1974 - Je später der Abend: Peter Ustinov, Napoleon und Hitler

5,00 Stern(e) 1 Stimme

petrasmiles

Mitglied
Das ist das wunderbare am Internet - und insbesondere Youtube - man findet eigentlich immer etwas Interessantes. Da folgte ich einem youtube link von mondnein zu der Szene, in der Peter Ustinov Nero spielt, klicke ein bisschen rum, höre mir dies an und das, und dann sehe ich im Frame eine Ausgabe der Talkshow 'Je später der Abend' von Dietmar Schönherr mit Peter Ustinov. Eine Zeitreise.
Fängt ein bisschen schräg an, sie suchen sich Stühle aus einem neben der Bühne aufgebauten Fundus an Stühlen. Ustinov nimmt sich einen lehnenlosen Empirestuhl (Gondola-Stil, wie ich lese) und Schönherr nimmt sich einen tieferen Barocksessel. Da hockt der beleibte Ustinov wie ein schwitzender Sandsack aufgehäuft und der große und schlanke Schönherr versucht während des Gesprächs ständig, eine bequeme Position zu finden für seine langen Beine - und der arme Kameramann sucht nach einer Einstellung, in der beide nicht wie die letzten Honks aussehen. Manche Ideen sind nur in der Theorie schön ;-)

Aber das nur am Rande. Es beginnt mit Belanglosigkeiten - und Schönherr ist nie auf der Höhe des Witzes von Ustinov. Die Fragen grottig, aber immer fällt Ustinov etwas ein, was die Leute zum Lachen bringt. Und dann stellt Schönherr DIE deutsche Frage: Wie Ustinov heute die Deutschen sehen würde. Die Antwort ist erst einmal umschreibend; anhand der Darstellung der Engländer wie sie gesehen würden, was aber Klischée sei, und bei den Deutschen würde halt dieses Preußische, laut Schreiende unterstellt - und Hitler habe diesem Bild geholfen, aber vor Napoleon seien die Deutschen ganz anders gewesen - und dann kommt dieser Satz: Er würde Napoleon nicht viel besser finden als Hitler.
Unvorstellbar in heutigen Zeiten, dass jemand (irgendjemand, und sei es der Papst) soetwas sagt, und nicht ein Shitstorm die sofortige Ausweisung der Person aus den Landesgrenzen fordert.
Das ist fünfzig Jahre her; das damalige Publikum - warum gieren sie so danach, dass man sie nett findet? - lachte fast erleichtert auf. Eine Unterhaltungssendung, eine persönliche Meinung eines Kosmopoliten, kann man drüber nachdenken, kann man denken, ja, aber der Holocaust, kann man den Mann trotzdem toll finden und ihn nicht verdammen wegen öffentlichen Äußerungen, die man mit ein bisschen bösem Willen zur Holocaust-Leugnung hochstilisieren könnte.
Solche Rückblicke machen unglaublich deutlich, wie engstirnig und intolerant und heuchlerisch diese öffentliche Landschaft geworden ist.

 
Bezüglich TV fehlen mir mangels spezieller Nutzung die Vergleichsmöglichkeiten, liebe Petra. Doch die von dir beobachtete Verhaltensänderung lässt sich wohl auch darüber hinaus feststellen (Interviews, Vorträge, Lesungen etc.) Das vielleicht Störende oder leicht Anstößige ("umstritten" als Verniedlichung von "inakzeptabel") gibt es zwar noch, es ist aber in kleine Nischen verbannt. Was tun? Bewusst provozieren, wenn man es gar nicht so meint? Oder beipflichten und zu Hilfe kommen, wenn man nur teilweise übereinstimmt? Saubere Lösung: differenzieren, falls man selbst zu Wort kommt. Letzten Endes könnte nur ein Wechsel der Großwetterlage etwas in der Breite verändern. Warten wir es also ab?

Freundliche Mittagsgrüße
Arno
 
Nachtrag: Gerade in der Berliner Zeitung von einem aktuellen Paradefall gelesen. Chöre dürfen demnächst im Humboldt-Forum alten Text von Udo Lindenberg nur abgeändeert singen. "Oberindianer" (für Honecker) ist jetzt tabu. Das Pikante daran: Im Vorgängerbau Palast der Republik durfte Lindenberg den Song seinerzeit nicht vortragen. Schöne Kontinuität! Und ich finde, dass dieses Canceln noch ärger ist als es sein würde, heute wieder Napoleon mit Hitler zu vergleichen. Links und rechts von "Unter den Linden" breitet Freiheit sich nicht aus. Es ist einer der muffigsten Orte in Gesamtdeutschland.
 

John Wein

Mitglied
Werte Petra,
In der Tat, Peter Ustinov war ein begnadeter Künstler und in diesem TV Beitrag ein charmanter Gast mit feinsinnigem Humor. Wer in der Branche könnte sich heute mit ihm messen!? Die Königin hat ihm einst den Ritterschlag verpasst. Sir Peter Ustinov!
Ich mochte seine Filme sehr. In meiner Militärzeit hatten wir in dem Fliegerhorst ein von den Engländern übernommenes Kino, in dem wir regelmäßig für kleines Geld Fime sehen konnten. Und nartürlich war die Bude voll. Es gab ja sonst nichts in dem Kaff. Ich erinnere Topkapi und The Pink Panther.
U. spitzbübische, feinsinnige Art intelligent und anschaulich geschauspielert machten ihn zum Liebling des Films, Theaters und Showbusiness. Ich habe ihn auch in diesem Beitrag von Dir wieder genossen.
Danke und Grüße,
John W.
 



 
Oben Unten