180 Grad und zurück

Sammis

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180 Grad und zurück

Der Mann trug einen in die Jahre gekommenen Anzug, abgetragene Schuhe und einen antiquiert wirkenden Hut. Die Frau war adrett gekleidet.

Er: „Verzeihung, entschuldigen Sie bitte. Ich hoffe inbrünstig, Sie nicht zu stören. Sollte dies dennoch der Fall sein, genügt ein einziges Wort und ich lasse Sie in Ruhe.
Ich habe Sie hier stehen sehen und kam nicht umhin mich zu fragen, was ein solch liebreizendes Fräulein in einer Gegend wie dieser zu suchen hat. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte Sie nicht etwa anmachen. Aber seien wir doch ehrlich: Wenn eine so aufgedonnert hier auftaucht, ist doch wohl klar, was sie will. Jetzt werd mal nicht schnippisch, Mädchen. Wenn du dich wie ne Nutte anziehst, wirst du eben auch wie ne Nutte behandelt! Ach halt doch dein blödes –
Wie Polizei? Verstehst du keinen Spaß? Das war doch nicht so gemeint. Entschuldige. Nein, ganz im Ernst: Nichts läge mir ferner als Sie beleidigen oder sogar bedrängen zu wollen. Ich bin bis ins Mark erschüttert! Wie konnte es, um Himmelswillen, zu solch einem Missverständnis kommen?
Selbstverständlich, kein weiteres Wort mehr von mir. Ich werde mich augenblicklich entfernen, Sie keine Sekunde länger mit meiner Anwesenheit belästigen. Auf wiedersehen.“

Sie: „Das ist doch ein ganz alter Hut!“

Er: „Stimmt.“
 
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Sammis

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@ Bo-ehd

Die Aussage, dass ein Text nicht funktioniert, wenn man ihn erklären muss, ist ein Eingeständnis, dass damit etwas nicht stimmt.

Reinhold Messner hat nicht achttausender Berge bestiegen, es waren acht tausender.
Manche können darüber nicht einmal schmunzeln, andere lachen sich den Arsch ab.

Hat der Erzähler einen Fehler begangen, wenn der Zuhörer darüber nicht lachen kann?
Deswegen die Relativierung in Klammern.

Beides zusammen bedeutet nun was für deinen zweiten Kommentar?
 

petrasmiles

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Tut mir leid, wenn ich jetzt da so reingrätsche, aber ich fands saukomisch.
Die 180 ° sind ja offensichtlich, und ihre einzige Entgegnung ist, dass es sich um einen 'alten Hut' handelt (was heißen kann, quasi schuldbewusst, bin ja gar nicht aufgedonnert, ist ja ein alter Hut, oder: diese Art der Anmache sei ein alter Hut), und er sagt, stimmt, und kann damit seinen Hut und den übertragenen Sinn gemeint haben.
Mir hats gefallen :D

Liebe Grüße
Petra
 

Bo-ehd

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Hallo Sammis,
ich sehe, es bedarf einer genaueren Beurteilung. Ich bemühe mich:

Der Mann trug einen in die Jahre gekommenen Anzug, abgetragene Schuhe und einen antiquiert wirkenden Hut. Die Frau war adrett gekleidet.
Wohlgemerkt: adrett

Er: „Verzeihung, entschuldigen Sie bitte. Ich hoffe inbrünstig, Sie nicht zu stören. Sollte dies
Inbrünstig - Was für ein Depp ist das, der so eine Frau anspricht? Das ist ja nicht einmal 50er Jahre. Und "inbrünstig hoffen" - was ist das?

dennoch der Fall sein, genügt ein einziges Wort und ich lasse Sie in Ruhe.
Ich habe Sie hier stehen sehen und kam nicht umhin mich zu fragen, was ein solch liebreizendes Fräulein
Ich korrigiere mich: Das ist 40er Jahre. Wer sagt denn so etwas zu einer Frau? Ich stelle fest: Es handelt sich um eine adrett gekleidete Frau, die ein liebreizendes Fräulein ist.


in einer Gegend wie dieser zu suchen hat.
Was ist eine Gegend wie diese? Eine kleine Erläuterung hätte deiner Geschichte gutgetan.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte Sie nicht etwa anmachen. Aber seien wir doch ehrlich: Wenn eine so aufgedonnert hier auftaucht, ist doch wohl klar, was sie will.
Wie frauenfeindlich ist das denn? Schön anziehen, vielleicht etwas provokant, und schon haben wir ein Nüttchen. Ich fasse zusammen: adrett gekleidetes, liebreizendes Fräulein, das plötzlich aufgedonnert ist und auf den Straßenstrich will. Das Ganze ist nicht ganz schlüssig, findest du nicht auch?



