8. Ein schöner Tag

molly

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Ein schöner Tag

Seit Tagen duftete es bei Davis im ganzen Haus nach Zimt und Himbeeren. Seine Mutter und die Oma hatten schon vier riesige Linzertorten gebacken.
David wohnte mit den Eltern im ersten Stock, die Großeltern lebten unten. Er schlich die Treppe hinunter, vergewisserte sich, dass niemand in der Küche war und eilte zur Speisekammer. Sie war nicht abgeschlossen! David trat ein, ging zu den Kuchen, roch daran und gerade, als er sich ein Stück von einem Kuchenrand abbrach, trat die Großmutter ein.
„Du Lausbub“, rief sie, „was fällt dir ein? Du weißt doch, dass wir die Kuchen zum Fest brauchen.“

Aufgeschreckt durch die laute Stimme, eilte nun Davids Vater in die Speisekammer. Sogleich berichtete die Großmutter, was David wieder angestellt hatte.
„Hm, die Kuchen duften wirklich herrlich. David, Arme auf den Rücken. Wir schnuppern noch einmal daran und warten mit dem Kuchenessen bis zum Fest.“ Das taten die beiden und Davids Vater fragte anschließend die Großmutter, ob sie denn nicht ein Stückchen Kuchen übrig hätte, das sie jetzt mampfen konnten.
„In der Küche auf dem Tisch liegt noch ein Hefezopf, davon könnt ihr nehmen“, sagte sie.
Hand in Hand verließen David und sein Vater die Speisekammer. Die Großmutter schloss anschließend die Tür ab und steckte den Schlüssel in die Schürzentasche. „Sicher ist sicher“, meinte sie noch zu David.

In der Küche schnitt Davids Vater drei Stücke vom Hefezopf ab.
Zwei halbierte er in der Mitte und gab sie David.
„Vielleicht magst du ja den Kuchen mit Deinen Freunden teilen.“ Er wuschelte einmal durch Davids Haare und sagte: „ lauf los zum Spielen.“

Mit den Kuchenstücken lief David zu seinen Freunden. Sie saßen auf der Treppe vor dem Haus und erwarteten ihn schon. Nachdem David den Kuchen verteilt hatte, erzählte er seinen Freunden von den wunderbaren Linzertorten.
Florian kannte diese Torten nicht „Wie schmecken denn die“? wollte er wissen.
„Nach Nüssen, Himbeermarmelade und Kakao. Einfach wunderbar, aber die gibt es erst am Festtag, dann ist auch die Großmama aus der Stadt dabei“, sagte David.

*
Endlich kam der langersehnte Tag für David, es war ein sonniger Herbsttag. Nele und Michael gingen mit den Eltern in die Kirche und selbstverständlich fehlte auch Florian nicht. In der vordersten Bank saß David neben seinem Vater. Wie vornehm der Freund aussah! Normalerweise hatte er Hosen an, bei denen man nie genau sagen konnte, ob sie blau, schwarz oder braun waren. Heute aber trug er einen dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd und eine rote Krawatte. Keinen einzigen Dreckfleck entdeckte Michael in seinem Gesicht, David sah richtig blass aus.
Während der Feier schaute David ab und zu nach hinten und die Freunde winkten ihm zu. Er jedoch übersah sie und tat, als würde er sie nicht kennen. Auch nach der Tauffeier hielt er sich eisern an der Hand seines Vaters fest. Als Nele seinen Namen rief, drehte er den Kopf zur Seite. „Der mag uns heute nicht“, stellte Michael fest.
„Das glaube ich nicht", meinte Michaels Vater, „vielleicht will er nur diesen besonderen Tag nicht mit euch teilen."
*
Zuhause erzählte die Mutter von Neles und Michaels Tauffest, und es war so, wie David diesen Tag wohl erlebte: Die Feier in der Kirche und das Festessen mit den Gästen.
Ein wenig langweilig würde dieser Sonntag ohne David werden. Doch nach dem Mittagessen kam Florian. Die Kinder gingen in den Hof, um Taufe zu spielen. Michael holte mit einem kleinen Eimer Wasser aus dem Bach. Florian durfte als erster das Taufkind sein. Er setzte sich auf die Bank und legte die Füße hoch.
Nele kniete sich hinter Florians Rücken und hielt seinen Oberkörper mit beiden Armen umschlungen. Michael spielte den Pastor und murmelte: „Ich taufe dich!"
„Mach ein bisschen schneller, der Flori ist ganz schön schwer", befahl Nele. Michael schüttete nun den kleinen Eimer ganz aus. Nele und Florian sprangen auf. Aus Florians Haaren tropfte das Wasser, lief über sein Gesicht und sein Hemd. Auch Nele war nass geworden und die beiden mussten trockene Sachen anziehen. Die Mutter bat, für weitere Taufen Neles Puppe zu nehmen. Die Kinder jedoch spielten nun Verstecken, bis die Mutter zum Kaffeetrinken ins Haus rief.

