Tretet an eure Reise, eilt und trotzt allen
Widrigkeiten. Erreicht die Stätte des Wissens
und öffnet das Buch der vier Siegel.
(Buch der Prophezeiung)
Nach einem einfachen Frühstück hatten sie sich getrennt. Der Hauptteil von Eldens Männern war in Richtung des Lagers aufgebrochen, um dieses abzuschlagen und mit den dort Zurückgebliebenen zur Zuflucht in Disternes aufzubrechen. Isork war mit fünf anderen Männern zur Bewachung der Gardisten zurück geblieben. Kurz danach hatte sich Harbon mit Elden, zwei seiner Männer, Wedekind, Jolene und einem trotzig schweigsamen Jules auf den Weg zum Landbruch gemacht.
Harbon lenkte wieder seinen Bantakarren, während die anderen auf Gardepferden saßen, die sie sich „ausgeliehen“ hatten. Elden ritt neben dem Karren. Er hatte seinen Bogen und den Pfeilköcher am Sattel befestigt und trug sein Schwert am Gürtel.
Sie kamen nur langsam voran, da Harbon mit seinem Karren nicht schneller fahren konnte. Der Zauberer fluchte ein ums andere Mal.
„Zum Glück ist es der letzte Tag, den ich auf diesem verfluchten Karren zubringen muss“, schimpfte er. Dann wandte er sich an Elden.
„Wir müssen in der Handelsstation von Rogas Halt machen. Dort versorgen wir uns mit allem, was wir für die Reise benötigen.“
Elden verzog beim Gedanken an den finsteren Abstieg das Gesicht.
„Ich wollte, es gebe einen anderen Weg“, gab er zu.
„Glaubst du, mir macht das Spaß?“, keifte der Zauberer und griff sich mit einem Schmerzenslaut in den Rücken. „Ich hätte Trogat mitnehmen sollen, damit er mich trägt.“ Er fluchte lästerlich. „Und ihn dann den Unwesen auf der Treppe zum Fraß vorwerfen.“ Er grinste bei dem Gedanken.
Wedekind ließ sich mit seinem Pferd zurück fallen, bis er neben Harbon ritt.
„Können wir bald eine Pause einlegen?“ Er richtete sich mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Steigbügeln seines Pferdes auf.
„Tut dir die Kehrseite weh, Wendelmann?“ Harbon gackerte vor Vergnügen. „Gewöhne dich daran, du wirst noch so manche Stunde im Sattel verbringen, bevor wir am Ziel sind. Wir machen bald eine Rast an der Handelsstation.“ Er deutete fahrig nach vorn.
Wedekind seufzte ergeben. Die Aussicht, noch mehr Zeit auf dem Rücken eines Pferdes zubringen zu müssen, schien ihm wenig erbaulich. Die Strapazen des Vortages waren nicht spurlos an ihm vorüber gegangen und die Nacht auf dem harten Waldboden hatte nur wenig Erholung gebracht. So war es ihm ganz lieb, dass Harbons Karren kein höheres Tempo zuließ. Dann hielt sich das „Geschaukel“, wie er es nannte, wenigstens in Grenzen – auch wenn sich dadurch die Zeit, die er im Sattel zubringen musste, verlängerte. Wie man es auch drehen und wenden mochte: Seine Situation war alles andere als erstrebenswert. Sehnsüchtig dachte er an die gemütlichen Novembertage in seinem Antiquariat zurück, wenn er mit einer Tasse heißem Tee vor sich auf dem kleinen runden Tisch durch das Schaufenster nach draußen sah und die Menschen beobachtete, die ihren Verrichtungen nachgingen. Diese Welt schien Jahre entfernt – und irgendwie war sie das ja auch.
