2.Kapitel

Brandiff

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Nach einer kleinen Weile ließ der Conte sie wieder los. Mit feuchtglänzenden Augen sah er in ihr Gesicht. "Gott, du siehst deiner Mutter so ähnlich. Genauso wunderschön wie sie." In seinem Blick lag soviel Sanftmut und Güte wie Desdemona es nie zuvor gesehen hatte. Nicht einmal in den Augen ihrer Großmutter. Adriano wendete sich zu Sebastiano. "Habt dank mein Freund, ich weiß nicht wie ich euch das vergelten kann." "Das braucht ihr nicht. Euch heute nach all den Jahren zum ersten Mal strahlen zu sehen, ist Belohnung genug." Sebastiano beugte sich zu Desdemona herunter, ergriff ihre Hand und deutete einen Handkuss an. "Auf bald, edles Fräulein. Ich bin sicher, wir sehen uns bald wieder." Dann stieg er in die wartende Kutsche und verschwand.

Der Conte legte seinen Arm um ihre Schultern. "Komm mein Kind, du wirst sicher hungrig sein von der langen Reise. Wie heißt du eigentlich?" Desdemona blickte leicht verschüchtert zu ihm hoch. "Desdemona, euer Gnaden", gab sie mit leiser Stimme von sich. Der Conte lachte sanft auf. "Du musst nicht so förmlich sein, Vater reicht vollkommen. Desdemona, das Unheil hm? Wer denkt sich nur so einen Unfug aus? Ich denke Mariposa, der Schmetterling passt viel besser zu dir." Das erste Mal seit Desdemona das Zigeunerlager verlassen hatte, ja vielleicht sogar das erste Mal in ihrem Leben, strahlte sie. "Gefällt dir der Name?" Sie nickte stumm. "Gut, so sei es."

Der Conte führte sie zur Treppe, wo eine ältere, freundlich lächelnde Frau schon auf sie wartete. "Das ist Maria, meine Hauswirtschafterin und die gute Seele des Hauses. Sie wird dir dein Zimmer zeigen. Du kannst dich jederzeit vertrauensvoll an Sie wenden." Maria machte einen Knicks vor dem Mädchen. "Willkommen daheim, Contessa. Ihr ahnt nicht seit wie vielen Jahren wir diesen Tag herbei gesehnt haben." Desdemona wußte nicht was sie sagen sollte. Noch nie zuvor war ihr mit soviel Freundlichkeit und Höflichkeit begegnet worden. Daher lächelte sie nur schüchtern. "Zeig Mariposa ihr Zimmer und hilf ihr ein wenig sich für das Abendessen zurecht zu machen." "Sehr wohl, euer Gnaden." "Wir sehen uns später zum Essen, mein Kind." Ihr Vater gab Desdemona einen Kuss auf die Stirn und verschwand durch die Tür zum Nordflügel.

Maria führte Desdemona die Treppe empor und einen langen Flur entlang.Dabei redete sie ununterbrochen.“Oh, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr sich der Conte und wir alle, freuen euch zu sehen. Es war furchtbar den guten Mann immer so traurig zu sehen.” Desdemona folgte stumm der Hauswirtschafterin. Ihre Blicke wanderten hierhin und dahin. Soviel Pracht und Glanz hatte sie in ihrem Lebtag noch nicht gesehen. "Diese Tür führt zu einer kleinen Bibliothek. Euer Vater hat sie eigens für euch anlegen lassen mit allem was er meint, was ein junges Mädchen wie euch interessieren könnte. Ihr könnt doch lesen, oder? Naja wenn nicht, auch nicht schlimm. Das lernt ihr schnell.” Natürlich konnte Desdemona lesen. Das war zwar für eine Zigeunerin ungewöhnlich, aber ihre Großmutter verstand sich darauf. Und sie legte besonderen Wert darauf, das ihre Enkeltochter dessen auch mächtig war.

