Black Pearl
Mitglied
VI. Black Celebration
Kaltes Grün heißes Rot
finster schwarz
den Geist gebannt
rote Lippen
Fingerschnippen
Zug um Zug
rinnt hin der Trank
- allzu leicht die Lust
entbrannt -
alles nur Theaterspiel?
Wer warum hat
welches Ziel?
Alles Fakes?
Und Apropos -
wo steht Nakes??
Mitternacht rückte näher. Zeit, sich in ein öffentlich vorzeigbares Outfit zu werfen. Sie schlüpfte in ein schwarzes Cocktailkleid und dazu passende hauchfeine Nylonstrümpfe, doch auf ihren Mantel und ihre Stiefel wollte sie nicht verzichten, auffällig hin oder her - nun, es reichte völlig, auch etwas unter dem Mantel zu tragen, damit sie ihn in der Cocktailbar ausziehen konnte. Menschen taten so etwas, und sie wollte heute menschlich erscheinen.
Sie steckte etwas Geld und ihre Kippen ein, überprüfte im Spiegel noch einmal ihr Aussehen, fuhr sich kurz ordnend mit der Hand durchs Haar und machte sich auf den Weg.
Während sie über die Dächer durch die sternklare Nacht sprang, tastete sie vorsichtig nach Red Eyes Geist - er war weit weg.
Sehr beruhigend.
Bald schon sah sie den neongrünen Totenkopf der Black Celebration-Cocktailbarin der Ferne aufblinken.
Wenige Minuten später war sie da - wie beabsichtigt, viel zu früh.
Sie wollte vor Melloy da sein, um sich einen guten Platz zum Reden zu suchen und sicher zu gehen, dass der Laden sauber war, obwohl sie dort bisher noch nie einen von Red Eyes Meute erblickt hatte. Das kitschige Gothic-Ambiente, mit dem die Bar völlig überladen war, sagte ihnen nicht zu. Vampire liebten heutzutage modernes, aber stilvolles Futurama-Design oder schwelgten im traditionellen Barock verstaubter Jahrhunderte.
Sie wussten nicht, was sie verpassten - auf der Karte gab es Bloody Mary, Wodka Red Skin, Killing Gin und andere Cocktails mit echtem Blut für Vampirfans, so etwas gab es nirgends sonst in Dark Town. Sie vertrug solche Getränke gut, was nicht jeder Vampir von sich behaupten konnte. Es gab nicht viele, die menschliche Nahrung zu sich nehmen konnten, ohne Krämpfe zu bekommen. Auf die, die es konnten, wirkte es so, wie wenn ein Mensch völlig nährstoffarme Lebensmittel essen würde, absolut wirkneutral, jedoch nicht geschmacksneutral - aufgrund der gesteigerten Sinne schmeckten sie jede auch noch so kleine Note des Aromas heraus. Und vermischt mit Blut - ein Hochgenuss...
Leider war die Menge an Blut zu gering, um tatsächlich davon satt zu werden - aber es half ihr, wenn es kaum noch auszuhalten war, die Woche auch einmal ohne einen größeren Trank durchzustehen.
Sie lächelte den Barkeeper, Typ südländischer Gigolo, betörend an, der sie jedes Mal - wie auch heute - lüstern anstarrte, wenn sie den Laden betrat. Er erfüllte immer jeden ihrer Wünsche, denn er hoffte jedes Mal aufs Neue, sie ins Bett zu kriegen, da sie, wenn sie die Bar wieder verließ, im Geiste aller dort befindlichen Gäste ihr Bild löschte, natürlich auch, wenn jemand vor ihr aufbrach.
Da es immer der gleiche Barkeeper war, wurde es von Mal zu Mal schwerer, seinen Geist von sich zu befreien - irgendwann würde sie ihn wohl ein wenig beißen müssen, um ihre Macht über seinen Geist zu verstärken.
Vielleicht reichte es aber auch, ihm seinen heißbegehrten Wunsch nach einer Nacht mit ihr zu erfüllen...
Wenigstens wechselten die Kellnerinnen ihre Schichten.
Sie sog prüfend die Luft ein, die Bar schien wie immer frei von Vampiren zu sein. Trotzdem betrachtete sie jeden der Gäste genau, als sie durch den Laden zu ihrem Stammplatz schritt, heute war er, trotz reichlich Besuch, erfreulicherweise noch frei.
Sie brauchte heute alle Energie, um so viel wie möglich aus Melloys Hirn über all die Indizien, die sie gesehen hatte, heraus zu pressen, und war daher froh, sich nicht erst mental Platz schaffen zu müssen.
Gute Bullen waren schwieriger zu manipulieren, da sie es gewohnt waren, möglichst neutral zu wirken und nichts preis zu geben, was sie nicht preisgeben wollten. Und Melloy war immerhin ein erfahrener FBI-Agent, soviel wusste sie schon. Etwas abgehalftert, aber eher äußerlich, sein Geist war noch hellwach - zumindest, wenn er ihn nicht mit Whiskey betäubte.
Sie hoffte, dass er seinem bisherigen Pegel hier noch einiges hinzufügen würde, das würde die Sache sehr erleichtern.
Kaum hatte sie den Mantel geöffnet (ausziehen mochte sie ihn doch nicht) und sich gesetzt, trat der Barkeeper zu ihr hin. Ein paar Stammgäste drehten sich erstaunt um, denn normalerweise schickte er seine Kellnerinnen, um die Bestellung aufzunehmen.
Doch wie immer kam er zu ihr persönlich.
„Was darf ich Ihnen bringen lassen?“ fragte er höflich und zog sie förmlich mit Blicken aus.
„Bloody Mary Spezial“, hauchte sie.
“Kommt sofort”, antwortete er eilfertig und verschwand - wenige Minuten später stellte er ein großes Glas Bloody Mary Spezial vor sie hin, unter das er einen Bierdeckel schob - sie wusste schon, dass auf der Rückseite - wie immer - seine Telefonnummer stehen würde.
Er starrte wie gebannt auf ihren Mund, als sie sich unbewusst angesichts der rot funkelnden Flüssigkeit die Lippen leckte.
„Danke,“ sagte sie betont abweisend, als er immer noch wie gebannt vor ihr stand und beobachtete, wie sie das Glas an ihre Lippen hob.
Er erwachte aus seiner Erstarrung.
„Äh, da Sie anscheinend auf unsere Spezial-Cocktails ein Auge geworfen haben, hätte ich da noch etwas Besonderes für Sie, der neuste Schrei, heute kam die erste Lieferung... Die passende Knabberei zum Getränk - ich nenne sie Bloody Stones... Wenn Sie probieren möchten?“
Er nahm eine Schale vom Tablett und hielt sie ihr hin, kleine schwarze, etwas kantige Drops lagen darin.
