30 Jahre

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Anonym

Gast
30 Jahre

"Jetzt fühle ich mich wieder mal ganz schön alt", sage ich und grinse.

Du hattest nachgerechnet, dass wir uns seit genau dreißig Jahren kennen.

Eigentlich wollte ich sagen: "Und ich war damals so verliebt in dich!". Doch stattdessen machte ich einen Spruch und schweige nun. Unsere Blicke begegnen sich. Wir lächeln. Ein leichtes Kribbeln ist immer noch da, wenn ich dich treffe.

Wir sprachen nie wieder über diese kurze Phase in unserem Leben. Diese Zeit, in der aus einer schon länger bestehenden Freundschaft mehr wurde. Allerdings war nach einer Woche, in der wir uns kaum sahen, bereits wieder alles vorbei. Zu mehr als ein paar Küssen und engen Umarmungen kam es nicht. Denn dann erklärtest du mir, dass du noch nicht so weit wärst, keine Beziehung haben wolltest. Das war's dann auch schon. Bald darauf zogst du für zwei Jahre wegen einer Ausbildung ans andere Ende der Republik. Wir blieben aber Freunde. – Zum Glück hörtest du auf deine Mutter, als sie dir riet, mich "warm" zu halten, wie du mir einmal augenzwinkernd erzähltest.

Dreißig Jahre ist das also her. Inzwischen bist du verheiratet, hast Kinder. Ich mag sie – und auch deinen Mann. Er ist von seiner Art her ein Quantensprung im Vergleich zu den anderen Typen, mit denen du nach mir zusammen warst. Ich hatte die Auswahl deiner Partner mit einer gewissen Sorge und auch Unverständnis beobachtet. Doch da ich mich befangen fühlte, sagte ich nichts. Dann lerntest du Carsten kennen. Bei eurer Hochzeit war ich Trauzeuge.

In den Jahren danach hattet ihr einige Krisen, aber in welcher Beziehung gibt es die nicht. Obwohl du darüber nur wenig erzähltest, spürte ich damals genau, dass es dir schlecht ging. Doch ich hatte immer das Gefühl, dass du auf dem richtigen Weg warst, und sich alles zum Guten wenden wird. So geschah es dann auch. Heute bist du ausgeglichen und in bester Laune. Ich kann mich aus tiefstem Herzen für dich freuen.

"Hast eine gute Wahl getroffen. Carsten ist ein prima Kerl", sage ich.

"Ja, manchmal!" antwortest du mit einem schelmischen Lächeln.

Und da ist es wieder, dieses leichte Kribbeln in meinem Bauch. – Weißt du eigentlich, dass es damals meine ersten Küsse waren?
 



 
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