Die vier Gefährten um Markam kamen gut voran und wie es der glückliche Zufall so wollte, erreichten Sie kurz vor Einbruch der Dunkelheit die Herberge „Zur dreifachen Witwe“.
Das Anwesen befand sich direkt an der Handelsstraße und bestand aus einem Hauptgebäude, einigen Nebengebäuden, in denen unter anderem Stallungen untergebracht waren, sowie Koppeln für die Reittiere der Reisenden. Sogar für die Unterbringung von Krills war man hier eingerichtet, denn in einer der Koppeln gab es eine Reihe von Sermanbäumen in genau der richtigen Höhe für die Reitsaurier.
Während sich Markam, Ariste und Mickel bereits zu den Zimmern begaben, kümmerte sich Loran um die Reittiere, rieb sie ab und gab ihnen Wasser. Danach begannen die beiden Tiere sofort damit, die Sermans abzuweiden.
Wie bereits an den Orten, wo sie zuvor auf Menschen getroffen waren, erregten die Gefährten auch hier kein sonderliches Aufsehen. Lediglich die Krills zogen den einen oder anderen Blick auf sich, aber selbst dieses Interesse war nur von kurzer Dauer.
Die Herberge machte einen sauberen und aufgeräumten Eindruck. Die Zimmer waren nicht groß aber ausreichend. Ariste teilte sich eines mit Mickel, während Markam und Loran ein anderes Zimmer bezogen.
Im Schankraum der Herberge nahmen sie am Abend eine ordentliche Mahlzeit zu sich, wobei ihnen die Wirtin Matira Gesellschaft leistete. Sie war eine burschikose, kräftige Frau mit rotem Gesicht und ebensolchen Haaren, der man ohne weiteres zutraute, auch noch einen vierten Mann zu überleben.
„Woher kommt ihr?“, erkundigte sie sich neugierig bei Markam, den sie aufgrund seines Alters für den Sprecher der kleinen Gruppe hielt. Die vier hatten sich schon während des Tages eine Geschichte zurecht gelegt und versucht, alle eventuellen Fragen vorher zu ahnen. Das hatte ihnen auf dem recht langweiligen Ritt die Zeit vertrieben und ermöglichte es ihnen jetzt, als Gruppe glaubhaft aufzutreten.
„Wir sind Händler aus Trondis.“ Die Hafenstadt lag im Süden des Nordkontinents und weit genug entfernt, dass man einigermaßen sicher sein konnte, dass niemand, der hier im Norden ansässig war, sich dort auskannte und ungemütliche Fragen stellen konnte. „Wir waren geschäftlich in den Westlanden unterwegs.“
„Ah, sehr interessant.“ Die Frau lächelte freundlich über ihre breites Gesicht. „Wo genau seid ihr gewesen?“
Markam grinste.
„Na ja, wo anders als in Wendara sollte man in den Westlanden Geschäfte machen?“
Matira lachte.
„Das stimmt, sonst gibt es dort nur kleine Flecken und Bauernhäuser. Ich mag Wendara.“ Ihre Augen funkelten verschmitzt. „Mein zweiter Mann ist dort gestorben.“
Loran grinste, verkniff sich aber einen Kommentar.
„Welcher Art sind eure Geschäfte?“ Matira war sehr neugierig, aber Markam schrieb das der Redseligkeit ihres Gewerbes zu und vermutete dahinter keine üblen Absichten.
„Wir stellen Stoffe her und kaufen in den Westlanden Baum- und Schafwolle ein.“
Wendara war der größte Handelsplatz für Produkte aus der Land- und Viehwirtschaft. Zur Not hätte Markam sogar einen Händler aus Wendara nennen können, aber die Neugier der Wirtin schien für den Augenblick in eine andere Richtung abzuschweifen. Sie schaute Mickel an.
„Nehmt ihr eure Kinder immer mit auf Geschäftsreise?“ Sie lächelte dem Jungen zu, der dem Gespräch neugierig lauschte.
