33. Fahrendes Volk

Amadis

Mitglied
Der kräftige Mann lenkte den Wagen an die Seite der Straße und stieß einen lästerlichen Fluch aus. Der Reiter, der ihn begleitete, hielt sein Pferd ebenfalls an.
„Bei allen Windteufeln, Jor'ass!!“ Der Wagenlenker kletterte mit Mühe von seinem Kutschbock und verzerrte dabei vor offensichtlichem Schmerz das bärtige Gesicht zu einer Grimasse. „ Ich habe dir doch gleich gesagt, dass es keine gute Idee ist, in einer Garnisonsstadt der Garde ausgerechnet dieses Stück aufzuführen!“ Er hielt sich den Rücken und in seinem Gesicht konnte man einige gerötete Stellen erkennen, die sich wohl in den nächsten Stunden zu ausgewachsenen Blutergüssen entwickeln würden.
Der Reiter – Jor'ass – stieg von seinem Pferd. In seinem Gesicht zeigte sich eine blutunterlaufene Schramme und sein Wams bestand nur noch aus Fetzen.
„Diese dreimal verfluchten Gardisten sollen die Feuerdämonen verschlingen“, brummte er erbittert. Er war mittelgroß, schlank und wirkte drahtig. Seine Arme waren muskulös und sehnig und er hatte kurzes braunes Haar.
„Was hast du erwartet?“, fuhr ihn der andere an. „Etwa Humor? Bei Gardesoldaten?“ Er lachte freudlos auf.
In dem von einer Plane bedeckten Wagen rührte sich jetzt etwas und kurz darauf kletterten drei Personen heraus, die sich zu den beiden Männern gesellten. Die junge, rothaarige Frau grinste den Wagenlenker frech an.
„Tut der Rücken weh, Werla?“ Ihr Grinsen entblößte zwei Reihen perfekt weißer Zähne, die zu ihren roten Lippen kontrastierten. Ihr dunkler Teint und die grünen Augen verliehen ihr ein exotisches Aussehen und es war gut vorstellbar, dass sie schon so manches Männerherz in Mitleidenschaft gezogen hatte.
„Wir hätten dich zurücklassen sollen, Rocarla, damit sich die Gardisten etwas eingehender mit dir beschäftigen können.“ Er funkelte sie zornig an.
„Ach ja?“ Die Augen der Rothaarigen blitzten. „Dann hätte wohl Arkosch in der nächsten Stadt die Rolle der Syria gespielt?“ Sie deutete auf den schlaksigen jungen Mann, der neben ihr stand und gerade versuchte, sein angeschwollenes rechtes Auge mit einem feuchten Tuch notdürftig zu kühlen.
Der ältere Mann, der als letzter aus dem Wagen geklettert war, lächelte milde. Er war groß und hager, hatte einen Backenbart und wirres Haupthaar von silbergrauer Farbe. Seine Kleidung bestand aus einem langen, mit allerlei fremdartigen Schriftzeichen und Symbolen verzierten Mantel, dessen Grundfarbe wohl ein dunkles Rot war. Der Mantel stand vorn offen und gewährte den Blick auf schmutzig weiße Unterwäsche und bis fast zum Knie reichende, wollene Strümpfe. Seine Füße steckten in Pantoffeln, deren samtener Bezug wohl einmal mit verschiedenstem Zierat besetzt gewesen war. Jetzt zeugten davon nur noch einige Löcher und eine einsame Perle aus billigem, rotem Glas.
Werla, der sich weiterhin den Rücken hielt, schaute in die Runde.
„Na, auf jeden Fall haben Sie uns sehr eindeutig gezeigt, was sie von unserer Darbietung hielten.“ Er grinste ironisch, verzog aber sofort wieder schmerzerfüllt das Gesicht.
„An meiner Darbietung hat es sicher nicht gelegen“, behauptete Rocarla und machte ein beleidigtes Gesicht.
Der junge Arkosch brummte etwas Unverständliches. Seine rechte Gesichtshälfte schwoll mehr und mehr an und aus seiner aufgeplatzten Oberlippe quoll immer noch ein wenig Blut.
