17. Ferienende

molly

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Ferienende
Nun saß Christian im D-Zugabteil und starrt aus dem Fenster. Er achtete nicht auf die Landschaft. Christian erinnerte sich an die Ferien, die so schnell vergangen waren. Sein Freund, der Stefan, der würde Augen machen. Dem hatte er ja so viel zu erzählen! Und er würde mit seinem allerletzten Ferientag beim Großvater beginnen.
An diesem Tag lag etwas geheimnisvolles in der Luft, denn als er in die Gaststube trat, steckten der Großvater, Frau Kruse und Henning die Köpfe zusammen, tuschelten. Sobald sie Christian bemerkte, fuhren sie erschrocken auseinander und verstummten. Beim Frühstück lüftete der Großvater das Geheimnis. Am Nachmittag wollte er mit einer kleinen Gruppe eine Planwagenfahrt machen und Christian durfte ihn begleiten. Es war die netteste und liebste Gruppe, die sich Christian nur wünschen konnte, doch das verriet ihm der Großvater noch nicht gleich. Zunächst schickte ihn Frau Kruse in die Dachkammer zum Kofferpacken. Ohne große Mühe stopfte er seine Wäsche in den Koffer. Danach breitete er in aller Ruhe seine Schätze auf dem Bett aus. Seinen letzten Schatz hatte er am Abend zuvor bekommen. Er lag wohlverwahrt in einem Schuhkarton. Christian öffnete den Deckel und bestaunte noch einmal die zwei geschnitzten Pferdchen und den hölzernen Planwagen. Vorsichtig legte er den Karton in den Rucksack, sein Fernrohr wickelte er in ein Handtuch und stellte es daneben. Das Märchenbuch würde er im nächsten Sommer wieder brauchen, er legte es in die Truhe zurück. Ebenso das Fotoalbum. Auf der letzten Seite hatte er noch seine Bilder eingeklebt, welche die Oma dem Großvater vor langer Zeit geschickt hatte. Das Poesiealbum wollte er Birgit schenken, er legte es auf seinen Nachttisch. Rasch verstaute er nun die restlichen Schätze und bald schon richtete er mit dem Großvater den Planwagen für den Nachmittag. Zum Mittagessen gab es Christians Leibspeise: Gebackene Forelle und jede Menge Heidelbeeren. Während der Großvater sein Nickerchen hielt, setzte sich Christian rittlings auf den Zaun zur Pferdekoppel und schlenkerte mit den Beinen.
Schade, dass Birgit nicht dabei sein konnte. Aber sie hatte seit zwei Tagen wieder Schule und musste Hausaufgaben erledigen. Er wusste jetzt schon, dass er seine Freundin vermissen wird, die fröhliche und abenteuerlustige Birgit. Dabei musste sie jeden Tag ihre strenge Mutter ertragen, er jedoch nur manchmal seine Tante Lioba.
Dann sah er zu, wie Henning die Pferde vor den Wagen spannte. Frau Kruse, Peter der Koch, die 2 Serviererinnen und die Küchengehilfin stiegen ein. Christian setzte sich zu Großvater auf den Kutschbock und auch Henning nahm im Wagen Platz. „Wollen sie alle mit zum Bahnhof, wenn wir die Gäste abholen?“ fragte Christian leise.
„Nein, lächelte der Großvater, sie gehören zu unseren Gästen!“ Großvater gab den Pferden einen Befehl und schon rollte der Wagen zum kleinen Bauernhof. Lautstark begrüßte Hille die Gruppe und stieg mit einem schwarzen Kasten ein. Tante Hede setzte sich daneben. Danach holten sie Birgit und ihre Mutter ab, die schon am Gartentörchen warteten. Auf der Fahrt durch die Heide war der Weg manchmal so schmal, dass die Ginsterbüsche und Birkenzweige den Planwagen streiften. Vom Kutschbock aus sah Christian, dass die Heide keineswegs nur ein flaches Land war. Ringsum gab es sanft geschwungene Hügel mit Heidekraut, einzelnen Wachholderbüschen oder ein kleiner Wald. Als sie an der alten Mühle vorbei rollten, holte Hille aus dem schwarzen Kasten ihr Schifferklavier, Tierlieder mochte sie am liebsten. Sie spielten “Ein Hase saß im tiefen Tal“, danach das Lied von der Vogelhochzeit. Singend zogen sie bei Gröver Jan ein, der sie schon erwartete. Im Garten war der Tisch gedeckt und als alle um die lange Tafel versammelt waren, hielt der Großvater eine kleine Rede. Er sagte, mit diesem Ausflug möchte er seinen Freunden danken. Sie hätten ihm neulich großartig geholfen, die vielen Gäste zu versorgen. Gleichzeitig war es auch ein Abschiedsfest für Christian. Der Großvater räusperte sich kurz und sagte: „Krischan, deine Ferien waren für mich eine wunderschöne Sommerzeit. Ich freue mich, wenn du im nächsten Sommer wieder kommst!“
Hille rief: „wir freuen uns alle“, und spielte einen lauten Tusch, die anderen klatschten und Christian bekam einen roten Kopf. Zum Glück hatte Frau Kruse sein Badezeug mitgenommen. Die Erwachsenen saßen noch lange an dem Tisch. Doch Birgit und Christian tummelten sich im Teich. Sie hatte versprochen, Briefe zu schreiben. Da hatte er sich vorgebeugt, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben, streifte aber nur ihr Kinn. Das würde er vielleicht nur der Oma erzählen. Birgit tauchte ihn unter und sie spielten im Teich, bis die anderen sich alle am Wasser versammelten.
Hille spielte Seemannslieder und Gröver Jan erzählte eine Geschichte vom Moorgespenst. Sie saßen noch zusammen, als die Sonne unterging und sich im Teich und in den Fensterscheiben spiegelte. Auf dem Heimweg lenkte Henning die Pferde. Christian saß neben ihm und zupfte ihn an seiner Jacke. Hennig beugte sich etwas zu ihm und Christian flüsterte: „Bitte, gib den Katzen keinen Fußtritt.“ Hennig schüttelte erst den Kopf, dann flüsterte er: „ ich werde besser auf die Viecher aufpassen, versprochen!“

Diesen Tag wollte Christian nie vergessen. Er war das schönste Geschenk, das er je bekommen hatte. Davon würde er zuerst seinem Freund Stefan erzählen, dann von der Mühle, von den Dampfgeistern und den Schätzen und von Birgit. Und natürlich von seinem Großvater, der ihn zum Bahnhof gebracht hatte.
Das leise Rattern des Zuges erinnerte Christian an die Planwagenfahrt und es begleitete ihn auf seiner langen Reise nach Hause.

Ende
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Monika Rieger

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Für Felix und Lenny
zur Erinnerung an ihre erste Ferienzeit in der Heide
 



 
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