Er sah sich nach den anderen um. Jolene hielt sich bewundernswert gut. Sie saß im Sattel, als habe sie nie etwas anderes gemacht. Lachte und scherzte gerade mit Berak, einem ihrer Begleiter, einem großen breitschultrigen Mann, der eine Axt mit sich trug, die im Moment an seinem Sattel befestigt war. Jules hatte den ganzen Morgen noch kein Wort gesprochen. Wedekind wusste nicht so recht, was er von dem jungen Franzosen halten sollte. Er hatte nach ihrem Aufbruch am Morgen versucht, ein Gespräch mit ihm zu führen, ihn nach seiner Heimat gefragt, seinem Leben dort. Allein, er hatte nur trotziges Schweigen geerntet, so als sei Jules entschlossen, diese fremde Welt ab sofort mit Nichtachtung zu strafen, und dabei auch seine Weggefährten nicht auszunehmen. Möglicherweise hatte Jules auch Schmerzen, denn seine Nase war angeschwollen und die obere Gesichtshälfte erstrahlte in allen Farben des Regenbogens. Was immer auch am Vorabend geschehen war, Jules' Stimmung war dadurch nicht besser geworden.
Zum Glück für die ungeübten Reiter war der Weg nicht allzu schwer. Es handelte sich um eine offenbar häufiger benutzte Straße, die von Grolding in Richtung Südosten führte, hin zum Landbruch, nicht weit von der Stelle entfernt, die den beiden an die Packpferde gefesselten Männern am Vortag beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Wedekind lief ein kalter Schauer über den Rücken, als er daran dachte. Er hatte natürlich nichts von dem Abgrund gewusst, auf den die Pferde mit ihren hilflosen „Passagieren“ zu gestürmt waren. Im Nachhinein war er froh über diese Tatsache.
Wieder fiel sein Blick auf Jules. Er konnte ja verstehen, dass der junge Mann aufgrund der unglaublichen Vorfälle verwirrt und auch ein wenig wütend auf sein Schicksal war, aber gerade Elden gegenüber, der ihnen nur einen Tag zuvor das Leben gerettet hatte, hätte er doch auch vom Franzosen etwas Dankbarkeit erwartet. Jules allerdings brachte dem großgewachsenen Mann nur offene Ablehnung entgegen.
Wedekind selbst fühlte sich immer noch ein wenig wie in einem Traum, so als könne er im nächsten Moment in seinem alten Volvo erwachen, in den Morgennebel des beginnenden Novembertages blinzeln und über den merkwürdigen Traum den Kopf schütteln. Aber es war ihm inzwischen klar geworden – und sein Sitzfleisch legte davon schmerzhaft Zeugnis ab -, dass dies die Realität war, wenn auch eine Realität, die absonderlicher kaum hätte sein können.
„Wir sind gleich am Handelsposten, Weidenschuss“, unterbrach die Stimme des Zauberers seine Gedanken. Die alte Frau nickte mit dem Kopf in Fahrtrichtung. Sie waren um einen kleinen Hügel herum gekommen und jetzt konnte man in einigen hundert Metern Entfernung drei flache Holzgebäude erkennen.
Bei einem der Gebäude schien es sich um einen Stall zu handeln. Es grenzte unmittelbar an eine Koppel, in der etwa ein halbes Dutzend Pferde graste. Das mittlere und größte der Gebäude barg offensichtlich die eigentliche Handelsstation, während im dritten möglicherweise Waren gelagert wurden. Jedenfalls vermutete Wedekind das, da das Gebäude keinerlei Fenster aufwies.. Alle drei Gebäude waren aus grob behauenen Baumstämmen in Form von Blockhäusern errichtet und machten einen stabilen, trutzigen Eindruck.
Als sie näher kamen, konnte der Antiquar erkennen, dass auf der Veranda des mittleren Gebäudes ein bärtiger Mann auf einer Bank saß. Er rauchte eine Pfeife und blickte ihnen neugierig entgegen. Als sie das Haus erreichten, stand er auf und kam gemächlichen Schrittes auf sie zu. Dass Elden und seine Männer bewaffnet waren, schien ihn nicht zu stören, aber Wedekind wusste inzwischen, dass dies in Trimandar an der Tagesordnung war. Ängstlich sah er zumindest nicht aus. Er war von mittlerer Größe und Statur. Sein wuscheliges Haupthaar war genauso wie der Vollbart von grauen Strähnen durchzogen. Er trug die schlichte Leinenkleidung, die Wedekind in Trimandar schon häufig gesehen hatte, und seine Füße steckten in groben Lederschuhen. Die tief in den Höhlen liegenden Augen musterten die Ankömmlinge neugierig.