“Hier ist das Arbeitszimmer eures Vaters. Wenn er sich dorthin zurückgezogen hat, dürft ihr ihn auf keinen Fall stören. Es sei denn er läßt nach euch rufen. Daneben geht es zum Ankleidezimmer des Conte. Oh und hier”, Maria wies auf eine Tür zur gegenüberliegenden Seite, “ist das Eure.” Ein Ankleidezimmer? Desdemona wußte nicht, was sie mit dem Wort anfangen sollte. Doch Maria plapperte unentwegt weiter. Nach dem Ankleidezimmer folgt das Schlafgemach von eurem Vater. Und das hier”, sie hielt an der Tür auf der anderen Seite des Ganges an, “ist das von euch. Wir sind da.”

Sie öffnete die Tür und trat einen Schritt zur Seite um das Mädchen den Vortritt zu lassen. Als Desdemona eintrat, staunte sie nicht schlecht. Der Raum war riesig. Das Licht der untergehenden Sonne fiehl durch die großen Fenster und hüllte das ganze Zimmer in ein warmes Licht. Sämtliche Möbel waren in einem strahlenden weiß gehalten und mit filigranen Ornamenten versehen, auf denen das Licht funkelte. Es gab einen kleinen Sekretär vor dem ein mit roten Samt bezogener Stuhl stand. Ein Schminktischchen mit einem großen Spiegel und vielen kleinen Töpfchen und Tigeln. eEine Ottomane stand in der Nähe eines der Fenster und lud dazu ein, von ihr aus hinaus zu sehen und zu träumen. Das Beeindruckenste, neben all den weiteren kleinen Möbelstücken und Schmuckstücken die den Raum zierten, war aber für Desdemona das Bett. Keine kleine Holzpritsche, wie im Wagen ihrer Nonna, die man am Tage hochklappte um mehr Platz im inneren zu schaffen. Nein, es stand auf vier festen Beinen. Gewundene Stangen liefen von ihnen aus nach Oben zu einem Dach von dem aus zu allen Seiten ein hauchdünner Stoff hinab fiehl. Unzählig viele große und kleine Kissen waren auf dem Bett verteilt, luden geradewegs dazu ein sich in sie hineinfallen zu lassen. Und es war groß. So groß, das man im Lager wohl ein extra Zelt hätte aufschlagen müssen, nur damit es überhaupt irgendwo Platz fand.

“Das... das ist mein Zimmer? Wer schläft noch hier?” “Niemand. Es gehört dir ganz allein.” “Für mich? Nur für mich allein?” Maria mußte schmunzeln. “Aber sicher. Doch nun komm. Das Essen wird bald serviert und wir wollen dich doch für deinen Vater noch zurecht machen.” Maria sah an dem Mädchen herunter. Ihr Kleid war alt und abgenutzt und auch wenn Nonna es immerwieder ausbesserte, hatte es seine besten Tage schon lange hinter sich. “Hm, so kannst du auf keinen Fall bleiben.” “Aber, aber das ist mein einzigstes Kleid. Ich besitze sonst kein anderes.” Desdemona blickte traurig drein. Was mußte Maria nur von ihr denken, das sie schäbig daher kam. Die alte Frau lachte herzlich auf. “Oh Kindchen, du bist einfach entzückend. Na komm, ich will dir etwas zeigen.” Sie führte sie durch eine angrenzende Tür in einen weiteren Raum.

Das Zimmer war beinahe genauso groß wie das Erste. An den Wänden hingen große Spiegel, so das man sich von allen Seiten betrachten konnte. Sie ging zu einem der Schränke. “Hm, lass mich mal sehen. Was könnte dir stehen. Etwas violettes vielleicht. Weißt du, du hast genauso hübsche, grüne Augen wie dein Vater.” Sie öffnete eine der Türen. Der ganze Schrank war über und über mit Kleidern gefüllt. Eines sah prächtiger aus als das andere. Maria zog ein Kleid heraus und hielt es Desdemona an. “Die Farbe ist perfekt und auch die Größe stimmt.” Das Mädchen traute sich kaum, das Kleid anzufassen. Es war aus dem edelsten Stoff gefertigt, den sie je gesehen hatte und mit zarter Spitze versehen. Nicht einmal die Damen der Vorstädte in die sie kamen, um dort auf den Gauklermärkten ihr täglich Brot zu verdienen, trugen so etwas feines. Maria ging weiter, öffnete andere Schränke, kramte hier und dort herum. “Du brauchst auch noch passende Schuhe und Schmuck. So ich denke nun haben wir alles.” Desdemona wußte nicht, ob sie träumte. Doch wenn ja, dann wollte sie auf keinen Fall aufwachen. “Zunächst aber brauchst du ein Bad und danach wollen wir dich zurecht machen, ja?” So geleitete sie das Mädchen in ein weiteres Zimmer.