Sie sog erfreut den Blutgeruch ein.
„Hmm, gerne - lassen Sie doch die Schale hier und kümmern sich wieder um Ihre anderen Gäste, hm?“
Er nickte eifrig und ließ sie allein.
Sie zündete sich eine Zigarette an und nippte gedankenverloren an ihrem Cocktail. Er schmeckte wie immer fantastisch und regte ihren Appetit enorm an. Sie hörte das verlockend klopfende Blut in den Gästen um sich herum, doch noch war ihr Wille stark genug, dem Drang zu widerstehen. Ihr saugender Blick hielt ihr dafür den ein oder anderen Gast vom Hals, der sie interessiert anstarrte - auf unangenehme Weise irritiert wandten sie den Blick wieder von ihr ab.
Sie hatte kaum die Zigarette ausgedrückt, da stieg ihr Melloys unverkennbarer, whiskeygetränkter Geruch in die Nase - vermischt mit billigem Aftershave, wie sie lächelnd registrierte. Ein paar Sekunden später ging die Tür auf.
Auch er war zu früh.
Sein Blick flog rasch durch den Raum und blieb kurz an ihr hängen, seine Augenbrauen zuckten überrascht hoch, doch sogleich hatte er sich wieder im Griff und setzte eine gleichmütige Miene auf.
Er schlenderte ruhig auf sie zu, wobei er den Laden unauffällig weiter mit Blicken abcheckte.
Sie grinste, er hatte sich für sie wirklich Mühe gegeben, attraktiv zu erscheinen. Doch er gehörte zu der Sorte Mann, die auch frisch rasiert und geduscht immer noch einen verwegen kantigen Gesichtsausdruck hatten, sein knittriger schwarzer Trenchcoat, den er sicher aus Nostalgie trug und der ihn nicht gerade unauffällig - geschweige FBI typisch gestriegelt - erscheinen ließ, unterstrich diesen Eindruck noch. Auch seinen struppig kurzen Haarschopf schien er nur mit viel Mühe und Wachs - wenn auch erfolglos - gebändigt bekommen zu haben, hier und da standen noch ein paar kleine widerspenstige Haarsträhnen vom Kopf ab. Die von zu viel Alkohol leicht Blut unterlaufenen und ihr dunkles Blau verschwommen wirken lassenden Augen waren allerdings das deutlichste Merkmal seiner sich am Hochprozentigen festklammernden Lebensweise.
Dennoch hatte er einen ruhig-klaren Blick, als er sie forschend - und wie sie befriedigt feststellte, auch anerkennend - betrachtete, nachdem er sich ihr mit kurzem Nicken, als wäre sie eine alte Bekannte, wie selbstverständlich gegenüber gesetzt hatte.
"Schräger Laden, fast etwas zu...", Melloy suchte nach Worten.
"Zu billig für jemanden wie mich?", half sie ihm amüsiert.
"Hmm", nickte er etwas verlegen.
Sie bedachte ihn mit einem verführerischen Lächeln und registrierte befriedigt ein entsprechendes Aufblitzen seiner Augen.
"Man kann sich hier aus genau diesem Grund ungestört fühlen...", begann sie, doch wie um sie Lügen zu strafen, stand der Barkeeper vor ihnen.
"Sie wünschen?" blaffte er Melloy an, während er ihn argwöhnisch begutachtete.
Sein Urteil fiel geringschätzig aus, sein sie etwas enttäuscht streifender Blick sprach Bände.
"Einen - doppelten Whishey", antwortete Melloy etwas verwirrt.
Der Barkeeper warf ihr und Melloy noch einen finsteren Blick zu, bevor er wortlos, aber mit gekonntem Hüftschwung, davon stapfte.
Black Pearl sandte ihm einen "Der könnte dein Vater sein, zu alt für Konkurrenz"-Gedankenblitz hinterher, damit er Melloy nicht aus Eifersucht länger als nötig auf seinen Whiskey warten ließ.
Melloy kam gerade einmal dazu, sich eine Zigarillo anzuzünden, da schob ihm schon die Kellnerin mit einem freundlichen Lächeln seinen Drink vor die Nase und verschwand auch genauso schnell wieder.
Er nahm einen tiefen Zug und schmatzte höchst befriedigt.
Für sie reichte die kurze Ablenkung aus, um in seinen Gedanken das zuletzt Geschehene zu lesen, der Tod des Mädchens, ihr Name auf dem Ausweis, ihr Namensschild und ihr Gesicht auf der Zeichnung... handelte Nakes in Red Eyes Auftrag?? Aber warum sollte er die Aufmerksamkeit des FBIs auf sie lenken wollen - er war doch eigentlich auf das Gegenteil, die Vertuschung ihrer Existenz, aus?? Wer war Nakes?? Vielleicht ein von Vadis Beauftragter? Sie war verwirrt - doch erst einmal mußte schnell eine passende Geschichte her...
"Die haben hier nen guten Whiskey, das muss man ihnen lassen...", murmelte Melloy gerade und nickte anerkennend.
"Also, Miss Sinclair... warum wollten Sie mich sprechen?" fragte er nach einem weitern Schluck betont sachlich.
"Nennen Sie mich doch ruhig Anne..."
"Gut - Anne - also - wie kann ich Ihnen helfen?"
"Es geht um eine Bekannte von mir...sie heißt Rhea... ihren Nachnamen kenne ich leider nicht... Sie ist - war - Zimmermädchen im Crucified King Hotel...ich habe von ihrem Tod erfahren... ich konnte es nicht verhindern... hätte ich gewußt... wäre ich nur eher zur Polizei gegangen...", sie setzte eine überzeugend verzweifelte Miene auf und drückte sich ein paar Tränen heraus.
Melloy starrte betürzt auf das weinende Mädchen.
"Beruhigen Sie sich... Sie hätten das sicher nicht verhindern können... erzählen Sie einfach, was passiert ist...", ermunterte er sie sanft und täschelte väterlich ihre bereit liegende Hand.
"Ich glaube, sie hat sich umgebracht... meinetwegen...", schluchzte sie leise.
"Warum glauben Sie das?", fragte er und leerte sein Glas in zwei tiefen Zügen.
Sie tat so, als müsse sie sich zusammenreißen und setzte ruhiger fort:
"Es ist alles so schrecklich... das wird für Sie jetzt sicher sehr psycho klingen, aber es war so...", sie seufzte dramatisch.
Er nickte ihr aufmunternd zu.