„In unserer Familie ist es Tradition, dass die ältesten Söhne den Vater früh auf den Geschäftsreisen begleiten, um das Geschäft zu lernen. Leider hat mein nichtsnutziger Schwiegersohn ...“ Er schaute Loran an. „Zuerst nur Mädchen in die Welt gesetzt und so ist mein Enkel noch recht jung. Aber er hat schon viel gelernt.“
Matira lächelte wohlwollend.
„Ah, Euer Enkel.“ Sie schaute Ariste an. „Dann ist das wohl Eure Tochter?“
Markam schüttelte den Kopf.
„Nein, meine Tochter kümmert sich um das Geschäft in Trondis. Dies ist die Lehrerin meines Enkels. Er soll ja auch noch andere Dinge lernen, die er im Leben brauchen wird.“
„Sehr lobenswert.“ Matira schien zufrieden. „Dann will ich Euch nicht länger belästigen. Habt einen schönen Aufenthalt und eine gute Weiterreise.“
Sie erhob sich, während Markam ihr dankte, und ging weiter zum nächsten Tisch, wo sie Platz nahm und begann, sich mit den Gästen zu unterhalten.
Loran rückte näher zu Markam.
„Die war ganz schön neugierig“, meinte er leise. „Denkst du …?“
Markam schüttelte den Kopf.
„Nein, ich denke, es ist wirklich nur Neugier. Das ist ihre Art, mit den Gästen umzugehen. Schau hin, jetzt stillt sie ihre Neugier am nächsten Tisch.“
Sie beendeten Ihre Mahlzeit und Ariste zog sich mit Mickel, dem so langsam die Augen zufielen, in ihr Zimmer zurück. Markam und Loran blieben noch auf ein Bier sitzen, bevor sie es ihnen gleich taten.
Trotz ihrer Müdigkeit konnte Ariste lange nicht einschlafen. Sie versuchte, über das Apaethon mit Harbon zu kommunizieren, konnte aber keinen Kontakt zu dem Zauberer herstellen. Voller Sorgen fiel sie endlich in einen unruhigen Schlummer.
Was sie geweckt hatte, wusste sie zunächst nicht. Es war fast völlig dunkel im Zimmer und sie hörte Mickel, der ruhig und gleichmäßig atmete. Aber da war noch ein anderes Geräusch, andere Atemzüge. Sie war sofort hellwach und sandte über das Apaethon einen Hilferuf an Markam, dessen Zimmer nicht weit entfernt war. Dann schnellte sie nach oben, hinüber zu Mickels Bett, wo sie jetzt in der Dunkelheit den Umriss einer Gestalt erahnen konnte. Sie warf sich gegen den Fremden und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Mit einem überraschten Ausruf taumelte er gegen die Wand. Mickel regte sich in seinem Bett und brummte etwas, wurde aber noch nicht wach. Im schwachen Licht der Sterne, das durch das einzige Fenster in den Raum schien, sah Ariste ein metallenes Glitzern etwa dort, wo sich die Hand des Fremden befinden musste. Ein Messer! Sie schob sich zwischen den Angreifer und das Bett, in dem der Junge schlief. Mehr ahnte sie, als sie es sehen konnte, dass der Fremde sich auf sie zu bewegte. Offenbar hatte er aber ähnliche Probleme, sie zu sehen, wir Ariste selbst. Sie bewegte sich ein wenig zur Seite, wodurch das Fenster den Umriss des Fremden ein wenig deutlicher sichtbar machte. Dann stieß sie mit aller Kraft ihre Schulter gegen den Oberkörper des Angreifers. Er war größer und erheblich schwerer als die Seherin, wurde aber durch den Angriff erneut überrascht, atmete keuchend aus und taumelte zurück. Ein Hieb mit dem Messer traf allerdings Aristes Oberarm, durchdrang die Kleidung und hinterließ eine schmerzhafte Wunde. Sie stöhnte auf, wich zum Bett zurück und bereitete sich auf den nächsten Angriff vor. Im selben Moment flog die Tür auf. Wie ein Rachegott stand Loran in der Türöffnung, in der linken Hand eine Laterne, in der rechten sein riesiges Schwert. Lautlos drang er auf den völlig überraschten Fremden ein und hieb die flache Seite des Schwertes gegen seinen Schädel. Der Mann brach mit einem Ächzen zusammen und rührte sich nicht mehr. Loran schaute sich im Raum um, dann schloss er die Tür. Bis auf das Öffnen der Tür hatte sich alles in gespenstischer Stille abgespielt.