„Einen guten Tag wünsche ich euch, gute Leute.“ Seine Stimme war tief und wohlklingend. „Ich bin Rogas, der Eigentümer des Handelspostens. Was kann ich heute für euch tun?“
Harbon kletterte mühsam von seinem Karren und die anderen stiegen von ihren Pferden. Wedekind streckte die schmerzenden Glieder, während der Zauberer auf Rogas zu humpelte.
„Sei gegrüßt, Rogas. Lange nicht gesehen.“ Er lachte, weil er genau wusste, dass ihn der Händler in dieser Gestalt nicht erkennen würde. Rogas schaute ihn fragend an.
„Ich wüsste nicht, dass wir uns kennen“, meinte er verwundert und schaute in die Runde. „Keinen von euch“, ergänzte er.
Harbon gackerte erneut.
„Ich bin es, Harbon aus Torfing.“
Verwundert kratzte sich Rogas am Kopf und schaute den Zauberer mit großen Augen an. Dann grinste er.
„Du kannst mir viel erzählen, alte Frau!“
Harbon verzog das Gesicht.
„Glaube es nur, Rogas. Als ich das letzte Mal hier war, habe ich die Nacht hier verbracht, wir haben recht nett gezecht.“ Er lachte. „Damals war gerade dein bestes Pferd gestorben.“
„Das stimmt.“ Der Händler schien noch verwunderter. „Aber wie …?“
„Frag nicht“, forderte Harbon ihn auf und seine Handbewegung ließ keine Zweifel aufkommen, dass dieses Thema damit für ihn erledigt war. „Wir haben nicht lange Zeit. Wir benötigen alle Fackeln, die du uns verkaufen kannst. Dazu einige Vorräte, Rucksäcke und Feldflaschen oder Trinkschläuche. Außerdem würden wir gerne unsere Pferde und das Banta versorgen, bevor wir weiter ziehen.“
Rogas schüttelte seine Verwunderung ob der Aussicht auf ein gutes Geschäft rasch ab.
„Selbstverständlich, Harbon. Tretet ein. Ich rufe meine Knechte. Die werden eure Tiere versorgen.“
Etwa eine Stunde später – Wedekind konnte nur schätzen, da er ja seine Uhr nicht mehr besaß – hatten sie eine reichliche Mahlzeit zu sich genommen und die eingekauften Waren, die Wedekind bezahlt hatte, waren auf die Pferde verteilt. Sie verabschiedeten sich von Rogas und machten sich wieder auf den Weg.
„Ich hoffe, wir erreichen die Pforte noch bei Tageslicht“, meinte Harbon zu Elden, der wieder neben dem Karren ritt. „Ich war lange nicht dort und möchte nicht im Dunkeln nach einem Lagerplatz für die Nacht suchen müssen.“
„Wenn du mal ein wenig Gas geben würdest, wäre das sicher kein Problem“, meinte Wedekind, der sein Pferd auf die andere Seite von Harbons Gefährt gelenkt hatte.
„Was meinst du, Wendehals?“ Harbon schaute den kleinen Mann fragend an. „Was willst du mit irgendwelchem Gas?“
Wedekind lachte.
„Das ist eine Redewendung aus unserer Welt. Sie bedeutet, du sollst dich etwas beeilen, wenn du schon weißt, dass du langsam bist.“
Harbon bedachte ihn mit einer Reihe von unflätigen Flüchen, beruhigte sich aber schnell wieder.
„Bald ist es vorbei mit den Späßen, Wetterschund, das sage ich dir. Wenn ich meine eigentliche Gestalt wieder habe, werde ich über dich lachen. Warte nur ab, wenn du ein paar Tage im Sattel hinter dir hast.“ Er lachte hämisch.
Wedekind verzog das Gesicht, aber ihm fiel keine schlagfertige Erwiderung ein. Harbon hatte Recht und der Antiquar dachte mit Grausen daran, wie sich seine Kehrseite anfühlen würde. Er konnte nur hoffen, dass er sich mit der Zeit an diese für ihn ungewöhnliche Art der Fortbewegung gewöhnen würde.