Jetzt werd mal nicht schnippisch, Mädchen.
Es passt nicht zusammen, wenn du hier, wo es um Abwehr und Schutz vor Beleidigung und Diffamierung geht, die wörtliche Rede unterschlägst, und zum Schluss Nichtssagendes wörtlich zitierst.

Wenn du dich wie ne Nutte anziehst, wirst du eben auch wie ne Nutte behandelt! Ach halt doch dein blödes –
Das ist einfach abartig. Siehe oben. Wieviel Armleuchter muss man sein, um so etwas zu einer jungen Frau zu sagen`


Wie Polizei? Verstehst du keinen Spaß?
Dialog fehlt. s.o. Oder indirekt erläutern.

Das war doch nicht so gemeint. Entschuldige. Nein, ganz im Ernst: Nichts läge mir ferner als Sie beleidigen oder sogar bedrängen zu wollen.
Ich bin bis ins Mark erschüttert! Wie konnte es, um Himmelswillen, zu solch einem Missverständnis kommen?
Ich verstehe die Ironie, die du ausdrücken willst, aber eine solche Wortwahl kannst du heutzutage nicht mehr bringen. Und wieso Missverständnis? Falsches Wort, würde ich sagen.

Selbstverständlich, kein weiteres Wort mehr von mir. Ich werde mich augenblicklich entfernen, Sie keine Sekunde länger mit meiner Anwesenheit belästigen. Auf wiedersehen.“
Sie? Zuvor bezeichnet er sie als Nutte, und jetzt siezt er sie?

Sie: „Das ist doch ein ganz alter Hut!“
Den Hut auf dem Kopf meint sie nach einem solchen Gespräch ganz sicher nicht. Also die Anmache - okay. Aber auch das passt nicht. Warum sollte sie die primitive Anmache mit dieser Bemerkung beenden?

Er: „Stimmt.“

Du siehst, dein Text hat ein paar Kanten. Der Stoff, da bin ich mir ganz sicher, gibt ein paar fetzige Dialoge her, die man sprachlich auch so gestalten kann, dass der Leser zum Schluss schmunzeln muss. In diesem Sinne
beste Grüße Bo-ehd
 

Sammis

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Nun gut, dann muss es wohl doch sein.
Ein bisschen mehr Holzhammer gefällig?

Titel: Sprachliche 180°-Wende und zurück

Und das Ende bezieht sich in vollkommener Außerachtlassung des absurden Monologs auf den einleitenden Satz.
 
Er: „Verzeihung, entschuldigen Sie bitte. Ich hoffe inbrünstig, Sie nicht zu stören. Sollte dies
Inbrünstig - Was für ein Depp ist das, der so eine Frau anspricht? Das ist ja nicht einmal 50er Jahre. Und "inbrünstig hoffen" - was ist das?
Seine Sprache passt von der zeitlichen Einordnung zu seiner Kleidung. Um authentisch zu wirken, muss ein Text nicht grundsätzlich in heutiger Sprache verfasst sein. Die Sprache hat viel mehr Gestaltungsspielraum.
 

Bo-ehd

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Hallo Lightandsound,
ich glaube nicht, dass der Prota ein Depp ist. Dagegen spricht seine beharrliche Einstellung zu jungen Frauen, die, obwohl adrett gekleidet, aussehen wie Nutten.* Ich würde ihn eher als einen Macho ohne Erziehung aus der untersten sozialen Schublade bezeichnen. Nur dann könnte man seinen Monolog rechtfertigen, etwa Zitat:

Wenn eine so aufgedonnert hier auftaucht, ist doch wohl klar, was sie will. Jetzt werd mal nicht schnippisch, Mädchen. Wenn du dich wie ne Nutte anziehst, wirst du eben auch wie ne Nutte behandelt. Ach halt doch dein blödes ... (Maul)

Du kommentierst jetzt

Seine Sprache passt von der zeitlichen Einordnung zu seiner Kleidung. Um authentisch zu wirken, muss ein Text nicht grundsätzlich in heutiger Sprache verfasst sein. Die Sprache hat viel mehr Gestaltungsspielraum.

