Wedekind hatte sich lange nicht mehr so erholt gefühlt, wie nach dieser Nacht.
Das Zimmer, das er sich mit Mirdal geteilt hatte, befand sich in einem der Nebengebäude. Das Bett war sauber und bequem und er war nach dem Genuss von einem Glas Wein – oder waren es doch zwei gewesen? - beinahe sofort eingeschlafen.
Am Morgen standen zwei Schüsseln mit frischem, klaren Wasser bereit und es gab sogar saubere Handtücher. Neben den Waschschüsseln stand ein Krug mit Wasser und zwei tönerne Becher, in denen kleine Holzstäbe enthalten waren. Wedekind war sich zunächst nicht über den Sinn dieser Stäbchen im Klaren, bis er beobachtete, wie Mirdal sie benutzte. Sein Zimmergefährte goss etwas Wasser aus dem Krug in seinen Tonbecher und entnahm diesem ein Holzstäbchen, dessen Ende mit einem groben Stück Stoff umwickelt war. Damit begann er, sich die Zähne zu reinigen. Wedekind grinste und tat es ihm gleich. Überrascht stellte er fest, dass das Wasser in dem Krug offenbar mit einem Duftstoff versetzt war, der ähnlich wie Kampfer schmeckte und roch. So fühlte er sich nach mehreren Tagen ohne richtige Zahnreinigung auch in dieser Hinsicht wieder frisch und sauber.
Sie trafen sich wieder im großen Sitzungssaal, wo bereits das Frühstück auf Farnons Gäste wartete. Der Gastgeber ließ sich wirklich nicht lumpen, wie Wedekind mit Freude feststellte. Er sprach den dargebotenen Speisen und Getränken kräftig zu, standen ihnen doch sicherlich noch einige anstrengende Tage bevor, bis sie Renkar erreichen würden.
Nach dem Frühstück versammelten sich alle um eine große Karte, die Farnon auf dem Tisch ausgerollt hatte. Zum ersten Mal erhielt Wedekind einen Überblick über die Welt, die seine neue Heimat geworden war.
Nach der Karte zu urteilen befanden sie sich derzeit etwa auf halbem Weg vom nördlichen Gebirge zur Südküste des Kontinents. Renkar lag etwa zwei Tagesreisen südwestlich von Mor'Klatt, wo es ein Mittelgebirge gab, dessen Berge aber wohl bei weitem nicht an diejenigen heranreichten, die sich im fernen Norden von Trimandar auftürmten, und die auf der Karte gerade noch verzeichnet waren.
Farnon zeigte für die drei Gruppen drei verschiedene Wege auf, das Ziel zu erreichen, wobei derjenige, den Markam, Loran und Ariste zusammen mit dem kleinen Mickel nehmen würden, der direkteste und kürzeste war. So wollte man die Strapazen für den Jungen möglichst gering halten. Sundasch würde mit Marc und den Schauspielern direkt von Mor'Klatt nach Westen reisen und dann einen Bogen nach Süden schlagen, während Harbon mit Wedekind und den anderen Gefährten zunächst auf der südlichen Handelsstraße am Grold entlang reiten und sich dann gen Westen wenden würde.
So sollten die beiden letztgenannten Gruppen wohl drei, die Gruppe um Mickel nur zwei Tage bis zum Ziel benötigen – wenn alles nach Plan verlief.
Als der Zeitpunkt des Aufbruchs näher rückte und man das Haus des Zauberers verließ, um zu den Stallungen zu gehen, warf Wedekind einen wehmütigen Blick in Richtung des Gebäudes, in dem er die letzte Nacht verbracht hatte. Mit einigermaßen gemischten Gefühlen dachte er an die Tage, die er zusammen mit den anderen im Sattel verbringen würde, an die Nächte auf hartem Boden und einen Tagesbeginn ohne Zähne putzen und ein vernünftiges Frühstück. Er fragte sich, ob er sich wirklich irgendwann an diese Art zu leben würde gewöhnen können, oder ob er nicht einfach schon zu alt und viel zu verweichlicht für solchen Unsinn war.