Widrigkeiten. Erreicht die Stätte des Wissens
und öffnet das Buch der vier Siegel.
(Buch der Prophezeiung)
Nach einem einfachen Frühstück hatten sie sich getrennt. Der Hauptteil von Eldens Männern war in Richtung des Lagers aufgebrochen, um dieses abzuschlagen und mit den dort Zurückgebliebenen zur Zuflucht in Disternes aufzubrechen. Isork war mit fünf anderen Männern zur Bewachung der Gardisten zurück geblieben. Kurz danach hatte sich Harbon mit Elden, zwei seiner Männer, Wedekind, Jolene und einem trotzig schweigsamen Jules auf den Weg zum Landbruch gemacht.
Harbon lenkte wieder seinen Bantakarren, während die anderen auf Gardepferden saßen, die sie sich „ausgeliehen“ hatten. Elden ritt neben dem Karren. Er hatte seinen Bogen und den Pfeilköcher am Sattel befestigt und trug sein Schwert am Gürtel.
Sie kamen nur langsam voran, da Harbon mit seinem Karren nicht schneller fahren konnte. Der Zauberer fluchte ein ums andere Mal.
„Zum Glück ist es der letzte Tag, den ich auf diesem verfluchten Karren zubringen muss“, schimpfte er. Dann wandte er sich an Elden.
„Wir müssen in der Handelsstation von Rogas Halt machen. Dort versorgen wir uns mit allem, was wir für die Reise benötigen.“
Elden verzog beim Gedanken an den finsteren Abstieg das Gesicht.
„Ich wollte, es gebe einen anderen Weg“, gab er zu.
„Glaubst du, mir macht das Spaß?“, keifte der Zauberer und griff sich mit einem Schmerzenslaut in den Rücken. „Ich hätte Trogat mitnehmen sollen, damit er mich trägt.“ Er fluchte lästerlich. „Und ihn dann den Unwesen auf der Treppe zum Fraß vorwerfen.“ Er grinste bei dem Gedanken.
Wedekind ließ sich mit seinem Pferd zurück fallen, bis er neben Harbon ritt.
„Können wir bald eine Pause einlegen?“ Er richtete sich mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Steigbügeln seines Pferdes auf.
„Tut dir die Kehrseite weh, Wendelmann?“ Harbon gackerte vor Vergnügen. „Gewöhne dich daran, du wirst noch so manche Stunde im Sattel verbringen, bevor wir am Ziel sind. Wir machen bald eine Rast an der Handelsstation.“ Er deutete fahrig nach vorn.
Wedekind seufzte ergeben. Die Aussicht, noch mehr Zeit auf dem Rücken eines Pferdes zubringen zu müssen, schien ihm wenig erbaulich. Die Strapazen des Vortages waren nicht spurlos an ihm vorüber gegangen und die Nacht auf dem harten Waldboden hatte nur wenig Erholung gebracht. So war es ihm ganz lieb, dass Harbons Karren kein höheres Tempo zuließ. Dann hielt sich das „Geschaukel“, wie er es nannte, wenigstens in Grenzen – auch wenn sich dadurch die Zeit, die er im Sattel zubringen musste, verlängerte. Wie man es auch drehen und wenden mochte: Seine Situation war alles andere als erstrebenswert. Sehnsüchtig dachte er an die gemütlichen Novembertage in seinem Antiquariat zurück, wenn er mit einer Tasse heißem Tee vor sich auf dem kleinen runden Tisch durch das Schaufenster nach draußen sah und die Menschen beobachtete, die ihren Verrichtungen nachgingen. Diese Welt schien Jahre entfernt – und irgendwie war sie das ja auch.
