Wedekind fühlte sich seit dem Vorfall mit den Insekten ausgesprochen Unwohl. So hatte er sich früher gefühlt, wenn er nachts in seinem dunklen Zimmer lag und wusste, dass sich Stechmücken im Raum befanden. Ständig fühlte er ein Jucken hier, ein Kribbeln dort, hörte das Summen der Insekten, oder zumindest meinte er, es zu hören. Er hasste dieses Gefühl, und seine Nackenhaare stellten sich auf, als er direkt hinter Harbon her eine Stufe nach der anderen hinunter in die dunkle Tiefe stieg.
Den anderen schien es nicht viel besser zu ergehen, denn nach anfänglichen, eher verkrampft wirkenden Versuchen, ein Gespräch in Gang zu bringen, schwiegen sie nun schon seit geraumer Zeit. Man hörte nur das Atmen der Menschen und ihre Schritte auf den breiten Stufen der ewig scheinenden Treppe.
Er schloss zu Harbon auf.
„Haben wir irgendeinen Anhaltspunkt, wie weit wir schon gekommen sind und wie weit es noch ist?“
„Wird es langweilig, Wandersmann?“ Der Zauberer lachte. „Besonders abwechslungsreich ist es wirklich nicht. Ich denke, wir sollten etwa ein Drittel der Strecke hinter uns haben.“
„Ein Drittel.“ Wedekind versuchte, nicht zu enttäuscht zu klingen. Unbewusst griff er nach seinen Oberschenkeln, die seit einer Weile schmerzten. 'Das gibt einen teuflischen Muskelkater', dachte er. Er war sich nicht sicher, ob das besser sein würde, als ein vom Reiten schmerzendes Hinterteil. Laut sagte er: „Was hältst du von einer Pause, großer Zauberer?“
Harbon nickte.
„Am nächsten Absatz pausieren wir, Wendelmann.“
Wedekind schätzte, dass es noch fast eine halbe Stunde dauerte – er wünschte sich zum wiederholten Male, seine Taschenuhr nicht verpfändet zu haben – , bis sie diesen Absatz, eine Verbreiterung der Treppe und eine weitere Felsbrücke, die hinüber zu einer Türöffnung in der Felswand führte, erreichten. Diesmal äußerte niemand den Wunsch, die Felskammern hinter der Tür zu untersuchen. Die Gefährten hatten nach den gemachten Erfahrungen kein Interesse an einer erneuten Begegnung mit den widerlichen Gliedertieren – oder etwas noch Schlimmerem.
Wedekind ließ sich aufseufzend auf einen der abgeflachten Felsen nieder und nahm seinen Rucksack vom Rücken. Die übrigen taten es ihm gleich und ihm fiel auf, dass Berkan schmerzerfüllt das Gesicht verzerrte, wenn er sich unbeobachtet glaubte.
Er drehte sich zu Harbon um.
„Berkan geht es schlecht“, sagte er leise.
Der Zauberer nickte.
„Ich weiß. Ich fürchte, er wird nicht mehr lange laufen können.“ Er warf aus dem Augenwinkel einen Blick hinüber zu dem kräftigen Mann, der sich gerade mit Elden unterhielt und dabei versuchte, sich nichts von seinen Schmerzen anmerken zu lassen. Wedekinds Blick traf auf Eldens und er bemerkte Sorge in den Augen des großgewachsenen Mannes. Offenbar war ihm der zunehmend schlechte Zustand seines Freundes nicht verborgen geblieben.
„Was ist das?“, fragte Jolene plötzlich und deutete auf einen Punkt hinter Wedekinds Rücken. Obwohl die junge Frau nicht besorgt, sondern eher ein wenig belustigt wirkte, fuhr Wedekind erschrocken herum.
Auf einem kleinen Felsvorsprung saß ein winziges Wesen von vielleicht zehn Zentimeter Körperhöhe. Es sah fast aus wie ein kleiner Mann mit einem lustigen runden Kopf und großen, dunklen Augen, hatte aber ledrige Flügel wie eine Fledermaus. Der kleine Flugmann musterte die Eindringlinge neugierig. Harbon fluchte und sprang auf, als er das kleine Wesen gewahrte, hob den Stab und murmelte einige leise Worte. Aus der Spitze des Stabes fauchte ein Lichtblitz, der das kleine Wesen traf und in Asche verwandelte.