„Das sollten eigentlich die jungen Leute übernehmen“, murmelte er vor sich hin und schaute zu Jolene und Elden hinüber, die scherzend nebeneinander her gingen. Die beiden würden ein hübsches Paar abgeben …
„Was sagtest du, Wendelschritt?“ Harbons Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen.
„Ich führe Selbstgespräche“, brummte Wedekind.
„Ach so!“ Der Zauberer grinste. „Das ist gut, da widerspricht dir wenigstens niemand.“
„So kann man das auch sehen.“ Wedekind hatte sich eigentlich vorgenommen, ob der in Aussicht stehenden Schaukelei auf dem Pferderücken übellaunig zu sein. Jetzt musste er aber lachen, als er den verschmitzten Gesichtsausdruck des bärtigen Zauberers sah.
Vor der Koppel, die neben den Stallungen lag, blieben sie stehen. Erstaunt sah Wedekind die beiden Tiere, die fleißig damit beschäftigt waren, die niedrigen Bäume abzuweiden. Sie sahen aus wie kleine Ausgaben des Tyrannosaurus Rex, allerdings war der Kopf anders geformt und es handelte sich ganz offensichtlich um Pflanzenfresser. Loran blieb am Zaun der Koppel stehen und stieß einen Pfiff aus. Die beiden Tiere hielten kurz inne, drehten den Kopf und musterten den jungen Mann, der ihr Mahl zu stören gewagt hatte, mit einem vernichtenden Blick. Dann beschlossen sie, Loran zu ignorieren, und lieber weiter zu fressen. Der blonde Riese schaute indigniert in die Runde und Markam lachte.
„Du solltest langsam wissen, dass man Krills nicht abrichten kann wie ein Pferd, mein Lieber.“
Mickel kletterte an dem Zaun hoch und grinste Loran frech an.
„Hey Dinos, kommt her!“, rief er mit seiner hellen Stimme.
Loran staunte nicht schlecht, als die beiden Tiere wirklich ihre Mahlzeit beendeten, und zu Mickel herüber getrottet kamen. Der Riese sah so perplex aus, dass die gesamte Gruppe in lautes Gelächter ausbrach. Mickel schlüpfte durch den Zaun und tätschelte den Hals der beiden „Dinos“, was diesen ganz offensichtlich Vergnügen bereitete, denn sie drängten sich an den kleinen Jungen. Ariste schaute der Szene mit einem wissenden Lächeln und ein wenig Stolz in den Augen zu.
Während Markam und Loran ihre Reittiere für die Reise vorbereiteten und Jor'ass mit Werla den Wagen der Schauspieler anspannte, führte Farnon Harbon und seine Gruppe zu den Stallungen. Der Gastgeber gesellte sich zu Wedekind.
„Harbon meinte, dass du kein sehr geübter Reiter bist.“ Er lächelte, aber es war kein Spott in seinem Gesicht. „Ich habe dir daher mein ruhigstes und zuverlässigstes Pferd ausgewählt.“ Er deutete zu einer Box, in der ein braunes Pferd stand – Wedekind war irgendwie sicher, dass es sich um eine Stute handelte, obwohl er nur den Kopf sehen konnte und keinerlei Ahnung von Pferden hatte – und Heu aus einem Sack fraß. Als Wedekind und der Zauberer vor der Box stehen blieben, musterte das Tier sie mit seinen großen braunen Augen. Ohne lange zu überlegen streckte Wedekind die Hand aus und fuhr dem Tier über die Nüstern. Es schnaubte wohlig und schob sich dem Antiquar entgegen.
Farnon lächelte.
„Sie mag dich. Ihr Name ist Latar.“
Er gab einem seiner Bediensteten ein Zeichen und sie gingen weiter, um den anderen deren Pferde zu übergeben, während der Stallknecht begann, Latar zu satteln.
Erst jetzt fiel Wedekind auf, dass Gorman und Martis nicht im Stall waren. Sie trafen auf die beiden Männer, als sie das Gebäude wieder verließen. Sie hatten offenbar bereits am Morgen ihre eigenen Pferde aus ihrem Quartier in der Stadt geholt und standen jetzt reisefertig an der Koppel, wo sie sich mit Markam unterhielten.