"Ich habe Rhea vor ein paar Tagen in einer Discothek kennengelernt, im Dark Pavillon... wir haben uns gut verstanden und haben die ganze Nacht zusammen gehangen, getanzt, geredet - es war sehr nett... nach der Disco sind wir noch durch die dunklen Strassen gelaufen und haben uns dann auf eine Bank im Park gesetzt und bis zum Morgen durchgequatscht, wir haben über Männer geredet, übers Flirten... sie meinte, sie wolle das alles nicht mehr, deswegen hätte sie in der Disco auch nicht groß geflirtet, früher wäre sie wie ich gewesen, aber das sei doch alles so oberflächlich... deswegen hätte sie immer so lachen müssen, als sie mir beim Flirten in der Disco zugesehen hat... dann fing sie einfach an zu weinen, ich war total perplex, als sie so plötzlich in Tränen ausbrach... und dann stammelte sie, es wäre ja alles gelogen, sie wäre nie so wie ich gewesen, sie hätte das nie drauf gehabt und hätte deswegen so Probleme, Männer kennenzulernen und sie sei so einsam und bewundere mich dafür, dass ich das könne und die Männer entsprechend darauf reagierten und sagte dann immer wieder, sie wäre gern wie ich und hasse sich, sie käme einfach nicht mehr klar und wäre gern wer anders oder am besten nie geboren worden... ich war echt geschockt und wußte überhaupt nicht, was ich sagen sollte, ich habe sie versucht zu trösten, doch sie hat mich plötzlich weggeschubst, mir einfach eine geknallt und mich kreischend beschimpft mit "Flittchen" und "Schlampe" und sie sei froh, nicht wie ich zu sein - und dann ist sie einfach weggerannt... ich war wie vor den Kopf gestoßen und dann natürlich erstmal total sauer, doch dann dachte ich, die ist nur verzweifelt und betrunken - also bin ich ihr hinterher... doch ich habe sie nicht mehr finden können... da bin ich dann nach Hause.
Erst Tage später habe ich festgestellt, dass mein Ausweis weg ist...ich wollte aber nicht zur Polizei, weil sie mir leid tat... und außerdem wußte ich ja nicht mal ihren Nachnamen... also bin ich abends nochmal zum Dark Pavillon gegangen, aber sie ist da nicht aufgetaucht - dann fiel mir das Hotel ein, sie hatte mir von ihrer Arbeit dort erzählt - also bin ich hin und durch die Gänge, um sie zu suchen... und dann hörte ich zufällig wie zwei Zimmermädchen vor Ihrem Zimmer miteinander sprachen, dass wer vom FBI hier eingecheckt habe und was das wohl bedeuten könne und ob das mit den Serienmorden zu tun hätte - und naja... das klingt jetzt wohl blöd, weil Sie sich doch mit viel größeren Problemen rumschlagen müssen - ", sie machte eine Kunstpause und las dabei in seinem Geist, was bei ihrem Türöffner-Wort "Serienmorden" assoziativ alles in seinem Kopf auftauchte, folgte den bewussten und unbewussten Verlinkungen in seinem Gedächtnis, bis sie genug wußte...
Es dauerte nur Sekunden.
"Erzählen Sie nur...", ermunterte er sie geduldig, weiter zu sprechen.
"Naja, ich dachte, jemand vom FBI, der kennt sich mit so Psychokram wie Stalking sicher besser aus als die Polizei und könnte mir einen Rat geben, wie ich am besten auf Rhea zugehen sollte, wenn ich sie treffe... ich will ja nur den Ausweis wieder und ihr keinen Ärger machen... und dass sie mich dann in Ruhe läßt, die ist mir echt zu schräg drauf... aber ich wollte es erst einmal selbst versuchen - also habe ich sie im Gang vor Ihrem Zimmer abgepasst, in dem Sie eingecheckt haben, und gebeten mit mir zu reden... ich habe ihr gesagt, ich sei nicht sauer und wolle nur mit ihr reden, ob wir nicht in eins der Zimmer gehen könnten - sie sagte, sie müsse arbeiten und ich meinte, dann eben hier in das Zimmer, das sie gerade machen muss - das wollt ich ja genau, damit ich, wenn es schief geht, da auf Sie warten oder eine Nachricht hinterlassen kann - sie meinte, na gut... also sind wir rein.
Am Anfang lief das Gespräch gut, doch als ich meinen Ausweis zurück haben wollte, wurde sie sauer und schrie, den hätte sie nicht, sie sei doch keine Diebin, was ich mir einbilden würde, doch ich beharrte, dass sie ihn haben müsse und ich ihn doch nur wieder wolle, dann wäre doch alles okay - aber sie ist einfach wütend rausgerannt... da habe ich dann die Visitenkarte hinterlassen, um Sie zu treffen, ohne das Rhea das mitbekommt, um mir Rat zu holen - doch nun ist es zu spä-ät...", endete sie und verfiel gekonnt wieder in verzweifeltes Schluchzen.
"Aber, aber - das ist doch nicht Ihre Schuld... anscheinend war sie eine psychisch schon sehr labile Frau - und ob es Selbstmord war, muss ja auch erst noch geklärt werden..."
Sie sah ihn mit großen Augen an: "Denken Sie etwa an - Mord?? Vielleicht sogar von dem Serienkiller, von dem man immer mal wieder liest?" Sie schüttelte sich entsetzt - zumindest sah es so aus.
"Ich glaube nein - aber vielleicht war es auch ein Unfall..."
"Ich weiß nicht... irgendwie erscheint mir das kein Zufall - der Streit - ihr Tod...", zweifelte sie.
"Möglich wäre es schon - aber das dürfen Sie sich nicht so zu Herzen nehmen!" setzte er eilig nach. "Jeder andere negative Anlass hätte für diese Frau wahrscheinlich auch dazu führen können... Aber es wäre gut, wenn Sie das alles noch einmal zu Protokoll geben könnten, die entsprechende Stelle wird sich darum kümmern... ich hätte da auch noch ein paar Fragen, aber das müssen wir nicht hier besprechen, es reicht, wenn wir das klären, wenn das Protokoll aufgenommen wird."
"Also untersuchen Sie selbst Rheas Tod weiter?"
"Da ich zugegen war, als es passierte, ja - es scheint zwar erst einmal kein Zusammenhang zu meinem eigentlichen Auftrag hier zu bestehen, aber ich will mir dessen auch sicher sein, daher werde ich erst einmal noch dabei sein - wenn im Verlauf dann kein Zusammenhang feststellbar ist, übernimmt natürlich die entsprechende Dienststelle den Fall... Am besten, Sie kommen morgen früh zum Hotel und wir fahren dann zusammen zur Polizei."
Sie nickte einverstanden.