Seine Begleiter schauten ihn erschrocken an.
„Was sollte das denn?“, erkundigte sich Jolene und in ihrer Stimme schwang Zorn. „War das nötig?“ Sie schaute den Zauberer unverwandt an.
„Oh ja, meine Liebe, das war sehr nötig, aber ich fürchte, es war schon zu spät.“ Er schaute sich suchend um und erhöhte die Leuchtkraft seines Syrill. „Auf die Füße mit euch und zieht eure Schwerter.“
„Was …?“, begann Wedekind, aber der Zauberer schnitt ihm mit einer unwirschen Geste das Wort ab. Seine Stimme klang gehetzt, als er erklärte:
„Das war ein Höhlenmock. Diese Parasiten leben in Symbiose mit Wesen, die man als Cyrrt bezeichnet. Zwischen den Cyrrt und den Mock besteht eine empathische Verbindung. Die Mock haben sehr gute Augen und können sogar in fast völliger Dunkelheit sehen. Sie spüren für die fast blinden Cyrrt Beute auf. Die Cyrrt fühlen über die empathische Verbindung, sobald die Mock fündig geworden sind. Ich wette, es dauert nicht lange ...“ Er brachte den Satz nicht zuende, denn in diesem Moment stürzten sich aus dem Dunkel jenseits des Lichtkreises zwei monströse Wesen auf die Gruppe. Wedekind sah nur riesige, Fledermaus artige Flügel, mit Reißzähnen bewehrte Kiefer und offensichtlich Rasiermesser scharfe Klauen. Dann warf er sich zu Boden, um dem Angriff des ersten Monstrums zu entgehen. Er hörte einen fürchterlichen Schrei, warf sich herum und versuchte, wieder auf die Füße zu kommen und gleichzeitig das kurze Schwert, das er am Gürtel trug, zu ziehen. Aus den Augenwinkeln sah er einen Körper am Boden liegen, aber darum konnte er sich nicht kümmern, denn ein riesiger schwarzer Schatten stieß auf ihn herab. Wedekind hob das Schwert und begann, wild um sich zu schlagen, war sich aber gleichzeitig sicher, dass er gleich sterben würde. Er traf etwas mit dem Schwert und die Waffe wurde ihm aus der Hand gerissen. Beinahe gleichzeitig flammte ein Sonnen heller Blitz auf, der das auf ihn zu rasende Wesen traf und in einen flammendes, sich windendes Etwas verwandelte. Das Monstrum kam vom Kurs ab, verfehlte Wedekind um etwa einen Meter und prallte seitlich gegen die Felswand. Wedekind spürte die Hitze der Flammen und rollte sich zur Seite. Das Wesen stieß einen schrillen Schrei des Schmerzes aus, versuchte offenbar, wieder an Höhe zu gewinnen, war aber wohl durch die Flammen so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass es nur noch jämmerlich flatterte und neben der Felsbrücke in die Tiefe stürzte. Wedekind brauchte einige Sekunden, um sich von dem Schock zu erholen, sein Schwert vom Boden aufzuheben und sich umzuschauen. Sein Gesicht fühlte sich an, als sei er unter einem Gesichtsbräuner eingeschlafen. Die Haut spannte und vor seinen Augen drehten sich bunte Kreise.
Harbon stand einige Meter entfernt und hatte den Stab erhoben. Gerade zuckte ein weiterer Blitz in Richtung des zweiten Angreifers, verfehlte ihn aber. Wedekind sah eine Gestalt am Boden liegen, konnte aber mit seinen geblendeten Sinnen nicht erkennen, um wen es sich handelte. Das riesige Tier fuhr zwischen die Gefährten, die mit ihren Schwertern auf es einschlugen. Wedekind setzte sich fast automatisch in Bewegung, um den anderen beizustehen. Wie genau er das anfangen wollte, wusste er selbst nicht. Noch bevor er die Gruppe der Freunde erreichte, hob sich das Monstrum vom Boden ab und floh, ein Bündel in seinen Klauen haltend.