Gormans Reittier war ein edler Rappe, was wohl auch nicht anders zu erwarten war, dachte Wedekind bei sich und musste lächeln. Der kleine Taschendieb führte ein deutlich kleineres Pferd am Zügel, das eine unscheinbare, mausgraue Färbung aufwies.
„Jeder wie es zu ihm passt“, murmelte Wedekind und betrachtete seine braune Stute, die gerade von einem Stallknecht heraus geführt wurde.
Harbon hatte einen stahlgrauen Hengst erhalten, ein kräftiges Tier mit wachen Augen. Der Zauberer tätschelte den Hals des Pferdes und flüsterte etwas in sein Ohr, während er ihm eine Frucht zu fressen gab.
Kurze Zeit später waren alle zur Abreise bereit. Um kein zu großes Aufsehen zu erregen, verließen die drei Gruppen das Anwesen des Zauberers auf unterschiedlichen Wegen. Zuvor nahm man noch herzlich Abschied und brachte die Hoffnung auf ein baldiges und gesundes Wiedersehen zum Ausdruck. Alle bedankten sich bei Farnon, der feuchte Augen bekam, als Harbon ihn umarmte.
Wenig später waren sie unterwegs, hatte die Handelsstraße sie wieder. Latar lief unglaublich ruhig und es kam Wedekind vor, als würde er nicht auf dem Rücken eines Pferdes, sondern in einem von Farnons bequemen Sesseln vor dem Kamin sitzen. Er beugte sich über den Hals des Pferdes und tätschelte ihn.
„Das könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein, meine Kleine“, flüsterte er ins Ohr des Pferdes.
Harbon, der auf seinem deutlich größeren Pferd noch mächtiger wirkte als ohnehin schon, schaut zu ihm herab.
„Kommst du mit deinem Pferd zurecht, Wanderritt?“
„Ich denke schon, Herrmann.“
Er lachte laut über den verwirrten Gesichtsausdruck des Zauberers.
„Da siehst du, wie es ist, wenn dein Name andauernd verballhornt wird.“
Harbon grinste.
„Ich habe keine Ahnung, was du meinst, Wunderling.“
Wedekind zog die Augenbraue hoch, wie er es von einem gewissen Vulkanier kannte, der ein Held seiner Kindheit gewesen war.
„Warte nur ab, wenn ich erst einmal das Buch geöffnet habe. Dann bekommst du das alles zurück.“
Harbon wurde schlagartig ernst.
„Das ist kein Thema, über das du scherzen solltest, Wedekind. Und auch keines, worüber du so laut reden solltest.“ Er warf einen Blick in die Umgebung.
Wedekind fuhr es siedend heiß durch die Eingeweide.
„Ich habe verstanden, tut mir Leid!“ Er machte ein zerknirschtes Gesicht.
„Es ist nicht dein Fehler. Ich hätte diese Andeutung niemals machen dürfen. Eigentlich sollte ich alt genug sein und mich nicht mehr von solchen Stimmungen hinreißen lassen.“ Harbon lächelte milde.
Wedekind wechselte das Thema.
„Farnon hat angedeutet, dass unser Weg nicht ganz ungefährlich ist – wenn man überhaupt davon reden kann, dass unsere Reise oder die der beiden anderen Gruppen keine Gefahren birgt. Was meinte er damit?“
„Weiter südlich am Grold liegt Mor'skar. Dort gibt es eine Garnison der Garde. Wir können die Stadt natürlich umgehen, aber die Garde führt in der Umgebung ihrer Garnisonen regelmäßig Patrouillen durch.“
Wedekind nickte.
„Ja, das kann man dann schon als nicht ganz ungefährlich einstufen.“
„Wir werden uns in der kommenden Nacht im Schutz der Dunkelheit an Mor'skar vorbei schleichen“, erklang plötzlich Gormans Stimme. Der Lord hatte sich unbemerkt an Wedekinds Seite gesetzt.
„Zumindest werden wir es versuchen“, brummte Wedekind wenig überzeugt.
Harbon lachte.