Das beruhigte ihn, sie schien keine Angst vor der Polizei zu haben... Doch sie war nicht ehrlich, ermahnte er sich, sie war die Frau auf der Zeichnung und hatte sich sogar mit eigenem Namensschild ins Hotel geschlichen... Er war verwirrt. Warum sollte sie Rhea - wenn die Tote denn so hieß - umgebracht haben? Und dazu noch so geplant? Und ihm vor dem Mord noch eine Visitenkarte von sich ins Zimmer legen??
Er war fast sicher, dass ihre scheinbare Hilflosigkeit nicht echt war, sie wirkte nicht wie jemand, der sich naiv und hilflos um Rat ans FBI wenden würde, er spürte, dass trotz ihrer Hilflosigkeit und scheinbaren Ergebenheit eine selbstbewußte, starke Energie von ihr ausging, die gewohnt war, Männer um den Finger zu wickeln...
Allein die Art, wie sie sich gerade eine Zigarette anzündete, wie geschmeidig sich ihre Hände und Finger dabei bewegten, machte ihn scharf... Auch wenn sie ihm eigentlich zu jung war...
Zumindest in dieser Hinsicht wirkte ihre Geschichte über die Ereignisse in der Discothek stimmig...
Gebannt sah er zu, wie sie einen großen Schluck aus ihrem Cocktailglas nahm und sich dann ein Lakritz in den Mund schob - unwillkürlich dachte er an Nakes, und diese Assoziation löste den Bann.
Er mußte sie im Auge behalten.
Er war nicht sicher, ob sie morgen früh wirklich auftauchen würde... Er mußte dringend nach der Identifikation der Toten fragen, wer von beiden war nun Anne Sinclair? War die Tote wirklich Rhea? Sollte er sie nach weiteren Ausweisen fragen, um sicher zu gehen?
Nein, er durfte sie nicht verschrecken.
sonst würde sie morgen auf gar keinen Fall auftauchen. Für eine Festnahme reichten die Informationen aber längst nicht aus - auf jeden Fall sollte er jemanden zur Observation vor dem Haus positionieren, falls die Adresse des Ausweises der Toten doch ihre war.
Am besten, er übernahm das selbst.
Irgendwie hatte er das Gefühl, sein Fall hing mit dieser Frau und der Toten zusammen... das Ganze schien tatsächlich immer verzwickter zu werden - hah, der Chef wird sich noch ärgern, denn vielleicht war dieser Fall, der ihm wie Abfall zugeschoben worden war, viel bedeutender als der seines Chefs - er hoffte es zumindest. Auf jeden Fall war er spannender und heißer - Politik wurde schließlich nicht von superscharfen Bräuten, sondern von langweiligen, egogestörten alten Männer mit dicken Bäuchen betrieben...
Eigentlich müßte er sich jetzt verabschieden.
Aber er hatte noch Lust auf einen weiteren Drink - und ihre Anwesenheit. Doch auch sie würde jetzt sicher gehen wollen, ihr Cocktail war fast leer, alles gesagt und ein Termin gemacht... unglücklich starrte er in sein leeres Glas. Selbst wenn sie noch bleiben würde, hatte er keinen Grund zu bleiben - es sei denn einen auffällig unprofessionellen...
Black Pearl bemühte sich, gelassen im Rest ihres Cocktails zu rühren, während sie amüsiert seinen Gedanken lauschte.
Melloy raffte sich schließlich auf.
"Lassen Sie den Kopf nicht hängen, morgen sehen wir weiter - 9.00 Uhr in der Lobby, ist das okay für Sie?"
"Ja - und vielen Dank, dass Sie hierher gekommen sind!"
Sie schaute mit kleinmädchenhaftem Blick zu ihm auf, er stieg darauf ein und nickte ihr väterlich zu - erst einmal mitspielen... Er reichte ihr seine Karte mit der üblichen Floskel "wenn noch Fragen sind, die nicht bis morgen warten können oder Ihnen noch wichtige Informationen einfallen", warf einen letzter Blick auf ihr schönes Dekollete und in ihre seltsamen Augen - die so dunkel waren, dass man im Dimmerlicht der Bar die Pupillen nicht erkennen konnte - und wandte sich mit stillem Bedauern zum Gehen.
Er spürte ihren Blick im Rücken, als er zur Theke ging, doch er drehte sich nicht noch einmal um.
Er zahlte rasch - wobei er den schroffen Ton des Barkeepers gleichmütig ignorierte - und fuhr nachdenklich ins Hotel zurück.
Black Pearl lächelte mitleidig, als er aus der Tür war.
Armer Melloy. Er würde, wenn er sie bis morgen früh observieren wollte, eine leere Wohnung vorfinden... Alle ihre Ausweise waren natürlich gefaket. Aber sie mußte jetzt auch rasch handeln, irgendwas lief hier gründlich schief - wer hatte einen ihrer Ausweise kopiert und der Toten untergeschoben??? Sie tippte auf Nakes, wahrscheinlich hatte er die Tote auf dem Gewissen... Sie erinnerte sich, sie war nicht mehr dazu gekommen, seinen Körpergeruch wie vorher Melloys zu erschnuppern, die Pinnwand mit den Fotos hatte sie abgelenkt.
Verdammt.
Sonst hätte sie schon längst gewußt, ob er ein Vampir ist. Wenn, dann war er keiner aus Dark Town...
Moment, Melloy hatte sich ihrem Bann entzogen bei seinem Gedanken an Nakes, als sie gerade einen Bloody Stone gegessen hatte - vielleicht aß der nicht gern Lakritze, wie sie Melloys Gedanken erst einmal entnommen hatte, sondern Bloody Stones...
Sie war höchst beunruhigt.
Sie mußte dringend herausfinden, wer Nakes wirklich war und zu wem er gehörte... hatte Vadis ihn über seine Kontakte zu anderen Clans herbei zitiert, da Red Eye zu versagen schien? Und aus welchem Clan kam er?
Red Eye hatte ihn nie erwähnt...
Sie hatte plötzlich das Gefühl, sofort verschwinden zu sollen, sie löschte rasch ihre und Melloys Anwesenheit aus dem Gedächtnis der Gäste, des Personals und des Barkeepers - bei dem es ziemliche Mühe kostete - steckte sich die restlichen Bloody Stones in den Mund und verschwand unauffällig durch den Personaleingang, nachdem sie sich aus dem Keller der Bar noch schnell eine große Packung - für die Cocktails extra angefertigte und schon abgefüllte - Blutpipetten aus dem Kühlschrank geschnappt hatte.
Als sie sich auf das Dach des ersten Hauses neben der Bar schwang, flog sie mit voller Wucht gegen Nakes, der trotz des heftigen Zusammenpralls sicher am Rande des Daches stehen blieb.
Er wartete, bis sie sich wieder aufgerappelt hatte.
"Du bist also Black Pearl - ich bin Nakes."
"Ich weiß", antwortete sie und zog ihre Schwerter.