Er sah sich nach den anderen um. Jolene hielt sich bewundernswert gut. Sie saß im Sattel, als habe sie nie etwas anderes gemacht. Lachte und scherzte gerade mit Berak, einem ihrer Begleiter, einem großen breitschultrigen Mann, der eine Axt mit sich trug, die im Moment an seinem Sattel befestigt war. Jules hatte den ganzen Morgen noch kein Wort gesprochen. Wedekind wusste nicht so recht, was er von dem jungen Franzosen halten sollte. Er hatte nach ihrem Aufbruch am Morgen versucht, ein Gespräch mit ihm zu führen, ihn nach seiner Heimat gefragt, seinem Leben dort. Allein, er hatte nur trotziges Schweigen geerntet, so als sei Jules entschlossen, diese fremde Welt ab sofort mit Nichtachtung zu strafen, und dabei auch seine Weggefährten nicht auszunehmen. Möglicherweise hatte Jules auch Schmerzen, denn seine Nase war angeschwollen und die obere Gesichtshälfte erstrahlte in allen Farben des Regenbogens. Was immer auch am Vorabend geschehen war, Jules' Stimmung war dadurch nicht besser geworden.
Zum Glück für die ungeübten Reiter war der Weg nicht allzu schwer. Es handelte sich um eine offenbar häufiger benutzte Straße, die von Grolding in Richtung Südosten führte, hin zum Landbruch, nicht weit von der Stelle entfernt, die den beiden an die Packpferde gefesselten Männern am Vortag beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Wedekind lief ein kalter Schauer über den Rücken, als er daran dachte. Er hatte natürlich nichts von dem Abgrund gewusst, auf den die Pferde mit ihren hilflosen „Passagieren“ zu gestürmt waren. Im Nachhinein war er froh über diese Tatsache.
Wieder fiel sein Blick auf Jules. Er konnte ja verstehen, dass der junge Mann aufgrund der unglaublichen Vorfälle verwirrt und auch ein wenig wütend auf sein Schicksal war, aber gerade Elden gegenüber, der ihnen nur einen Tag zuvor das Leben gerettet hatte, hätte er doch auch vom Franzosen etwas Dankbarkeit erwartet. Jules allerdings brachte dem großgewachsenen Mann nur offene Ablehnung entgegen.
Wedekind selbst fühlte sich immer noch ein wenig wie in einem Traum, so als könne er im nächsten Moment in seinem alten Volvo erwachen, in den Morgennebel des beginnenden Novembertages blinzeln und über den merkwürdigen Traum den Kopf schütteln. Aber es war ihm inzwischen klar geworden – und sein Sitzfleisch legte davon schmerzhaft Zeugnis ab -, dass dies die Realität war, wenn auch eine Realität, die absonderlicher kaum hätte sein können.
„Wir sind gleich am Handelsposten, Weidenschuss“, unterbrach die Stimme des Zauberers seine Gedanken. Die alte Frau nickte mit dem Kopf in Fahrtrichtung. Sie waren um einen kleinen Hügel herum gekommen und jetzt konnte man in einigen hundert Metern Entfernung drei flache Holzgebäude erkennen.
Bei einem der Gebäude schien es sich um einen Stall zu handeln. Es grenzte unmittelbar an eine Koppel, in der etwa ein halbes Dutzend Pferde graste. Das mittlere und größte der Gebäude barg offensichtlich die eigentliche Handelsstation, während im dritten möglicherweise Waren gelagert wurden. Jedenfalls vermutete Wedekind das, da das Gebäude keinerlei Fenster aufwies.. Alle drei Gebäude waren aus grob behauenen Baumstämmen in Form von Blockhäusern errichtet und machten einen stabilen, trutzigen Eindruck.
Als sie näher kamen, konnte der Antiquar erkennen, dass auf der Veranda des mittleren Gebäudes ein bärtiger Mann auf einer Bank saß. Er rauchte eine Pfeife und blickte ihnen neugierig entgegen. Als sie das Haus erreichten, stand er auf und kam gemächlichen Schrittes auf sie zu. Dass Elden und seine Männer bewaffnet waren, schien ihn nicht zu stören, aber Wedekind wusste inzwischen, dass dies in Trimandar an der Tagesordnung war. Ängstlich sah er zumindest nicht aus. Er war von mittlerer Größe und Statur. Sein wuscheliges Haupthaar war genauso wie der Vollbart von grauen Strähnen durchzogen. Er trug die schlichte Leinenkleidung, die Wedekind in Trimandar schon häufig gesehen hatte, und seine Füße steckten in groben Lederschuhen. Die tief in den Höhlen liegenden Augen musterten die Ankömmlinge neugierig.