Loran stellte die Laterne auf den kleinen Tisch vor dem Fenster und fesselte den am Boden liegenden. Dann wandte er sich an Ariste.
„Bist du in Ordnung?“
Die Seherin nickte, ging hinüber zu der Schüssel mit sauberem Wasser, die auf dem Tisch stand, und reinigte ihre Wunde. Mickel war nun auch wach und schaute verstört in die Runde.
„Was ist los?“, fragte er und rieb sich die Augen.
Loran lächelte ihn beruhigend an.
„Alles in Ordnung, schlaf weiter.“
Der Junge war gar nicht richtig wach geworden, nickte, drehte sich um und war fast sofort wieder eingeschlafen. Loran beneidete ihn um diese Fähigkeit. Morgen würde er alles für einen merkwürdigen Traum halten.
Er half Ariste dabei, ihre Wunde zu verbinden. Als es leise an der Tür klopfte, griff Loran nach seinem Schwert, aber Ariste legte die Hand auf seinen Arm.
„Es ist Markam“, beruhigte sie ihn.
Der Zauberer betrat das Zimmer und schaute sich besorgt um.
„Du bist verletzt“, stellte er fest.
Ariste nickte.
„Nicht schlimm, nur ein kleiner Schnitt.“
Markam nahm den gefesselten Mann in Augenschein. Er trug ein dunkles Gewand mit einer Kapuze, die jetzt von seinem Kopf gerutscht war. Er war noch jung, sicher nicht über 25. In die Augen des Zauberers trat ein harter Glanz. Er wandte sich an Loran.
„Weck' ihn auf! Mal sehen, wer ihn beauftragt hat.“
Loran nahm die Schüssel mit dem Wasser vom Tisch und schüttete es über den Kopf des am Boden liegenden Mannes. Der prustete, schüttelte sich und versuchte aufzustehen. Als er bemerkte, dass er gefesselt war, warf er wilde Blicke auf die Umstehenden, sagte aber kein Wort.
„Du solltest leise sein, sonst weckst du den Jungen auf“, meinte Loran mit gefährlich ruhiger Stimme. „Und wenn du ihn aufweckst, bekommt dir das schlecht, mein Freund.“
Loran zog ihn hoch und drückte ihn auf einen der beiden Stühle, die neben dem Tisch standen. Markam stellte sich vor ihn.
„Wer hat dich geschickt und was war dein Auftrag?“
Ein Grinsen huschte über das Gesicht des jungen Mannes, verschwand aber sofort wieder, als er Loran anschaute. Ein gehetzter Ausdruck trat in seine Augen.
„Wenn ich euch das verrate, bin ich tot.“ Er murmelte es nur.
„Wenn du es nicht verrätst, wünschst du dir, tot zu sein.“
Der Attentäter schaute den kleinen alten Mann forschend an.
„Was willst du tun, Alter? Mich zu Tode langweilen?“
Markam lächelte kalt und hielt Loran zurück, der den jungen Mann für seine Frechheit bestrafen wollte. Dann schloss er die Augen, konzentrierte sich und streckte die Hand in Richtung des Gefesselten aus. Er schloss sie zur Faust und der junge Mann begann plötzlich zu wimmern. Sein Gesicht war von Schmerz verzerrt. Markam ließ die Hand sinken und das Gesicht des Mannes entspannte sich.