Kaltes Grün heißes Rot
finster schwarz
den Geist gebannt
rote Lippen
Fingerschnippen
Zug um Zug
rinnt hin der Trank
- allzu leicht die Lust
entbrannt -
alles nur Theaterspiel?
Wer warum hat
welches Ziel?
Alles Fakes?
Und Apropos -
wo steht Nakes??
Mitternacht rückte näher. Zeit, sich in ein öffentlich vorzeigbares Outfit zu werfen. Sie schlüpfte in ein schwarzes Cocktailkleid und dazu passende hauchfeine Nylonstrümpfe, doch auf ihren Mantel und ihre Stiefel wollte sie nicht verzichten, auffällig hin oder her - nun, es reichte völlig, auch etwas unter dem Mantel zu tragen, damit sie ihn in der Cocktailbar ausziehen konnte. Menschen taten so etwas, und sie wollte heute menschlich erscheinen.
Sie steckte etwas Geld und ihre Kippen ein, überprüfte im Spiegel noch einmal ihr Aussehen, fuhr sich kurz ordnend mit der Hand durchs Haar und machte sich auf den Weg.
Während sie über die Dächer durch die sternklare Nacht sprang, tastete sie vorsichtig nach Red Eyes Geist - er war weit weg.
Sehr beruhigend.
Bald schon sah sie den neongrünen Totenkopf der Black Celebration-Cocktailbarin der Ferne aufblinken.
Wenige Minuten später war sie da - wie beabsichtigt, viel zu früh.
Sie wollte vor Melloy da sein, um sich einen guten Platz zum Reden zu suchen und sicher zu gehen, dass der Laden sauber war, obwohl sie dort bisher noch nie einen von Red Eyes Meute erblickt hatte. Das kitschige Gothic-Ambiente, mit dem die Bar völlig überladen war, sagte ihnen nicht zu. Vampire liebten heutzutage modernes, aber stilvolles Futurama-Design oder schwelgten im traditionellen Barock verstaubter Jahrhunderte.
Sie wussten nicht, was sie verpassten - auf der Karte gab es Bloody Mary, Wodka Red Skin, Killing Gin und andere Cocktails mit echtem Blut für Vampirfans, so etwas gab es nirgends sonst in Dark Town. Sie vertrug solche Getränke gut, was nicht jeder Vampir von sich behaupten konnte. Es gab nicht viele, die menschliche Nahrung zu sich nehmen konnten, ohne Krämpfe zu bekommen. Auf die, die es konnten, wirkte es so, wie wenn ein Mensch völlig nährstoffarme Lebensmittel essen würde, absolut wirkneutral, jedoch nicht geschmacksneutral - aufgrund der gesteigerten Sinne schmeckten sie jede auch noch so kleine Note des Aromas heraus. Und vermischt mit Blut - ein Hochgenuss...
Leider war die Menge an Blut zu gering, um tatsächlich davon satt zu werden - aber es half ihr, wenn es kaum noch auszuhalten war, die Woche auch einmal ohne einen größeren Trank durchzustehen.
Sie lächelte den Barkeeper, Typ südländischer Gigolo, betörend an, der sie jedes Mal - wie auch heute - lüstern anstarrte, wenn sie den Laden betrat. Er erfüllte immer jeden ihrer Wünsche, denn er hoffte jedes Mal aufs Neue, sie ins Bett zu kriegen, da sie, wenn sie die Bar wieder verließ, im Geiste aller dort befindlichen Gäste ihr Bild löschte, natürlich auch, wenn jemand vor ihr aufbrach.
Da es immer der gleiche Barkeeper war, wurde es von Mal zu Mal schwerer, seinen Geist von sich zu befreien - irgendwann würde sie ihn wohl ein wenig beißen müssen, um ihre Macht über seinen Geist zu verstärken.
Vielleicht reichte es aber auch, ihm seinen heißbegehrten Wunsch nach einer Nacht mit ihr zu erfüllen...
Wenigstens wechselten die Kellnerinnen ihre Schichten.
Sie sog prüfend die Luft ein, die Bar schien wie immer frei von Vampiren zu sein. Trotzdem betrachtete sie jeden der Gäste genau, als sie durch den Laden zu ihrem Stammplatz schritt, heute war er, trotz reichlich Besuch, erfreulicherweise noch frei.
Sie brauchte heute alle Energie, um so viel wie möglich aus Melloys Hirn über all die Indizien, die sie gesehen hatte, heraus zu pressen, und war daher froh, sich nicht erst mental Platz schaffen zu müssen.
Gute Bullen waren schwieriger zu manipulieren, da sie es gewohnt waren, möglichst neutral zu wirken und nichts preis zu geben, was sie nicht preisgeben wollten. Und Melloy war immerhin ein erfahrener FBI-Agent, soviel wusste sie schon. Etwas abgehalftert, aber eher äußerlich, sein Geist war noch hellwach - zumindest, wenn er ihn nicht mit Whiskey betäubte.
Sie hoffte, dass er seinem bisherigen Pegel hier noch einiges hinzufügen würde, das würde die Sache sehr erleichtern.
Kaum hatte sie den Mantel geöffnet (ausziehen mochte sie ihn doch nicht) und sich gesetzt, trat der Barkeeper zu ihr hin. Ein paar Stammgäste drehten sich erstaunt um, denn normalerweise schickte er seine Kellnerinnen, um die Bestellung aufzunehmen.
Doch wie immer kam er zu ihr persönlich.
„Was darf ich Ihnen bringen lassen?“ fragte er höflich und zog sie förmlich mit Blicken aus.
„Bloody Mary Spezial“, hauchte sie.
“Kommt sofort”, antwortete er eilfertig und verschwand - wenige Minuten später stellte er ein großes Glas Bloody Mary Spezial vor sie hin, unter das er einen Bierdeckel schob - sie wusste schon, dass auf der Rückseite - wie immer - seine Telefonnummer stehen würde.
Er starrte wie gebannt auf ihren Mund, als sie sich unbewusst angesichts der rot funkelnden Flüssigkeit die Lippen leckte.
„Danke,“ sagte sie betont abweisend, als er immer noch wie gebannt vor ihr stand und beobachtete, wie sie das Glas an ihre Lippen hob.
Er erwachte aus seiner Erstarrung.
„Äh, da Sie anscheinend auf unsere Spezial-Cocktails ein Auge geworfen haben, hätte ich da noch etwas Besonderes für Sie, der neuste Schrei, heute kam die erste Lieferung... Die passende Knabberei zum Getränk - ich nenne sie Bloody Stones... Wenn Sie probieren möchten?“
Er nahm eine Schale vom Tablett und hielt sie ihr hin, kleine schwarze, etwas kantige Drops lagen darin.