„Kümmere dich lieber um Arkosch“, schlug Werla bissig vor. „Während wir weiterfahren und einen Platz für die Nacht suchen.“ Er schaute zum Himmel. „Es wird schon bald dunkel sein. Kennst du hier in der Nähe einen geeigneten Platz, Sundasch?“ Er schaute den Alten fragend an.
Der kratzte sich am Kinn. Nach einer Weile blitzte es in seinen Augen auf.
„Ja, nur zwei oder drei Meilen entfernt gibt es nahe der Straße einen Ort, wo wir für die Nacht lagern können … wenn ich mich richtig erinnere.“ Wirklich überzeugt klang er nicht.
„Dann hoffen wir mal, dass du dich richtig erinnerst.“
Werla kletterte wieder auf den Kutschbock und die anderen verschwanden im Wagen, während Jor'ass auf sein Pferd stieg und voraus ritt.
Es dämmerte schon, als Sundasch, der mittlerweile neben Werla auf dem Kutschbock saß, einen Ruf ausstieß und nach rechts deutete.
„Dort, hinter den Büschen müsste es sein!“
Werla hielt den Wagen an und Jor'ass sprang von seinem Pferd. Vorsichtig näherte er sich den Büschen, grinste dann und teilte die Äste mit den Armen. Ein Weg kam zum Vorschein, den vor ihnen offenbar schon häufiger Reisende benutzt hatten. Jor'ass bog die Äste zur Seite und Werla lenkte das Zugpferd zwischen den Büschen hindurch auf einen etwa zwanzig Meter durchmessenden, fast kreisrunden Platz, der von Buschwerk umstanden war. Eine alte Feuerstelle zeugte von früheren Gästen dieses Ortes. Im Hintergrund erkannte Werla einen Bach. Er grunzte zufrieden.
„Hier bleiben wir“, entschied er und stieg vom Kutschbock. Sundasch tat es ihm gleich und auch Arkosch und Rocarla stiegen aus dem Wagen.
Jor'ass führte sein Pferd zum Bach und ließ es trinken. Als er sich gerade ebenfalls erfrischen wollte, schreckte er auf. Ein Rascheln und ein leises Stöhnen drang aus den naheliegenden Büschen an sein Ohr. Er richtete sich auf und lauschte in die beginnende Dunkelheit. Da war es wieder!
„Da stöhnt jemand!“ Er winkte Werla heran, der einen Knüppel aus dem Wagen nahm und zu Jor'ass hinüber ging.
„Wo?“, erkundigte sich der massige Mann und schaute sich suchend um.
„Irgendwo dort.“ Jor'ass deutete in die Büsche und schickte sich an, in die Richtung zu gehen, aus der er die Geräusche gehört hatte.
Werla folgte ihm.
„Sei vorsichtig“, forderte er Jor'ass auf.
Der schlanke Mann arbeitete sich behutsam durch die Äste der Büsche. Viel sehen konnte er nicht. Daher erschrak er, als er plötzlich über etwas stolperte und stürzte. Er stieß einen Fluch aus und kam schnell wieder auf die Beine. Dann schaute er nach, worüber er gestürzt war und fand zu seiner Überraschung, dass es ein am Boden liegender Mann war.
„Hier liegt jemand“, rief er zu Werla hinüber.
Er bückte sich und tastete in der Dunkelheit nach dem reglosen Körper. Ein erneutes Stöhnen des am Boden liegenden war die Reaktion. Dann wurde es plötzlich hell und als er aufblickte, stand Werla mit einer Fackel neben ihm. Der Mann am Boden regte sich. Er war noch jung, nicht weit jenseits der Zwanzig, hatte dunkles, kurzes Haar und trug einen feinen Oberlippenbart. An seinem Hinterkopf sah Jor'ass getrocknetes Blut. Wieder stöhnte der Mann und dann öffnete er die Augen. Sein Blick irrte umher, wirkte unstet.
„Wer … wo …?“ Seine Stimme war kaum hörbar.
„Bleib ruhig, wir helfen dir“, beruhigte ihn Werla und gab die Fackel an Arkosch weiter, der inzwischen hinzu getreten war.
„Lass ihn uns zur Feuerstelle tragen“, forderte Werla Jor'ass auf. „Geh voraus und bahne uns einen Weg, Arkosch.“ Der Junge nickte und tat, wie er geheißen wurde. Die beiden Männer trugen den Verletzten zur Feuerstelle, wo Rocarla inzwischen eine Decke ausgebreitet hatte. Sie legten ihn ab, was dem jungen Mann ein weiteres Stöhnen entlockte. Rocarla kniete sich neben ihn und untersuchte ihn im Schein der Fackel.
