an der Hütte eine Mannslänge über dem Boden hing, und im nächsten Moment hatte er auch schon das Gleichgewicht verloren und konnte gerade noch rechtzeitig die Arme herumreissen, bevor er auf dem harten Boden aufschlug.
Die Räuber waren schlechter Laune.
Als Paril sich aufrappelte, sah er, dass eine grosse Anzahl der Strauchdiebe mit ihren Eseln und Donnervögeln versammelt war; einer von ihnen hatte einen gefesselten Mann vor sich auf dem Esel. Und noch ein Schreck durchfuhr Paril: der Gefangene war der angebliche Hochmeister! Von den anderen - Shnoiw, Shidai und dem schwarzbärtigen Uemonni - war nichts zu sehen.
Aber Paril fand keine Zeit, sich über sie Fragen zu stellen; der Anführer der Räuber baute sich breitbeinig vor ihnen auf und begann sofort zu fluchen. "So, ihr viermal verdammten Scheissfliegenköpfe, lang genug geärgert habt ihr uns jetzt. Schleimige Würmer! Riesenregenwürmer! War ja schön blöd, auf dein Gequatsche zu hörn" - er glotzte Andai an - "von wegen fetter Beute und so. Ha! Fette Beute? Lösegeld? Quasselnde Quatschköpfe, die einen wie die andern. Nur noch quasselnde Quatschköpfe!" Er stiess Andai seine Faust ins Gesicht. "Wegen dir, Kletteraffe, sind sie jetzt hinter uns her, und wir müssen aus unserm Lieblingsversteck türmen! Die Köpfe abhaun sollte man euch allesamt - die quasselnden Quatschköpfe abhaun! Aber da wird bloss mein Schwert dreckig. Die Mühe nicht wert! Scheiss drauf. Schnauze! Los, aufsitzen!" Das letzte Wort galt seinen Kollegen.
Und wieder wurden die Gefangenen auf Esel gepackt, und wieder wurde geritten - durch das so unheimlich offene Land, unter einem unerträglich weiss gleissenden Himmel. Das Weiss sah aus wie Wolken, registrierte Paril plötzlich. Auch die Gipfel der Berge vor ihnen schienen in Wolken zu schweben - in teils dicken, grauen Gebilden. Paril hatte keine sehr umfassenden Kenntnisse über Wetterkunde in verschiedenen Klimazonen; die Erfahrungen seines bisherigen Lebens sagten ihm, dass es im Sommer nie regnete. Die Verarbeitung der aktuellen Sinneseindrücke - einmal fingen auch seine Ohren etwas auf, was wie ein Donnern klang - wollte ihm deshalb durchaus nicht gelingen, was seine schon beim Anblick der offenen Landschaft aufgekeimte Panik erst recht anschwellen liess.
Die Landschaft veränderte sich schneller. Bäume gab es bald gar keine mehr; hingegen sah man immer häufiger Ansammlungen von fremdartigen Pflanzen: hohe, dünne, dicht an dicht stehende Stengel wie vergrösserte Grashalme, deren Blüten ("Blüte" war jedenfalls die einzige Interpretation, die Paril sich denken konnte) solide zylindrische braune Gebilde waren, etwas ähnlich dem Gerät, mit dem Paril sein Pfeifenrohr zu putzen pflegte. Ein seltsamer fauliger Geruch hing in der Luft. Die Berge ragten nah und steil vor ihnen in den Himmel; Paril schien es, als würden sie jeden Augenblick auf ihn herabstürzen.
Schliesslich hielten sie an. Die dünnen Stengel standen mannshoch an beiden Seiten. "Hier is' gut", hörte Paril die Stimme des Räuberhauptmanns. "Hier könn'se suchen, bisse schwarz sind..." Er brüllte dann ein paar Anweisungen, die Paril nicht verstand. Dann bewegten sie sich wieder ein paar Schritte, die Esel verteilten sich. Was hatten sie vor?! Es war die Unwissenheit, die die Angst so grauenhaft machte...
Paril wurde von zwei Räubern vom Esel herabgezerrt. Sie behandelten ihn wie ein Stück Holz; der eine packte ihn bei den Schultern, der andere bei den Füssen. Wollten sie ihn irgendwo hinwerfen? Waren die seltsamen Pflanzen fleischfressend? Oder giftig? Dienten sie als Versteck für wilde Tiere? Eine Flut schrecklicher Möglichkeiten jagte ihm durch den Kopf; automatisch begann er sich zu winden und mit den Füssen auszuschlagen, was ihm aber überhaupt nichts half. Sie schwenkten ihn schwungholend ein paar Mal hin und her - und dann flog er durch die Luft. Sein Atem stockte, seine Gedanken auch...