Sie sog erfreut den Blutgeruch ein.
„Hmm, gerne - lassen Sie doch die Schale hier und kümmern sich wieder um Ihre anderen Gäste, hm?“
Er nickte eifrig und ließ sie allein.
Sie zündete sich eine Zigarette an und nippte gedankenverloren an ihrem Cocktail. Er schmeckte wie immer fantastisch und regte ihren Appetit enorm an. Sie hörte das verlockend klopfende Blut in den Gästen um sich herum, doch noch war ihr Wille stark genug, dem Drang zu widerstehen. Ihr saugender Blick hielt ihr dafür den ein oder anderen Gast vom Hals, der sie interessiert anstarrte - auf unangenehme Weise irritiert wandten sie den Blick wieder von ihr ab.
Sie hatte kaum die Zigarette ausgedrückt, da stieg ihr Melloys unverkennbarer, whiskeygetränkter Geruch in die Nase - vermischt mit billigem Aftershave, wie sie lächelnd registrierte. Ein paar Sekunden später ging die Tür auf.
Auch er war zu früh.
Sein Blick flog rasch durch den Raum und blieb kurz an ihr hängen, seine Augenbrauen zuckten überrascht hoch, doch sogleich hatte er sich wieder im Griff und setzte eine gleichmütige Miene auf.
Er schlenderte ruhig auf sie zu, wobei er den Laden unauffällig weiter mit Blicken abcheckte.
Sie grinste, er hatte sich für sie wirklich Mühe gegeben, attraktiv zu erscheinen. Doch er gehörte zu der Sorte Mann, die auch frisch rasiert und geduscht immer noch einen verwegen kantigen Gesichtsausdruck hatten, sein knittriger schwarzer Trenchcoat, den er sicher aus Nostalgie trug und der ihn nicht gerade unauffällig - geschweige FBI typisch gestriegelt - erscheinen ließ, unterstrich diesen Eindruck noch. Auch seinen struppig kurzen Haarschopf schien er nur mit viel Mühe und Wachs - wenn auch erfolglos - gebändigt bekommen zu haben, hier und da standen noch ein paar kleine widerspenstige Haarsträhnen vom Kopf ab. Die von zu viel Alkohol leicht Blut unterlaufenen und ihr dunkles Blau verschwommen wirken lassenden Augen waren allerdings das deutlichste Merkmal seiner sich am Hochprozentigen festklammernden Lebensweise.
Dennoch hatte er einen ruhig-klaren Blick, als er sie forschend - und wie sie befriedigt feststellte, auch anerkennend - betrachtete, nachdem er sich ihr mit kurzem Nicken, als wäre sie eine alte Bekannte, wie selbstverständlich gegenüber gesetzt hatte.
"Schräger Laden, fast etwas zu...", Melloy suchte nach Worten.
"Zu billig für jemanden wie mich?", half sie ihm amüsiert.
"Hmm", nickte er etwas verlegen.
Sie bedachte ihn mit einem verführerischen Lächeln und registrierte befriedigt ein entsprechendes Aufblitzen seiner Augen.
"Man kann sich hier aus genau diesem Grund ungestört fühlen...", begann sie, doch wie um sie Lügen zu strafen, stand der Barkeeper vor ihnen.
"Sie wünschen?" blaffte er Melloy an, während er ihn argwöhnisch begutachtete.
Sein Urteil fiel geringschätzig aus, sein sie etwas enttäuscht streifender Blick sprach Bände.
"Einen - doppelten Whishey", antwortete Melloy etwas verwirrt.
Der Barkeeper warf ihr und Melloy noch einen finsteren Blick zu, bevor er wortlos, aber mit gekonntem Hüftschwung, davon stapfte.
Black Pearl sandte ihm einen "Der könnte dein Vater sein, zu alt für Konkurrenz"-Gedankenblitz hinterher, damit er Melloy nicht aus Eifersucht länger als nötig auf seinen Whiskey warten ließ.
Melloy kam gerade einmal dazu, sich eine Zigarillo anzuzünden, da schob ihm schon die Kellnerin mit einem freundlichen Lächeln seinen Drink vor die Nase und verschwand auch genauso schnell wieder.
Er nahm einen tiefen Zug und schmatzte höchst befriedigt.
Für sie reichte die kurze Ablenkung aus, um in seinen Gedanken das zuletzt Geschehene zu lesen, der Tod des Mädchens, ihr Name auf dem Ausweis, ihr Namensschild und ihr Gesicht auf der Zeichnung... handelte Nakes in Red Eyes Auftrag?? Aber warum sollte er die Aufmerksamkeit des FBIs auf sie lenken wollen - er war doch eigentlich auf das Gegenteil, die Vertuschung ihrer Existenz, aus?? Wer war Nakes?? Vielleicht ein von Vadis Beauftragter? Sie war verwirrt - doch erst einmal mußte schnell eine passende Geschichte her...
"Die haben hier nen guten Whiskey, das muss man ihnen lassen...", murmelte Melloy gerade und nickte anerkennend.
"Also, Miss Sinclair... warum wollten Sie mich sprechen?" fragte er nach einem weitern Schluck betont sachlich.
"Nennen Sie mich doch ruhig Anne..."
"Gut - Anne - also - wie kann ich Ihnen helfen?"
"Es geht um eine Bekannte von mir...sie heißt Rhea... ihren Nachnamen kenne ich leider nicht... Sie ist - war - Zimmermädchen im Crucified King Hotel...ich habe von ihrem Tod erfahren... ich konnte es nicht verhindern... hätte ich gewußt... wäre ich nur eher zur Polizei gegangen...", sie setzte eine überzeugend verzweifelte Miene auf und drückte sich ein paar Tränen heraus.
Melloy starrte betürzt auf das weinende Mädchen.
"Beruhigen Sie sich... Sie hätten das sicher nicht verhindern können... erzählen Sie einfach, was passiert ist...", ermunterte er sie sanft und täschelte väterlich ihre bereit liegende Hand.
"Ich glaube, sie hat sich umgebracht... meinetwegen...", schluchzte sie leise.
"Warum glauben Sie das?", fragte er und leerte sein Glas in zwei tiefen Zügen.
Sie tat so, als müsse sie sich zusammenreißen und setzte ruhiger fort:
"Es ist alles so schrecklich... das wird für Sie jetzt sicher sehr psycho klingen, aber es war so...", sie seufzte dramatisch.
Er nickte ihr aufmunternd zu.