„Macht Feuer und setzt Wasser auf“, forderte sie ihre Begleiter auf, die sich sofort an die Arbeit machten.
Einige Minuten später prasselte ein Feuer. Rocarla hatte inzwischen saubere Tücher aus dem Wagen geholt und Werla hängte gerade den Wassertopf über das Feuer.
„Es wird noch eine Weile dauern, bis es heiß ist“, meinte er. „Wie geht es ihm?“
„Er ist wieder ohnmächtig. Er hat wohl einen fürchterlichen Schlag auf den Kopf bekommen.“
Sundasch kam vom Wagen herüber. Er hatte einen Becher und ein ledernes Säckchen in den Händen.
„Wenn das Wasser heiß ist, bereite ich ihm einen Trank. Der wird ihm helfen.“
„Na, hoffentlich bringst du ihn nicht endgültig um“, unkte Jor'ass. Er drehte sich zu Arkosch um. „Mach dich nützlich, sammele noch etwas trockenes Holz!“
Als das Wasser heiß genug war, füllte Rocarla etwas in eine flache Schale und begann, vorsichtig die Verletzung des Ohnmächtigen zu reinigen.
„Reiße dieses Tuch in schmale Streifen“, forderte sie Werla auf. „Wir brauchen etwas, womit wir seine Wunde verbinden können.“
Als sie gerade mit dem Verband fertig war, begann der Verletzte, sich zu regen, stöhnte mehrmals und schlug dann die Augen auf.
„Bleib ruhig liegen!“ Rocarla drückte ihn sanft nieder, als er versuchte, sich aufzurichten. „Du wurdest verletzt. Kannst du mir deinen Namen sagen?“
„Durst“, krächzte der Verletzte.
„Komischer Name“, brummte Werla, reichte Rocarla aber einen Wasserschlauch, aus dem sie dem Verletzten vorsichtig zu trinken gab. Der junge Mann nickte dankbar.
„Mein Name ist Marc“, sagte er schwach.
„Na, das ist auch nicht viel besser“, meinte Werla.
Arkosch kam mit einigen trockenen Zweigen zurück, die er neben dem Feuer aufstapelte.
„Du solltest nichts über die Namen anderer Leute sagen, Werla.“ Er grinste. „Dein Name macht auch nicht viel her.“
Der kräftige Mann richtete sich drohend auf.
„Ich hab dir schon einmal gesagt, du sollst dich nicht über meinen Namen lustig machen, Bürschchen!“
„Du musst doch zugeben, dass du dafür zu viel gezahlt hast.“
Er wich dem Schlag von Werla spielerisch aus, lachte und hob beschwichtigend die Hände.
„Schon gut, reg dich ab.“
„Hört auf mit dem Unsinn. Ihr führt euch auf wie Kinder.“ Jor'ass schüttelte den Kopf.
Rocarla beugte sich wieder über Marc.
„Woher kommst du, Marc, und was ist geschehen?“
„Ich habe keine Ahnung, was passiert ist. Ich bin gestürzt und dann vorhin wieder zu mir gekommen. Ich komme aus Montpellier. Wo bin ich hier?“
 
Seine Kleidung bestand aus einem langen, mit allerlei fremdartigen Schriftzeichen und Symbolen verzierten Mantel, dessen Grundfarbe wohl ein dunkles Rot war.
Wieso war die Grundfarbe des Mantels „wohl“ ein dunkles rot? War die Farbe schon stark verblasst oder waren so viele Symbole auf dem Mantel, dass das rot nur an ein paar kleineren Stellen „durchschien“?

„Hört auf mit dem Unsinn(!) Ihr führt euch auf wie Kinder.“ Jor'ass schüttelte den Kopf.
„Ich habe keine Ahnung, was passiert ist. Ich bin gestürzt und dann vorhin wieder zu mir gekommen. Ich komme aus Montpellier. Wo bin ich hier?“
Na das ist aber interessant! Mir dünkt Jules ist nicht der, für den ihn alle halten, obwohl er den Ring des Alten Geschlechts trägt.
 



 
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