Dann wurde es schlagartig ruhig. All das hatte – wenn Wedekind recht überlegte – vielleicht eine Minute gedauert.
In Wedekinds Ohren rauschte das Blut, sein Herz schlug bis zum Hals und er konnte noch immer nicht deutlich sehen. Harbon beugte sich über die am Boden liegende Gestalt, richtete sich aber fast sofort wieder auf und schüttelte den Kopf. Die übrigen Gefährten ließen sich schwer atmend auf den umliegenden Felsen nieder und senkten die Köpfe.
Wedekind wankte näher, seine Augen beruhigten sich langsam und er erkannte, dass es sich bei der am Boden liegenden Person um Berkan handelte. Er wandte sich von Grauen erfüllt ab. Der Mann war tot, daran konnte es keinen Zweifel geben. Die Klauen des Monstrums hatten ihn förmlich zerfetzt. Wedekind sank schwer zu Boden, in seinem Kopf war nur Leere.
„Bist du in Ordnung?“
Die Stimme schien von weit her zu kommen und Wedekind bemerkte erst nach einer Weile, dass die Frage ihm galt. Er nickte schwer und blickte zu Harbon auf, der ihn besorgt anschaute.
„Ja, nichts passiert … mir zumindest nicht.“
Wieder packte ihn das Grauen. Er war sicher, dass er den Anblick Berkans bis ans Ende seiner Tage nicht würde vergessen können. Wedekind schaute in die Runde.
„Sind alle wohlauf?“ Er schaute Harbon fragend an.
Der Zauberer senkte den Kopf. Dann schaute er dem Antiquar in die Augen.
„Das Biest hat Jules erwischt.“ Mehr nicht.
Eine eiskalte Hand schien nach Wedekinds Herz zu greifen, es in einen Klumpen aus purem Eis zu verwandeln.
„Ist er schwer verletzt?“, erkundigte er sich zaghaft, bereits ahnend, dass „erwischt“ im Fall von Jules eine andere Bedeutung hatte.
„Das Monster hat ihn mitgenommen!“ Jolene klang gleichzeitig geschockt, angeekelt und zornig..
Wedekind brauchte lange, bis er wieder sprechen konnte.
„Ist er …?“ Er schaute Harbon an.
Der Zauberer schüttelte den Kopf.
„Er lebte noch, aber er hat keine Chance. Das Cyrrt wird ihn zu seinem Nest bringen und wenn er dann noch lebt ...“
Harbon ließ den Rest offen.
Wedekind kam schwankend auf die Beine.
„Wir müssen ihm nach, ihn suchen, ihn ….“ Retten! … wollte er sagen ... schreien! Aber das Wort fand nicht den Weg aus seinem Mund … Er fühlte sich hilflos und schaute den Zauberer hoffnungsvoll an. Aber Harbons Gesichtsausdruck ließ die Hoffnung schnell schwinden, zu namenlosem Entsetzen und Verzweiflung werden.
„Das ist sinnlos, Wedekind.“ Die Stimme des Zauberers klang spröde. „Es gibt keine Möglichkeit, ihn zu retten.“
„Aber …“ Wedekind schaut von einem zum anderen. „Wir können doch nicht einfach aufgeben?“ Verzweifelt packte er Harbon am Arm.
„Ich weiß, wie du dich fühlst, mein Freund. Mir geht es nicht anders. Aber wir haben keine Alternative. Es bleibt uns nur, weiterzugehen.“
Ein neuer Gedanke schoss wie ein schmerzhafter Blitz durch Wedekinds Gehirn.
„Werden diese … Cyrrt … nicht wieder kommen? Vielleicht mit Verstärkung?“
Harbon schüttelte den Kopf.