„Da ist er wieder, der ewige Optimist.“ Er grinste zu Wedekind hinab. „Du solltest dir nicht zu viele Sorgen machen.“
Der Antiquar verzog das Gesicht.
„Du hast wohl recht. Ein Magengeschwür kann ich mir derzeit nicht leisten.“
Harbon schüttelte den Kopf und Gorman schaute den Zauberer fragend an.
„Frag nicht“, meinte er resignierend und winkte ab.
„Na, wenn das nicht der hochwohlgeborene Lord von Trutzfels ist!“
Die Stimme ließ die Köpfe der drei Männer wie einen herum fahren. Am Straßenrand saß ein Mann auf einem Pferd, der Gorman mit einem schiefen Grinsen anschaute und dann forschend dessen Begleiter musterte. Er war mittelgroß, von kräftiger Statur und hatte pechschwarzes Haar, das ihm bis auf die Schultern reichte, sowie einen ebensolchen, kurz gehaltenen Bart. Seine dunklen Augen lagen tief in den Höhlen. Gekleidet war er ganz in schwarzes Leder, wobei das Oberteil stellenweise mit Metall verstärkt war. Insgesamt machte er einen kriegerischen Eindruck, der durch die beiden Schwerter – ein Langschwert, das am Sattel befestigt war und eine Kurzwaffe, die er an der Hüfte trug – noch verstärkt wurde.
Gorman hielt sein Pferd vor dem Fremden an und setzte ein strahlendes Lächeln auf. Wedekind erkannte allerdings, dass die Augen des Lords hart blieben und keineswegs freundlich dreinschauten.
„Erbonas, alter Freund!“ Er reichte dem anderen die Hand. „Was verschlägt dich in diese Gegend?“
Der Fremde zuckte die Schultern.
„Dies und das“, meinte er nichtssagend. „Du weißt ja: Geschäfte.“ Er grinste in einer Art und Weise, die Wedekind einen Schauer über den Rücken trieb. „Und was treibt der Lord von Trutzfels in Mor'Klatt?“
Gorman lächelte womöglich noch breiter.
„Ich bin mit meinen Geschäftsfreunden hier auf dem Weg nach Süden an die Küste. Du weißt ja: Geschäfte.“
Zwei weitere Reiter, ähnlich gekleidet wie Erbonas, kamen aus einer Seitenstraße und gesellten sich zu der Gruppe. Sie nickten kurz zum Gruß, verhielten sich aber schweigend.
„Nun, mein Lord, dann will ich Euch nicht länger aufhalten, um Eure ... Geschäfte nicht zu stören. Es war schön, dich mal wieder zu sehen, nach der langen Zeit, mein Freund.“ Auf das letzte Wort legte er eine merkwürdige Betonung. Er setzte sein schiefes Grinsen wieder auf.
Gorman lächelte.
„Ich wünsche dir und deinen … Freunden viel Erfolg.“ Er nickte zum Abschied.
„Du kennst mich, Gorman, ich habe fast immer Erfolg.“
Mit diesen Worten gab er seinem Pferd die Sporen und ritt, gefolgt von seinen Begleitern, in Richtung Norden davon.
Das Lächeln verschwand wie weggewischt von Gormans Gesicht. Er wirkte jetzt nachdenklich, fast ein wenig besorgt. Harbon schaute ihn fragend an.
„Darf ich fragen, wer dieser … nette Herr war?“
„Sein Name ist Erbonas“, gab der Fürst Auskunft. „Wir hatten eine Weile … Geschäfte miteinander.“
„Aha“, machte Harbon. Zufrieden schien er nicht mit dieser Auskunft.
Elden trieb sein Pferd an Gormans Seite.
„Und welcher Art waren diese Geschäfte?“, erkundigte er sich.
Gorman seufzte.
„Erbonas ist ein Söldner. Seine Klinge dient demjenigen, der am meisten zahlt. Ich vermute, seine beiden Begleiter sind in derselben Branche tätig.“
Elden verzog das Gesicht.
„Welchen … Geschäften sie wohl derzeit nachgehen?“
Der Fürst zuckte die Schultern.