„Es liegt mir nicht, jemanden zu foltern. Aber das war nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Schmerzen, die ich dir zuzufügen in der Lage bin.“ Markam schüttelte bekümmert den Kopf. „Die Sicherheit des Jungen geht leider vor. Also?“
Er schaute den Gefangenen durchdringend an.
„Ein Fremder kam nach Groldfall.“ Er redete hastig und von der Unverschämtheit, mit dem er dem alten Zauberer gerade eben noch begegnet war, fehlte jede Spur. „Er bot jedem einen großen Betrag an, der zu allem bereit war und keine Fragen stellte.“
Markam warf Loran einen sorgenvollen Blick zu.
„Wer war er und woher kam er?“
„Ich weiß es nicht. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen. Aber er warnte uns davor, jemandem von unserem Auftrag zu berichten, sonst würde Verlines Zorn über uns kommen.“
„Wie lautete der Auftrag?“
Der Gefangene zögerte, aber eine kleine Geste des Zauberers ließ ihn hastig fortfahren.
„Wir sollten Ausschau nach einer Gruppe von zwei Männern und einer Frau halten, die einen kleinen Jungen begleiteten. Wenn wir sie entdecken, sollten wir eine Chance suchen, den Jungen zu töten.“
„Ein gedungener Mörder!“ Loran konnte sich nur schwer beherrschen. Markam schaute ihn warnend an. Dann wandte er sich wieder an den Gefangenen.
„Wie viele gibt es noch?“
„Ich weiß es nicht … dort, wo ich angeworben wurde, waren es sechs oder sieben.“ Der junge Mann senkte den Blick.
Markam kniff die Lippen zusammen und schaute Ariste und Loran an.
„Was machen wir jetzt mit ihm?“ Lorans Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, was er von dem jungen Attentäter hielt.
Markam überlegte lange. Dann schüttelte er den Kopf.
„Ich weiß, was du denkst. Aber wenn wir ihn töten, wären wir nicht besser als Verlines Gezücht.“ Hinter seiner hohen Stirn arbeitete es. Dann wandte er sich an Ariste. „Pack eure Sachen zusammen und wecke Mickel. Macht euch für die Weiterreise fertig. Loran und ich bringen den Kerl fort und sorgen dafür, dass er uns vorerst nicht mehr in die Quere kommt.“
„Bist du sicher, dass er niemandem von uns berichtet hat?“ Ariste schaute besorgt zu Mickel hinüber.
Markam schaute den Gefangenen an.
„Bist du allein, oder ist noch einer von euch Kerlen in der Nähe?“
„Ich bin allein – soweit ich weiß. Es wusste ja niemand, wo man euch antreffen würde, deswegen haben wir uns möglichst weit verteilt.“
„Und du hast niemandem von uns berichtet?“
„Wem hätte ich etwas sagen sollen?“ Der junge Mann schaute den Zauberer ängstlich an. „Ihr könnt mir glauben!“
„Wegen deiner treuen blauen Augen?“, brummte Loran. „Also wenn du mich fragst ...“
Markam schüttelte den Kopf.
„Er hatte keine Möglichkeit, an Verline zu berichten. Diese Macht besitzt er nicht, das würde ich spüren. Seine Erklärung klingt logisch und ich bin nicht bereit, ihn zu töten. Das würde uns auch nicht helfen, wenn es noch einen zweiten Attentäter hier gäbe. Allerdings werde ich dafür sorgen, dass er unseren Aufenthaltsort auch in Zukunft nicht verraten wird.“
Ariste schaute ihn fragend an.
„Ich habe meine Möglichkeiten“, wich der Zauberer aus.
Markam und Loran packten den jungen Mann, während Ariste die Tür einen Spalt weit öffnete und nachschaute, ob jemand in der Nähe war. Dann öffnete sie die Tür ganz und die beiden Männer brachten den Gefangenen nach draußen.