„Cyrrt sind keine Herdentiere. Sie leben und jagen immer in kleinen Gruppen von maximal drei Wesen. In dem Fall waren es wohl nur zwei, sonst hätten uns alle angegriffen. Eines haben wir getötet, das andere ist nur knapp entkommen. Es wird nicht zurückkehren.“
„Und wie geht es nun weiter, Zauberer?“ Das war Elden. Das Gesicht des hochgewachsenen Mannes wirkte grau im Licht des Syrill. „Einer der Vier ist tot. Was sagt die Prophezeiung dazu?“ Seine Stimme war tonlos.
Harbon atmete tief durch.
„Nun, das Buch der Prophezeiung ist oft nicht einfach zu deuten. Wir müssen in jedem Fall weiter, auch wenn wir unsere beiden verlorenen Gefährten natürlich vermissen werden.“
Die Worte hörten sich platt und bedeutungslos an, aber Wedekind war bewusst, dass man in einer solchen Situation nichts sagen konnte, das sich besser und sinnvoller angehört hätte.
„Was wird mit Berkan?“ Jolene legte den Finger in die Wunde, allen war klar, dass Sie den toten Gefährten nicht würden mitnehmen können.
Elden stand auf und blieb vor der Leiche seines Freundes stehen. Dann schaute er Harbon an.
„Kannst du ihn verbrennen? Ich möchte nicht, dass diese Monstren ihn bekommen. Es wäre sicher in seinem Sinn.“ Er senkte den Kopf.
Harbon überlegte einen Moment, dann nickte er.
„Tretet beiseite!“, forderte er die Freunde auf. Als diese seiner Aufforderung gefolgt waren, warf er einen bedauernden Blick auf Berkan, bevor er den Stab hob und einige leise Worte murmelte. Ein Blitz fuhr aus der Spitze des Stabes in den am Boden liegenden Körper, verharrte eine Weile, bis sich die Leiche des kräftigen Mannes in einen flachen Hügel aus Asche verwandelt hatte. Dann senkte der Zauberer den Stab und wandte sich den Gefährten zu.
„Wir sollten unserer Gefährten noch für einen Moment still gedenken, bevor wir unsere Weg fortsetzen.“
Als sie den Ort des Grauens verließen, warf Wedekind noch einmal einen Blick über die Schulter zurück zu dem Hügel schwarzer Asche, der einmal ein Mensch gewesen war. Dann biss er sich auf die Lippe und wandte sich ab.
Den anderen schien es nicht viel besser zu ergehen, denn nach anfänglichen, eher verkrampft wirkenden Versuchen, ein Gespräch in Gang zu bringen, schwiegen sie nun schon seit geraumer Zeit. Man hörte nur das Atmen der Menschen und ihre Schritte auf den breiten Stufen der ewig scheinenden Treppe.
Er schloss zu Harbon auf.
„Haben wir irgendeinen Anhaltspunkt, wie weit wir schon gekommen sind und wie weit es noch ist?“
„Wird es langweilig, Wandersmann?“ Der Zauberer lachte. „Besonders abwechslungsreich ist es wirklich nicht. Ich denke, wir sollten etwa ein Drittel der Strecke hinter uns haben.“
„Ein Drittel.“ Wedekind versuchte, nicht zu enttäuscht zu klingen. Unbewusst griff er nach seinen Oberschenkeln, die seit einer Weile schmerzten. 'Das gibt einen teuflischen Muskelkater', dachte er. Er war sich nicht sicher, ob das besser sein würde, als ein vom Reiten schmerzendes Hinterteil. Laut sagte er: „Was hältst du von einer Pause, großer Zauberer?“
Harbon nickte.
„Am nächsten Absatz pausieren wir, Wendelmann.“
Wedekind schätzte, dass es noch fast eine halbe Stunde dauerte – er wünschte sich zum wiederholten Male, seine Taschenuhr nicht verpfändet zu haben – , bis sie diesen Absatz, eine Verbreiterung der Treppe und eine weitere Felsbrücke, die hinüber zu einer Türöffnung in der Felswand führte, erreichten. Diesmal äußerte niemand den Wunsch, die Felskammern hinter der Tür zu untersuchen. Die Gefährten hatten nach den gemachten Erfahrungen kein Interesse an einer erneuten Begegnung mit den widerlichen Gliedertieren – oder etwas noch Schlimmerem.