„Eigentlich will ich das gar nicht wissen und wir können hoffen, dass wir es auch nicht erfahren.“
Das Zimmer, das er sich mit Mirdal geteilt hatte, befand sich in einem der Nebengebäude. Das Bett war sauber und bequem und er war nach dem Genuss von einem Glas Wein – oder waren es doch zwei gewesen? - beinahe sofort eingeschlafen.
Am Morgen standen zwei Schüsseln mit frischem, klaren Wasser bereit und es gab sogar saubere Handtücher. Neben den Waschschüsseln stand ein Krug mit Wasser und zwei tönerne Becher, in denen kleine Holzstäbe enthalten waren. Wedekind war sich zunächst nicht über den Sinn dieser Stäbchen im Klaren, bis er beobachtete, wie Mirdal sie benutzte. Sein Zimmergefährte goss etwas Wasser aus dem Krug in seinen Tonbecher und entnahm diesem ein Holzstäbchen, dessen Ende mit einem groben Stück Stoff umwickelt war. Damit begann er, sich die Zähne zu reinigen. Wedekind grinste und tat es ihm gleich. Überrascht stellte er fest, dass das Wasser in dem Krug offenbar mit einem Duftstoff versetzt war, der ähnlich wie Kampfer schmeckte und roch. So fühlte er sich nach mehreren Tagen ohne richtige Zahnreinigung auch in dieser Hinsicht wieder frisch und sauber.
Sie trafen sich wieder im großen Sitzungssaal, wo bereits das Frühstück auf Farnons Gäste wartete. Der Gastgeber ließ sich wirklich nicht lumpen, wie Wedekind mit Freude feststellte. Er sprach den dargebotenen Speisen und Getränken kräftig zu, standen ihnen doch sicherlich noch einige anstrengende Tage bevor, bis sie Renkar erreichen würden.
Nach dem Frühstück versammelten sich alle um eine große Karte, die Farnon auf dem Tisch ausgerollt hatte. Zum ersten Mal erhielt Wedekind einen Überblick über die Welt, die seine neue Heimat geworden war.
Nach der Karte zu urteilen befanden sie sich derzeit etwa auf halbem Weg vom nördlichen Gebirge zur Südküste des Kontinents. Renkar lag etwa zwei Tagesreisen südwestlich von Mor'Klatt, wo es ein Mittelgebirge gab, dessen Berge aber wohl bei weitem nicht an diejenigen heranreichten, die sich im fernen Norden von Trimandar auftürmten, und die auf der Karte gerade noch verzeichnet waren.
Farnon zeigte für die drei Gruppen drei verschiedene Wege auf, das Ziel zu erreichen, wobei derjenige, den Markam, Loran und Ariste zusammen mit dem kleinen Mickel nehmen würden, der direkteste und kürzeste war. So wollte man die Strapazen für den Jungen möglichst gering halten. Sundasch würde mit Marc und den Schauspielern direkt von Mor'Klatt nach Westen reisen und dann einen Bogen nach Süden schlagen, während Harbon mit Wedekind und den anderen Gefährten zunächst auf der südlichen Handelsstraße am Grold entlang reiten und sich dann gen Westen wenden würde.
So sollten die beiden letztgenannten Gruppen wohl drei, die Gruppe um Mickel nur zwei Tage bis zum Ziel benötigen – wenn alles nach Plan verlief.
Als der Zeitpunkt des Aufbruchs näher rückte und man das Haus des Zauberers verließ, um zu den Stallungen zu gehen, warf Wedekind einen wehmütigen Blick in Richtung des Gebäudes, in dem er die letzte Nacht verbracht hatte. Mit einigermaßen gemischten Gefühlen dachte er an die Tage, die er zusammen mit den anderen im Sattel verbringen würde, an die Nächte auf hartem Boden und einen Tagesbeginn ohne Zähne putzen und ein vernünftiges Frühstück. Er fragte sich, ob er sich wirklich irgendwann an diese Art zu leben würde gewöhnen können, oder ob er nicht einfach schon zu alt und viel zu verweichlicht für solchen Unsinn war.