Einige Zeit später saß Desdemona in ihren neuen Kleidern im Speisesaal am Tisch, ihrem Vater gegenüber. Diener waren gerade dabei, die Speisen auf zu tragen. Vor ihr stand ein Teller aus feinstem Zinn und ein Kelch gefüllt mit Wein. Keine hölzerne Schale mit einem ebendsolchen Löffel und Becher. Kein Hirsebrei, Brot oder wenn die Tage mal besser waren, auch mal dazu ein Stück Fleisch wurden aufgelegt, sondern die edelsten Speisen. Sie traute sich kaum etwas zu anzurühren. Auch befürchtete sie ihr schönes Kleid beschmutzen zu können. “Iss ruhig, mein Kind. Hab keine Scheu. Es ist genug von allem da.” Sie sah hinüber zum Conte, der sie auffordernd anlächelte. Da sie ihn nicht vielleicht verärgern wollte, nickte sie artig und begann mit dem Essen.
Nachdem der Nachtisch serviert wurde, saß sie still da betrachtete nachdenklich ihren Teller. Soviel und so gut hatte sie ihr Lebtag noch nicht gegessen. Und alle waren so freundlich zu ihr. Niemand hatte ein böses Wort für sie übrig. Dennoch, sie vermißte ihre Nonna.

“Was hast du Mariposa? Ist alles in Ordnung? War das Essen nicht gut, oder was bedrückt dich?” Ihr Vater sah sie mit besorgter Mine an. Sie schüttelte den Kopf. “Nein, nein das ist es nicht. Aber mir fehlt meine Nonna. Ich vermisse sie.” “Das kann ich gut verstehen, aber glaube mir das wird bald vergehen.” Desdemona nickte. Dennoch starrte sie weiter auf ihren leeren Teller. “Dich beschäftigt doch noch etwas anderes. Magst du es mir nicht sagen, mein Kind?” Desdemona blickte zu ihrem Vater. “Wo warst du all die Jahre? Wieso warst du nicht da? Warum hat Nonna nie von dir gesprochen?”
Der Conte stand auf, setzte sich auf den Platz neben ihr und legte seine große Hand auf die Ihre. Tränen standen in den Augen seiner Tochter, als sie ihn fragend ansah. “Weißt du Mariposa, das ist eine lange Geschichte. Aber du hast ein Recht darauf deine Fragen beantwortet zu bekommen.”
Er lehnte sich zurück und es war als würden seine Gedanken weit zurück in die Vergangenheit schweifen...

“Es war vor vielen Jahren. Dein Großvater, der alte Conte war vor kurzem verstorben und so reiste ich durch das Land, um mich einwenig von dem Verlust abzulenken. Während meiner Reise kam ich auch durch eine kleine Stadt. Dort auf dem Gauklermarkt sah ich sie, Selina deine Mutter. Sie tanzte für die Besucher.” Die Augen des Conte begannen für einen Moment zu leuchten, während er weitersprach. “Oh sie war so wunderschön und ihre Augen strahlten heller als alle Sterne des Himmels zusammen. Ich war sofort Feuer und Flamme für sie. Jeden Abend kam ich zum Markt und schaute ihr beim Tanzen zu. Irgendwann fasste ich mir ein Herz und sprach sie nach ihrer Darbietung an. Auch ihr war meine Anwesenheit nicht verborgen geblieben. Beinahe jeden Abend nach ihrer Vorstellung trafen wir uns heimlich. Ja, wir verliebten uns in einerander und ich reiste ihr von Ort zu Ort nach. Doch niemand durfte etwas davon bemerken, unsere Liebe mußte geheim bleiben. Du weißt wie die Sippe über eine Beziehungen zu Nicht-Zigeunern denkt.” Desdemona nickte stumm. Das war etwas, das für Zigeuner unmöglich war.