Wedekind ließ sich aufseufzend auf einen der abgeflachten Felsen nieder und nahm seinen Rucksack vom Rücken. Die übrigen taten es ihm gleich und ihm fiel auf, dass Berkan schmerzerfüllt das Gesicht verzerrte, wenn er sich unbeobachtet glaubte.
Er drehte sich zu Harbon um.
„Berkan geht es schlecht“, sagte er leise.
Der Zauberer nickte.
„Ich weiß. Ich fürchte, er wird nicht mehr lange laufen können.“ Er warf aus dem Augenwinkel einen Blick hinüber zu dem kräftigen Mann, der sich gerade mit Elden unterhielt und dabei versuchte, sich nichts von seinen Schmerzen anmerken zu lassen. Wedekinds Blick traf auf Eldens und er bemerkte Sorge in den Augen des großgewachsenen Mannes. Offenbar war ihm der zunehmend schlechte Zustand seines Freundes nicht verborgen geblieben.
„Was ist das?“, fragte Jolene plötzlich und deutete auf einen Punkt hinter Wedekinds Rücken. Obwohl die junge Frau nicht besorgt, sondern eher ein wenig belustigt wirkte, fuhr Wedekind erschrocken herum.
Auf einem kleinen Felsvorsprung saß ein winziges Wesen von vielleicht zehn Zentimeter Körperhöhe. Es sah fast aus wie ein kleiner Mann mit einem lustigen runden Kopf und großen, dunklen Augen, hatte aber ledrige Flügel wie eine Fledermaus. Der kleine Flugmann musterte die Eindringlinge neugierig. Harbon fluchte und sprang auf, als er das kleine Wesen gewahrte, hob den Stab und murmelte einige leise Worte. Aus der Spitze des Stabes fauchte ein Lichtblitz, der das kleine Wesen traf und in Asche verwandelte.
Seine Begleiter schauten ihn erschrocken an.
„Was sollte das denn?“, erkundigte sich Jolene und in ihrer Stimme schwang Zorn. „War das nötig?“ Sie schaute den Zauberer unverwandt an.
„Oh ja, meine Liebe, das war sehr nötig, aber ich fürchte, es war schon zu spät.“ Er schaute sich suchend um und erhöhte die Leuchtkraft seines Syrill. „Auf die Füße mit euch und zieht eure Schwerter.“
„Was …?“, begann Wedekind, aber der Zauberer schnitt ihm mit einer unwirschen Geste das Wort ab. Seine Stimme klang gehetzt, als er erklärte:
„Das war ein Höhlenmock. Diese Parasiten leben in Symbiose mit Wesen, die man als Cyrrt bezeichnet. Zwischen den Cyrrt und den Mock besteht eine empathische Verbindung. Die Mock haben sehr gute Augen und können sogar in fast völliger Dunkelheit sehen. Sie spüren für die fast blinden Cyrrt Beute auf. Die Cyrrt fühlen über die empathische Verbindung, sobald die Mock fündig geworden sind. Ich wette, es dauert nicht lange ...“ Er brachte den Satz nicht zuende, denn in diesem Moment stürzten sich aus dem Dunkel jenseits des Lichtkreises zwei monströse Wesen auf die Gruppe. Wedekind sah nur riesige, Fledermaus artige Flügel, mit Reißzähnen bewehrte Kiefer und offensichtlich Rasiermesser scharfe Klauen. Dann warf er sich zu Boden, um dem Angriff des ersten Monstrums zu entgehen. Er hörte einen fürchterlichen Schrei, warf sich herum und versuchte, wieder auf die Füße zu kommen und gleichzeitig das kurze Schwert, das er am Gürtel trug, zu ziehen. Aus den Augenwinkeln sah er einen Körper am Boden liegen, aber darum konnte er sich nicht kümmern, denn ein riesiger schwarzer Schatten stieß auf ihn herab. Wedekind hob das Schwert und begann, wild um sich zu schlagen, war sich aber gleichzeitig sicher, dass er gleich sterben würde. Er traf etwas mit dem Schwert und