„Das sollten eigentlich die jungen Leute übernehmen“, murmelte er vor sich hin und schaute zu Jolene und Elden hinüber, die scherzend nebeneinander her gingen. Die beiden würden ein hübsches Paar abgeben …
„Was sagtest du, Wendelschritt?“ Harbons Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen.
„Ich führe Selbstgespräche“, brummte Wedekind.
„Ach so!“ Der Zauberer grinste. „Das ist gut, da widerspricht dir wenigstens niemand.“
„So kann man das auch sehen.“ Wedekind hatte sich eigentlich vorgenommen, ob der in Aussicht stehenden Schaukelei auf dem Pferderücken übellaunig zu sein. Jetzt musste er aber lachen, als er den verschmitzten Gesichtsausdruck des bärtigen Zauberers sah.
Vor der Koppel, die neben den Stallungen lag, blieben sie stehen. Erstaunt sah Wedekind die beiden Tiere, die fleißig damit beschäftigt waren, die niedrigen Bäume abzuweiden. Sie sahen aus wie kleine Ausgaben des Tyrannosaurus Rex, allerdings war der Kopf anders geformt und es handelte sich ganz offensichtlich um Pflanzenfresser. Loran blieb am Zaun der Koppel stehen und stieß einen Pfiff aus. Die beiden Tiere hielten kurz inne, drehten den Kopf und musterten den jungen Mann, der ihr Mahl zu stören gewagt hatte, mit einem vernichtenden Blick. Dann beschlossen sie, Loran zu ignorieren, und lieber weiter zu fressen. Der blonde Riese schaute indigniert in die Runde und Markam lachte.
„Du solltest langsam wissen, dass man Krills nicht abrichten kann wie ein Pferd, mein Lieber.“
Mickel kletterte an dem Zaun hoch und grinste Loran frech an.
„Hey Dinos, kommt her!“, rief er mit seiner hellen Stimme.
Loran staunte nicht schlecht, als die beiden Tiere wirklich ihre Mahlzeit beendeten, und zu Mickel herüber getrottet kamen. Der Riese sah so perplex aus, dass die gesamte Gruppe in lautes Gelächter ausbrach. Mickel schlüpfte durch den Zaun und tätschelte den Hals der beiden „Dinos“, was diesen ganz offensichtlich Vergnügen bereitete, denn sie drängten sich an den kleinen Jungen. Ariste schaute der Szene mit einem wissenden Lächeln und ein wenig Stolz in den Augen zu.
Während Markam und Loran ihre Reittiere für die Reise vorbereiteten und Jor'ass mit Werla den Wagen der Schauspieler anspannte, führte Farnon Harbon und seine Gruppe zu den Stallungen. Der Gastgeber gesellte sich zu Wedekind.
„Harbon meinte, dass du kein sehr geübter Reiter bist.“ Er lächelte, aber es war kein Spott in seinem Gesicht. „Ich habe dir daher mein ruhigstes und zuverlässigstes Pferd ausgewählt.“ Er deutete zu einer Box, in der ein braunes Pferd stand – Wedekind war irgendwie sicher, dass es sich um eine Stute handelte, obwohl er nur den Kopf sehen konnte und keinerlei Ahnung von Pferden hatte – und Heu aus einem Sack fraß. Als Wedekind und der Zauberer vor der Box stehen blieben, musterte das Tier sie mit seinen großen braunen Augen. Ohne lange zu überlegen streckte Wedekind die Hand aus und fuhr dem Tier über die Nüstern. Es schnaubte wohlig und schob sich dem Antiquar entgegen.
Farnon lächelte.
„Sie mag dich. Ihr Name ist Latar.“
Er gab einem seiner Bediensteten ein Zeichen und sie gingen weiter, um den anderen deren Pferde zu übergeben, während der Stallknecht begann, Latar zu satteln.
Erst jetzt fiel Wedekind auf, dass Gorman und Martis nicht im Stall waren. Sie trafen auf die beiden Männer, als sie das Gebäude wieder verließen. Sie hatten offenbar bereits am Morgen ihre eigenen Pferde aus ihrem Quartier in der Stadt geholt und standen jetzt reisefertig an der Koppel, wo sie sich mit Markam unterhielten.