Ist ja nicht ganz falsch, was du sagst, nur: Wo erkennst du eine zeitliche Einordnung? Ich sehe keine.
Und was das inbrünstige Hoffen angeht, so lies mal die Bedeutung von Inbrunst nach, lies die Synonyme und erklär mir dann, wie das zusammenpasst. Ganz nebenbei: Ich habe die beiden Wörter in Zusammenhang mit einer Anmache gerügt. Wie schwülstig denn noch?

Gruß Bo-ehd
* Diese Aussage halte ich für haarsträubend. Stell dir mal ein Open Air Rockfestival im Hochsommer vor. 100 000 Besucher, die Hälfte davon junge Frauen in kurzer und knapper, vor allem in luftigster Sommerkleidung, teilweise ohne BH. Fast alle tragen ein dezentes oder auch etwas auffälligeres Make up. Für einen Betrachter wirken sie adrett. Und diese 50 000 junge Frauen sollen wie Nutten aussehen und als solche behandelt werden?
 

Tonmaler

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Hallo Sammis!

Ich finde deinen Text jetzt bei Weitem nicht schlecht. Nur leider, wenn er humoristisch gemeint war, das hat auch bei mir nicht funktioniert. Dennoch zeigst du hier -- auf die Spitze getrieben, satirisch -- ein Muster.
'Erst hau ich alles ohne Nachdenken kurz und klein und später sage ich, das war so nicht gemeint.'
Das hast du meiner Meinung nach gut plaziert.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte Sie nicht etwa anmachen. Aber seien wir doch ehrlich: Wenn eine so aufgedonnert hier auftaucht, ist doch wohl klar, was sie will.
Wie frauenfeindlich ist das denn? Schön anziehen, vielleicht etwas provokant, und schon haben wir ein Nüttchen. Ich fasse zusammen: adrett gekleidetes, liebreizendes Fräulein, das plötzlich aufgedonnert ist und auf den Straßenstrich will. Das Ganze ist nicht ganz schlüssig, findest du nicht auch?
Ich muss da schmunzeln. Weiß gar nicht, wie oft mir das schon passiert, dass nicht das Objekt des satirischen Angriffs kritisiert wurde, sondern der satirische Angriff. Vielleicht braucht man da 'Achtung, Satire!'-tags.
Hier steht ja der Mann im Visier, nicht die Frau.
Einen 'antiquiert' denkenden Mann zu zeigen, der frauenfeindlich agiert, macht ja den Text nicht frauenfeindlich und 'antiquiert', sondern attackiert antiquiertes und frauenfeindliches Denken, wenn man es so macht wie die Autorin hier.


Der Mann trug einen in die Jahre gekommenen Anzug, abgetragene Schuhe und einen antiquiert wirkenden Hut. Die Frau war adrett gekleidet.
Ich habe erst später verstanden, warum der so abgerissen daher kommen muss. Es irritiert beim ersten Lesen. Außerdem hatte ich erst den Eindruck, die beiden wären ein Paar. Vielleicht könnte er sie erst ansprechen und dann zeigst du, wie er gekleidet ist?



Wenn eine so aufgedonnert hier auftaucht, ist doch wohl klar, was sie will. Jetzt werd mal nicht schnippisch, Mädchen. Wenn du dich wie ne Nutte anziehst, wirst du eben auch wie ne Nutte behandelt!
Hier (vorher und auch nachher) werden die Gedankengänge des Manns zusammengefasst und verdichtet in ihrer natürlichen Reihenfolge präsentiert. Das ist gut gemacht.