Ariste packte ihre Sachen zusammen und weckte den Jungen. Nur wenig später kehrten die beiden Männer zurück und die Gefährten machten sich wieder auf den Weg in Richtung Mor'Klatt.
Das Anwesen befand sich direkt an der Handelsstraße und bestand aus einem Hauptgebäude, einigen Nebengebäuden, in denen unter anderem Stallungen untergebracht waren, sowie Koppeln für die Reittiere der Reisenden. Sogar für die Unterbringung von Krills war man hier eingerichtet, denn in einer der Koppeln gab es eine Reihe von Sermanbäumen in genau der richtigen Höhe für die Reitsaurier.
Während sich Markam, Ariste und Mickel bereits zu den Zimmern begaben, kümmerte sich Loran um die Reittiere, rieb sie ab und gab ihnen Wasser. Danach begannen die beiden Tiere sofort damit, die Sermans abzuweiden.
Wie bereits an den Orten, wo sie zuvor auf Menschen getroffen waren, erregten die Gefährten auch hier kein sonderliches Aufsehen. Lediglich die Krills zogen den einen oder anderen Blick auf sich, aber selbst dieses Interesse war nur von kurzer Dauer.
Die Herberge machte einen sauberen und aufgeräumten Eindruck. Die Zimmer waren nicht groß aber ausreichend. Ariste teilte sich eines mit Mickel, während Markam und Loran ein anderes Zimmer bezogen.
Im Schankraum der Herberge nahmen sie am Abend eine ordentliche Mahlzeit zu sich, wobei ihnen die Wirtin Matira Gesellschaft leistete. Sie war eine burschikose, kräftige Frau mit rotem Gesicht und ebensolchen Haaren, der man ohne weiteres zutraute, auch noch einen vierten Mann zu überleben.
„Woher kommt ihr?“, erkundigte sie sich neugierig bei Markam, den sie aufgrund seines Alters für den Sprecher der kleinen Gruppe hielt. Die vier hatten sich schon während des Tages eine Geschichte zurecht gelegt und versucht, alle eventuellen Fragen vorher zu ahnen. Das hatte ihnen auf dem recht langweiligen Ritt die Zeit vertrieben und ermöglichte es ihnen jetzt, als Gruppe glaubhaft aufzutreten.
„Wir sind Händler aus Trondis.“ Die Hafenstadt lag im Süden des Nordkontinents und weit genug entfernt, dass man einigermaßen sicher sein konnte, dass niemand, der hier im Norden ansässig war, sich dort auskannte und ungemütliche Fragen stellen konnte. „Wir waren geschäftlich in den Westlanden unterwegs.“
„Ah, sehr interessant.“ Die Frau lächelte freundlich über ihre breites Gesicht. „Wo genau seid ihr gewesen?“
Markam grinste.
„Na ja, wo anders als in Wendara sollte man in den Westlanden Geschäfte machen?“
Matira lachte.
„Das stimmt, sonst gibt es dort nur kleine Flecken und Bauernhäuser. Ich mag Wendara.“ Ihre Augen funkelten verschmitzt. „Mein zweiter Mann ist dort gestorben.“
Loran grinste, verkniff sich aber einen Kommentar.
„Welcher Art sind eure Geschäfte?“ Matira war sehr neugierig, aber Markam schrieb das der Redseligkeit ihres Gewerbes zu und vermutete dahinter keine üblen Absichten.
„Wir stellen Stoffe her und kaufen in den Westlanden Baum- und Schafwolle ein.“
Wendara war der größte Handelsplatz für Produkte aus der Land- und Viehwirtschaft. Zur Not hätte Markam sogar einen Händler aus Wendara nennen können, aber die Neugier der Wirtin schien für den Augenblick in eine andere Richtung abzuschweifen. Sie schaute Mickel an.
„Nehmt ihr eure Kinder immer mit auf Geschäftsreise?“ Sie lächelte dem Jungen zu, der dem Gespräch neugierig lauschte.