Kaum saßen alle am Tisch, als die Türglocke schellte. Der Vater öffnete und brachte die Besucher ins Zimmer. Michael traute seinen Augen nicht und machte sie schnell zu. Nachdem er bis drei gezählt hatte, öffnete er sie wieder. David stand noch immer da und grinste sie an. Sein Vater legte ihm die Hand auf den Haarschopf.
„Bei unserem Fest sind leider keine Kinder und nun ist es für David recht langweilig geworden. Darf er mit euch spielen?"
Nele und Florian nickten und Michael rief: „Klar.“
Neles rannte in die Küche und holte für David einen Teller und ein Glas. Die Eltern plauderten mit Davids Vater. Sie verabredeten, dass David diese Nacht sogar bei Michael schlafen durfte. Herr Wagner kraulte noch einmal Davids Haare und ging.
Zuerst aßen sie von Davids Linzertorte, die er als Überraschung mitgebracht hatte.
„Wollen wir Taufe spielen?" fragte Florian. Aber David schüttelte energisch den Kopf. „Vom Taufen habe ich vorläufig die Nase voll", sagte er.
„Was hat dir denn nicht gefallen?" wollte Nele wissen. David stützte den Ellenbogen auf den Tisch, legte den Kopf auf die Hand und sagte: „Heute habe ich einen Pechtag. Als wir von der Kirche heimgingen, bin ich ausgerutscht und hingefallen. Die neue Hose ist total im Eimer, jedenfalls an den Knien. Dann habe ich mich an Simons Bettchen gesetzt und mit seinen Fingern gespielt. Das hat ihm gefallen und er hat gekrähte vor Vergnügen. Sofort kam die Oma angerannt. Sie dachte, Simon würde schreien!“
„Und? Hat er?" fragte Florian.
„Erst als die Oma kam, da habe ich nämlich aufgehört mit seinen Fingern zu spielen. Sie hat gesagt: „David, lass deinen kleinen Bruder in Ruh', geh spielen!"
„Was hast du dann gemacht?" fragte Nele.
„Mein Schaukelpferd durch die Stube gezogen und hü, hü gerufen. Aber da hat der Großvater gebrüllt, ich soll endlich Ruhe geben.
„Hat dir denn gar nichts gefallen an dem Fest?" erkundigte sich Michael.
„Doch, ich habe mit meinem Papa Simons Geschenke angeschaut!"
„Was für Geschenke“, wollte Florian wissen.
Aber David stopfte sich erst einmal ein Stück Kuchen in den Mund. Eine Weile war es still. David trank langsam seinen Saft aus und mit dem letzten Schluck gurgelte er noch ein wenig, bevor er ihn hinunter schluckte. Dann stellte er mit einem Ruck das Glas mitten auf den Tisch und sagte:
„Ach, Simon hat viele Geschenke bekommen. Das schönste war die Spieluhr, wenn man an einer Schnur zieht, spielt sie „Schlaf, Kindchen, schlaf“. Die hat meine Großmama aus der Stadt mitgebracht. Sie hat mir auch einen Beutel mit Glasmurmeln geschenkt. Doch das Beste war die Holzeisenbahn! Die hat Simon von seiner Patentante Maria bekommen."
„Aber damit kann er noch nicht spielen!" warf Michael ein.
„Richtig, Simon nicht, aber ich! Nach dem Mittagessen habe ich mit Papa die Eisenbahn in meinem Zimmer aufgebaut und wir haben gespielt, bis er sich wieder um unsere Gäste kümmern musste!" David seufzte tief.
Der Vater sagte: „Du bist wohl traurig, weil sich heute fast niemand um dich kümmert, doch für dich gab es auch einmal ein Tauffest mit vielen Geschenken und Gästen!"
„Und Linzertorten“, ergänzte Florian.

„Klar“, sagte David, „in meinem Fotoalbum kleben Bilder von meiner Taufe. Aber bei mir gab es keinen Bruder, der bei allem brav zuschauen und still sein musste!"
Die Mutter meinte, dass er sich in ein paar Tagen nur noch an das erinnern würde, was ihm beim Fest gefallen hätte.
„Und was wäre das“? fragte David gedehnt.
Sie antwortete lächelnd: „Nun, ich denke dabei an die Taufe in der Kirche, an das Festessen mit den Eltern, den Großeltern und den Verwandten, an die Holzeisenbahn, die Glasmurmeln und an den Nachmittag hier bei deinen Freunden!" „Schön wär's", brummte David.

Und schön wurde dieser Tag noch, auch für David. Die Eltern fuhren mit den Kindern zum Baggersee am Rand der Stadt. Sie mieteten zwei Tretboote, eins für die Mutter, Nele und Florian, das andere für David, Michael und den Vater. Sie gondelten auf dem kleinen See umher, starteten Wettfahrten und gingen erst nach Hause, als die Sonne glutrot am Abendhimmel verschwand.
Als die Mutter am Abend in Michaels Zimmer das Nachtlager für David richtete, sagte er: „Dass ich heute zum ersten Mal bei Michael übernachten darf, werde ich auch nie vergessen." Beim Einschlafen murmelte er: „Es war doch ein schöner Tag!"
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In der nächsten Geschichte geschieht ein Unfall
 



 
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