2. Kapitel

Campusanis

Mitglied
Der Musiker stand als erster auf und rannte zu der jungen, kleineren Frau. Er sah auf den Boden und wich in Anbetracht einer großen Blutlache theatralisch zurück. Während die anderen sich nun ebenfalls neugierig in Bewegung setzten, legte er jedoch verständnisvoll einen Arm um die Frau.
»Aber Kind, das ist doch kein Grund zu schreien. Das ist ganz natür –«
Noch bevor er den Satz beenden konnte, schrie sie ein weiteres Mal und schüttelte sich von dem Arm frei. Sie versuchte, möglichst Abstand von den anderen zu halten und kauerte sich an eine Wand.
»Also, wenn das kein Grund ist …«, grummelte der bärtige »Manni«; auf seine zurückhaltende Weise entsetzt.
Es schien, als ginge die Blutpfütze noch unter der Tür, die in den Schuppen führte, weiter und so nahm es die größere Frau auf sich, sie vorsichtig zu öffnen. Im Gegensatz zu allen anderen, die sich kurz danach fassungslos wegdrehten, beobachtete sie genau, was sich ihr bot: Die Haushälterin lag ausgestreckt und mit leerem Blick auf der kleinen Treppe. Eine große, breite Klinge, die der einer Guillotine ähnelte, hatte sie am Hals getroffen, was ganz offensichtlich die Ursache für das Blutbad war.
»Oh«, sprach der Junge mit der Mütze seine Gedanken aus, was aber niemand bemerkte.
Manni stieg währenddessen vorsichtig über die tote Haushälterin, um die Villa schnellstmöglich wieder zu verlassen. Als er aber an der Tür, die nach draußen führte, drückte und zog, schüttelte er langsam den Kopf.
»Hier ist zu.«
»Das kann doch nicht sein!«, rief ihm der Mann mit dem engen Shirt zu.
Er stellte sich vor die Tür und trat mehrmals mit Wucht, die sich mehr und mehr in Wut verwandelte, dagegen, doch es half nichts. Die Blicke der anderen versteinerten noch mehr.
»Aber – wir sind doch gerade rein gekommen!«, sagte die kleinere Frau, die immer noch am ängstlichsten aussah.
»Jemand wird uns eingeschlossen haben«, beendete die andere Frau, die jetzt den Blick von der Leiche wandte, den Gedanken.
Die erste rannte daraufhin zitternd zum Tisch zurück und starrte panisch auf die Doppeltür an der anderen Ecke des Raumes, als glaube sie, es werde jeden Moment ein Massenmörder herauskommen. Während Manni und sein etwas wütender Begleiter zurück in den Saal kamen, ergriff letzterer das Wort.
»Also gut, wir bleiben jetzt ganz ruhig«, sagte er und musste selbst durchatmen. »Wir kennen uns ja noch gar nicht, ich bin der Daniel, Besitzer des ›Avalon‹, wenn euch das was sagt?«
Ohne dass irgendjemand darauf einging, öffnete die größere Frau entsetzt den Mund.
»Ach so, ja!«, sagte sie sarkastisch. »Da draußen werden Menschen hingerichtet und wir machen erst mal ne Vorstellungsrunde!«
Kopfschüttelnd verließ sie den Saal durch die Tür, aus der Minuten zuvor die Haushälterin kam, um den Abend zu eröffnen.
»Sie sagte uns, wir sollten sie ›Caro‹ nennen«, flüsterte der Musikliebhaber mit der etwas schleimigen Frisur.
»Und wer bist du?«, fragte Daniel und ignorierte bewusst »Caros« etwas eigensinnigen Abgang.
Doch sein Gegenüber war eher stark verwundert darüber, dass Daniel ihn so einfach duzte.
»Mein Name ist Alexander«, antwortete er nach einigen unsicheren Blicken. »Ich bin Pianist. In der Hauptsache!«
Scheinbar ermutigt von der Tatsache, nicht mehr der erste zu sein, informierte der rundliche Junge die anderen mit einem etwas wortkargen »Bob« über sich selbst. »Meine Homies nennen mich Bobby –«