„In unserer Familie ist es Tradition, dass die ältesten Söhne den Vater früh auf den Geschäftsreisen begleiten, um das Geschäft zu lernen. Leider hat mein nichtsnutziger Schwiegersohn ...“ Er schaute Loran an. „Zuerst nur Mädchen in die Welt gesetzt und so ist mein Enkel noch recht jung. Aber er hat schon viel gelernt.“
Matira lächelte wohlwollend.
„Ah, Euer Enkel.“ Sie schaute Ariste an. „Dann ist das wohl Eure Tochter?“
Markam schüttelte den Kopf.
„Nein, meine Tochter kümmert sich um das Geschäft in Trondis. Dies ist die Lehrerin meines Enkels. Er soll ja auch noch andere Dinge lernen, die er im Leben brauchen wird.“
„Sehr lobenswert.“ Matira schien zufrieden. „Dann will ich Euch nicht länger belästigen. Habt einen schönen Aufenthalt und eine gute Weiterreise.“
Sie erhob sich, während Markam ihr dankte, und ging weiter zum nächsten Tisch, wo sie Platz nahm und begann, sich mit den Gästen zu unterhalten.
Loran rückte näher zu Markam.
„Die war ganz schön neugierig“, meinte er leise. „Denkst du …?“
Markam schüttelte den Kopf.
„Nein, ich denke, es ist wirklich nur Neugier. Das ist ihre Art, mit den Gästen umzugehen. Schau hin, jetzt stillt sie ihre Neugier am nächsten Tisch.“
Sie beendeten Ihre Mahlzeit und Ariste zog sich mit Mickel, dem so langsam die Augen zufielen, in ihr Zimmer zurück. Markam und Loran blieben noch auf ein Bier sitzen, bevor sie es ihnen gleich taten.
Trotz ihrer Müdigkeit konnte Ariste lange nicht einschlafen. Sie versuchte, über das Apaethon mit Harbon zu kommunizieren, konnte aber keinen Kontakt zu dem Zauberer herstellen. Voller Sorgen fiel sie endlich in einen unruhigen Schlummer.
Was sie geweckt hatte, wusste sie zunächst nicht. Es war fast völlig dunkel im Zimmer und sie hörte Mickel, der ruhig und gleichmäßig atmete. Aber da war noch ein anderes Geräusch, andere Atemzüge. Sie war sofort hellwach und sandte über das Apaethon einen Hilferuf an Markam, dessen Zimmer nicht weit entfernt war. Dann schnellte sie nach oben, hinüber zu Mickels Bett, wo sie jetzt in der Dunkelheit den Umriss einer Gestalt erahnen konnte. Sie warf sich gegen den Fremden und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Mit einem überraschten Ausruf taumelte er gegen die Wand. Mickel regte sich in seinem Bett und brummte etwas, wurde aber noch nicht wach. Im schwachen Licht der Sterne, das durch das einzige Fenster in den Raum schien, sah Ariste ein metallenes Glitzern etwa dort, wo sich die Hand des Fremden befinden musste. Ein Messer! Sie schob sich zwischen den Angreifer und das Bett, in dem der Junge schlief. Mehr ahnte sie, als sie es sehen konnte, dass der Fremde sich auf sie zu bewegte. Offenbar hatte er aber ähnliche Probleme, sie zu sehen, wir Ariste selbst. Sie bewegte sich ein wenig zur Seite, wodurch das Fenster den Umriss des Fremden ein wenig deutlicher sichtbar machte. Dann stieß sie mit aller Kraft ihre Schulter gegen den Oberkörper des Angreifers. Er war größer und erheblich schwerer als die Seherin, wurde aber durch den Angriff erneut überrascht, atmete keuchend aus und taumelte zurück. Ein Hieb mit dem Messer traf allerdings Aristes Oberarm, durchdrang die Kleidung und hinterließ eine schmerzhafte Wunde. Sie stöhnte auf, wich zum Bett zurück und bereitete sich auf den nächsten Angriff vor. Im selben Moment flog die Tür auf. Wie ein Rachegott stand Loran in der Türöffnung, in der linken Hand eine Laterne, in der rechten sein riesiges Schwert. Lautlos drang er auf den völlig überraschten Fremden ein und hieb die flache Seite des Schwertes gegen seinen Schädel. Der Mann brach mit einem Ächzen zusammen und rührte sich nicht mehr. Loran schaute sich im Raum um, dann schloss er die Tür. Bis auf das Öffnen der Tür hatte sich alles in gespenstischer Stille abgespielt.
