5. Die erste Nacht
Vaters Zimmer lag im ersten Stock und hatte die Nummer 4. Christians Kämmerchen war direkt unter dem Dach. Als sie die schmale Treppe zum Dachboden hinaufstiegen, langte Christian nach Vaters Hand. Da fragte der Großvater: "Kann der Junge nicht allein gehen?"
Der Vater zwinkerte Christian zu und sagte: „Er schon, aber ich nicht!"
Das verschlug dem Großvater geradezu die Sprache. Wortlos deutete er auf die Tür. Hier gab es keine Nummer. Auf dieser Tür stand:
"PRIVAT".
Der Großvater wünschte den beiden eine gute Nacht und verließ die kleine Kammer. Als Christian endlich im Bett lag, setzte sich der Vater neben ihn und beide fanden, dass es für eine lange Gute - Nacht Geschichte zu spät sei. Der Vater sagt nachdenklich: „Dein Großvater war schon immer ein wenig eigenartig. Aber heute Abend habe ich mich doch sehr gewundert. Als er mich allein im Büro sprechen wollte, war er nicht da. Früher legte er großen Wert auf Pünktlichkeit, und heute habe ich mindestens zehn Minuten auf ihn gewartet.“
"Das kann ich mir schon denken“, sagte Christian, „schließlich saß der Großvater bei mir im Nebenzimmer." Nun begann der Vater zu lachen. Er lachte dröhnend und schlug sich auf die Schenkel.
„Das sieht ihm ähnlich, passt genau zu ihm", gluckste er. Als er sich beruhigt hatte, fuhr er Christian durch die Haare und murmelte: „Ich bin gespannt, was du hier alles erlebst. Das fängt ja richtig lustig an.“
Bevor der Vater das Zimmer verließ fragte er noch: "Weißt du eigentlich, dass du ein ganz besonderes Zimmer hast?"
„Ja, es hat keine Nummer", antwortete Christian und der Vater ergänzte: „Hier hat früher deine Mutter geschlafen.“
Christian schaute sich nun genauer im Zimmer um. Neben seinem Bett stand der Nachttisch mit der Lampe, neben der Tür war der Kleiderschrank und an der Wand hing ein kleines Regal. Dann gab es noch einen kleinen Tisch mit einem Hocker in der Ecke und einen bunten Teppich am Boden. Am schönsten fand Christian die Truhe mit dem gewölbten Deckel, die vor dem schrägen Dachfenster stand. Gleich draußen, neben der Kammer, befanden sich die Dusche, ein Klo und ein kleines Waschbecken. Hier also hatte seine Mutter gewohnt. Er kannte viele Bilder von ihr, doch wenn er an sie dachte, meinte er, sie sei seine große Schwester, die er leider nie kennen gelernt hatte. Für ihn war neben dem Vater die Oma der wichtigste Mensch auf der Welt. Vielleicht zählte auch sein Großvater einmal dazu. Er knipste das Licht aus und überlegte noch, ob sein Freund Stefan auch so viele Überraschungen am ersten Ferientag erlebt hatte. Dann rollte er sich auf die Seite und schlief ein.
*
Es war eine schlimme Nacht. Der Wind heulte ums Haus und Regenböen peitschten an die Scheibe. Dann krachte ein Fensterladen an die Wand und Christian fuhr erschrocken aus dem Schlaf hoch. Kerzengerade saß er im Bett und lauschte. Irgendwo schrie ein Käuzchen. Er hörte die Regentropen und spürte ganz deutlich sein Herz klopfen. Als noch einmal ein Fensterladen gegen die Wand schlug, sprang Christian aus dem Bett. Auf Zehenspitzen schlich er die Treppe hinunter. Er tastete sich zu Vaters Zimmer, öffnete die Tür und huschte zum Bett. Christian hob die Decke hoch, klopfte dem Vater leicht auf den Rücken und flüsterte: „Rutsch mal!“
Ohne aufzuwachen rückte der Vater zur Wand und Christian schlüpfte unter die Decke. Er kuschelte sich an Vaters breiten Rücken und schlief wieder ein.
Im Zimmer nebenan fand der Großvater in dieser Nacht keinen
Schlaf. Unruhig wälzte er sich von der einen auf die andere Seite. Er dachte an den blauäugigen, blonden Christian, der seiner verstorbenen Tochter so ähnlich sah. Es war, als wäre sie in Gestalt dieses kleinen Jungen zu ihm zurückgekommen. Auf einmal hörte er das leise Knacken der Bodentreppe. Rasch schwang er die Beine aus dem Bett und schlüpfte in seine Pantoffeln. Als er seine Kammer verließ, sah er, wie sich die Zimmertür von Christians Vater schloss. Der Großvater strich sich ein paar Mal über seinen Bart. Dann folgte er Christian auf leisen Sohlen. Er öffnete die Tür einen Spalt breit und fuhr sich nachdenklich über den Bart. Was sollte er tun, wenn Christian eines Nachts in seinem Zimmer stand? Still zog er sich in sein Zimmer zurück.