»Gott, wie einfallsreich!«, unterbrach ihn Caro, die sich offenbar in einem Nebenraum befand, laut rufend. »Müssen ja tolle Homies sein, die du da hast.«
»Na na, ich bitte Sie«, versuchte Alexander die beiden zu beschwichtigen und fuchtelte dabei wild mit den Armen herum.
»Also, ich heiße Maike«, sagte die jüngere Frau nach kurzem Schweigen; leise, aber jetzt mit weniger Zittern in der Stimme. »Ich studier' noch … Physik.«
Sie sah »Manni« an, in der Hoffnung, nicht mehr länger im Mittelpunkt stehen zu müssen.
»Das ist doch der Manni …«, sagte Daniel beiläufig; er hatte die ganze Zeit über sein Gesicht in den Händen vergraben.
»Eigentlich Manfred«, sagte der Betroffene und Daniel nickte einmal.
In diesem Moment war ein Kichern aus dem Nebenraum zu hören. Es war in keinster Weise schauerlich, dennoch erschraken alle, wobei Daniel und Alexander dem Geräusch folgten.
»Oh bitte!«, rief ersterer, als er um die Ecke verschwunden war.
Das trieb nun auch die anderen durch die Doppeltür. Dahinter befand sich quer ein kurzer, beleuchteter Gang, der links und rechts an jeweils einer Treppe endete. Rechts stand die einzige Tür – neben der zum Saal – offen und zeigte ein dunkles Zimmer, das tatsächlich ein Nebenraum des Eingangssaals war.
»Sie hat doch mehr Humor als ich dachte«, sagte Daniel mit einem verschmitzten Grinsen und sprang regelrecht in den dunklen Raum.
Die anderen sahen sich mit ausdruckslosen Gesichtern an. Von »Caro« fehlte jede Spur.
»Also«, begann Maike langsam und ihre Stimme klang wieder unsicher, »wo sind denn jetzt die Köche?«
Vielleicht hatte sie keiner gehört, aber die anderen missachteten sie und sahen stumm der Suchaktion Daniels zu.
»Sehr weit kann sie ja nicht sein!«, meinte Alexander energisch. »Entweder hier oder dort hoch.«
Er deutete auf die beiden Treppen. Daniel hob hinter etwas Großem aus dem Raum (der sich jetzt, da er das Licht angeschaltet hatte, als Küche entpuppte) den Arm:
»Natürlich! Sie spielt mit uns, was denn sonst?«
Die Küche war genauso groß wie der Saal, nur etwas schmaler. Es gab mehrere Herdplatten, Öfen, Spülen und eine große Truhe, in der wohl das Essen lagerte. Alles was fehlte, waren in der Tat die Köche. Bobby schlurfte derweil die rechte Treppe hinauf, woraufhin Manfred eine verwirrte Miene auflegte.
»Ich find' sie und dann geh ich, Mann«, rechtfertigte sich der Junge, nachdem er sich noch mal umgedreht hatte.
Alexander schien diese Idee gut zu finden und lief ihm hinterher.
»Hey!«, schrie Maike, wenn auch nicht sehr laut.
Daniel kam inzwischen aus der Küche heraus und knipste das Licht wieder aus. Er sah die beiden gerade noch etwas weiter oben eine zweite Treppe nehmen.
»Was denn?«, meinte er und sah ein letztes Mal unzufrieden in die Küche zurück. »Das ist gut, wir kreisen sie ein. Am besten wir nehmen die andere.«
Er ging zu den links gelegenen Stufen und Maike und Manfred folgten ihm. Vier kurze Treppen gingen sie nach oben, während Daniel mit kindlicher Freude daran dachte, Caro auf frischer Tat zu ertappen. Nach der vierten Treppe kamen sie an einem weiteren quer gelegenen Gang an.
Er glich dem im Erdgeschoss, war jedoch schwächer beleuchtet.
Und sehr viel länger …
 



 
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