Loran stellte die Laterne auf den kleinen Tisch vor dem Fenster und fesselte den am Boden liegenden. Dann wandte er sich an Ariste.
„Bist du in Ordnung?“
Die Seherin nickte, ging hinüber zu der Schüssel mit sauberem Wasser, die auf dem Tisch stand, und reinigte ihre Wunde. Mickel war nun auch wach und schaute verstört in die Runde.
„Was ist los?“, fragte er und rieb sich die Augen.
Loran lächelte ihn beruhigend an.
„Alles in Ordnung, schlaf weiter.“
Der Junge war gar nicht richtig wach geworden, nickte, drehte sich um und war fast sofort wieder eingeschlafen. Loran beneidete ihn um diese Fähigkeit. Morgen würde er alles für einen merkwürdigen Traum halten.
Er half Ariste dabei, ihre Wunde zu verbinden. Als es leise an der Tür klopfte, griff Loran nach seinem Schwert, aber Ariste legte die Hand auf seinen Arm.
„Es ist Markam“, beruhigte sie ihn.
Der Zauberer betrat das Zimmer und schaute sich besorgt um.
„Du bist verletzt“, stellte er fest.
Ariste nickte.
„Nicht schlimm, nur ein kleiner Schnitt.“
Markam nahm den gefesselten Mann in Augenschein. Er trug ein dunkles Gewand mit einer Kapuze, die jetzt von seinem Kopf gerutscht war. Er war noch jung, sicher nicht über 25. In die Augen des Zauberers trat ein harter Glanz. Er wandte sich an Loran.
„Weck' ihn auf! Mal sehen, wer ihn beauftragt hat.“
Loran nahm die Schüssel mit dem Wasser vom Tisch und schüttete es über den Kopf des am Boden liegenden Mannes. Der prustete, schüttelte sich und versuchte aufzustehen. Als er bemerkte, dass er gefesselt war, warf er wilde Blicke auf die Umstehenden, sagte aber kein Wort.
„Du solltest leise sein, sonst weckst du den Jungen auf“, meinte Loran mit gefährlich ruhiger Stimme. „Und wenn du ihn aufweckst, bekommt dir das schlecht, mein Freund.“
Loran zog ihn hoch und drückte ihn auf einen der beiden Stühle, die neben dem Tisch standen. Markam stellte sich vor ihn.
„Wer hat dich geschickt und was war dein Auftrag?“
Ein Grinsen huschte über das Gesicht des jungen Mannes, verschwand aber sofort wieder, als er Loran anschaute. Ein gehetzter Ausdruck trat in seine Augen.
„Wenn ich euch das verrate, bin ich tot.“ Er murmelte es nur.
„Wenn du es nicht verrätst, wünschst du dir, tot zu sein.“
Der Attentäter schaute den kleinen alten Mann forschend an.
„Was willst du tun, Alter? Mich zu Tode langweilen?“
Markam lächelte kalt und hielt Loran zurück, der den jungen Mann für seine Frechheit bestrafen wollte. Dann schloss er die Augen, konzentrierte sich und streckte die Hand in Richtung des Gefesselten aus. Er schloss sie zur Faust und der junge Mann begann plötzlich zu wimmern. Sein Gesicht war von Schmerz verzerrt. Markam ließ die Hand sinken und das Gesicht des Mannes entspannte sich.