„Einen guten Tag wünsche ich euch, gute Leute.“ Seine Stimme war tief und wohlklingend. „Ich bin Rogas, der Eigentümer des Handelspostens. Was kann ich heute für euch tun?“
Harbon kletterte mühsam von seinem Karren und die anderen stiegen von ihren Pferden. Wedekind streckte die schmerzenden Glieder, während der Zauberer auf Rogas zu humpelte.
„Sei gegrüßt, Rogas. Lange nicht gesehen.“ Er lachte, weil er genau wusste, dass ihn der Händler in dieser Gestalt nicht erkennen würde. Rogas schaute ihn fragend an.
„Ich wüsste nicht, dass wir uns kennen“, meinte er verwundert und schaute in die Runde. „Keinen von euch“, ergänzte er.
Harbon gackerte erneut.
„Ich bin es, Harbon aus Torfing.“
Verwundert kratzte sich Rogas am Kopf und schaute den Zauberer mit großen Augen an. Dann grinste er.
„Du kannst mir viel erzählen, alte Frau!“
Harbon verzog das Gesicht.
„Glaube es nur, Rogas. Als ich das letzte Mal hier war, habe ich die Nacht hier verbracht, wir haben recht nett gezecht.“ Er lachte. „Damals war gerade dein bestes Pferd gestorben.“
„Das stimmt.“ Der Händler schien noch verwunderter. „Aber wie …?“
„Frag nicht“, forderte Harbon ihn auf und seine Handbewegung ließ keine Zweifel aufkommen, dass dieses Thema damit für ihn erledigt war. „Wir haben nicht lange Zeit. Wir benötigen alle Fackeln, die du uns verkaufen kannst. Dazu einige Vorräte, Rucksäcke und Feldflaschen oder Trinkschläuche. Außerdem würden wir gerne unsere Pferde und das Banta versorgen, bevor wir weiter ziehen.“
Rogas schüttelte seine Verwunderung ob der Aussicht auf ein gutes Geschäft rasch ab.
„Selbstverständlich, Harbon. Tretet ein. Ich rufe meine Knechte. Die werden eure Tiere versorgen.“
Etwa eine Stunde später – Wedekind konnte nur schätzen, da er ja seine Uhr nicht mehr besaß – hatten sie eine reichliche Mahlzeit zu sich genommen und die eingekauften Waren, die Wedekind bezahlt hatte, waren auf die Pferde verteilt. Sie verabschiedeten sich von Rogas und machten sich wieder auf den Weg.
„Ich hoffe, wir erreichen die Pforte noch bei Tageslicht“, meinte Harbon zu Elden, der wieder neben dem Karren ritt. „Ich war lange nicht dort und möchte nicht im Dunkeln nach einem Lagerplatz für die Nacht suchen müssen.“
„Wenn du mal ein wenig Gas geben würdest, wäre das sicher kein Problem“, meinte Wedekind, der sein Pferd auf die andere Seite von Harbons Gefährt gelenkt hatte.
„Was meinst du, Wendehals?“ Harbon schaute den kleinen Mann fragend an. „Was willst du mit irgendwelchem Gas?“
Wedekind lachte.
„Das ist eine Redewendung aus unserer Welt. Sie bedeutet, du sollst dich etwas beeilen, wenn du schon weißt, dass du langsam bist.“
Harbon bedachte ihn mit einer Reihe von unflätigen Flüchen, beruhigte sich aber schnell wieder.
„Bald ist es vorbei mit den Späßen, Wetterschund, das sage ich dir. Wenn ich meine eigentliche Gestalt wieder habe, werde ich über dich lachen. Warte nur ab, wenn du ein paar Tage im Sattel hinter dir hast.“ Er lachte hämisch.
Wedekind verzog das Gesicht, aber ihm fiel keine schlagfertige Erwiderung ein. Harbon hatte Recht und der Antiquar dachte mit Grausen daran, wie sich seine Kehrseite anfühlen würde. Er konnte nur hoffen, dass er sich mit der Zeit an diese für ihn ungewöhnliche Art der Fortbewegung gewöhnen würde.