*
Vaters Zimmer lag im ersten Stock und hatte die Nummer 4. Christians Kämmerchen war direkt unter dem Dach. Als sie die schmale Treppe zum Dachboden hinaufstiegen, langte Christian nach Vaters Hand. Da fragte der Großvater: "Kann der Junge nicht allein gehen?"
Der Vater zwinkerte Christian zu und sagte: „Er schon, aber ich nicht!"
Das verschlug dem Großvater geradezu die Sprache. Wortlos deutete er auf die Tür. Hier gab es keine Nummer. Auf dieser Tür stand:
"PRIVAT".
Der Großvater wünschte den beiden eine gute Nacht und verließ die kleine Kammer. Als Christian endlich im Bett lag, setzte sich der Vater neben ihn und beide fanden, dass es für eine lange Gute - Nacht Geschichte zu spät sei. Der Vater sagt nachdenklich: „Dein Großvater war schon immer ein wenig eigenartig. Aber heute Abend habe ich mich doch sehr gewundert. Als er mich allein im Büro sprechen wollte, war er nicht da. Früher legte er großen Wert auf Pünktlichkeit, und heute habe ich mindestens zehn Minuten auf ihn gewartet.“
"Das kann ich mir schon denken“, sagte Christian, „schließlich saß der Großvater bei mir im Nebenzimmer." Nun begann der Vater zu lachen. Er lachte dröhnend und schlug sich auf die Schenkel.
„Das sieht ihm ähnlich, passt genau zu ihm", gluckste er. Als er sich beruhigt hatte, fuhr er Christian durch die Haare und murmelte: „Ich bin gespannt, was du hier alles erlebst. Das fängt ja richtig lustig an.“
Bevor der Vater das Zimmer verließ fragte er noch: "Weißt du eigentlich, dass du ein ganz besonderes Zimmer hast?"
„Ja, es hat keine Nummer", antwortete Christian und der Vater ergänzte: „Hier hat früher deine Mutter geschlafen.“
Christian schaute sich nun genauer im Zimmer um. Neben seinem Bett stand der Nachttisch mit der Lampe, neben der Tür war der Kleiderschrank und an der Wand hing ein kleines Regal. Dann gab es noch einen kleinen Tisch mit einem Hocker in der Ecke und einen bunten Teppich am Boden. Am schönsten fand Christian die Truhe mit dem gewölbten Deckel, die vor dem schrägen Dachfenster stand. Gleich draußen, neben der Kammer, befanden sich die Dusche, ein Klo und ein kleines Waschbecken. Hier also hatte seine Mutter gewohnt. Er kannte viele Bilder von ihr, doch wenn er an sie dachte, meinte er, sie sei seine große Schwester, die er leider nie kennen gelernt hatte. Für ihn war neben dem Vater die Oma der wichtigste Mensch auf der Welt. Vielleicht zählte auch sein Großvater einmal dazu. Er knipste das Licht aus und überlegte noch, ob sein Freund Stefan auch so viele Überraschungen am ersten Ferientag erlebt hatte. Dann rollte er sich auf die Seite und schlief ein.
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Es war eine schlimme Nacht. Der Wind heulte ums Haus und Regenböen peitschten an die Scheibe. Dann krachte ein Fensterladen an die Wand und Christian fuhr erschrocken aus dem Schlaf hoch. Kerzengerade saß er im Bett und lauschte. Irgendwo schrie ein Käuzchen. Er hörte die Regentropen und spürte ganz deutlich sein Herz klopfen. Als noch einmal ein Fensterladen gegen die Wand schlug, sprang Christian aus dem Bett. Auf Zehenspitzen schlich er die Treppe hinunter. Er tastete sich zu Vaters Zimmer, öffnete die Tür und huschte zum Bett. Christian hob die Decke hoch, klopfte dem Vater leicht auf den Rücken und flüsterte: „Rutsch mal!“
Ohne aufzuwachen rückte der Vater zur Wand und Christian schlüpfte unter die Decke. Er kuschelte sich an Vaters breiten Rücken und schlief wieder ein.
Im Zimmer nebenan fand der Großvater in dieser Nacht keinen
Schlaf. Unruhig wälzte er sich von der einen auf die andere Seite. Er dachte an den blauäugigen, blonden Christian, der seiner verstorbenen Tochter so ähnlich sah. Es war, als wäre sie in Gestalt dieses kleinen Jungen zu ihm zurückgekommen. Auf einmal hörte er das leise Knacken der Bodentreppe. Rasch schwang er die Beine aus dem Bett und schlüpfte in seine Pantoffeln. Als er seine Kammer verließ, sah er, wie sich die Zimmertür von Christians Vater schloss. Der Großvater strich sich ein paar Mal über seinen Bart. Dann folgte er Christian auf leisen Sohlen. Er öffnete die Tür einen Spalt breit und fuhr sich nachdenklich über den Bart. Was sollte er tun, wenn Christian eines Nachts in seinem Zimmer stand? Still zog er sich in sein Zimmer zurück.
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