„Es liegt mir nicht, jemanden zu foltern. Aber das war nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Schmerzen, die ich dir zuzufügen in der Lage bin.“ Markam schüttelte bekümmert den Kopf. „Die Sicherheit des Jungen geht leider vor. Also?“
Er schaute den Gefangenen durchdringend an.
„Ein Fremder kam nach Groldfall.“ Er redete hastig und von der Unverschämtheit, mit dem er dem alten Zauberer gerade eben noch begegnet war, fehlte jede Spur. „Er bot jedem einen großen Betrag an, der zu allem bereit war und keine Fragen stellte.“
Markam warf Loran einen sorgenvollen Blick zu.
„Wer war er und woher kam er?“
„Ich weiß es nicht. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen. Aber er warnte uns davor, jemandem von unserem Auftrag zu berichten, sonst würde Verlines Zorn über uns kommen.“
„Wie lautete der Auftrag?“
Der Gefangene zögerte, aber eine kleine Geste des Zauberers ließ ihn hastig fortfahren.
„Wir sollten Ausschau nach einer Gruppe von zwei Männern und einer Frau halten, die einen kleinen Jungen begleiteten. Wenn wir sie entdecken, sollten wir eine Chance suchen, den Jungen zu töten.“
„Ein gedungener Mörder!“ Loran konnte sich nur schwer beherrschen. Markam schaute ihn warnend an. Dann wandte er sich wieder an den Gefangenen.
„Wie viele gibt es noch?“
„Ich weiß es nicht … dort, wo ich angeworben wurde, waren es sechs oder sieben.“ Der junge Mann senkte den Blick.
Markam kniff die Lippen zusammen und schaute Ariste und Loran an.
„Was machen wir jetzt mit ihm?“ Lorans Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, was er von dem jungen Attentäter hielt.
Markam überlegte lange. Dann schüttelte er den Kopf.
„Ich weiß, was du denkst. Aber wenn wir ihn töten, wären wir nicht besser als Verlines Gezücht.“ Hinter seiner hohen Stirn arbeitete es. Dann wandte er sich an Ariste. „Pack eure Sachen zusammen und wecke Mickel. Macht euch für die Weiterreise fertig. Loran und ich bringen den Kerl fort und sorgen dafür, dass er uns vorerst nicht mehr in die Quere kommt.“
„Bist du sicher, dass er niemandem von uns berichtet hat?“ Ariste schaute besorgt zu Mickel hinüber.
Markam schaute den Gefangenen an.
„Bist du allein, oder ist noch einer von euch Kerlen in der Nähe?“
„Ich bin allein – soweit ich weiß. Es wusste ja niemand, wo man euch antreffen würde, deswegen haben wir uns möglichst weit verteilt.“
„Und du hast niemandem von uns berichtet?“
„Wem hätte ich etwas sagen sollen?“ Der junge Mann schaute den Zauberer ängstlich an. „Ihr könnt mir glauben!“
„Wegen deiner treuen blauen Augen?“, brummte Loran. „Also wenn du mich fragst ...“
Markam schüttelte den Kopf.
„Er hatte keine Möglichkeit, an Verline zu berichten. Diese Macht besitzt er nicht, das würde ich spüren. Seine Erklärung klingt logisch und ich bin nicht bereit, ihn zu töten. Das würde uns auch nicht helfen, wenn es noch einen zweiten Attentäter hier gäbe. Allerdings werde ich dafür sorgen, dass er unseren Aufenthaltsort auch in Zukunft nicht verraten wird.“
Ariste schaute ihn fragend an.
„Ich habe meine Möglichkeiten“, wich der Zauberer aus.
Markam und Loran packten den jungen Mann, während Ariste die Tür einen Spalt weit öffnete und nachschaute, ob jemand in der Nähe war. Dann öffnete sie die Tür ganz und die beiden Männer brachten den Gefangenen nach draußen.
Ariste packte ihre Sachen zusammen und weckte den Jungen. Nur wenig später kehrten die beiden Männer zurück und die Gefährten machten sich wieder auf den Weg in Richtung Mor'Klatt.