Gormans Reittier war ein edler Rappe, was wohl auch nicht anders zu erwarten war, dachte Wedekind bei sich und musste lächeln. Der kleine Taschendieb führte ein deutlich kleineres Pferd am Zügel, das eine unscheinbare, mausgraue Färbung aufwies.
„Jeder wie es zu ihm passt“, murmelte Wedekind und betrachtete seine braune Stute, die gerade von einem Stallknecht heraus geführt wurde.
Harbon hatte einen stahlgrauen Hengst erhalten, ein kräftiges Tier mit wachen Augen. Der Zauberer tätschelte den Hals des Pferdes und flüsterte etwas in sein Ohr, während er ihm eine Frucht zu fressen gab.
Kurze Zeit später waren alle zur Abreise bereit. Um kein zu großes Aufsehen zu erregen, verließen die drei Gruppen das Anwesen des Zauberers auf unterschiedlichen Wegen. Zuvor nahm man noch herzlich Abschied und brachte die Hoffnung auf ein baldiges und gesundes Wiedersehen zum Ausdruck. Alle bedankten sich bei Farnon, der feuchte Augen bekam, als Harbon ihn umarmte.
Wenig später waren sie unterwegs, hatte die Handelsstraße sie wieder. Latar lief unglaublich ruhig und es kam Wedekind vor, als würde er nicht auf dem Rücken eines Pferdes, sondern in einem von Farnons bequemen Sesseln vor dem Kamin sitzen. Er beugte sich über den Hals des Pferdes und tätschelte ihn.
„Das könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein, meine Kleine“, flüsterte er ins Ohr des Pferdes.
Harbon, der auf seinem deutlich größeren Pferd noch mächtiger wirkte als ohnehin schon, schaut zu ihm herab.
„Kommst du mit deinem Pferd zurecht, Wanderritt?“
„Ich denke schon, Herrmann.“
Er lachte laut über den verwirrten Gesichtsausdruck des Zauberers.
„Da siehst du, wie es ist, wenn dein Name andauernd verballhornt wird.“
Harbon grinste.
„Ich habe keine Ahnung, was du meinst, Wunderling.“
Wedekind zog die Augenbraue hoch, wie er es von einem gewissen Vulkanier kannte, der ein Held seiner Kindheit gewesen war.
„Warte nur ab, wenn ich erst einmal das Buch geöffnet habe. Dann bekommst du das alles zurück.“
Harbon wurde schlagartig ernst.
„Das ist kein Thema, über das du scherzen solltest, Wedekind. Und auch keines, worüber du so laut reden solltest.“ Er warf einen Blick in die Umgebung.
Wedekind fuhr es siedend heiß durch die Eingeweide.
„Ich habe verstanden, tut mir Leid!“ Er machte ein zerknirschtes Gesicht.
„Es ist nicht dein Fehler. Ich hätte diese Andeutung niemals machen dürfen. Eigentlich sollte ich alt genug sein und mich nicht mehr von solchen Stimmungen hinreißen lassen.“ Harbon lächelte milde.
Wedekind wechselte das Thema.
„Farnon hat angedeutet, dass unser Weg nicht ganz ungefährlich ist – wenn man überhaupt davon reden kann, dass unsere Reise oder die der beiden anderen Gruppen keine Gefahren birgt. Was meinte er damit?“
„Weiter südlich am Grold liegt Mor'skar. Dort gibt es eine Garnison der Garde. Wir können die Stadt natürlich umgehen, aber die Garde führt in der Umgebung ihrer Garnisonen regelmäßig Patrouillen durch.“
Wedekind nickte.
„Ja, das kann man dann schon als nicht ganz ungefährlich einstufen.“
„Wir werden uns in der kommenden Nacht im Schutz der Dunkelheit an Mor'skar vorbei schleichen“, erklang plötzlich Gormans Stimme. Der Lord hatte sich unbemerkt an Wedekinds Seite gesetzt.
„Zumindest werden wir es versuchen“, brummte Wedekind wenig überzeugt.
Harbon lachte.