Ihr Vater setzte mit seinen Ausführungen fort. “Eines Tages dann kam es wie es kommen mußte. Deine Mutter eröffnet mir, das sie mit dir schwanger war. Glaub mir, ich war an diesem Tag der glücklichste Mann auf der ganzen Welt. Daher beschlossen wir am nächsten Tag durch zu brennen. Als ich aber am folgenden Tag erwachte, war sie verschwunden. Ihre Sippe hatte die Zelte abgebaut und war bei einer Nacht und Nebelaktion aufgebrochen. Jahre lang habe ich vergeblich nach euch gesucht. Bis es Sebastiano endlich gelang dich ausfindig zu machen.”
Für Desdemona ergab das alles einen Sinn. Wenn ihre Sippe von der Beziehung Wind bekommen hatten, hätten sie alles daran gesetzt die Beziehung zu unterbinden. Das würde auch erklären, warum sie von allen gemieden wurde und ihre Nonna, ihr sagte ihr Vater sei gestorben. Für die Sippe existierte er nicht. Und sie war als das uneheliche Kind eines Nicht-Zigeuners wertlos.

Von diesem Tag an begann für Desdemona eine wundervolle Zeit. Ihr Vater trug sie auf Händen, laß ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Sie war seine Prinzessin, sein kleiner Engel und genauso behandelte er sie auch. Sie konnte tun und lassen was sie wollte. Die meiste Zeit zumindest. Denn natürlich mußte sie auch lernen, wie sie sich als Tochter eines Adligen zu verhalten hatte. Hierfür holte ihr Vater eigens Lehrer ins Haus, die ihr alles beibrachten was sie wissen mußten. Maria und die Köchin hingegen übernahmen die häusliche Erziehung. Sie waren der Ansicht, das auch eine Contessa wissen müßte, wie man einen Haushalt führt. Nur zwei Dinge ließ sich der Conte nicht aus der Hand nehmen. Wann immer es möglich war, nahm er sie auf seinen Reisen mit. Brachte ihr bei wie man ein Geschäft aushandelte und Verträge schloss. Eines Tages würde sie sein Erbe übernehmen und dann sollte sie bereit sein. Und noch etwas. Ihr Vater lernte sie den Umgang mit Waffen. Er zeigte ihr wie sie die unterschiedlichsten Hieb und Stichwaffen benutzte und sich gegen einen Angreifer zur Wehr setzen konnte. Das war zwar ungewöhnlich für eine junge Dame der adligen Gesellschaft, doch er bestand darauf.
Am liebsten verbrachte Desemona ihre Zeit aber bei den Pferden. Sie liebte es zu reiten und sich gemeinsam mit dem Stallmeister Gepetto um die Tiere zu kümmern. Ihr Vater ließ sie nur all zu gerne gewähren. Nur ab und an noch vermißte sie ihre Nonna.

Doch dann holte sie das Schicksal abermals auf grausame Art und Weise ein. Desdemona war inzwischen 20 Jahre alt und zu einer bildschönen jungen Frau herangewachsen. Ihr Leben konnte nicht besser verlaufen. Eines Tages jedoch brachte Sebastiano, der alte Freund und Vermögensverwalter ihres Vaters, der auch für sie inzwischen zu einem lieben Freund geworden war, eine schlimme Nachricht. Das Schiff ihres Vaters mit dem er zu einer weit entlegenden Insel aufgebrochen war, um dort neue Handelsbeziehungen einzugehen, war gesunken. Nur eine Handvoll Männer hatten das Unglück überlebt und konnten gerettet werden. Ihr Vater gehörte nicht dazu. Von ihm fehlte jede Spur.

Desdemona versank in tiefer Trauer. Sie hatte den ihr liebsten Menschen auf der Welt verloren. Es gab nichts und niemanden der sie aufheitern konnte, nicht einmal ihre heißgeliebten Pferde. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Alles erinnerte sie an den Conte. So beschloss sie ihre Sachen zu packen und wie er damals auf Reisen zu gehen. Stets die Hoffnung in sich tragend, irgendwann den geliebten Vater vielleicht doch zu finden.
 



 
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