die Waffe wurde ihm aus der Hand gerissen. Beinahe gleichzeitig flammte ein Sonnen heller Blitz auf, der das auf ihn zu rasende Wesen traf und in einen flammendes, sich windendes Etwas verwandelte. Das Monstrum kam vom Kurs ab, verfehlte Wedekind um etwa einen Meter und prallte seitlich gegen die Felswand. Wedekind spürte die Hitze der Flammen und rollte sich zur Seite. Das Wesen stieß einen schrillen Schrei des Schmerzes aus, versuchte offenbar, wieder an Höhe zu gewinnen, war aber wohl durch die Flammen so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass es nur noch jämmerlich flatterte und neben der Felsbrücke in die Tiefe stürzte. Wedekind brauchte einige Sekunden, um sich von dem Schock zu erholen, sein Schwert vom Boden aufzuheben und sich umzuschauen. Sein Gesicht fühlte sich an, als sei er unter einem Gesichtsbräuner eingeschlafen. Die Haut spannte und vor seinen Augen drehten sich bunte Kreise.
Harbon stand einige Meter entfernt und hatte den Stab erhoben. Gerade zuckte ein weiterer Blitz in Richtung des zweiten Angreifers, verfehlte ihn aber. Wedekind sah eine Gestalt am Boden liegen, konnte aber mit seinen geblendeten Sinnen nicht erkennen, um wen es sich handelte. Das riesige Tier fuhr zwischen die Gefährten, die mit ihren Schwertern auf es einschlugen. Wedekind setzte sich fast automatisch in Bewegung, um den anderen beizustehen. Wie genau er das anfangen wollte, wusste er selbst nicht. Noch bevor er die Gruppe der Freunde erreichte, hob sich das Monstrum vom Boden ab und floh, ein Bündel in seinen Klauen haltend.
Dann wurde es schlagartig ruhig. All das hatte – wenn Wedekind recht überlegte – vielleicht eine Minute gedauert.
In Wedekinds Ohren rauschte das Blut, sein Herz schlug bis zum Hals und er konnte noch immer nicht deutlich sehen. Harbon beugte sich über die am Boden liegende Gestalt, richtete sich aber fast sofort wieder auf und schüttelte den Kopf. Die übrigen Gefährten ließen sich schwer atmend auf den umliegenden Felsen nieder und senkten die Köpfe.
Wedekind wankte näher, seine Augen beruhigten sich langsam und er erkannte, dass es sich bei der am Boden liegenden Person um Berkan handelte. Er wandte sich von Grauen erfüllt ab. Der Mann war tot, daran konnte es keinen Zweifel geben. Die Klauen des Monstrums hatten ihn förmlich zerfetzt. Wedekind sank schwer zu Boden, in seinem Kopf war nur Leere.
„Bist du in Ordnung?“
Die Stimme schien von weit her zu kommen und Wedekind bemerkte erst nach einer Weile, dass die Frage ihm galt. Er nickte schwer und blickte zu Harbon auf, der ihn besorgt anschaute.
„Ja, nichts passiert … mir zumindest nicht.“
Wieder packte ihn das Grauen. Er war sicher, dass er den Anblick Berkans bis ans Ende seiner Tage nicht würde vergessen können. Wedekind schaute in die Runde.
„Sind alle wohlauf?“ Er schaute Harbon fragend an.
Der Zauberer senkte den Kopf. Dann schaute er dem Antiquar in die Augen.
„Das Biest hat Jules erwischt.“ Mehr nicht.
Eine eiskalte Hand schien nach Wedekinds Herz zu greifen, es in einen Klumpen aus purem Eis zu verwandeln.
„Ist er schwer verletzt?“, erkundigte er sich zaghaft, bereits ahnend, dass „erwischt“ im Fall von Jules eine andere Bedeutung hatte.
„Das Monster hat ihn mitgenommen!“ Jolene klang gleichzeitig geschockt, angeekelt und zornig..