"Ich habe Rhea vor ein paar Tagen in einer Discothek kennengelernt, im Dark Pavillon... wir haben uns gut verstanden und haben die ganze Nacht zusammen gehangen, getanzt, geredet - es war sehr nett... nach der Disco sind wir noch durch die dunklen Strassen gelaufen und haben uns dann auf eine Bank im Park gesetzt und bis zum Morgen durchgequatscht, wir haben über Männer geredet, übers Flirten... sie meinte, sie wolle das alles nicht mehr, deswegen hätte sie in der Disco auch nicht groß geflirtet, früher wäre sie wie ich gewesen, aber das sei doch alles so oberflächlich... deswegen hätte sie immer so lachen müssen, als sie mir beim Flirten in der Disco zugesehen hat... dann fing sie einfach an zu weinen, ich war total perplex, als sie so plötzlich in Tränen ausbrach... und dann stammelte sie, es wäre ja alles gelogen, sie wäre nie so wie ich gewesen, sie hätte das nie drauf gehabt und hätte deswegen so Probleme, Männer kennenzulernen und sie sei so einsam und bewundere mich dafür, dass ich das könne und die Männer entsprechend darauf reagierten und sagte dann immer wieder, sie wäre gern wie ich und hasse sich, sie käme einfach nicht mehr klar und wäre gern wer anders oder am besten nie geboren worden... ich war echt geschockt und wußte überhaupt nicht, was ich sagen sollte, ich habe sie versucht zu trösten, doch sie hat mich plötzlich weggeschubst, mir einfach eine geknallt und mich kreischend beschimpft mit "Flittchen" und "Schlampe" und sie sei froh, nicht wie ich zu sein - und dann ist sie einfach weggerannt... ich war wie vor den Kopf gestoßen und dann natürlich erstmal total sauer, doch dann dachte ich, die ist nur verzweifelt und betrunken - also bin ich ihr hinterher... doch ich habe sie nicht mehr finden können... da bin ich dann nach Hause.
Erst Tage später habe ich festgestellt, dass mein Ausweis weg ist...ich wollte aber nicht zur Polizei, weil sie mir leid tat... und außerdem wußte ich ja nicht mal ihren Nachnamen... also bin ich abends nochmal zum Dark Pavillon gegangen, aber sie ist da nicht aufgetaucht - dann fiel mir das Hotel ein, sie hatte mir von ihrer Arbeit dort erzählt - also bin ich hin und durch die Gänge, um sie zu suchen... und dann hörte ich zufällig wie zwei Zimmermädchen vor Ihrem Zimmer miteinander sprachen, dass wer vom FBI hier eingecheckt habe und was das wohl bedeuten könne und ob das mit den Serienmorden zu tun hätte - und naja... das klingt jetzt wohl blöd, weil Sie sich doch mit viel größeren Problemen rumschlagen müssen - ", sie machte eine Kunstpause und las dabei in seinem Geist, was bei ihrem Türöffner-Wort "Serienmorden" assoziativ alles in seinem Kopf auftauchte, folgte den bewussten und unbewussten Verlinkungen in seinem Gedächtnis, bis sie genug wußte...
Es dauerte nur Sekunden.
"Erzählen Sie nur...", ermunterte er sie geduldig, weiter zu sprechen.
"Naja, ich dachte, jemand vom FBI, der kennt sich mit so Psychokram wie Stalking sicher besser aus als die Polizei und könnte mir einen Rat geben, wie ich am besten auf Rhea zugehen sollte, wenn ich sie treffe... ich will ja nur den Ausweis wieder und ihr keinen Ärger machen... und dass sie mich dann in Ruhe läßt, die ist mir echt zu schräg drauf... aber ich wollte es erst einmal selbst versuchen - also habe ich sie im Gang vor Ihrem Zimmer abgepasst, in dem Sie eingecheckt haben, und gebeten mit mir zu reden... ich habe ihr gesagt, ich sei nicht sauer und wolle nur mit ihr reden, ob wir nicht in eins der Zimmer gehen könnten - sie sagte, sie müsse arbeiten und ich meinte, dann eben hier in das Zimmer, das sie gerade machen muss - das wollt ich ja genau, damit ich, wenn es schief geht, da auf Sie warten oder eine Nachricht hinterlassen kann - sie meinte, na gut... also sind wir rein.
Am Anfang lief das Gespräch gut, doch als ich meinen Ausweis zurück haben wollte, wurde sie sauer und schrie, den hätte sie nicht, sie sei doch keine Diebin, was ich mir einbilden würde, doch ich beharrte, dass sie ihn haben müsse und ich ihn doch nur wieder wolle, dann wäre doch alles okay - aber sie ist einfach wütend rausgerannt... da habe ich dann die Visitenkarte hinterlassen, um Sie zu treffen, ohne das Rhea das mitbekommt, um mir Rat zu holen - doch nun ist es zu spä-ät...", endete sie und verfiel gekonnt wieder in verzweifeltes Schluchzen.
"Aber, aber - das ist doch nicht Ihre Schuld... anscheinend war sie eine psychisch schon sehr labile Frau - und ob es Selbstmord war, muss ja auch erst noch geklärt werden..."
Sie sah ihn mit großen Augen an: "Denken Sie etwa an - Mord?? Vielleicht sogar von dem Serienkiller, von dem man immer mal wieder liest?" Sie schüttelte sich entsetzt - zumindest sah es so aus.
"Ich glaube nein - aber vielleicht war es auch ein Unfall..."
"Ich weiß nicht... irgendwie erscheint mir das kein Zufall - der Streit - ihr Tod...", zweifelte sie.
"Möglich wäre es schon - aber das dürfen Sie sich nicht so zu Herzen nehmen!" setzte er eilig nach. "Jeder andere negative Anlass hätte für diese Frau wahrscheinlich auch dazu führen können... Aber es wäre gut, wenn Sie das alles noch einmal zu Protokoll geben könnten, die entsprechende Stelle wird sich darum kümmern... ich hätte da auch noch ein paar Fragen, aber das müssen wir nicht hier besprechen, es reicht, wenn wir das klären, wenn das Protokoll aufgenommen wird."
"Also untersuchen Sie selbst Rheas Tod weiter?"
"Da ich zugegen war, als es passierte, ja - es scheint zwar erst einmal kein Zusammenhang zu meinem eigentlichen Auftrag hier zu bestehen, aber ich will mir dessen auch sicher sein, daher werde ich erst einmal noch dabei sein - wenn im Verlauf dann kein Zusammenhang feststellbar ist, übernimmt natürlich die entsprechende Dienststelle den Fall... Am besten, Sie kommen morgen früh zum Hotel und wir fahren dann zusammen zur Polizei."
Sie nickte einverstanden.