Nichts läge mir ferner als Sie beleidigen oder sogar bedrängen zu wollen. Ich bin bis ins Mark erschüttert! Wie konnte es, um Himmelswillen, zu solch einem Missverständnis kommen?
Genau so wird das gemacht. Man definiert es als Missverständnis. Meine Absicht war ja nicht, bla bla. Eigentlich meinte ich: bla.
In Wirklichkeit denke ich, dass bla. Ich bin ein friedlicher Typ, der halt leider aus Versehen manchmal jemanden niederhaut.
Dann Betroffenheit und ehrliches Entsetzen heucheln, dass man so falsch interpretiert werden konnte.

Und wieso Missverständnis? Falsches Wort, würde ich sagen.
Daher ist 'Missverständnis' an dieser Stelle das genau richtige Wort. Und zwar, weil es 100-prozentig falsch ist.


was ein solch liebreizendes Fräulein in einer Gegend
Ja, diese ganz alten Ausdrücke -- ich weiß auch nicht; liebreizend, inbrünstig ... ich meine auch, das braucht es nicht. Zumal rückständiges Denken ja nichts ist, was mit Alter zu tun hat. Auch wenn dies dein Bild ist: schäbig, veraltet -- und deine Schlusspointe darauf baut.
Ich habe 17-jährige Jungs reden gehört, die reden nicht viel anders, auch wenn sie Nike tragen.

Daher zündet bei mir die Pointe nicht. Obwohl sie ihre 'Berechtigung' haben mag, passt es für mich nicht.

Viele Grüße
T.
 
Zuletzt bearbeitet:

Sammis

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Hallo!

Schon interessant, was ein in zehn Minuten dahingetippter Text bewirken kann.
Alles, was ich damit wollte, war unterhalten. Eine literarische Fingerübung, verpackt in einen Wortwitz.

Die ersten beiden Sätze leiten den Witz ein:
Der Mann trug einen in die Jahre gekommenen Anzug, abgetragene Schuhe und einen antiquiert wirkenden Hut. Die Frau war adrett gekleidet.

Dann der absurde Dialog. Dabei ging es mir einzig darum, von einer vollkommen überzogenen, höflichen Sprache nach und nach ins Vulgäre abzutriften, um dann wieder zur anfangs verwendeten zurückzukehren. Daher der Titel: 180° und zurück.

Er: „Verzeihung, entschuldigen Sie bitte. Ich hoffe inbrünstig, Sie nicht zu stören. Sollte dies dennoch der Fall sein, genügt ein einziges Wort und ich lasse Sie in Ruhe.
Ich habe Sie hier stehen sehen und kam nicht umhin mich zu fragen, was ein solch liebreizendes Fräulein in einer Gegend wie dieser zu suchen hat. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte Sie nicht etwa anmachen. Aber seien wir doch ehrlich: Wenn eine so aufgedonnert hier auftaucht, ist doch wohl klar, was sie will. Jetzt werd mal nicht schnippisch, Mädchen. Wenn du dich wie ne Nutte anziehst, wirst du eben auch wie ne Nutte behandelt! Ach halt doch dein blödes –
Wie Polizei? Verstehst du keinen Spaß? Das war doch nicht so gemeint. Entschuldige. Nein, ganz im Ernst: Nichts läge mir ferner als Sie beleidigen oder sogar bedrängen zu wollen. Ich bin bis ins Mark erschüttert! Wie konnte es, um Himmelswillen, zu solch einem Missverständnis kommen?
Selbstverständlich, kein weiteres Wort mehr von mir. Ich werde mich augenblicklich entfernen, Sie keine Sekunde länger mit meiner Anwesenheit belästigen. Auf wiedersehen.“

Und ganz am Ende der zweite Teil des Wortwitzes.

Sie: „Das ist doch ein ganz alter Hut!“
Er: „Stimmt.“

Zündet natürlich nicht bei jedem. Das hat Humor so an sich.

Dank an alle, die sich die Zeit zum lesen und antworten nahmen!

PS inbrünstig = eifrig, vehement, frenetisch, (sehr) engagiert, bis in die Fingerspitzen
 
@Bo-ehd

"was für ein Depp ist das, der so eine Frau anspricht? "


Ich:
"Außerdem geht es ja vielleicht gerade darum, dass die Figur ein Depp ist."

@Bo-ehd
"Hallo Lightandsound,
ich glaube nicht, dass der Prota ein Depp ist"

Also, was jetzt?
 



 
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