Wedekind brauchte lange, bis er wieder sprechen konnte.
„Ist er …?“ Er schaute Harbon an.
Der Zauberer schüttelte den Kopf.
„Er lebte noch, aber er hat keine Chance. Das Cyrrt wird ihn zu seinem Nest bringen und wenn er dann noch lebt ...“
Harbon ließ den Rest offen.
Wedekind kam schwankend auf die Beine.
„Wir müssen ihm nach, ihn suchen, ihn ….“ Retten! … wollte er sagen ... schreien! Aber das Wort fand nicht den Weg aus seinem Mund … Er fühlte sich hilflos und schaute den Zauberer hoffnungsvoll an. Aber Harbons Gesichtsausdruck ließ die Hoffnung schnell schwinden, zu namenlosem Entsetzen und Verzweiflung werden.
„Das ist sinnlos, Wedekind.“ Die Stimme des Zauberers klang spröde. „Es gibt keine Möglichkeit, ihn zu retten.“
„Aber …“ Wedekind schaut von einem zum anderen. „Wir können doch nicht einfach aufgeben?“ Verzweifelt packte er Harbon am Arm.
„Ich weiß, wie du dich fühlst, mein Freund. Mir geht es nicht anders. Aber wir haben keine Alternative. Es bleibt uns nur, weiterzugehen.“
Ein neuer Gedanke schoss wie ein schmerzhafter Blitz durch Wedekinds Gehirn.
„Werden diese … Cyrrt … nicht wieder kommen? Vielleicht mit Verstärkung?“
Harbon schüttelte den Kopf.
„Cyrrt sind keine Herdentiere. Sie leben und jagen immer in kleinen Gruppen von maximal drei Wesen. In dem Fall waren es wohl nur zwei, sonst hätten uns alle angegriffen. Eines haben wir getötet, das andere ist nur knapp entkommen. Es wird nicht zurückkehren.“
„Und wie geht es nun weiter, Zauberer?“ Das war Elden. Das Gesicht des hochgewachsenen Mannes wirkte grau im Licht des Syrill. „Einer der Vier ist tot. Was sagt die Prophezeiung dazu?“ Seine Stimme war tonlos.
Harbon atmete tief durch.
„Nun, das Buch der Prophezeiung ist oft nicht einfach zu deuten. Wir müssen in jedem Fall weiter, auch wenn wir unsere beiden verlorenen Gefährten natürlich vermissen werden.“
Die Worte hörten sich platt und bedeutungslos an, aber Wedekind war bewusst, dass man in einer solchen Situation nichts sagen konnte, das sich besser und sinnvoller angehört hätte.
„Was wird mit Berkan?“ Jolene legte den Finger in die Wunde, allen war klar, dass Sie den toten Gefährten nicht würden mitnehmen können.
Elden stand auf und blieb vor der Leiche seines Freundes stehen. Dann schaute er Harbon an.
„Kannst du ihn verbrennen? Ich möchte nicht, dass diese Monstren ihn bekommen. Es wäre sicher in seinem Sinn.“ Er senkte den Kopf.
Harbon überlegte einen Moment, dann nickte er.
„Tretet beiseite!“, forderte er die Freunde auf. Als diese seiner Aufforderung gefolgt waren, warf er einen bedauernden Blick auf Berkan, bevor er den Stab hob und einige leise Worte murmelte. Ein Blitz fuhr aus der Spitze des Stabes in den am Boden liegenden Körper, verharrte eine Weile, bis sich die Leiche des kräftigen Mannes in einen flachen Hügel aus Asche verwandelt hatte. Dann senkte der Zauberer den Stab und wandte sich den Gefährten zu.
„Wir sollten unserer Gefährten noch für einen Moment still gedenken, bevor wir unsere Weg fortsetzen.“
Als sie den Ort des Grauens verließen, warf Wedekind noch einmal einen Blick über die Schulter zurück zu dem Hügel schwarzer Asche, der einmal ein Mensch gewesen war. Dann biss er sich auf die Lippe und wandte sich ab.