Das beruhigte ihn, sie schien keine Angst vor der Polizei zu haben... Doch sie war nicht ehrlich, ermahnte er sich, sie war die Frau auf der Zeichnung und hatte sich sogar mit eigenem Namensschild ins Hotel geschlichen... Er war verwirrt. Warum sollte sie Rhea - wenn die Tote denn so hieß - umgebracht haben? Und dazu noch so geplant? Und ihm vor dem Mord noch eine Visitenkarte von sich ins Zimmer legen??
Er war fast sicher, dass ihre scheinbare Hilflosigkeit nicht echt war, sie wirkte nicht wie jemand, der sich naiv und hilflos um Rat ans FBI wenden würde, er spürte, dass trotz ihrer Hilflosigkeit und scheinbaren Ergebenheit eine selbstbewußte, starke Energie von ihr ausging, die gewohnt war, Männer um den Finger zu wickeln...
Allein die Art, wie sie sich gerade eine Zigarette anzündete, wie geschmeidig sich ihre Hände und Finger dabei bewegten, machte ihn scharf... Auch wenn sie ihm eigentlich zu jung war...
Zumindest in dieser Hinsicht wirkte ihre Geschichte über die Ereignisse in der Discothek stimmig...
Gebannt sah er zu, wie sie einen großen Schluck aus ihrem Cocktailglas nahm und sich dann ein Lakritz in den Mund schob - unwillkürlich dachte er an Nakes, und diese Assoziation löste den Bann.
Er mußte sie im Auge behalten.
Er war nicht sicher, ob sie morgen früh wirklich auftauchen würde... Er mußte dringend nach der Identifikation der Toten fragen, wer von beiden war nun Anne Sinclair? War die Tote wirklich Rhea? Sollte er sie nach weiteren Ausweisen fragen, um sicher zu gehen?
Nein, er durfte sie nicht verschrecken.
sonst würde sie morgen auf gar keinen Fall auftauchen. Für eine Festnahme reichten die Informationen aber längst nicht aus - auf jeden Fall sollte er jemanden zur Observation vor dem Haus positionieren, falls die Adresse des Ausweises der Toten doch ihre war.
Am besten, er übernahm das selbst.
Irgendwie hatte er das Gefühl, sein Fall hing mit dieser Frau und der Toten zusammen... das Ganze schien tatsächlich immer verzwickter zu werden - hah, der Chef wird sich noch ärgern, denn vielleicht war dieser Fall, der ihm wie Abfall zugeschoben worden war, viel bedeutender als der seines Chefs - er hoffte es zumindest. Auf jeden Fall war er spannender und heißer - Politik wurde schließlich nicht von superscharfen Bräuten, sondern von langweiligen, egogestörten alten Männer mit dicken Bäuchen betrieben...
Eigentlich müßte er sich jetzt verabschieden.
Aber er hatte noch Lust auf einen weiteren Drink - und ihre Anwesenheit. Doch auch sie würde jetzt sicher gehen wollen, ihr Cocktail war fast leer, alles gesagt und ein Termin gemacht... unglücklich starrte er in sein leeres Glas. Selbst wenn sie noch bleiben würde, hatte er keinen Grund zu bleiben - es sei denn einen auffällig unprofessionellen...
Black Pearl bemühte sich, gelassen im Rest ihres Cocktails zu rühren, während sie amüsiert seinen Gedanken lauschte.
Melloy raffte sich schließlich auf.
"Lassen Sie den Kopf nicht hängen, morgen sehen wir weiter - 9.00 Uhr in der Lobby, ist das okay für Sie?"
"Ja - und vielen Dank, dass Sie hierher gekommen sind!"
Sie schaute mit kleinmädchenhaftem Blick zu ihm auf, er stieg darauf ein und nickte ihr väterlich zu - erst einmal mitspielen... Er reichte ihr seine Karte mit der üblichen Floskel "wenn noch Fragen sind, die nicht bis morgen warten können oder Ihnen noch wichtige Informationen einfallen", warf einen letzter Blick auf ihr schönes Dekollete und in ihre seltsamen Augen - die so dunkel waren, dass man im Dimmerlicht der Bar die Pupillen nicht erkennen konnte - und wandte sich mit stillem Bedauern zum Gehen.
Er spürte ihren Blick im Rücken, als er zur Theke ging, doch er drehte sich nicht noch einmal um.
Er zahlte rasch - wobei er den schroffen Ton des Barkeepers gleichmütig ignorierte - und fuhr nachdenklich ins Hotel zurück.
Black Pearl lächelte mitleidig, als er aus der Tür war.
Armer Melloy. Er würde, wenn er sie bis morgen früh observieren wollte, eine leere Wohnung vorfinden... Alle ihre Ausweise waren natürlich gefaket. Aber sie mußte jetzt auch rasch handeln, irgendwas lief hier gründlich schief - wer hatte einen ihrer Ausweise kopiert und der Toten untergeschoben??? Sie tippte auf Nakes, wahrscheinlich hatte er die Tote auf dem Gewissen... Sie erinnerte sich, sie war nicht mehr dazu gekommen, seinen Körpergeruch wie vorher Melloys zu erschnuppern, die Pinnwand mit den Fotos hatte sie abgelenkt.
Verdammt.
Sonst hätte sie schon längst gewußt, ob er ein Vampir ist. Wenn, dann war er keiner aus Dark Town...
Moment, Melloy hatte sich ihrem Bann entzogen bei seinem Gedanken an Nakes, als sie gerade einen Bloody Stone gegessen hatte - vielleicht aß der nicht gern Lakritze, wie sie Melloys Gedanken erst einmal entnommen hatte, sondern Bloody Stones...
Sie war höchst beunruhigt.
Sie mußte dringend herausfinden, wer Nakes wirklich war und zu wem er gehörte... hatte Vadis ihn über seine Kontakte zu anderen Clans herbei zitiert, da Red Eye zu versagen schien? Und aus welchem Clan kam er?
Red Eye hatte ihn nie erwähnt...
Sie hatte plötzlich das Gefühl, sofort verschwinden zu sollen, sie löschte rasch ihre und Melloys Anwesenheit aus dem Gedächtnis der Gäste, des Personals und des Barkeepers - bei dem es ziemliche Mühe kostete - steckte sich die restlichen Bloody Stones in den Mund und verschwand unauffällig durch den Personaleingang, nachdem sie sich aus dem Keller der Bar noch schnell eine große Packung - für die Cocktails extra angefertigte und schon abgefüllte - Blutpipetten aus dem Kühlschrank geschnappt hatte.
Als sie sich auf das Dach des ersten Hauses neben der Bar schwang, flog sie mit voller Wucht gegen Nakes, der trotz des heftigen Zusammenpralls sicher am Rande des Daches stehen blieb.
Er wartete, bis sie sich wieder aufgerappelt hatte.
"Du bist also Black Pearl - ich bin Nakes."
"Ich weiß", antwortete sie und zog ihre Schwerter.
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