„Da ist er wieder, der ewige Optimist.“ Er grinste zu Wedekind hinab. „Du solltest dir nicht zu viele Sorgen machen.“
Der Antiquar verzog das Gesicht.
„Du hast wohl recht. Ein Magengeschwür kann ich mir derzeit nicht leisten.“
Harbon schüttelte den Kopf und Gorman schaute den Zauberer fragend an.
„Frag nicht“, meinte er resignierend und winkte ab.
„Na, wenn das nicht der hochwohlgeborene Lord von Trutzfels ist!“
Die Stimme ließ die Köpfe der drei Männer wie einen herum fahren. Am Straßenrand saß ein Mann auf einem Pferd, der Gorman mit einem schiefen Grinsen anschaute und dann forschend dessen Begleiter musterte. Er war mittelgroß, von kräftiger Statur und hatte pechschwarzes Haar, das ihm bis auf die Schultern reichte, sowie einen ebensolchen, kurz gehaltenen Bart. Seine dunklen Augen lagen tief in den Höhlen. Gekleidet war er ganz in schwarzes Leder, wobei das Oberteil stellenweise mit Metall verstärkt war. Insgesamt machte er einen kriegerischen Eindruck, der durch die beiden Schwerter – ein Langschwert, das am Sattel befestigt war und eine Kurzwaffe, die er an der Hüfte trug – noch verstärkt wurde.
Gorman hielt sein Pferd vor dem Fremden an und setzte ein strahlendes Lächeln auf. Wedekind erkannte allerdings, dass die Augen des Lords hart blieben und keineswegs freundlich dreinschauten.
„Erbonas, alter Freund!“ Er reichte dem anderen die Hand. „Was verschlägt dich in diese Gegend?“
Der Fremde zuckte die Schultern.
„Dies und das“, meinte er nichtssagend. „Du weißt ja: Geschäfte.“ Er grinste in einer Art und Weise, die Wedekind einen Schauer über den Rücken trieb. „Und was treibt der Lord von Trutzfels in Mor'Klatt?“
Gorman lächelte womöglich noch breiter.
„Ich bin mit meinen Geschäftsfreunden hier auf dem Weg nach Süden an die Küste. Du weißt ja: Geschäfte.“
Zwei weitere Reiter, ähnlich gekleidet wie Erbonas, kamen aus einer Seitenstraße und gesellten sich zu der Gruppe. Sie nickten kurz zum Gruß, verhielten sich aber schweigend.
„Nun, mein Lord, dann will ich Euch nicht länger aufhalten, um Eure ... Geschäfte nicht zu stören. Es war schön, dich mal wieder zu sehen, nach der langen Zeit, mein Freund.“ Auf das letzte Wort legte er eine merkwürdige Betonung. Er setzte sein schiefes Grinsen wieder auf.
Gorman lächelte.
„Ich wünsche dir und deinen … Freunden viel Erfolg.“ Er nickte zum Abschied.
„Du kennst mich, Gorman, ich habe fast immer Erfolg.“
Mit diesen Worten gab er seinem Pferd die Sporen und ritt, gefolgt von seinen Begleitern, in Richtung Norden davon.
Das Lächeln verschwand wie weggewischt von Gormans Gesicht. Er wirkte jetzt nachdenklich, fast ein wenig besorgt. Harbon schaute ihn fragend an.
„Darf ich fragen, wer dieser … nette Herr war?“
„Sein Name ist Erbonas“, gab der Fürst Auskunft. „Wir hatten eine Weile … Geschäfte miteinander.“
„Aha“, machte Harbon. Zufrieden schien er nicht mit dieser Auskunft.
Elden trieb sein Pferd an Gormans Seite.
„Und welcher Art waren diese Geschäfte?“, erkundigte er sich.
Gorman seufzte.
„Erbonas ist ein Söldner. Seine Klinge dient demjenigen, der am meisten zahlt. Ich vermute, seine beiden Begleiter sind in derselben Branche tätig.“
Elden verzog das Gesicht.
„Welchen … Geschäften sie wohl derzeit nachgehen?“
Der Fürst zuckte die Schultern.
„Eigentlich will ich das gar nicht wissen und wir können hoffen, dass wir es auch nicht erfahren.“